Sonntag, 18. Mai 2025

Brückenbauerin Baerbock: Selbstbewusst auf der Weltbühne

Viel Böses ist ihr nachgerufen worden, als sie sich entschloss, nach ihrem erfolgreichen Wirken als deutsche Außenministerin ein neues Kapitel aufzuschlagen. Annalena Baerbock musste sich übler Kritik erwehren, weil ihr vorgeworfen wurde, aus Eigennutz einer Karrierediplomatin den bereits fest zugesicherten Posten als Präsidentin der Uno-Generalversammlung weggenommen zu haben. 

Ein "Traumjob mit Geschmäckle" sei das, mäkelte die Taz, Norbert Heusgen, CDU-Mann und Angela Merkels "Wir schaffen das"-Flüsterer, nannte die frühere grüne Kanzlerkandidatin und erfolgreiche Buchmitautorin ein "Auslaufmodell". Sogar die Süddeutsche Zeitung, auf deren solidarische Berichterstattung die Grünen sich stets verlassen konnten, hielt mit Kritik nicht hinterm Berg. Der Karriereschritt nach Amerika werfe ein "schlechtes Licht" auf Baerbocks bis dahin so souveränes Schaffen.

Sie blieb standhaft

Zum Glück hat sich die 44-Jährige nicht mürbe machen lassen. Seit sie 2021 beinahe Kanzlerin geworden war - nur eine Vielzahl von Angriffen unter der Gürtellinie vermochte das zu verhindern - hat sich Annalena Baerbock ein dickes Fell zugelegt. Weder durch persönliche Attacken noch durch Versuche, ihre feministischen Außenpolitik zu diskreditieren, ließ die Frau aus Niedersachsen sich von ihrer Mission abbringen.

Sie zeigt der Welt Deutschlands freundliches Gesicht. Sie war die fleißigste Handlungsreisende in Sachen Moral. Sie wies Diktatoren in die Schranken, machte Freunden Mut und Feinden klar, wo die rote Linie war. Als erste deutsche Spitzenpolitikerin seit Jahrzehnten ließ sie sich demonstrativ vor dem Eiffelturm fotografieren. Ein sensibel gesetztes Zeichen dafür, dass es irgendwann auch vorbei sein muss mit dem ewigen Herumhacken auf der Geschichte.

Am Ende immer ein Scheck

Auf die Unkenrufe, die ihr anfangs in den Ohren gellten, sie spreche Englisch wie ein Ostdeutscher, der versucht habe, die Sprache bei "Englisch for you" zu lernen, hört Annalena Baerbock nicht. Sie radebrechte sich irgendwie durch, eine Diplomatietouristin, die genau wusste, dass jeder Gesprächspartner alles versteht, so lange es am Ende einen Scheck gibt.

Die förmliche Bewerbungsrede vor der UN-Vollversammlung, unerlässlich trotz der festen Zusage, dass Deutschland dran ist mit der Übernahme des Frühstücksdirektorsposten in New York, konnte Baerbock vor diesem Erfahrungshorizont nicht mehr schrecken. Als es so weit war, saß sie da wie immer, ganz gelassen und im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten, die kurze Ansprache sauber vom Blatt spielen zu können. 

Lieferung ist garantiert

Und es gelang. Nicht einmal, als ihr bei der Beschreibung der Lage der Weltgemeinschaft als "schwer" das Wort "happy" statt "heavy" über die Lippen rutschte, stockte Annalena Baerbock. Sie weiß ganz genau, dass es auf Feinheiten nicht ankommt. Die Milliarden Menschen, die sie nun für ein Jahr vertreten wird, erwarten inhaltliche Arbeit, den Bau neuer Brücken über ideologische und weltanschauliche Gräben hinweg. Etwas, das ihnen Annalena Baerbock auf jeden Fall liefern wird.

Rechtsextremist Helmut Schmidt: Der Hetzer aus der SPD

Die Uniform der Nazi-Wehrmacht legte er ab, nach den aktuell geltenden Maßstäben des Geheimgutachtens des Verfassungsschutzes aber blieb Helmut Schmidt bis an sein Lebensende gesichert rechtsextremistisch.

Es sollte unter strengem Verschluss bleiben, kein Mensch sollte es lesen dürfen, um geheime Quellen bei "Spiegel", "Stern" und "Tagesschau" zu schützen. Doch durch ein bis heute nicht genau lokalisiertes Leck beim Inlandsgeheimdienst gelangte das Geheimgutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz an die Öffentlichkeit. Und mit der nun auf mehr als 1100 Seiten vorliegenden amtlichen Bewertung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" ist es Forscherinnen und Forschern möglich, die gesamte deutsche Geschichte neu zu analysieren und zu bewerten.  

Völkische Positionen im Kanzleramt

Wie rechtsextremistisch war die Bundesrepublik in früheren Zeiten? Welche verfassungsfeindliche und völkischen Positionen vertraten die führenden Repräsentanten der Parteien, die bis heute die Geschicke des Landes lenken? Wie weit ist die Aufarbeitung von Verfehlungen, wie ernst nehmen die nachgewachsenen Enkel der Generationen Falschpositionierungen und offene rechte Hetze von den Männern und Frauen, die das Land gemeinsam mit Millionen Helfern aus dem Ausland aufgebaut hatten? 

Das sind Fragen, denen ein Forschungsteam unter Leitung des Renitenz-Experten und Medienmoralisten Hans Achtelbuscher im Nachgang zur illegalen Vorlage des Geheimgutachtens aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (AI) nachgegangen sind. Der Medienpsychologe Hans Achtelbuscher forscht seit Jahren an Phänomenen der medialen Demenz, an Großkurskorrekturen bei Gemeinsinnsendern und dem immer wieder auftretenden Effekt des Herdentriebs. 

Das endgültige Urteil 

Der habe im Zuge der hastigen Vorstellung des endgültigen Urteils über die AfD durch die inzwischen aus dem Amt geschiedene Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu geführt, dass sich im Moment der Herausgabe der Pressemitteilung zur Verurteilung bereits der Peak des Interesses am Thema  gebildet habe. "Für uns in der Wissenschaft aber fängt die Arbeit danach erst an", sagt Hans Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie in Frankfurt an der Oder forscht und lehrt. 

Für den 56-Jährigen und seine Wissenschaftlerkollegenden seien die mehr als tausend Seiten Gutachten eine Fundgrube an Erkenntnissen, die es erlaubten, "die gesamte Geschichte der Bundesrepublik neu zu bewerten". Das allein aus öffentlichen Quellen, Gerichtsurteilen und gänzlich ohne Rückgriff auf nachrichtendienstliche Informationen erstellte Großpapier ermögliche eine komplette Neugestaltung aller bisher geltenden Maßstäbe zur Beurteilung politischen Handelns und eine Neuverortung der ideologischen Standorte wichtiger Politiker in der politischen Landschaft, freut sich der Forschungsleiter. Sobald die noch notwendigen umfangreichen Analysearbeiten abgeschlossen seien, prophezeit er, müsse "die gesamte Geschichte der Bundesrepublik seit 1949 neu geschrieben werden".

Helmut Schmidt vor Gericht

Es ist die von Achtelbuschers Forschungsgruppe vorgenommene erste Untersuchung von Leben, Aussagen und Werk des bis heute hochgeachteten früheren SPD-Chefs und sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, die den Wissenschaftler so optimistisch macht. Schmidt, von 1974 bis 1982 Regierungschef einer sozialliberalen Koalition und wie bisher alle SPD-Kanzler vorzeitig aus dem Amt geschieden, war als junger Mann Offizier der Nazi-Wehrmacht, später aber gelang es ihm erfolgreich, Genossen und Wähler über seine wahren Grundüberzeugungen zu täuschen. 

"Schmidt galt als Mann der Tat", fasst Hans Achtelbuscher zusammen. Allein das hätte aus seiner Sicht Verdacht erregen müssen, ebenso wie der Umstand, dass Schmidt bekennender Raucher war. Doch "mit seiner leutseligen Art gelang es ihm, sich den Nimbus eines großen Demokraten zu verschaffen." Ein Ruf, der nun in Trümmern liegt, nachdem die Forscherinnen und Forscher um Hans Achtelbuscher zahlreiche Zitate und Aussagen des vor zehn Jahren verstorbenen Sozialdemokraten nach den Vorgaben des Geheimgutachtens zur AfD untersucht haben. 

Ganz rechts außen verortet

Das Ziel der umfassenden Analyse sei es gewesen, den Urheber im politischen Spektrum dort zu verorten, wo er ausweislich seiner Aussagen steht. "Nach seinen eigenen  Angaben war Schmidt zwar Sozialdemokrat, doch auch die AfD sagt ja von sich, dass sie eine demokratische Partei sei", schildert Achtelbuscher die Überlegungen der Forschergruppe. Man dürfe das zur Kenntnis nehmen. "Aber glauben darf man es erst, wenn es sich im Experiment bestätigt hat."

Helmut Schmidt allerdings fiel durch. Gemessen an der Kriterien des Verfassungsschutz-Gutachtens, das die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" einstuft, handelte es sich beim fünften Bundeskanzler der Republik um einen nachweislich "weit rechts im rechtsextremistischen Spektrum" stehenden Politiker, dessen Aussagen vergleichbar seien mit Parolen, die beim "Flügel" der AfD oder der Identitären Bewegung gängig sind. 

Einen Satz wie "Es war sicher ein Fehler, so viele Ausländer ins Land zu lassen“ (Schmidt, Filder-Zeitung 5.2.93) oder die Behauptung, "Wenn das so weitergeht, gibt´s Mord und Totschlag, denn es sind zu viele Ausländer bei uns" (Schmidt, Frankfurter Rundschau v. 28.11.94) enttarnten den angesehenen Sozialdemokraten als rechten Scharfmacher. "Nach den neuen Maßstäben", fasst Achtelbuscher zusammen, "hätte ein solcher Mann  niemals politische Verantwortung tragen dürfen."

Abstoßende und erschütternde Aussagen

Der Wissenschaftler führt abstoßende und erschütternde Aussagen als Beleg an. So habe Schmidt schon 1992 eine "eindeutige und schnelle Abschiebepraxis für alle Fälle, in denen der Antrag abgelehnt wird" gefordert und behauptet, Art. 16 GG verlange nicht, "dass Asylbewerbern die volle Sozialhilfe zusteht, einschließlich vollständiger Sanierung ihrer Zähne auf Kosten der Sozialämter." (Neue Revue, 13.10.92). Er habe vorgerechnet, dass 500.000 Menschen jährlich an Zustrom "einfach zu viel" seien und "kein Volk der Welt es ertragen" würde, "wenn jedes Jahr eine halbe Million Ausländer dazukommt"(Bild 6.9.92).
 
 Schmidt beschimpfte Bundespolitiker populistisch als Dilettanten, er behauptete, das  Land sei führungslos  und verstieg sich sogar zu der kruden These, dass die  Vorstellung abwegig sei, "dass eine moderne Gesellschaft in der Lage sein müsste, sich als multikulturelle Gesellschaft zu etablieren, mit möglichst vielen kulturellen Gruppen" (Frankfurter Rundschau, 12.9.92). Achtelbuscher war von Materialsammlung, die bereits länger vorliegt, erst aufgrund der neuen Verfassungsschutzvorgaben aber zu einer Neubewertung des früheren Offiziers der Nazi-Armee führen konnten, entsetzt. 
 

Krude Thesen aus der SPD

 
"Schmidt hat unwidersprochen gefordert, dass aus Deutschland kein Einwanderungsland gemacht werden  dürfe, weil das die Gesellschaft nicht ertrage", sagt er unter Verweis auf  einen Bericht der Stuttgarter Nachrichten aus dem Jahr 1992. Dazu hegte Schmidt offensichtlich Fantasien von Übermenschen und Eliten. Mit seiner Forderung, "in normalen Zeiten kann jeder regieren. Der Wert einer Regierung zeigt sich daran, wie sie in Gefahren und Krisen reagiert", zeige sich Schmidts Skepsis, was die Überlegenheit der offenen, demokratischen Gesellschaften im Wettbewerb der Systeme betrifft. "Er glaubte tief drinnen fest daran, dass Demokratien von starken Männern gelenkt werden müssen."
 
Schmidts SAussagen, so Achtelbuscher, zeigen insgesamt eine Ideologie, die Migration als Bedrohung ansieht, ein ethnisch homogenes Gesellschaftsmodell befürwortet und Multikulturalismus ablehnt. Nach den aktuellen geltenden Maßstäben des Verfassungsschutz-Gutachtens sind das zentrale Kriterien für die Notwendigkeit einer Einstufung als gesichert rechtsextremistisch: Das ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis, das Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund als nicht gleichwertig ansieht. Die Missachtung der Menschenwürde, in dem bestimmte Gruppen pauschal diffamiert werden und fremden- und minderheitenfeindliche Agitation zur Schürung irrationaler Ängste.
 

Mord, Totschlag und Ausländer 

Helmut Schmidt kam sein Leben lang damit durch. Wie selbstverständlich rauchte er, wo es verboten war. Unwidersprochen behauptete er, was heute als Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) und Verletzung der Menschenrechte von allen demokratischen Parteien, Institutionen und Behörden bekämpft wird.
 
Schmidt schämte sich nicht, "Mord und Totschlag" in einem Satz mit der Anwesenheit von "zu vielen Ausländern" zu nennen. Seine Behauptung, "es war sicher ein Fehler, so viele Ausländer ins Land zu lassen", impliziert eine pauschale Ablehnung von Migration, ohne Differenzierung nach Gründen und spiegelt so das typische ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis der extremen Rechten wider.
 
Hans Achtelbuscher, der eigenen Aussagen zufolge über viele Jahre hinweg ein treuer SPD-Wähler war, ist entsetzt. "Er schürt Ängste und stellt Migranten als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit dar", sagt er. Solche Rhetorik entspreche genau der im Geheimgutachten beschriebenen minderheitenfeindlichen Agitation der AfD, etwa in Reden von Björn Höcke, der Migration mit gesellschaftlichem Chaos verknüpft. 
 
Diese pauschale Verächtlichmachung von Migranten missachte die Menschenwürde und widerspreche der FDGO. "Wenn Schmidt behauptet, Art. 16 GG verlange nicht, dass Asylbewerbern die volle Sozialhilfe zusteht, einschließlich vollständiger Sanierung ihrer Zähne auf Kosten der Sozialämter, dann ist er nicht besser als Friedrich Merz mit seiner spaltenden Hetze gegen Zahnazrtbesuche von Migranten."
 

Hochstufung erforderlich

 
Auch wenn Helmut Schmidt als Sozialdemokrat keine Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken pflegte, mildert das seine Einordnung als gesichert rechtsextremistischer Politiker nicht. "Was wir sonst von ihm wissen, seine durchaus vorhandenen Verdienste und in der Mitte verorteten Positionen, können seine Hochstufung nicht ändern, da sie seine fremdenfeindlichen und völkischen Aussagen nicht entkräften." 
 
Der Nachweis einer gesichert rechtsextremistischen Gesinnung sei bei Schmidt zweifelsfrei erbracht. "Nach den Maßstäben des Verfassungsschutz-Gutachtens bleibt keine andere Möglichkeit, als ihn so zu sehen, wie er war: Ein gesichert rechtsextremistischer Populist, der das Land in eine Richtung geführt hat, die bis heute nachwirkt."

Samstag, 17. Mai 2025

Zitate zur Zeit: Aus Angst vor dem Tod

Pissbecken leider defekt Deutschland

Selbstmord ist eine unwiderrufliche Dauerlösung für ein vorübergehendes Problem.

Sandra Brown, Nacht ohne Ende, 2001

Traurige Zeiten: Nach den Clowns kommen die Tränen

Emilia Fester kümram Gemälde
Aushängeschild der Generation Ampel: Emilia Fester war einer der Blickfänge der letzten Jahre. Abb: Kümram, Kreidezeichnung

Sie fehlen jetzt schon, die Ballerinas und Antänzer, die feministischen Globalisti*nnen, Wunderprediger und Beschwörer eines kollektiven Willens, der allein in der Lage sei, Frieden, Freiheit und Wohlstand zu bewahren. Ging es auch wirtschaftlich nicht gut in den zurückliegenden Jahren, verlor Deutschland auch international an Ansehen und sogar in Europa an Achtung - wie keine andere Regierungskoalition vor ihr war die rot-grün-gelbe Ampelkoalition eine, die stabil mit einem hohen Unterhaltungsfaktor aufwartete, die Witz versprühte und dafür sorgte, dass niemand sich von außen über sie lustig machen konnte.

Schold and friends

Das taten sie selbst, die Baerbock, Habeck, Lauterbach, Scholz and friends. Von Ricarda Lang über Svenja Schulze bis zu Hinterbänklern wie Emilia Fester, Nancy Faeser oder Sven Giegold versammelte die Ampel Unterhaltungskünstler in ihren Reihen, die sich binnen weniger Jahre Namen wie Donnerhall verschafften. Es wurde getanzt in Berlin, mitten im Reichstag. Es wurden Voodoorituale aufgeführt und physikalische Wunder enthüllt, ikonische Fotos inszeniert und in kürzester Zeit mehr lustige Versprechungen gemacht, als sich irgendein Mensch hätte merken können. 

Das Personal war einmalig, eine Kombination aus gigantischen Egos mit sehr kleinen Füßen, die in zwei der drei Regierungsparteien einem einzigen Milieu entwachsen war. In strenger Abschottung vom  Alltagsleben gezüchtet, zeigten die Nachwuchskader der Nomenklaturanstalten von Rot und Grün, wie einfach sich sämtliche Kabarettisten und Satiriker des Landes arbeitslos machen lassen. Man sorgt selbst für einen steten Nachwuchs an Hohn und Spott, nimmt sich selbst nicht ernst und umgibt sich mit einem engen Geflecht aus Vorfeldorganisationen, die für eine weite Verbreitung noch der krudesten Thesen  aus dem Regierungsapparat sorgen.

Medienstars der Ampeljahre

Wie sehr die Medienstars der Ampeljahre fehlen werden, wird schon nach den ersten Tagen des schwarz-roten Nachfolgekabinetts klar. Nahezu die komplette Starriege der zurückliegenden Jahre ist mit einem Mal aus dem Geschäft ausgeschieden - besonders hell strahlende Leuchttürme wie der SPD-Vordenker Kevin Kühnert und die grüne Frontfrau Ricarda Lang schon früher, rabiat beiseitegeschoben von deutlich stärkeren Mächten in ihren Parteien. Andere erst mit dem Wahltag und infolge des Bemühens ihrer Parteivorstände, sich nach der krachenden Niederlage zumindest symbolisch neu aufzustellen.

Die Verluste wiegen schwer. Mit Habeck, Baerbock, Lauterbach, Lang, Kühnert, Esken verabschiedet sich der lustige und launige Kernbestand der selbsternannten "politischen Klasse" mit einem Schlag von der Bühne. Diese Stammbesetzung sämtlicher Talkshows der zurückliegenden fünf Jahre hatte sich gemütlich im Parteienprivileg des Grundgesetzes eingerichtet und ihr ganzes Sein, ihre gesellschaftliche Stellung und ihren Lebensunterhalt allein der Aufgabe gewidmet, ihre gutgemeinten Absichten noch besser zu erklären. 

Ein Übermaß an Geilheit

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der starb, ehe Emilia Fester, Ricarda Lang und Kevin Kühnert ihre ersten Schritte im Scheinwerferlicht gingen, hat die Neuen einst als Generation beschrieben, die gekennzeichnet sei "durch ein Übermaß an Karrierestreben und Wichtigtuerei und ein Übermaß an Geilheit, in Talkshows aufzutreten." Doch sie passten in ihre Zeit: Meist ohne jemals etwas anderes getan zu haben, als an der eigenen politischen Karriere zu arbeiten, wurden sie zu den Stars der Ampeljahre.

Kasper im Kabinett, unkten die, die das Verbot der Delegitimierung der Staatsorgane nicht so ernst nehmen. Lustige Leute bei der Arbeit für den Wähler wollten andere erkannt haben. Die Frauen und Männer, die die über die Parteilager hinweg die politische Debatte lenkten und die wichtigsten Lebensentscheidungen für mehr als 84 Millionen Menschen trafen, legten alles in ihre Videos, Tiktok-Shorts und Selfies. 

Die Welt ihr Feld

Die Welt war ihr Feld, die Zukunft ihre Spielwiese. Ein altes sorbisches Sprichwort sagt, dass die Matrosen leichter werden, wenn die Zeiten sind - und nie traf das so sehr zu. Routiniert stellten die vom Leben im Parteiapparat gestählten Egomanen die Weichen für das Wetter in 30 und 50 Jahren. Sie rüsteten für Kriege gegen eine russische Rollstuhlarmee, die vor den Augen der Beobachter "zerfiel" (Die Welt).  Sie kein Geld, aber große Pläne. Und es gelang ihnen, die Realität zu Boden zu zwingen und sich die Medien gewogen zu halten. Je mehr schiefging, desto höher wurden die Hoffnung gehandelt, dass es bald besser werden würde. 

Die Ampel schaffte das Unmögliche: Als erste Bundesregierung überhaupt war sie - von wenigen Ausnahmen abgesehen - keine Zielscheibe von Kabarettisten und Karikaturisten. Eine ganze Branche wurde arbeitslos angesichts eines Parteienbündnisses, das sich selbst besser karikierte als es die besten Humoristen hätten tun können.

Bis fast zum letzten Tag blieb es dabei. Und dann waren sie plötzlich allesamt von der Bildfläche verschwunden. Robert Habeck verabschiedete sich mit einer letzten Selbstinszenierung beim grünen Länderrat und dem Versprechen, es werde "auch noch ein bisschen dauern, bis es hier richtig weiter geht". Annalena Baerbock ging nach New York, um zu schweigen. Emilia Fester hörte auf, den großen Bubatz zu tanzen. Karl Lauterbach führte Selbstgespräche, aber er klang immer noch wie sein eigenes Echo.

Das Wahre und Gute

Kühnert, Lang, Esken, Neubauer und all die anderen - mancher wird für immer verschwinden wie Greta Thuberg, Ralf Stegner und Ruprecht Polenz, den Elon Musk mit einer 95-prozentigen Reichweitenreduzierung "wg ElMu" daran hindern musste, weiterhin das Gute und Wahre zu verkünden. Sie werden sich vielleicht darauf konzentrieren, bald ein Buch über ihr Leben und Werk schreiben zu lassen. Oder sie werden in einer Stiftung dafür sorgen, dass ihr eigenes Erbe niemals vergessen werden darf. Andere werden wiederauferstehen, eines Tages. Ricarda Lang etwa macht sich schon bereit für die nächste Runde, auch Kevin Kühnert wird mangels anderer beruflicher Perspektiven zurückkehren müssen.

Aber vorerst muss die Öffentlichkeit ohne sie auskommen. Was nachkommt, ist nicht halb so unterhaltsam, trotz aller Mühe. Abgesehen von Heidi Reichinnek, der neuen Rosa Luxemburg, wirkt der Nachwuchs des Nachwuchses wie billiger Ersatz. Timo Dzienus bemüht sich, auch Philipp Thürmer redet sich bei jedem Auftritt um Kopf und Kragen. Brandtner, Audretsch und Banaszak, die neuen Grünen, sehen schon nach einem halben Jahr uralt aus.

Originelle Gestalten

Die Zeitenwende ist nicht zu übersehen: Mit dem Ende der Ampel hat die Spaßgesellschaft im politischen Berlin ihre Besten verloren. Und was waren sie doch gut, all die originellen Gestalten, die von höchst unwahrscheinlich erscheinenden Fügungen der Geschichte für einen kurzen Augenblick ganz nach oben gespült worden waren. Oft wirkten sie, als könnten sie sich die Schuhe nicht binden, aber wenn sie stolperten und auf die Nase fielen, war für Unterhaltung gesorgt. 

Die grüne Physik und der Kampf gegen rechts, die "globale Mindeststeuer" und das neue Wirtschaftswunder, der hydraulische Heizungsabgleich und der nationale Hitzeschutzplan - wer erinnert sich nicht heute schon mit Wehmut an die unvergesslichen Momente, als Annalena Baerbock Chinas Großen Vorsitzenden Xi als "Diktator" bloßstellte und dem Reich der Mitte unmissverständlich klarmachte, wer am längeren Hebel sitzt. Seit damals kennt ganz Deutschland das alte chinesische Sprichwort: 谁会因为愚人误解了自己的话而对他怀恨在心呢? Auf Deutsch soviel wie: Wer wird dem Toren nachtragen, dass er sich im Wort vergreift?

Frischer Wind herbeigetanzt

Die neue Generation ist anders, die Angehörigen der von ihren Gegnern als "KleiKo" verhöhnten neuen Bundesregierung gebärden sich wie Erwachsene: Friedrich Merz trägt demonstrativ Binder, Lars Klingbeil tut es ihm nach. Die Minister und Parteisoldaten hinter den beiden Riesen - Klingbeil 1,98, Merz 1,96 - tun es ihnen nach: Statt frischen Wind herbeizutanzen, simulieren sie ernsthafte, biedere Regierungsarbeit. Und tätigen Aussagen die "rückwärtsgewandt, nicht technologieoffen und europarechtlich unhaltbar" sind.

Der Stimmungswechsel trat sofort ein. Für die großen Gemeinsinnsender und die privatkapitalistischen Medienheuschrecken ist Regierungskritik weiterhin keine Kategorie. Doch draußen im Land wird das Fehlen jedes Versuchs, anders aufzutreten als betont seriös, durchaus bemerkt. "Immer modern, immer fröhlich, immer optimistisch, immer den Menschen zugewandt", seien die Abgewählten gewesen. "Und jetzt haben wir muffige, altbackene Spießer am Start, die uns in ein Deutschland von gestern zurückführen wollen."

Die Lage ist ernst, die Situation hoffnungslos. Nach den Clowns, so will es die Geschichte, kommen die Tränen.

Freitag, 16. Mai 2025

Verstoß gegen geltendes Recht: Die aus leeren Flaschen trinken

Gegen geltendes Recht zu verstoßen, ist vor allem in großen Medien sehr beliebt.

Es ist ein Kreuz mit dieser Sache. Kompliziert, unübersichtlich. Kaum mit Worten zu fassen. Alleweil passiert es und immer ist die Empörung groß. Der "Bund verstößt an den Grenzen gegen geltendes Recht", arbeitet die Spiegel-Tochter "Legal Tribune Online" gerade penibel heraus. 

Aufgeschreckt sind die Rechtsexperten nicht erst von der jüngsten Weisung des neuen Innenministers zu mehr Grenzkontrollen. Nein, schon die vorübergehende und seit zehn Jahren gepflegte Praxis der Kontrollen an der Grenze zu Österreich seien nach einem Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes "zumindest in einem Fall rechtswidrig" gewesen. Klare Schlussfolgerung: "Zumindest in einem Fall hat die Bundesregierung damit gegen geltendes Recht verstoßen". 

Das ist kaum zu bezweifeln. Doch warum eigentlich "gegen geltendes Recht"? Wäre es überhaupt möglich, gegen nicht geltendes Recht zu verstoßen? Friedwert Heilecke ist Rechtsassessor und völkerrechtlicher Buchprüfer in der juristischen Bücherei der Universität von Kapstadt, die sich mit globalen Rechtssetzungsstandards beschäftigt. Im Gespräch mit PPQ erklärt der Erperte, der vom Völkerrecht kommt, wie sich "geltendes Recht" vom berühmten "weißen Schimmel" unterscheidet. 

PPQ: Herr Heilecke, Sie sind als Rechtsassessor mit globaler Rechtssetzung beschäftigt, haben ihre Doktorarbeit über obsolete juristische Regeln in den Wandeln der Zeitenwenden geschrieben und können die Bewertung des Urteils des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes sicher erklären, dass die Bundesregierung gegen "geltendes Recht verstoßen" habe. Was bedeutet das genau? 

Heilecke: Nun, viel zu erklären habe ich da nicht. Die Aussage, dass die Bundesregierung gegen geltendes Recht verstoßen hat, bedeutet, dass sie gegen aktuell verbindliche gesetzliche Vorschriften oder Normen gehandelt hat, wie sie zum Zeitpunkt der Handlung in Kraft waren. Punkt. Der verwendete Begriff "geltendes Recht" bezieht sich dabei auf die Gesamtheit der zum betreffenden Zeitpunkt anwendbaren Rechtsnormen, Gesetze, Verordnungen oder verfassungsrechtliche Vorgaben, dazu könnten auch EU-Vorgaben gemeint sein, wobei die direkt nicht justiziabel wären. Gemeint ist also Recht, das gilt, umgangssprachlich gesagt Gesetze, gegen die zu verstoßen strafbar ist oder, hier haben wir es ja mit Verwaltungsrecht zu tun, straflos verletzt werden dürfen, nur dass es dafür dann eben mahnende Schlagzeilen gibt.

PPQ: Das leuchtet ein. Aber warum eigentlich "gegen geltendes Recht"? Wäre es überhaupt möglich, gegen Recht zu verstoßen, das nicht gilt? Nur rechtstheoretisch vielleicht?

Heilecke: Die Formulierung „gegen geltendes Recht“ wird verwendet, um klarzustellen, dass die Handlung der Bundesregierung mit den zum Zeitpunkt der Ereignisse verbindlichen Rechtsvorschriften unvereinbar war. Das ist eine präzise juristische Ausdrucksweise, die betont, dass die Normen, gegen die verstoßen wurde, tatsächlich in Kraft waren und Anwendung fanden, also auch hätten beachtet werden müssen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Verfahren offenbar festgestellt, dass die Bundesregierung in dem konkreten Fall ihre Handlung nicht mit den maßgeblichen gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang gebracht hat. Sie hat also gegen geltendes Recht verstoßen.

PPQ: Das bleibt straffrei?

Heilecke: Das bleibt generell straffrei. Erinnern Sie sich an den Fall des heutigen Bundespräsidenten Walter Steinmeier. Dem wurde seinerzeit bescheinigt, dass er die geltende Verfassung gebrochen habe, als er dem BND-Untersuchungsausschuss die Herausgabe von Unterlagen verweigerte, mit deren Hilfe die Parlamentarier hätten herausfinden können, welche Rolle deutsche Behörden bei der Abwicklung von CIA-Folterflügen mit Terrorverdächtigen an Bord über deutsche Flughäfen gespielt und inwiefern BND-Mitarbeiter während des Irak-Krieges in Bagdad Deutschland zur Kriegspartei gemacht hatten. Für den Verfassungsbrecher ist das unangenehm, aber es hat keine Rechtsfolgen. Steinmeier bekam vom Gericht mitgeteilt, dass er Recht zu Unrecht nach eigenem Gutdünken gesetzt hatte und dass seine Verachtung für die verfassungsmäßige Ordnung zutage trat, als er der gewählten Volksvertretung das Recht absprach, das mutmaßlich rechtswidrige Handeln der Regierung zu prüfen. Aber er konnte nach dem Urteil immer noch problemlos Bundespräsident werden. Das ist ein typischer Verstoß, der in den Medien allgemein als einer 'gegen geltendes Recht' bezeichnet wird, um die Sache wenigstens wichtig klingen zu lassen.

PPQ: Vermutlich ist daran nicht zu zweifeln. Experten haben ja seit den ersten Ankündigungen des damaligen zuständigen EU-Kommissars Dimitris Avramopoulos, dass Grenzkontrollen im an sich offenen Schengen-Raum nach den europäischen Verträgen nur für "einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen" möglich sind, auf die Gefahr hingewiesen. Trotzdem noch einmal die Nachfrage: Wieso "geltendes Recht"? Wäre es denn überhaupt möglich, gegen nicht geltendes Recht zu verstoßen? 

Heilecke: Das ist eine interessante Frage. Nein, es ist wohl nicht möglich, gegen `,nicht geltendes Recht`' zu verstoßen, da ,nicht geltendes Recht' per Definition keine verbindliche Wirkung hat.

PPQ: Die Formulierung, es läge ein  Verstoß gegen ,geltendes Recht' vor, erfreut sich aber großer Beliebtheit.

Heilecke: Das erscheint aber so unsinnig wie der Versuch, aus einer leeren Flasche zu trinken. Es geht einfach nicht, das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Rechtsnormen, die nicht oder nicht mehr in Kraft sind – also aufgehobene Gesetze oder noch nicht in Kraft getretene Vorschriften – können keine Grundlage für einen Rechtsverstoß bilden. Ein Verstoß setzt immer voraus, dass eine verbindliche Norm existiert, die missachtet wurde. Die Formulierung, dass gegen geltendes Recht verstoßen wurde, dient daher oft dazu, die grundlegende Bedeutung wichtiger juristischer Sprache bis in den Grenzbereich des Absurden zu übertreiben, um zu verdeutlichen, wie wichtig und bedeutsam die Entscheidung ist, die da getroffen wurde. 

PPQ: Hätte denn ein Verstoß gegen nicht geltendes Recht irgendwelche Rechtsfolgen? 

Heilecke: Nein, das ist nicht vorstellbar. Die Bewertung des hier behandelten Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs legt nahe, dass die Bundesregierung neue Bundesregierung möglichst drastisch mit den Spätfolgen einer Entscheidung konfrontiert werden soll, die ja bereits die Vor-Vorgängerregierung getroffen hat. Dazu dient meiner Meinung nach die Formulierung mit dem ,geltenden Recht'. 

PPQ: Ist geltendes Recht also so etwas wie ein weißer Schimmel, sobald dagegen verstoßen wird? 

Heilecke: Das würde ich so nicht sagen. Die Metapher mit dem „weißen Schimmel“ erscheint einleuchtend, aber nicht ganz treffend. Geltendes Recht ist kein weißer Schimmel, man kann nicht darauf reiten! 

PPQ: Kinder nennen es ,doppelt gemoppelt', Wissenschaftler sprechen von Pleonasmen, weil ein Schimmel per Definition weiß ist – es ist also eine redundante Beschreibung. Wenn nur gegen geltendes Recht verstoßen werden kann, erscheint es recht überflüssig, zu erwähnen, dass gegen geltendes Recht verstoßen wurde. 

Heilecke: Nun geltendes Recht ist kein Pleonasmus, sondern ein präziser juristischer Begriff, der einfach klarstellt, dass es sich um Recht handelt, das aktuell verbindlich ist im Gegensatz zu aufgehobenem oder noch nicht in Kraft getretenem Recht und geltendes Recht handelt. 

PPQ: Die einzige Art Recht, gegen die sich im juristischen Sinne verstoßen lässt, sagen Sie. 

Heilecke: Das ist richtig. Aber wenn gegen geltendes Recht verstoßen wird, wird es nicht automatisch zu einem „weißen Schimmel“ oder etwas Redundantem. Es bleibt geltendes Recht und deshalb ist die Handlung, die dagegen verstößt, rechtswidrig. Der Verstoß bedeutet, dass jemand - in unserem Fall die Bundesregierung -gegen eine oder mehrere verbindliche Normen gehandelt hat, was rechtliche Konsequenzen wie die Aufhebung eines Verwaltungsakts, eine Verurteilung oder andere Sanktionen nach sich ziehen kann. 

PPQ: Würde das Recht kein geltendes sein, wäre was der Fall? 

Heilecke: Nichts, im Grunde. Oder um die spaßige Anspielung auf den Schimmel aufzugreifen: Geltendes Recht ist ein Gaul, der nur geritten werden kann, wenn er ordentlich aufgezäumt ist. Sonst scheut er, bleibt aber, was er ist. 

PPQ: Nur damit unsere Leserinnen und Leser das richtig verstehen: Wenn sich gegen nicht geltendes Recht faktisch nicht verstoßen lässt, weil es nicht gilt, dann ist geltendes Recht das einzige Recht gegen das verstoßen werden kann. Richtig? 

Heilecke: Das würde ich unterschreiben, denn das ist absolut korrekt! Gegen „nicht geltendes Recht“ kann man faktisch nicht verstoßen, weil es keine verbindliche Wirkung hat. Nicht geltendes Recht gilt nicht, es setzt keine Grenzen, beschreibt keine Normen, es wirkt auf niemanden und in keine Richtung und hat keinen Anwendungsbereich. Es kann daher nicht verletzt werden. Ein Verstoß setzt ja immer voraus, dass eine aktive, verbindliche Norm existiert, die missachtet wird. 

PPQ: Mit anderen Worten hat der Bayrische Verwaltungsgerichtshof mit seinem Verweis auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dessen Entscheidung, dass Grenzkontrollen, die länger als ein halbes Jahr dauern, nicht erlaubt sind, die Rechtslage interpretiert, wie sie ist? Er hat nicht versucht, eine nicht existierende Rechtslage als urteilsrelevant zu betrachten, weil eine solche Rechtslage für die Entscheidung nicht relevant ist? 

Heilecke: Richtig. Das geltende Recht ist immer das einzige Recht, gegen das man verstoßen kann, weil es die Gesamtheit der zum jeweiligen Zeitpunkt verbindlichen Rechtsnormen umfasst. Eine Unterscheidung zwischen „geltendem“ und „nicht geltendem“ Recht ist letztlich der Versuch, etwas klarzustellen, das klar ist. Um es abzukürzen: Nur gegen geltendes Recht kann man verstoßen, weil alles andere schlicht keine Rechtswirkung entfaltet. Jeder Versuch, gegen Recht zu verstoßen, das nicht existiert, muss scheitern.

Von der Leyens Löschvorliebe: Never change a winning trick

Traditionell verschwinden die Kurznachrichten von Ursula von der Leyen, sobald ein Dritter sie lesen will. Abb: Kümram, Öl auf Aktendeckel
Es war nichts mehr zu holen, als die Neugierde wuchs. Die Berateraffäre um möglicherweise windige Deals im Bundesverteidigungsministerium kochte seinerzeit mit Anlauf hoch, so hoch sogar, dass ein Bundestagsausschuss sich mit Vorwürfen wie unkorrekter Auftragsvergabe und Vetternwirtschaft im Verteidigungsministerium beschäftigte.

Doch als die Abgeordneten von Ministerin Ursula von der Leyen wissen wollten, welche Aufträge an externe Beratungsfirmen sie vielleicht per Handy-SMS besprochen oder sogar vergeben hatte, war keine Spur mehr zu finden. So leid es der Ministerin tat, im Zuge der Aufklärung waren die Daten ihrer Mobiltelefone bereits gelöscht worden.  

Sie wusste von nichts

Ohne Wissen der Frau, die sie benutzt hatte. "Ich habe beide Handys, die ich als Verteidigungsministerin verwendet habe, im Ministerium abgegeben", schwor Ursula von der Leyen. Die Frage, was mit ihnen passiert ist, müsse dort gestellt werden, sie habe von der Löschung nicht einmal Kenntnis gehabt. "Das weiß ich auch nur aus der Zeitung."

Eine glückliche Fügung, so schien es, bis sich herausstellte, dass die Frau aus Niedersachsen selbst entschieden hatte, was besser aus den Handyspeichern verschwinden sollte. Als das bekannt wurde, hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre lange als Kronprinzessin gehandelte Vertraute bereits in Sicherheit gebracht: Aus der glücklosen Verteidigungsministerin, unter deren Leitung die Bundeswehr weitere Reste noch vorhandener Kriegstüchtigkeit abbaute, wurde mit Hilfe einer Blitzrochade die neue Führerin Europas. 

Bärendienst für Europa

Ein "Bärendienst für die Demokratie", wie n-tv seinerzeit klagte, der allerdings verhinderte, dass wichtige Staatsorganen Schaden nahmen. Mochten Kritiker auch über das "falsche Signal" schimpfen, dass wer daheim seinen Laden nicht in den Griff bekomme, nun Europa fit für die Zukunft machen dürfe. 

Von der Leyen war die richtige Frau am richtigen Platz, einem Ort, weit weg von Berlin. Merkel war eine affärenbelastete Ministerin los, Europa konnte sich freuen, dass erstmals eine Frau an der Spitze der Brüsseler Behörde steht. Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron war glücklich, es nicht mit einer starken Persönlichkeit zu tun zu bekommen, sondern mit einer Frau, die froh sein musste, eine Anschlussverwendung gefunden zu haben, die weit, weit über der Nachnutzungsstufe liegt, die auf sie gewartet hätte, wäre irgendwann alles herausgekommen was an Beweisen vorsichtshalber "sicherheitsgelöscht" (BMVG) worden war.

Glanzstück der Kanzlerin

Ein strategisches Glanzstück der Kanzlerin, ein großer Schritt für die EU und eine Lehrstunde für die mit allen politischen Wassern gewaschene Christdemokratin. Die hatte anfangs noch behauptet, ihre Nachrichten seien leider durch die Unachtsamkeit eines Sacharbeiters gelöscht worden, obwohl die Ministeriumsmitarbeiter explizit darauf hingewiesen worden, dass die dienstlichen Kurznachrichten Beweismittel für den Untersuchungsausschuss in der Berateraffäre darstellen. 

Eine Ausrede, die trug, bis von der Leyen ihre Zelte in Berlin abgebrochen und ihr bescheidenes "25 Quadratmeter großes Zimmer" direkt neben ihrem Büro im Brüsseler Amtssitz Berlaymont bezogen hatte. Nach einem Umbau für 72.000 Euro - immerhin 2800 Euro pro Quadratmeter und damit fast so teuer wie der Neubau der opulenten Zentrale der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau.

Mutter der Gesundheitsunion

Von der Leyen saß die Kritik aus. Kaum war sie eingezogen in ihre Kemenate, kam Corona. Sie rief ungebeten die Gesundheitsunion mit dem Codenamen "Hera" aus, ein erstes wegweisendes Zeichen, wo es langgehen sollte. Danach folgten der Wiederaufbauplan und der Green Deal, allerlei Acts und Ansagen bis hin zur aktuellen Spar-, Rüstungs- und Investitionsunion.

Niemand sprach mehr von den verschwundenen SMS, keinen interessierten die gelöschten Daten und der Untersuchungsausschuss des Bundestags kam nach der Lektüre von 4.700 anderen Akten, 17 öffentlichen Beweisaufnahmesitzungen und der Einvernahme von 42 Zeuginnen und Zeugen zu den Vorgängen  zum Schluss, dass alles nicht so wild gewesen sei.

Gezielt vernichtet

FDP, Linke, Grüne und AfD hingegen gaben ein Sondervotum ab: Es seien zweifellos Beweismittel gezielt vernichtet worden, anschließend habe das Ministerium versucht, die Vernichtung als Irrtum zu vertuschen. Die Vorgänge im Ministerium, soweit sie dennoch hätten aufgeklärt werden können, erinnerten an Zustände wie bei Hempels unter Sofa mit freihändigen Vergaben, dienstpostenähnlichen Konstrukte und scheinselbstständigen Mitarbeitern, die über Hausausweise und Dienstadressen der Behörde verfügten. 

Was genau wie schief gegangen sei und wovon die Ministerin wusste, wissen man nicht, aber durch die ermittelten Rechtsverstöße sei "der öffentlichen Hand definitiv finanzieller Schaden entstanden".

Ihr größter Trick

Eine Lektion, die Ursula von der Leyen nicht vergessen hat. Auch Brüssel regiert sie mit Hilfe von Handynachrichten. Und das mit großem Erfolg: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise ordert Ursula von der Leyen bei Pfizer-Chef Albert Bourla 1,8 Milliarden Dosen Corona-Impfstoff zum Preis von 35 Milliarden Euro. Der Vertrag wurde freihändig geschlossen und als großer Erfolg gefeiert. Das Verfahren erinnerte an die Abläufe im Verteidigungsministerium, aber weil es um die Rettung der europäischen Bürgerinnen und Bürger ging, beschwerte sich niemand, jedenfalls kein großes europäisches Medienhaus.

Bis auf die "New York Times". Die klagte und gewann. Der Europäische Gerichtshof ließ sich drei Jahren Zeit, entschied aber nun, dass die Weigerung der Kommission, die Chats herauszugeben, keine ausreichende Begründung habe (Az. T-36/23). Die EU hatte zuvor argumentiert, dass sie die Textnachrichten nicht finden könne, weil sie nie archiviert worden seien. Das genutzte Handy sei außer Dienst, es wisse nicht einmal jemand, wo es sich befinde.

Hypothesen und ungenaue Informationen

Am Ende überzeugte das die Richter nicht. Bei den Angaben handele es sich "Hypothesen oder ungenaue Informationen", dass es die Nachrichten gegeben habe, sei erwiesen, dass sie wie alle Dokumente aller EU-Organe hätten aufbewahrt werden müssen, stehe fest. Also müssten sie vorgelegt werden.

Dazu aber wird es nie kommen. Was weg ist, ist weg und was gelöscht ist, kann niemand mehr zeigen, selbst wenn das höchste Gericht es will und selbst die deutsche Presse nun danach verlangt.. Niemand weiß das besser als Ursula von der Leyen, die vermutlich genau aus diesem Grund am liebsten per SMS kommuniziert.

Donnerstag, 15. Mai 2025

Tagesschau: Warum das Geheimgutachten kein Thema ist

Tagesschau als schwarzer Kanal
Die Ankündigung des "Geheimgutachtens" war der "Tagesschau" noch einen "Brennpunkt" wert, die Veröffentlichung des Inhalts nicht einmal eine Meldung.

Was war das für eine Aufregung, als noch niemand nichts wusste.  Ein Dauerwarnton gellte aus jeder Ausgabe der "Tagesschau", millionenfach verstärkt durch aufgeregte Analysen und Kommentare überall in den angeschlossenen Abspielanstalten und privatkapitalistischen Medienheuschrecken. Die allerletzten Minuten ihrer Amtszeit hatte die scheidende Bundesinnenministerin Nancy Faeser genutzt, um die Hochstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" offiziell zu verkünden. 

Eine Zäsur in der Geschichte der Republik, denn erstmals seit mehr als 90 Jahren  rückte damit die Wahrscheinlichkeit näher, dass eine Regierung einer konkurrierenden Partei jede politische Tätigkeit verbietet und sie zur staatsfeindlichen Organisation erklärt.  

Gesichert überehrgeizig

Eigentlich war das bereits für die Zeit vor Weihnachten geplant gewesen. Doch der Überehrgeiz des von Faeser zum Vertrauten ernannten Behördenchefs Thomas Haldenwang torpedierte die Pläne: Der Christdemokrat. Über alle Parteigrenzen hinweg einig mit seiner Ministerin in der Entschlossenheit beim  Kampf gegen Hetze, Hass und Hohn, versuchte seinen guten Ruf als Verteidiger der Einschränkung der Meinungsfreiheit zu nutzen, um sich im hohen Alter noch ein Bundestagsmandat zu sichern. Faeser fühlte sich verraten. Das penibel vorbereitete Papier zur Hochstufung der AfD war entwertet, noch ehe es hatte in den politischen Nahkampf eingeführt werden können.

Haldenwang wurde kurzerhand entlassen. Die Veröffentlichung des Gutachtens verschoben. Und als sie nach einer Zeit des Sackenlassens und des Innehaltens ein halbes Jahr später vorgenommen wurde,  legte die zuständige Ministerin großen Wert darauf, dass die Veröffentlichung ohne Veröffentlichung stattfand. An ihrem vorletzten Tag im Amt, das sie so gern weiter behalten hätte, rief Nancy Faeser (SPD) rief die Getreuen nach Berlin, um die sogenannte "Hochstufung" durch den Verfassungsschutz zu verkünden, ohne sich in Einzelheiten zu ergehen.

Ethnische Definitionen

Fakt sei, so die Ministerin, dass der schon länger gehegte Verdacht, die Partei verfolge "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen", sich bestätigt und "in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet" habe. So sei erwiesen, dass die AfD "deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des Staatsvolkes" sehe, weil die Partei darauf beharre, dass das deutsche Volk sich ethnisch definiere.

Dazu ist der größten Oppositionspartei beinahe jedes Mittel recht - so verweisen Funktionäre immer wieder auf die Legaldefinition aus Artikel 116 Abs. 1 GG. Deutsche sind danach zum einen alle Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zum anderen sind auch Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit Deutsche, wenn sie als Flüchtling oder Vertriebener oder als dessen Ehegatte oder als sogenannter "Abkömmling deutscher Volkszugehörigkeit" in Deutschland Aufnahme gefunden haben. 

Die Statusdeutschen im Grundgesetz

Die solcherart Betroffenen werden allerdings vom Grundgesetzgeber als "Statusdeutsche" bezeichnet und nicht als gleichwertige Angehörige des Staatsvolkes behandelt. Zwar haben Statusdeutsche grundsätzlich alle verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten deutscher Staatsangehöriger. Doch sind sie mangels deutscher Staatsangehörigkeit "nach herrschender Meinung nicht gemäß Art. 16 Abs. 1 GG vor dem Verlust ihres Status geschützt", wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages  den Sachstand erst vor wenigen Jahren beschrieben hat.

Nur keine Einzelheiten, denn sie schaden "der Sache" (Tagesspiegel). Nach dieser Devise ließ Nancy Faeser die Details, Belege und Beweise für die Gefahren, die von der AfD ausgehen, bewusst im Ungefähren. Je weniger Menschen je weniger wissen, das ist seit der Aufdeckung des von der Rechercheplattform Correctiv erdachten "Geheimplanes gegen Deutschland" erwiesen, desto mehr sind sie bereit, für "die Sache" auf die Straße zu gehen. 

Verfassungsfeindliche Verfassung?

Niemand hatte die Absicht, die Öffentlichkeit mit Einzelheiten aus dem mehr als tausendseitigen Gutachten des Verfassungsschutzes zu behelligen, die nach dem Dafürhalten des Innenministeriums nur Spekulationen auslösen würden. Reichen die Beweise für ein Verbot? Sind die Einschätzungen des Geheimdienstes an den Haaren herbeigezogen? Was bedeutet die Definition der Grundgesetzdefinition der sogenannten deutschen Volkszugehörigkeit als Abstammung "von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen" für die Verfassungsfeindlichkeit der Verfassung?

Um das als "Geheimgutachten" bezeichnete 1000-Seiten-Konvolut nicht unnötig in Misskredit zu bringen, bekamen nur bestimmte handverlesene Medien Einblick. Streng kontrolliert durften sie die schwersten Vorwürfe abschreiben und die Wahlkampfparolen der AfD wiederholen. Die Partei drohe mit einem "Krieg gegen die Regierung", sie beklage einen "Messer-Dschihad" auf deutschen Straßen und fordere "millionenfache Remigration" zitierte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" offenbar komplett überrascht davon, was der Verfassungsschutz beim  Lesen des "Spiegel" zusammengetragen hatte.

Gezieltes Durchstechen an verlässliche Adressen

Allerdings reichte dieses gezielte Durchstechen des mit "VS - Nur für den Dienstgebrauch" gestempelten Gutachtens nicht aus. Statt erneuter Massendemonstrationen gegen rechts gab es vernehmliches Murren bis in die demokratische Mitte. Nach Monaten, in denen Experten "mit Sorgfalt und großem Aufwand an dem Gutachten gearbeitet" hätten, habe die Bevölkerung ein Recht, die Fleißarbeit selbst lesen zu dürfen, hieß es. 

Dass der deutsche Geheimdienst der Öffentlichkeit misstraue, sei ein Armutszeugnis, schreiben Blätter im Ausland. "Das Gutachten zur AfD darf keine Geheimsache bleiben", quengelten selbst die großen Medienhäuser, aus deren unabhängigen und überparteilichen Belegschaften  Bundesregierungen traditionell ihre Sprachrohre rekrutieren. 

Ein Leck für die Fleißarbeit

Eine Woche dauerte es, bis das Leck im Geheimdienst so groß geworden war, dass die Fleißarbeit der anonymen Materialsammler komplett hinaussickern konnte. Beim Lesen entpuppte sich das große Werk als eitler Tand, zusammengeklebt aus Interviewzitaten, Sätzen aus Parteitagsreden und der Interpretation von Wahlprogrammpunkten. Kein schöner Moment für die Autoren, erst recht aber keiner für die, die sich viel mehr erhofft hatten. "Es ist leichtfertig, das Gutachten des Verfassungsschutzes zu veröffentlichen",  warnte nun etwa  der SZ-Kommentator Detlef Esslinger, der  zehn Tage zuvor noch gefordert hatte, dass das Gutachten zur AfD keine Geheimsache bleiben dürfe.

Immer wie es passt. Immer danach, wer es war. Aus "Warum soll die Öffentlichkeit nicht wissen, was der Geheimdienst dieser Partei vorwirft?" wird "auch wenn die Öffentlichkeit erfahren soll, warum der Geheimdienst die Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat – so geht das nicht", nachdem "rechte Medien" (SZ) das komplette Gutachten ins Netz gestellt haben. Hätten sie nicht dürfen. Täten sie nicht sollen müssen. Darauf zu stehen, dass alles auf den Tisch komme, sei gut und richtig. Aber, so die Süddeutsche Zeitung, es dürfe natürlich am Ende nicht alles auf jedem Tisch landen.

Die "Tagesschau" schweigt

Dort, wo die meisten Deutschen ihre sicheren und geprüften Informationen beziehen, sind die Verantwortlichen zum gleichen Schluss gekommen. Für die "Tagesschau" und die ZDF-Nachrichtensendung "Heute" ist die Veröffentlichung der kompletten 1108 Seiten des Gutachtens (Hier können Sie das Dokument nachlesen: Teil I und Teil 2) kein Thema. 

Weder am Tag der Bekanntgabe noch in den darauffolgenden 72 Stunden informierten die Redaktionen ihre Zuschauer über die Veröffentlichung. In den linearen Fernsehnachrichtensendungen war zwar Zeit für die Verkündung, dass das Survival-Game "Enshrouded" einen der wichtigsten Spielepreise gewonnen habe. Nicht aber dafür, die Bürgerinnen und Bürger darauf hinzuweisen, dass sich jeder nun selbst ein Bild vom Inhalt des eben noch in tausenden Schlagzeilen, Analysen und Kommentaren als wegweisend und historisch angekündigten Werkes aus dem Hause des Verfassungsschutzes machen kann.

Für die "Tagesschau", eigener Beschreibung nach die "die erste Adresse für Nachrichten und Information: An 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr aktualisiert - die wichtigsten News des Tages", handelt es sich bei der Veröffentlichung um eines jener nur regional bedeutsamen Ereignisse, die hintenanstehen müssen, wenn Merz im Bundestags spricht, Trump Saudi-Arabien besucht und Steinmeier Israel Deutschland unverbrüchliche Solidarität versichert. 

Aus dem Brennpunkt wird ein schwarzes Loch

Wurde die Ankündigung der Fertigstellung eines Gutachtens, dessen Inhalt geheim bleiben würde, vor zwei Wochen noch mit einem "Brennpunkt" gefeierte und das "Statement" der Ministerin in jeder einzelnen Tagesschausendung untergebracht, gähnt am Tag des Bekanntwerdens des Inhalts ein schwarzes Loch im Unterhaltungsangebot.

Das muss niemand wissen. Ein Teil der Antworten, die sich in der zweibändigen Ausarbeitung nicht finden,  könnte die "Bevölkerung verunsichern", wie es der unvergessene Faeser-Vorgänger Thomas de Maiziere einmal beschrieben hat. Womöglich, werden sie in der Chefredaktion in Hamburg befunden haben, liest das wirklich irgendwer und denkt anschließend so etwas wie "Ist das alles?" Womöglich sagt gar mancher wie nach dem Absolvieren des "Wahl-o-Mat", "ach, das will die AfD also?" Sehr schön, das will ich ja auch. 

Besser, die Dinge bleiben dort, wo Erwachsene mit einem festen Wertewissen begutachten und bestimmen, was wer wissen muss. Besser, die Leute wissen zu wenig, aber das Richtige. Je unklarer die Fakten sind, desto besser lassen sie sich interpretieren. Es war der unvergleichliche und unübertroffene Georg Restle, ein Mann, der sich selbst als "Journalist über den Tag hinaus" beschreibt, der die Aufgabe der Medien, Informationen vermeiden zu helfen, auf den Punkt gebracht hat: "Medien, die ihren Auftrag als Hüter der Demokratie ernst nehmen, dürfen nicht dazu beitragen, diese Agenda in die Öffentlichkeit zu tragen."

Saskia Esken: Die Revolution frisst ihre Mutter

Saskia Esken (rechts oben) war eine aus einer langen Reihe der letzten Hoffnungen der SPD. Jetzt wird die 63-Jährige aussortiert, obwohl sie noch viel vorhatte.

In der guten alten Zeit, als es mit der deutschen Sozialdemokratie noch langsam bergab ging, trat sie an, um die nächste zu werden in einer langen Liste der letzten Hoffnungen der SPD. Saskia Esken, eine Frau mit erlerntem Beruf und Erfahrungen aus der Landeselternschaft, ließ sich im Hintergrund vom Parteistrategen Kevin Kühnert lenken und anleiten.

Und das Unvorstellbare gelang: Weil die Basis der ältesten deutschen Partei mit ihrem abgehobenen Funktionärsapparat ähnlich unzufrieden war wie es heute etwa ein Viertel der Wählerinnen und Wähler mit der gesamten politischen Kaste sind, marschierte die unerfahrene Hinterbänklerin gemeinsam mit dem verrenteten Altfunktionär Walter Borjans ins Willy-Brandt-Haus.  

Die erste Geige

Zwei Salonrevolutionäre, bei denen Saskia Esken die erste Geige spielte. Die heute 63-Jährige ersetzte ihre Vorgängerin Andrea Nahles vollständig. Ähnlich schrill und ähnlich weltfremd. Nach einem abgebrochenen Studium der Gemanistik und einem Berufsabschluss, den sie schließlich mit 29 erreichte, schnupperte Esken vier Jahre ins Berufsleben als Informatiker*in, ehe sie entschied, dass das nichts für sie ist und beschloss, Hausfrau zu werden. 

Programmatisch stand sie natürlich für einen neuen Anlauf zu einem demokratischen Sozialismus, auch diesmal wieder besser und bequemer. "Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung, so", hat sie Kritikern entgegnet, die versuchten, das Experiment schon vor seinem Start zu diskreditieren.

Blitzsaubere Meinungskorridore

So nicht, liebe Freunde. Esken, gestärkt durch den Umstand, dass sie bei der Urwahl zum Parteivorsitz den späteren Bundeskanzler Olaf Scholz aus dem Feld geschlagen hatte, trat für blitzsaubere Meinungskorridore ein, sie machte kurzen Prozess mit dem sozialdemokratischen Herzensprojekt der Schuldenbremse und dass keine fünf Minuten hätte sie darüber diskutiert, ob die Bundeswehr aufgerüstet oder abgeschafft werden muss. 

In dieser Frage brachte Saskia Esken die Partei kompromisslos auf Kurs: Eine deutsche Armee darf niemals auf moderne Waffen zurückgreifen können, ließ sie die Partei beschließen. Ihre Abwehrhaltung ist das Niederknien. 

Knochenkantig und ungelenk

So unsympathisch, knochenkantig und ungelenk Saskia Esken auch wirkt, so flexibel zeigte sie sich, sobald es um die Macht ging. Dankbarkeit gibt es nicht für die Frau aus Schwaben, die als Parteivorsitzende unverhofft an einem Rad drehen durfte, dass sie bis dahin nur aus der Ferne bestaunt hatte, machte weiter, als ihr Zählgenosse Walter Borjans sich zurückzog. Und den SPD-Richelieu Kevin Kühnert, für seine Bemühungen beim Strippenziehen mit dem Amt des Generalsekretärs belohnt, schüttelte sie ab wie eine lästige Klette am Ärmel. 

Koch und Kellner hatten die Rollen getauscht. Kühnerts Erwartung, bald auf den Posten des Parteichefs nachrücken zu können, wurde enttäuscht.

Auffällige Erscheinung

Saskia Esken war in der langen Linie der Schumachers, Ollenhauers, Brandts und Vogels eine überaus auffällige Erscheinung, selbst inmitten der Parteivorsitzenden der Neuzeit wirkt sie heute noch wie ein Versehen. Für Scharping, Lafontaine, Beck und Schröder, für Müntefering und Steinmeier und selbst für Nahles und Schwesig gab es Argumente und Gründe. Not am Mann. Niemand verfügbar für den "besten Job nach dem Papst", wie es Franz Müntefering gesagt hatte.

Esken dagegen hatte nur sich und ihre große Rolle als Eiskönigin: Je übler die Lage der Partei wurde, desto fester schien sie im Sattel zu sitzen. In einem hellblauen Blazer aus der DDR-Kollektion "Präsent 20", maschinengestrickt aus Dederon, Wolpryla und Grisuten, lächelte die ehemalige Elternaktivvorsitzende die wachsenden Sorgen der Basis weg. Man habe doch immerhin viel auf den Weg gebracht. 170 Gesetze hatte sie zählen lassen. Tolle Sachen für alle, die davon leben. Wenn die Leute da draußen auch mal mitmachen würden und Freude empfänden, dann müsste sich niemand Sorgen machen.

Verwaltung des Verfalls

Saskia Esken war entschlossen, auch diesem Problem noch beizukommen. Nicht die Wirklichkeit eines außer Kontrolle geratenen "Zustroms" (Angela Merkel), einer mit immer weiter ins Leben der Menschen eingreifenden Bürokratisierung beschäftigten Politik und der Verwaltung des Verfalls der Infrastruktur beschäftigten Staatsapparats war für Esken das Problem. Sondern die "Wahrnehmung" (Esken) einer durchaus gelungenen "Politik mit umfangreichen Maßnahmen zum Ausgleich der Inflation befristet, aber auch langfristig und dauerhaft, damit eben die Menschen mit den gestiegenen Preisen zurechtkommen". 

Immer soll es demokratisch aussehen

Mehrfach kündigte Esken kämpferisch an, dass Schluss sein müsse mit dem Wildwuchs bei der Verbreitung von Ansichten, die mit der Parteizentrale nicht abgestimmt seien. Auch den modernen Kommunisten, die ihre Vorstellung der normierten Gesellschaft als "demokratischen Sozialismus" bezeichnen, ist klar, dass ein symmetrisches Meinungsbild die Grundvoraussetzung für eine "freie, gerechte und solidarische Gesellschaft" ist, deren Verwirklichung als "eine dauernde Aufgabe" verstanden werden müsse, wie Saskia Esken einmal verkündet hat. 

"Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie", setzte sie dazu, ein Satz wie das semantische Labyrinth des Prinzips der führenden Rolle der Bedeutung bei der Durchführung der Beschlüsse, an dem die SED zu Lebzeiten ihr Handeln ausgerichtet hatte.

Peak Dialektik

Der demokratische Sozialismus als Ziel der sozialen Demokratie. Und umgekehrt - die Dialektik, sie kommt an ihr finales Ziel und die SPD machte den Rücken gerade. "Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt", heißt es im Hamburger Programm der Partei, die sich wegen ihrer jahrelangen Kuschelei mit dem diktatorischen SED-Regime in der DDR lange schamhaft krümmte, wenn es um einen neuen Anlauf zu einem Versuch ging, Millionen Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. 

Saskia Esken machte Schluss mit diesem Schuldkult. Unter ihrer Führung kehrte die SPD zurück zur "Überzeugung, dass die Gesellschaft gestaltbar ist und nicht vor dem blinden Wirken der kapitalistischen Globalisierung kapitulieren muss". Gestalten wollte sie von oben. Einer muss es ja machen.

Wer es nicht glaubt, hat keine Ahnung

Klassenkampf statt Kooperation mit dem Feind. Rabulistik statt Kniefall. Esken bügelte Widerspruch kalt ab: "Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung", verwies sie auf die Erfolge der sozialistischen Menschenexperimente in Russland, China, der DDR, in Kuba, Nordkorea und Venezuela und die Toten Stalins, die Maos, Castros und Ulbrichts, die heute noch glücklich sind, für die große Sache gestorben zu sein. 

Eskens Vermächtnis wird die Lehre von der Fähigkeit eines sozialistischen Staates sein, sich selbst von sich selbst zu ernähren: Von den - damals - 14.000 Euro Abgeordnetendiät, die sie erhalte, so beschied Esken auf Nachfrage, zahle sie nicht nur Steuern, sondern kaufe auch "jeden Tag" ein. Damit sei sie es, die die Arbeitsplätze von Steuerzahlern rette. 

Abgebrüht und machtverliebt

An Selbstbewusstsein und dem Gefühl für die eigene Bedeutung fehlte es ihr nie. Saskia Esken hielt sich durch geschicktes Taktieren, Abgebrühtheit und einen sicheren Machtinstinkt auch länger an der SPD-Spitze als irgendwer seit Sigmar Gabriel. Doch als es nun um die Suche nach einem Sündenbock für die so fürchterlich vergeigte Bundestagswahl ging, endet der lange Weg nach oben. 

Als ein Schuldiger gesucht wurde, der den seit Jahren anhaltenden Bedeutungsverlust der deutschen Sozialdemokratie aufgeladen bekommen kann, richteten sich schon nach wenigen Stunden alle Blicke aus Saskia Esken: Zu alt. Zu bieder. Programmatisch zu dünn. Selbst der Umstand, dass ihre unsympathische Art Wähler förmlich in die Flucht schlägt, spielte auf einmal doch eine Rolle.

Freilich nicht freiwillig

Die Unbeugsame, die aus den Resten der Schröder-SPD, die sich mit dem Kapitalismus hatte versöhnen wollen, wieder eine Klassenkampfpartei gemacht hat, wich freilich nicht freiwillig. Selbst als ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil sich in einer Nacht- und Nebelaktion nur Stunden nach der verlorenen Bundestagswahl die Krone des künftigen Alleinherrschers aufsetzte, blieb Esken stur. 

Wenigstens ein Ministeramt sollten die Genossen ihr geben. Wenigstens ein sicheres Auskommen und einen Renommierposten für treue Dienste müsse drin sein. Schließlich hätten alle anderen auch immer etwas bekommen.

Die Partei war ihrer überdrüssig

Es war vielleicht Eskens erste Fehleinschätzung. Die Partei war ihrer überdrüssig. Klingbeil, wie die Alt-Vorsitzende ein geschickter Taktiker, hatte den Machtwechsel längst vorbereitet. Esken harrte aus, bis es nicht mehr ging. 

Erst im allerletzten Moment, kurz vor der Kündigung quasi, räumte sie ihren Platz und den Stuhl, den ihr die Kollegen bereits weggenommen hatten. Gedrängt von geschickt platzierten Schlagzeilen. Beiseitegeschoben von den eigenen Genossen. Fast schon in letzter Minute kündigte sie an, beim Parteitag im Juni nicht mehr für den SPD-Vorsitz kandidieren zu wollen - stolz sagte sie das, ganz so, als handele es sich um eine Entscheidung, die sie mit sich und der Familie ausgemacht habe, um künftig kürzerzutreten.

Die schlechte Laune der Partei

Dabei weiß jeder: Draußen im Land gilt die Schwäbin mit ihren bis zum Unterkieferknochen heruntergezogenen Mundwinkeln als personifizierte Verkörperung der schlechten Laune einer Partei, die sich seit Jahren damit beschäftigt, den absteigenden Ast abzusägen, auf dem sie sitzt. 
 
Gegen Bärbel Bas, die die Mächtigen der SPD als Nachfolgerin ausgewählt haben, hatte Esken keine Chance: Die sechs Jahre jüngere Konkurrentin war als erste Frau mit Schweißerschein zeitweise höchste Repräsentanten des Landes. Sie setzt gegen Eskens straffe Ausgezehrtheit das Bild einer properen Arbeiterfrau. Sie schwitzt nicht Funktionärsodem und puren Bürokratismus aus jeder Pore.

Recht eigentlich ist auch die SPD auf der Suche einer Heidi Reichinneck, wie sie der Linken unverhofft in den Schoß gefallen ist. Etwas Halbjunges, Tätowiertes und Flippiges, das schräg zugespitzte Schwachheiten populär macht und damit dort Wähler abgreift, wo noch weniger gewusst wird als in den Parteigruppen vor Ort. 
 
Aber so lange diejenige nicht gefunden ist, kann Bärbel Bas aushelfen: Arbeitertochter, in der Produktion bewährt, Selfmadefrau und gegen viele Widerstände abseits des üblichen Weges nach oben marschiert, über den SPD-Funktionäre sich in der Regel hochdienen. 

Sächsin aus Schwaben

Saskia Esken, der Vorname bedeutet "Sächsin", ist ein Opfer dieser Entwicklung. Mit 63 wäre sie im besten Alter, das letzte Drittel einer großen Karriere mit der Kandidatur fürs Bundeskanzleramt zu krönen. Erste Frau! Erste Sozialdemokratin! Erste Ex-Elterrätin! 
 
Doch die Zeiten sind nicht so, sie hungern nach denen, die alles gegeben haben, obwohl es nie genug gewesen ist. Die Revolution frisst ihre Mutter und Esken hat das genau verstanden: "Ich glaube, dass Frauen in der Politik anders beurteilt und härter und kritischer betrachtet werden, und wir in hohem Maße männlichen Rollenklischees genügen sollen", sagt sie.
 
Ihre Nachfolgerin wird den Parteivorsitz übrigens nur noch im Nebenamt führen.

Mittwoch, 14. Mai 2025

Triumph des Gemeinsinnfunks: Von wegen Lügenpresse

Lange verbreitete die ARD die krude These von den nur zeitweise von Polen verwalteten Ostgebieten. Doch dem Grundvertrauen der Deutschen in ihren Gemeinsinnfunk hat das nicht geschadet.

Beharrlich zeigten sie eine Wetterkarte in den deutschen Grenzen von 1937, als die DDR-Regierung die Oder-Neiße-Friedensgrenze stellvertretend für alle noch irgendwann folgenden deutschen Regierungen für immer festgeschrieben hatte. Für die ARD aber galt noch bis in die frühe Neuzeit unumstößlich, dass Deutschland Schlesien und Pommern nicht aufgeben werde.  

Der Pole werde eines Tages einlenken, diese Botschaft wurde Abend für Abend in die deutschen Wohnzimmer verklappt. Zumindest, bis das vollkommen unabhängig agierende Erste Deutsche Fernsehen aus der Bundesregierung ein klares Zeichen bekam: Als Helmut Schmidt ins Kanzleramt einzog, konnte sich Polen im deutschen Fernsehen nicht mehr über die Wetteraussichten informieren. 

Auf Basis  der Beschlüsse

Geschmeidig hatte sich das Fernsehen den Umfeldbedingungen angepasst. Und es blieb dabei. Selbst als mit Helmut Kohl der Hohepriester der geistig-moralischen Wende die Geschäfte übernahm, blieb die ARD hart und die Karte auf West- und Ostdeutschland beschränkt - die Ossis mussten für den Service nicht einmal bezahlen. 

Das wirkt nach, das hat den beiden Gemeinsinnsendern eine Glaubwürdigkeit verschafft, die selbst gelegentliche kleine Brüche nicht beschädigen kann. Einer neuen Studie der Universität Mainz zufolge jedenfalls ist die große Vertrauenskrise zwischen den Deutschen und ihren öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten beendet. Nach der repräsentativen Befragung ist das Vertrauen der Menschen in die Medien ist in Deutschland nach Jahren grummelnden Unmuts wieder kräftig gewachsen. 

Vielbeklagter Vertrauensverlust

Die Ergebnisse bestätigen eine These des renommierten Medienforschers Hans Achtelbuscher, der bereits zu Anfang des Jahres herausgearbeitet hatte, dass allein die breiter gewordenen Ränder für den vielbeklagten Vertrauensverlust verantwortlich sind. In der Mitte hingegen, so sagte der Entropieexperte, werde einfach "weniger hingeschaut".

Die Ergebnisse der aktuellen Studie aber gleichen beinahe schon einem Triumph. War das Vertrauen in einheimische Medienhäuser 2017 noch so hoch wie "seit über 15 Jahren nicht", zeigen die Zahlen jetzt, dass es von dort aus weiterhin steil nach oben ging. 

Sagenhafte Daten

Sagenhafte 83 Prozent der Deutschen bewerten die Qualität des Informationsangebots der Medien in Deutschland als gut oder sehr gut, so konnten die Demoskopen von Infratest dimap für den WDR herausfinden. 61 Prozent der Deutschen halten die durch die Leitmedien verbreiteten Informationen generell für glaubwürdig, egal, um welches Thema es geht. Nur 22 Prozent finden die Qualität zwar gut, den Inhalt aber zweifelhaft.

Das ist eine bemerkenswerte Steigerung um fünf Prozentpunkte gegenüber der letzten Erhebung im Oktober und November 2023. Hält der Trend, wird der letzte "Lügenpresse"-Ruf noch vor der Vollendung des Braunkohlenausstiegs verstummt sein. Besonders davon profitieren dürften die öffentlich-rechtlichen Angebote, die seit dem Bekanntwerden des Framing Manuals zur gezielten Lobbyarbeit in der Öffentlichkeit immer wieder mit schweren Vorwürfen von Nepotismus, Milliardenverschwendung und einseitiger Berichterstattung konfrontiert wird.

Skepsis trotz Demokratieabgabe

Bis in die Senderspitzen reichen Versuche, mit Fake News Stimmung zu machen. Selbst aus einigen   demokratischen Parteien kommen Forderungen, das Jahr für Jahr mit fast zehn Milliarden Euro aus einer eigens eingeführten "Demokratieabgabe" (Jörg Schönenborn) gefütterte System müsse grundlegend reformiert werden, vor allem aber gesundschrumpfen. Gar nicht! 67 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für unverzichtbar. 

Das ist ein Anstieg um drei Prozent und er beschränkt sich keineswegs auf die Anhänger der Parteien, die die Rundfunkräte traditionell mit ihren Mitgliedern bestücken, wenn auch seit einschränkender Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr direkt und unverblümt mit lauter altgedienten Parteisoldaten, sondern nun schon gefühlvoll mit handverlesenen Vertretern der Zivilgesellschaft.

Ganz starke Mehrheit

Eine starke Mehrheit über fast alle Parteilager hinweg goutiert dieses Bemühen, alles in der Hand zu behalten, ohne die Verfassungsrichter direkt zu brüskieren.Unter den Anhängern der Grünen sind 92 Prozent, bei CDU/CSU 78, bei der SPD 76 und bei der Linken 68 Prozent zufrieden mit dem, was für 18,36 Euro im Monat geboten wird.

Wie so häufig scheren nur die Anhänger der derzeit gesichert rechtsextremen AfD aus: In der Partei, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz aus prozessualen Gründen im Moment gerade nicht als erwiesen gesichert rechtsextrem bezeichnet wird, könnte nur jeder Fünfte aus die 99 Sender und Senderchen der Grundversorgung verzichten. Die übrigen schauen nicht hin oder tun es doch, aber glauben nichts.

Natürlich ist das ein Ostproblem. Vor allem Ältere haben in den Jahren der DDR gelernt, den vom Staat gelenkten und geleiteten Medien grundsätzlich zu misstrauen. Wahr war allenfalls, was im Westfernsehen kam. Mittlerweile aber haben viele Ostdeutsche ihre Skepsis ins neue Leben im demokratischen Westen mitgenommen: Statt ARD und ZDF weiter bedingungslos zu trauen wie früher, kommentieren sie Sendungen mit Georg Restle, Jan Böhmermann und Anja Reschke in den sozialen Netzwerken häufig mit Häme und verbotenem Hohn. 

Gegensteuern mit dem Raben

Längst hätte die Zivilgesellschaft gegensteuern wollen. Doch Bemühungen des ZDF, mit einem eigenen sozialen Netzwerk für Abhilfe zu sorgen, wurden schon vor Monaten aufgegeben. Das sogenannte "Projekt Raven", ursprünglich gemeinsam mit öffentlich-rechtlichen Anstalten aus Kanada, der Schweiz und Belgien als Alternative zu X angeschoben, scheiterte bereits vor dem Aufruf des früheren Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck, das "nächste Google, das nächste X" in Europa zu erfinden.

Vielleicht braucht es aber nun doch gar keine neuen Millioneninnovationen für mehr saubere Diskussionen über Leitmedieninhalte mehr, weil sich Qualität nun offenbar doch von allein durchsetzt. Nach Jahren, in denen das Vertrauen in Institutionen und Medien in Deutschland insgesamt schwankte, geht es endlich wieder aufwärts.

Die etablierten Medien werfen den Druck ab, unter dem sie lange standen. Demonstrationen, bei denen Teilnehmer vor drei, vier Jahren noch regelmäßig "Lügenpresse" skandiert wurde, finden kaum mehr statt. Online-Foren werden mit deutlich weniger aggressiven Kommentaren geflutet, seit die EU scharfe Maßnahmen gegen den Missbrauch der Meinungsfreiheit durch falsche Ansichten verhängt hat.

Erste Adresse für Verschwörungstheorien

Auch das mag geholfen haben, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder als erste Adresse für verlässliche Verschwörungstheorien zu etablieren. Den 151 Sendern der beiden großen Gemeinsinnanstalten schenken mehr als die Hälfte der Deutschen Vertrauen (55 Prozent, plus zwei Prozentpunkte).

In Westdeutschland sind es sogar 58 Prozent, die großes oder sehr großes Vertrauen bekunden, während im Osten nur 41 Prozent zu ihren Öffentlich-Rechtlichen stehen. 54 Prozent räumen hier offen ein, dass sie sich noch nicht wieder überzeugt fühlen und in den 253 Sendern von ARD und ZDF noch nicht wieder das ganz "große gesellschaftliche Kapital" (Jörg Schönenborn) sehen wollen.

Immerhin: Anderen staatlichen Institutionen geht es noch deutlich schlechter. Dem Bundestag vertrauen nur 37 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, der - inzwischen ausgeschiedenen Bundesregierung 29 Prozent und den politischen Parteien, aus denen sich beide zusammensetzen, sogar nur 20 Prozent. Auch hier sind die Vertrauenswerte im Osten größtenteils niedriger als im Westen", heißt es in der Studie, die beim auftraggebenden WDR für große Freude gesorgt hat.

Das Volk immer noch ernster nehmen

"Das Vertrauen in Medien in der Bundesrepublik ist beachtlich, gerade im internationalen Vergleich. Wichtige Säule des Vertrauens ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk", analysierte Jörg  Schönenborn. Ein wenig traurig zeigte sich der WDR-Programmdirektor nur über den Umstand, dass der Sendeauftrag noch besser erklärt werden muss. 

Man müsse "sehr ernst nehmen, dass Menschen, die radikale und extreme Parteien wählen, uns und unsere Arbeit seit einigen Jahren zunehmend kritisch sehen", sagte der bekannte Wahlmoderator, der schon in der "wirren Integrationsdebatte um Thilo Sarrazin" (Sauerland-Kurier) gefordert hatte, den "Stil zu überdenken und das Volk ernster nehmen".

132 Prozent sind zufrieden

Die 324 öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender haben seiner Warnung gut zugehört und sie umgehend umgesetzt. Jeweils gut zwei Drittel halten die Berichterstattung von ARD und ZDF "über aktuelle Krisen und rund um die Bundestagswahl für gut oder sehr gut" - das macht zusammen 132 Prozent. Abgesehen vom Narrensaum am linken und rechten Rand, wo AfD- als auch BSW-Anhänger sich das DDR-Fernsehen oder aber den guten alten Reichsrundfunk zurückwünschen, bewertet eine Mehrheit der Deutschen die Berichterstattung der Medien in Deutschland als glaubwürdig. 

Ein Sorgenkind der Traditionssender sind allerdings die jungen Menschen, die eines Tages die gesamte Gebührenlast werden tragen müssen, die heute noch von den Boomern geschultert wird. Ausgerechnet die nachwachsende Generation ignoriert nicht nur die etablierten Hauptnachrichtensendungen im linearen Fernsehen, obwohl die inzwischen in höchster Auflösung angeboten werden. Sie boykottiert auch die eigens für sie geschaffene Grundversorgungsinfrastruktur im Netz

Ungeprüfte Plattformen

Stattdessen weichen die Betroffenen auf andere, ungeprüfte Plattformen aus, vertrauen den Quellen, die sie dort finden, aber noch weniger als den 511 streng von Rundfunkräten kontrollierten Anstalten. Auffllend, aber sicher Zufall: Nicht nur mit Blick auf Krisen und Wahl, auch bei Fragen der Glaubwürdigkeit oder Ausgewogenheit landet die Plattform TikTok in der Befragung durchgängig auf dem letzten Platz, obwohl dort Größen wie Olaf Scholz und Heidi Reichinnek Hunderttausende Follower mit Nachrichten aus erster Hand versorgen.