Samstag, 28. September 2013

HFC: Die Geburt einer großen Mannschaft

In den letzten zehn Minuten, die sich wie ein hart gewordener Kaugummi ohne jede Restspur von Geschmack über eine volle Viertelstunde strecken, steht das ganze Stadion wie ein Mann. Die Fankurve sowieso, aber auch die Gegengerade, die Gegenkurve, sogar die Haupttribüne. Es wird geklatscht, es wird gepfiffen und gebuht, es wird gebibbert, gefiebert, gebangt. Unten auf dem Rasen des Erdgas-Sportparkes, der bei den Fans des HFC immer noch Kurt-Wabbel-Stadion heißt, tobt eine Schlacht: Die im traditionellen Schlafanzugblau aufgelaufenen Gäste aus Chemnitz, von ihrem Anhang als "Karl-Marx-Städter Jungs" gefeiert, bestürmen das Tor von HFC-Torwart Pierre Kleinheider. Der pflückt die immer wieder hereinsegelnden hohen Bälle mit großer Ruhe. Und was er nicht fängt, köpfen seine Innenverteidiger Kristian Kojola und Marcel Franke weitestmöglich aus der Gefahrenzone.

Ein Bild, da sich während der ersten 75 Minuten nie andeutete. Zwar hatte der Chemnitzer FC, angefeuert von 1500 mitgereisten Sachsen, den besseren Start. Doch nachdem auch die HFC-Fans, die die ersten fünf Minuten zu Ehren eines letzte Woche verstorbenen langjährigen Fanclub-Mitgliedes geschwiegen hatten, ihre Gesänge anstimmen, sehen die 10.008 Zuschauer ein ausgeglichenes, offenes Spiel. Chemnitz hat drei Chancen durch Sascha Pfeffer, in Halle geboren und beim HFC ausgebildet, hat eine große Chance, Semmer und Finke zwei weitere. Zweimal hält Kleinheider bravourös, einmal geht der Ball am Tor vorbei. Auf der Gegenseite macht es Andy Gogia nicht besser, er schießt zweimal über das Tor. Der CFC sammelt Ecke um Ecke, ohne dass Zählbares herausspringt. Vor allem Kristian Kojola wirkt zeitweise wie eine Spundwand an der seitlichen Strafraumgrenze. Wo der Finne steht und läuft, ist einfach kein Durchkommen.

Es dauert bis zur 24. Minute, ehe sich die langsam spürbar werdende Überlegenheit des HFC in Tore ummünzt. Nach einem Pass von Andy Gogia geht Timo Furuholm, der Mann, der den Aufschwung nach Halle bracht, auf der linken Seite energisch durch und er zieht von der Strafraumgrenze ab. CFC-Torwart Pentke kann nur abprallen lassen, in der Mitte stürmt Sören Bertram heran, erwischt den Ball mit einem Seitfallzieher - und trifft ins leere Tor.

Die Konterstrategie, die Trainer Sven Köhler seiner Mannschaft verordnet hat, geht auf. Chemnitz rückt weit auf, Halle spielt scharf und flach nach vorn. Die Chemnitzer Kurve ist jetzt ganz still, der Rest des Stadions feiert. Erst recht, als Andy Gogia zeigt, warum man ihm nachsagt, Spiele auch allein entscheiden zu können: Auf rechts kommt er, scheint den Ball schon verloren zu haben, doch mit einem akrobatischen Sprung holt er ihn an der Grundlinie zurück, geht noch zwei Schritte und zieht dann aus spitzem Winkel ab.

2:0 zur Halbzeit, keiner würde hier noch Geld auf die seit dem Tor schockiert wirkenden Gäste aus Sachsen setzen. Die scheinen auch gar nicht mehr weitermachen zu wollen - während die Rot-Weißen schon zum Wiederanpfiff bereit stehen, lassen die Himmelblauen auf sich warten. Dafür sind sie dann aber da, als sie wieder da sind. Der HFC zieht sich nun noch weiter zurück und setzt auf Konter, die Tony Schmidt und Timo Furuholm allerdings nicht abschließen können. Der CFC versucht es mit Pressing und zählt weiter Ecken. In der 53. Minute wird das Bemühen belohnt: Nach einem Rempler von Florian Brügmann gegen Maik Kegel zeigt Schiedsrichter Gräfe auf den Punkt, Fink tritt an und verwandelt sicher.

Es bibbert jetzt schon im Erdgas-Sportpark, denn Chemnitz drückt jetzt und der HFC kann sich nur noch selten befreien. Und wenn, dann fehlt den offensiven Gogia, Furuholm, Bertram und Schmidt die richtige Idee, um das entscheidende 3:1 zu machen. Was folgt, sind immer härter werdende Attacken beider Seite auf den Gegner statt auf den Ball. Das wirkt jetzt zerfahren, die Aktionen werden zunehmend unkontrolliert, die wechselweise angesetzten Konter werden nicht mehr richtig ausgespielt.

Der Heimsieg steht auf der Kippe, das spürt jeder im Stadion, auch Sven Köhler. Der bringt jetzt Toni Lindenhahn für Tony Schmidt, wenig später noch Robert Schick und Philipp Zeiger für Sören Bertram und den verletzten Anton Müller. Zwei der Eingewechselten sorgen nun im Zusammenwirken mit Schiedsrichter Gräfe dafür, dass aus dem spannenden Spiel ein denkwürdiges wird: Erst trifft Lindenhahn seinen Gegenspieler bei einem Kopfballduell mit dem Ellenbogen im Gesicht. Gräfe diskutiert nicht und zeigt rot. Kaum läuft die Begegnung weiter, wird Robert Schick auf der anderen Spielfeldseite gefoult. Gräfe winkt weiterspielen, Schick rappelt sich auf und fällt seinen Gegenspieler. Ohne Fleischklopfer. Sofort hat Gräfe die Rote Karte wieder in der Hand, auch Schick muss gehen.

Noch sind zehn Minuten auf der Uhr, mit zwei Mann weniger kratzt und beißt der HFC nun nur noch, um irgendwie über die Zeit zu kommen. Chemnitz macht es den von Marcel Franke unentwegt angefeuerten Hallensern aber auch nicht allzu schwer. Immer wieder hohe Bäll, immer wieder Flanken, die zu früh kommen, und Schüsse, die in die von der rot-weißen Sechserkette an der Strafraumgrenze geblockt werden. Die Arena steht, ohrenbetäubender Lärm begleitet jede Angriffsaktion, frenetischer Applaus jeden erfolgreichen Versuch, den Ball auf die beiden verbliebenen Offensivkräfte Furuholm und Gogia zu schlagen. Endlos dehnt sich die Zeit, Gräfe zeigt auch nicht an, wie lange er noch spielen lassen will. Der HFC kämpft, Kleinheider wirft sich immer wieder dazwischen, Ziebig holt sich noch eine Gelbe. Wie ein Mann steht das Publikum hinter seiner Mannschaft, die noch vor vier Wochen für abstiegsreif gehalten wurde und nun mit einem Sieg bis auf vier Punkte an einen Aufstiegsplatz herankommen würde.

Es ist vielleicht einer dieser Momente, in denen eine große Mannschaft geboren wird. Alles haben sie in dieser Saison schon hinter sich gebracht - torlose Serien und welche ohne Niederlage, debakulöse Niederlagen wie in Erfurt, knappe Pleiten wie gegen RB Leipzig, Beschiss wie gegen Heidenheim, ein erarbeitetes Remis wie gegen Unterhaching und einen herausgekonterten Auswärtssieg wie gegen Regensburg. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo das alles zu einem Höheren verschmilzt, wo Spieler und Fans bis hin zu den ganz normalen braven Familienvätern zu einem neuen, euphorischen Ganzen werden: "Scheiß auf Unterzahl" ruft der Stadionsprecher, "buuuuh" brüllen die Traversen. Alles klatscht, Kleinheider fängt, Gräfe schaut immer noch nicht auf die Uhr, Franke wälzt sich mit einem Krampf im Strafraum. Fünf Minuten Nachspielzeit sind mittlerweile rum, die längsten fünf Minuten dieser Saison. Dann ist Schluss, Furuholm fällt im Mittelkreis um, Köhler lacht auf der Bank, der verletzte Kapitän Maik Wagefeld stürmt auf Gräfe zu. Womöglich, um sich zu bedanken: Diese Mannschaft und dieses Publikum, sie haben heute eine weitere Lektion gelernt. wenn neun Mann Chemnitz besiegen können, dann können elf jeden in dieser Liga schlagen.


4 Kommentare:

Sockenpuppe hat gesagt…

fremde feder (rolf der realist bei webhallunken.de)
"Der Elfer sehr fragwürdig. Die rote Karte gegen Toni zu hart. Das Foul an Schick nicht gepfiffen, sein anschließendes Foul aber sofort mit rot geahndet."

jenauso wolltichs schreiben, aber hätte es nicht kürzer hingekriegt

rolfs spekulationen teile ich nicht

bin allerdings vom bundesligaschiri gräfe enttäuscht

ppq hat gesagt…

treffende einschätzung

Tetrix hat gesagt…

Eins stimmt nicht: Gräfe hat 4 Finger gehoben nach der 90. Minute, also die Nachspielzeit angezeigt (von Block 2 deutlich zu sehen). Insgesamt aber enntäuschend, was der Mann in Schwarz im letztn Drittel gezeigt hat. Dem DFB ist es ohnehin egal, dass die Spiele in der 3. Liga immer häufiger vom Schiedsrichter alleine entschieden werden.

aus der Gästekurve hat gesagt…

Gut geschrieben. Ergänzend dazu die andere Fansicht, aus der Gästekurve:

Ein CFC, der das Spiel restlos im Griff hat und beim zweiten ernstzunehmenden Konter der Gastgeber durch lasches Nachlaufen kräftig mithilft, nur um kurze Zeit später das 0:2 noch direkter hinzuschenken (auch wenn das von eurem Gogia technisch dann sehr gut gemacht war). Danach dann in der Tat der HFC bis zur Pause überlegen.

Aus der kommt der CFC neu geordnet, bekommt das Spiel gegen nach wie vor mauernde Gastgeber wieder in den Griff, was erst endet, als man mit zwei Mann mehr auf dem Platz steht. Ab da stellt man sich hochnotpeinlich an.

Der Elfer in der Tat ein kann-mussmanabernichtgeben-Elfer, die erste Rote Unsinn, wenn man die übliche Pfeifpraxis vergleicht, die zweite glasklar und mit nur 3 Spielen glimpflich geahndet. Ein Foul gabs dort vorher nicht, der 8er vom CFC spielt (bei beidseits großem Einsatz in der Szene) nur den Ball. Da so Amok zu laufen ist mindestens dumm. Naja, vielleicht wusste euer Schick ja, dass unsere sich in doppelter Überzahl dämlich anstellen.

Zum Schluss - die große Mannschaft beim HFC. Eher nicht. Die Außenverteidiger über weite Strecken (nämlich solange der CFC dort seine Linie verfolgte, ob man mit unserem "Riesen" in der Mitte tatsächlich über Außen und mit Flanken arbeiten sollte, naja) nur zweiter Sieger, insgesamt das Spiel nur auf Konter ausgerichtet. Dass passt gut zum offen stehenden CFC mit seiner aktuellen Wackelabwehr aber mit Sicherheit nicht zu mauernden Truppen, die demnächst beim HFC aufkreuzen.

Wohlan, viel Erfolg die nächsten 18 Spiele.