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| Die CO2-Steuer hat Europa beinahe die weltgrößte Minderung beim Ausstoß des Klimagiftes beschert. Nur Japan erzielt mit seiner Co2-Steuer von 2,28 Euro pro Tonne noch größere Erfolge. |
Notbremse, gleich zweimal. Während in Berlin das Bundeskabinett gegen eine Verschiebung der planmäßig für den 1. Januar vorgesehenen nächsten Erhöhung der deutschen Co2-Steuer votiert, geht in Brüssel die Brandmauer zu Bruch. Gemeinsam mit den Rechtsextremen im größten fast demokratisch gewählten Parlament der Welt haben Rechte, Rechtsradikale und Liberale im Handstreich beschlossen, dass die noch keine zwei Jahre alte EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) nun doch nicht ihre ganze Kraft entfalten soll.
Vier Jahre Arbeit hinfällig
Die EU-Vorschrift tritt damit bereits vier Jahre vor dem Termin außer Kraft, an dem sie auch kleine Unternehmen hätten zwingen sollen, die Geschäftspraktiken ihrer Handelspartner in aller Welt auf Herz und Nieren zu prüfen. Nach vier Jahren intensiver Beratung war das Regelwerk erst im Frühjahr 2024 von EU-Parlament und EU-Rat final abgesegnet und am 25. Juli 2024 in Kraft gesetzt worden.
Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und einem Mindestumsatz von 40 Millionen Euro und die mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und mehr als 900 Millionen Euro Umsatz bleiben nach den neuen Vorschriften, die noch vom EU-Rat bestätigt werden müssen, verschont. Sie hatten eigentlich ab Mitte kommenden Jahres und ab Januar 2028 europäisches Recht weltweit durchsetzen sollen.
Dazu kommt es nun nicht, weil das, was noch nicht in Gänze gilt, schon vor dem vollen Wirkbetrieb verwässert, aufgeweicht und abgeschwächt wird. Selbst die EU hat dergleichen noch nie geschafft: Eine Regelung, in Brüssel in der Regel "Gesetz" genannt, zu ändern, ehe sie überhaupt von allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht übersetzt werden konnte. Nach nur wenigen Monaten Beratung wickeln Kommission und Parlament eine Vorschrift ab, die auszuhandeln ein halbes Jahrzehnt in Anspruch genommen hatte.
Die Welt ohne EU-Recht
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| Straßburg? Brüssel? Hauptsache EU! |
Eingebettet in ein umfassendes Rollback der konsequent grünen und nachhaltigen Politik des Green Deal der zurückliegenden Jahre bot Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon vor Monaten an, die strengen Vorschriften abzuschwächen. Ein Einfallstor, durch das rechte, rechtsradikale, rechtsextreme und libertäre Kettensägenkräfte nur zu gern spazierten: Ungeachtet des "Desasters für die Menschenrechte", das Entwicklungshilfeorganisationen nun unweigerlich kommen sehen, nahm das rechts dominierte EU-Parlament die Einladung gern an. Es stimmte für weitreichende Lockerungen des EU-Lieferkettengesetzes, angeblich, um wenigstens den Kern der Regelungen zu retten.
Die herbeigeredete Krise
Menschenrechte und Umweltschutzstandards sollen zurückstehen, weil es interessierten Kreisen gelungen ist, eine Krise herbeizureden, von der draußen im Land nirgendwo etwas zu sehen ist. Es ist November, die Sonne scheint, die verbliebenen Geschäfte blühen. Die ersten Weihnachtsmärkte werden bald öffnen und der Einzelhandel rechnet nach einigen trüben Jahren ebenso erstmal mit steigenden Umsätzen wie die Bundespolitik mit einer anziehenden Wirtschaftstätigkeit und höheren Steuereinnahmen. Auch der Rat der Wirtschaftsweisen hatte den kommenden Aufschwung eben erst bestätigt. Nach den Erkenntnissen von Deutschlands besten Prognostikern kommt es bereits im nächsten Jahr zu einem kräftigen Wachstum von 0,9 Prozent - fast ein Prozent mehr als in den letzten drei Jahren.
Statt diesen gerade aufkommenden Rückenwind zu nutzen, um zu signalisieren, dass Europa inmitten einer Welt, die sich vom Klimaschutz abwendet, konsequent auf klarem Kompass bleibt, knickt die Gemeinschaft ein. Windelweich werden zahlreiche Unternehmen von den neuen bürokratischen Berichtspflichten ausgenommen. Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung bei Zulieferern in aller Welt werden allen Firmen erlaubt, die nicht wenigstens 5.000 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro haben.
Auf dem silbernen Tablett
Selbst die aber bekommen Ausnahmetatbestände auf dem silbernen Tablett serviert: Anders als bislang vorgesehen, sollen sie nicht mehr ihre gesamte Lieferkette kontrollieren müsse. Um Bußgelder zu vermeiden, reicht es aus, wenn sie nachweisen können, dass sie die Firmen in Asien, Afrika und Südamerika im Blick behalten haben, bei denen sie ein hohes Risiko für Verstöße vermuten. Weil auch die Haftung für nachgewiesene Verstöße gegen das Gesetz wegfällt, wird es für Lieferkettenopfer selbst mit Hilfe europäischer NGOs schwerer, Entschädigungen einzuklagen.
Ein doppelter Tabubruch. Noch niemals ist die EU so schnell zurückgerudert. Noch nie hat sie aus Angst vor der eigenen Courage geduldet, dass eine Querfront aus Demokraten der Mitte und rechten Populisten eine über Jahre sorgsam ausgehandelte EU-Richtlinie binnen weniger Wochen auf den Müllhaufen der Geschichte beförderte.
Reduzierung abgesagt
Beunruhigend aber ist vor allem, dass sich im politischen Berlin parallel etwas Ähnliches abspielte. Ungeachtet der Dringlichkeit, mit der die aktuelle Novemberhitze noch einmal unterstreicht, wie wichtig ein straffes Festhalten an den deutschen Plänen zur CO₂-Reduzierung wäre, folgte das Bundeskabinett einer noch beschlusswarmen Festlegung der EU von Vortag. Dabei war der Start in den europäischen Emissionshandel vertagt worden, vorerst um ein Jahr.
Ungeachtet früherer Verabredungen, bereits ab Anfang 2027 auch Mieter und Autofahrer mit Hilfe des europäischen Emissionshandelssystem EU-ETS (European Union Emissions Trading System) für den CO₂-Ausstoß beim Wohnen und Unterwegssein zur Kasse zu bitten, verschoben die Umweltminister der Mitgliedsstaaten den Start der europaweiten CO₂-Steuer um vorerst ein Jahr. Um einer weltweiten Blamage zu entgehen, war zugleich zum 25. Mal das Ziel bekräftigt worden, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 um insgesamt 90 Prozent verglichen mit dem Jahr 1990 zu reduzieren.
Dabei helfen soll eine nochmalige Verschiebung der Anti-Entwaldungsrichtlinie. Die offiziell, wenn auch unglücklich, EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) genannte Vorschrift sollte nach einer Übergangszeit am 30.12.2024 in Kraft treten, wurde dann auf den 31.12. 2025 verschoben, schließlich auf den 31.12.2026. Und muss jetzt ein weiteres Jahr warten., weil wieder alles andere wichtiger ist.
Angst vor dem Volkszorn
Der Grund liegt auch in der Angst vor explodierenden Kosten für Gas, Öl und Benzin und daraus resultierender Unmut in der Bevölkerung. Während deutsche Bürgerinnen und Bürger auf Beschluss der letzten Regierung Merkel bereits seit 2021 für ihre Schadstoffproduktion einen Preis zahlen, der ihnen helfen soll, sich an das kommende europäische System zu gewöhnen, sind andere Mitgliedsländer noch nicht so weit. In Polen liegt der Preis für eine Tonne CO₂ seit 1990 bei unter einem Euro, Estland nimmt zwei Euro, Lettland 15.
Obwohl der CO₂-Preis als zentraler Hebel für den Klimaschutz gilt, fürchten auch die Slowakei, Tschechien und Ungarn mit dem Start des europäischen Handelssystems einen Preissprung. Dort hatten die Regierungen sämtlichst darauf verzichtet, frühzeitig kräftig an der Preisschraube zu drehen, um den Menschen eine Chance zu Gewöhnung zu geben.
Deutschland unter den Zögerern
Deutschland schließt sich den Zögerern und Zauderern nun an. Statt an der Strategie festzuhalten, das Heizen mit Öl und Gas über regierungsamtliche Festlegungen im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) schrittweise immer teurer zu machen, votierte das Bundeskabinett zum Schutz der Demokratie für eine Atempause. Im Januar 2026 erhöht sich die CO₂-Abgabe zwar wie geplant von bisher 55 auf bis zu 65 Euro. Doch die nächste Erhöhungsstufe, festgelegt auf Januar 2027, kommt nicht.
Selbst Umweltminister Carsten Schneider (SPD), der genau weiß, dass die Zeit zur Rettung des Planeten der Menschheit davonrennt, stimmte der Aufschiebung zu, die offiziell als "Einigung auf einen neuen Pfad" bezeichnet wird. Der führt um die Problematik herum, sich in den anstehenden Landtagswahlkämpfen im kommenden Jahr mit Angstmachern auseinandersetzen zu müssen, die anderenfalls zweifellos mit Prognosen von durchschnittlichen CO₂-Preisen von 150 Euro pro Tonne hausieren gehen würden.
Doch durch die Verschiebung entsteht auch ein tiefes Loch in der Klimakasse, die ursprünglich hatte verwendet werden sollen, um Bürger:innen durch die Zahlung eines "Klimageldes" vor zusätzlichen Lasten durch höhere fossile Brennstoffkosten zu schützen.
Inflation frisst Erhöhung auf
Einerseits werden Tanken und Heizen nun bis 2028 kaum teurer. Andererseits hilft ein konstanter deutscher CO₂-Preis dem Weltklima überhaupt nicht. Seit Anfang 2024 kostet der Ausstoß einer Tonne CO₂ in Deutschland 55 Euro, beim derzeitigen Tempo des Kaufkraftverfalls des Euro entsprechen diese 55 Euro am Jahresende nur noch 52,50 Euro. Die Erhöhung auf maximal 65 Euro pro Tonne am Neujahrstag wird preisbereinigt Ende 2027 nur noch 62 Euro wert sein.
Wenn dann der EU-weite Emissionshandel beginnt, droht ein Preisschock, der Europas Demokratien absehbar vor unlösbare Probleme stellen wird. Zwar wählt Frankreich bereits 2027, so dass neue Gelbwestenproteste ausgeschlossen scheinen. Doch Deutschland ist - sollte nichts dazwischenkommen -erst 2029 dran.
Steigen die Kosten für das Warmhalten der Wohnung und die Fahrt zur Arbeit dann um Beträge, wie sie bisher prognostiziert werden, dürfte jeder Euro mehr direkt auf das Konto der Klimagegner einzahlen. Heizen mit Erdgas könnte dann um bis zu sieben Cent pro kWh teurer werden, was für ein unsaniertes Haus 1.200 bis 1.300 Euro jährlich bedeutet. Der Preis für einen Liter Benzin würde um rund 32 Cent und der für Diesel um rund 36 Cent steigen. Beide lägen dann wieder deutlich über der magischen Grenze von zwei Euro.



1 Kommentar:
Wieso Welt ohne EU-Recht? Die EU ist nur aktiv geworden bei der Bekämpfung der Kinderarbeitslosigkeit in Bangladesch und im Kongo.
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