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| Ein Blick auf Washington von oben: Das berühmte Weiße Haus ist kaum mehr zu erahnen, dafür dominiert der neue Ballsaal (rechts) das Stadtbild. |
Satellitenbilder zeigen ein längliches Loch, das tief ins Schwemmland an der Spree reicht. Doch hier direkt vor dem Eingangsportal des Reichstages in Berlin sucht die deutsche Politik nicht nach Lithium, Seltenen Erden oder einheimischem Erdgas, um es nach einem aufwendigen Genehmigungsprozess in der Erde zu belassen. Nein, hier wird seit einem halben Jahrzehnt an Deutschlands Sicherheitsarchitektur gebaut: Ein Aha-Graben, offiziell "Antifaschistischer Schutzwall" genannt, soll künftig verhindern, dass Heilpraktiker*nnen, Schwurbler und Impfleugner erneut versuchen, das Hohe Haus zu stürmen.
Getarnte Befestigungsanlagen
Auch an die Tarnung der neuen Befestigungsanlagen ist gedacht worden. Offizielle geht es bei den Bauarbeiten darum, den Deutschen Bundestag als "ein gastfreundliches und ein gern besuchtes Haus" noch attraktiver zu machen. Der frühere Reichstag soll "ein einladendes, sich offen präsentierendes und barrierefrei gestaltetes Gebäude" werden, "das sich denkmalverträglich in den Großen Tiergarten einfügt", beschloss der Bundestag bereits 2019.
Jährlich strömen zwei bis drei Millionen Menschen aus aller Welt in das nach zehn Jahren Bauzeit 1894 fertiggestellte Reichstagsgebäude – nicht nur, um den schönen Ausblick von der gläsernen Kuppel zu genießen, sondern auch, um von der Dachterrasse ganz oben auf die Baustelle des Burggrabens zu schauen, der später von unten erst zu sehen sein soll, wenn etwa russische Truppen unmittelbar bis zum Grabenrand vorgestoßen sind.
Deshalb auch der Name Aha-Graben: Die Bezeichnung stammt aus der klassischen Gartenarchitektur und spielt auf den Umstand an, dass es sich um einen optisch unsichtbaren Graben handelt, der den Blick auf das von Paul Wallot im Stil der Neorenaissance mit barocken und klassizistischen Elementen entworfene Gebäude nicht stört.
Überraschende Negativmauer
Der Name leitet sich von der Überraschung ab, die der zehn Meter breite und 2,50 Meter tiefe Graben beim Näherkommen auslöst – ein spontaner Ausruf wie "Aha!". A steht dabei für Abstand, H für Halt, nicht weitergehen! und das zweite A für Außengrenze. Beim Blick von der Dachterrasse des Bundestages auf das moderne Berlin der demokratischen Mitte entfährt vielen Besuchern der Ruf zum zweiten Mal. Von hier oben wird das ganze Ausmaß der Bauarbeiten klar, die weit über eine Mauer mit negativer Bauhöhe hinausgehen.
Dit is Berlin und hier in Mitte, dem Stadtbezirk, der nach dem zentralen Ideal unserer Demokratie benannt wurde, baut das neue Deutschland an einer nachhaltigen, gerechten, vielfältigen und grünen Version jenes "Germania", das frühere Kanzler und Parteiführer in den märkischen Sand hatten betonieren wollen.
Peinliche Infrastruktur
Es wird "nicht gekleckert, sondern geklotzt" (Heinz Guderian). Auch wenn die Infrastruktur nach Jahrzehnten mit schwarzen und roten Regierungen deutschlandweit nur noch "peinlich" ist, wie der aktuelle SPD-Chef drastisch formuliert hat, zeigt die Großbaustelle im Herzen der Hauptstadt, was möglich ist. Im "Band des Bundes", einer modernen Stadt inmitten des zuletzt vielkritisierten Stadtbildes des traditionellen Berlins mit seinem Müll, seinen Drogenhändlern, beschmierten Fassaden und hohen Mieten entstehen neue Gebäudegruppen am Spreebogenpark und prächtige Erweiterungsbauten für Heerscharen neuer Mitarbeiter des Kanzleramtes.
Der neue "Campus im Kanzlerpark" ist ein Hingucker: Es handelt sich um ein Ensemble aus einem halbrunden Gebäude mit sechs lichten und transparenten Stockwerken und zwei eingeschossigen Bauten, in denen Serviceeinrichtungen für die inzwischen auf 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsene Belegschaft des Bundeskanzleramts untergebracht werden. Dazu gehören auch eine Kantine und ein "Veranstaltungsbereich" genannter Ballsaal, an den sich ein eigenes Brief- und Logistikzentrum mit Hubschrauberlandeplattform anschließt, das auch E-Mails empfangen können soll.
Globaler Führungsanspruch
Dieses Regierungsviertel meldet unübersehbar Ansprüche an. Für nur knapp zwei Milliarden Euro Baukosten katapultiert es Deutschland vom Fleck weg an die Weltspitze. Mit künftig 50.000 Quadratmetern Grundfläche vollzieht der Regierungssitz nach, was das deutsche Parlament schon hinter sich hat: Der Bundestag ist auch nach der zuletzt verordneten Schrumpfkur weiterhin die größte demokratisch gewählte Volksvertretung weltweit.
Das Kanzleramt wird demnächst 16 Mal größer sein als das amerikanische Weiße Haus und 20 Mal größer als die berühmte "Number 10" Downing Street der britischen Europa-Abtrünnigen. Dabei sind die neuen Festungen von Bundesnachrichtendienstes, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz noch nicht berücksichtigt, die sich wie schützende Arme um die empfindliche Herzkammer legen.
Von Treptow über die Chausseestraße zieht sich ein sogenanntes "Sicherheitsband" aus zehntausenden Tonnen Stahl, hunderttausenden Kubikmetern Beton und zehntausenden Kilometern Kabel, das von 2.000 Firmen vor Ort erschaffen wurde. Allein im repräsentativen neuen Berliner Betonbunker des Bundesnachrichtendienstes, errichtet nach einem Masterplan von Kleihues + Kleihues, werden 4.000 Mitarbeiter*nnen unterkommen, beim BKA sind es 500. Die Zahlen des Verfassungsschutzes sind streng geheim.
Ein selbstbewusstes Statement
Doch das selbstbewusste Statement der größten Demokratie in Europa wirkt. Noch sind die Trümmer des alten Berlin, das aus einem und auf einem Sumpf entstand, nicht komplett beiseitegeräumt und die gigantischen neuen Verwaltungsgebäude in der geplanten mehrdimensionalen Installation "Band des Bundes"nicht fertig, schon aber zeigt sich auf der anderen Seite des Atlantik, dass das deutliche Signal aus Deutschland verstanden wurde.
Hektisch und ohne Baugenehmigung versucht US-Präsident Donald Trump, mit den deutschen Bauarbeiten Schritt zu halten. Der "Demolition Man" (FAZ) ließ den Ostflügel im Weißen Haus abreißen, um seinem "pseudo-monarchischem Gehabe" durch den Bau eines vergoldeten Ballsaales Ausdruck zu verleihen.
Alles ist falsch
Alles daran ist falsch, von der Zerstörung des Jacqueline-Kennedy-Gartens (Der Spiegel) über das opulente Gold im Oval Office bis zum Abriss des 1942 auf Anweisung von Theodore Roosevelt errichteten Gebäudeteils. Trumps Emissäre waren in Berlin, um sich auf der Baustelle in Mitte Anregungen für gerade Linien, klassische Bögen und gestalterische Wucht durch weitläufige Klimaglasflächen zu holen.
Doch statt der von der gläsernen Reichstagskuppel symbolisierten Transparenz deutschen Regierungshandelns, umgeben von viel moderner Kunst und etlichen Mahnmalen, die auch als Bürgerforen dienen, setzt Trump auf elitären und exquisiten State Ballroom im klassizistischen Stil, zu dem am Ende nur etwa 1.000 der mehr als 340 Millionen US-Amerikaner Zugang erhalten werden.
300 Millionen Dollar will der Autokrat sich den Bau kosten lassen - das sind 37.500 Dollar pro Quadratmeter. Eine exorbitant hohe Summe, vergleicht man sie mit wichtigen Infrastrukturbauten in der EU. So baut Europas Grenzschutzagentur Frontex sich in Warschau derzeit für nur 250 Millionen Euro ein neues Hauptquartier mit 70.000 Quadratmetern Nutzfläche für ein Zehntel der Baukosten. Auch der geplante kleine Kindergarten im "Band des Bundes" - gedacht für den Nachwuchs von Bundestagsabgeordneten, 15 Plätze, Baukosten 2,8 Millionen Euro - kommt mit 18.500 Euro deutlich billiger.
Trumps verzweifelter Bauwahn
Trumps verzweifelter Bauwahn, mit dem er die neue Berliner Mitte zu überstrahlen versucht, ist beinahe so teuer wie die 180 Meter lange Fahrradbrücke über die Chemnitzer Kalkstraße. Dieser Premiumradweg aus 284 Tonnen Stahl und 840 Quadratmetern Carbonbeton, der in nur 15 Monaten für acht Millionen Euro errichtet wurde, gilt derzeit als Goldstandard für öffentliche Bauten. Der Quadratmeterpreis lag hier bei etwa 48.000 Euro, doch 90 Prozent der Bausumme übernahm der Bund, das Geld fehlt also niemandem.
Der Radweg ist fertig, aber noch nicht komplett. Aus den 180 Metern sollen in den kommenden Jahren mehr als 13 Kilometer werden, der Rest der geplanten Strecke werde aber deutlich günstiger, so dass der Bau insgesamt keine 500 Millionen Euro kosten werde, heißt es in Sachsen. Auch beim Bundestag ist der Tag der endgültigen Fertigstellung noch nicht absehbar. Die "Unbilden des Baugeschehens", hat der frühere Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse einmal philosophisch zusammengefasst, seien "eine eigene große Welt".
Golden-Gate-Phänomen
Es ist das sogenannte "Golden-Gate"-Phänomen, das jede Planung zunichte macht. Zwar wurde der Reichstag innerhalb von nur zehn Jahren errichtet. Doch weil Sanierungs- und Ausbauarbeiten stets deutlich länger dauern als anfangs gedacht, geschieht, was bei der berühmten Brücke in San Francisco Tagesgeschäft ist: Sobald die Malermannschaft, die das Bauwerk streicht, an einem Ende angekommen ist, muss am anderen wieder angefangen werden, weil Wind und Wetter der Farbe zugesetzt haben.
Da der Bundestag zwingend "ein würdiges Empfangsgebäude mit der Möglichkeit, sich auf den Besuch im Bundestag inhaltlich vorzubereiten" benötigt, muss die Öffentlichkeit noch Geduld haben. Bis 2030 investiert der Bund knapp 200 Millionen Euro, um ein würdiges Empfangsgebäude in klassischer Lagerhallenarchitektur, zwei Tunnel und den Sicherheitsgraben "in bemerkenswerter Ausführung" realisieren zu lassen.
Doch es geht voran: Seit die Kommission des Ältestenrates des Bundestages für Bau- und Raumangelegenheiten 2018 einstimmig beschloss, mit den "Planungen zur Realisierung der in der Beratungsunterlage des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung dargestellten Variante 1 (trockener Graben) fortzuführen", sind erst sieben Jahre vergangen. Und doch zeigen Satellitenbilder eben schon, dass der Graben zwischen Regierenden und Regierten beständig wächst.


2 Kommentare:
Trump oder eine AI-Version von ihm hatte ja angekündigt, den neuen Ballsaal 'Monika-Lewinsky-Ballsaal' zu nennen.
https://www.hindustantimes.com/world-news/us-news/trump-to-name-new-white-house-ballroom-after-monica-lewinsky-truth-behind-viral-post-101761435457979.html
Auf jeden Fall ist es so schlimm, dass der Umbau samt Planierung des Jacqueline-Onassis-Gartens, der 16 Jahre vor ihrer Geburt angelegt wurde, Schockwellen bis in deutsche Premiumredaktionen schickte.
Mir kommt es inzwischen vor als ob unsere Medienschaffenden umso mehr Müll als Nachrichten verbreiten, je unerfreulicher die Tatsachen werden, von denen sie schweigen.
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