Mittwoch, 18. August 2021

Fünf Jahre Stichflamme: Leben in der Aufmerksamkeitsökonomie

Wo ein Thema ist, kann kein anderes sein: Seit die Taliban Furore machen, sind alle Waldbrände gelöscht, zumindest medial.
Eben noch überall, auf einmal schon wieder verschwunden. Waren Klima, Hochwasserflut und Waldbrände, Hitze und Baerbock noch vor wenigen Tagen die bestimmenden Themen im deutschen Medientheater,  sind sie allesamt auf einmal weg. Als hätte jemand den Sender verstellt, den Kanal gewechselt und den Schicksalswahlkampf um die deutsche große deutsche Weichenstellung als Signal für die Welt mit einer mächtigen Faust beendet, ist nun anderes wichtig: Afghanistan und die Taliban senden aus jeder Ritze, das Versagen des Westens, die "Fehleinschätzungen" (Heiko Maas) der Bundesregierung - sie sind dort, wo eben noch der Klimareport des IPPC, Corona und die Abschreibübungen der Spitzenkandidaten dominierten.

Beispielfall Brexit-Hysterie

Eine Stichflamme, hat es Hans Achtelbuscher schon vor Jahren genannt, als der Brexit sich tagelang zwischen die Menschheit und ihre Zukunft schob. Seinerzeit zogen die deutschen Medien alle Register, um die anstehenden Schrecken der Separation an die Wand zu malen, eine Brexit-Hysterie tobte durchs europäische Haus, die Großbritannien verarmen, verkommen und zugrunde gehen sah. 

Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung zu aktuellen Phänomenen wie dem Tod der deutschen Rücktrittskultur, Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität forscht, nutzte das Bild der Stichflamme, die plötzlich aufschießt, um wenig später folgenlos zu verlöschen, um ein Phänomen zu beschreiben, das als wiederkehrendes Motiv alle peinigende Debatten der Mediengesellschaft prägt: "Übertourte Themen, bei denen die Berichterstatter überwiegend politischen Wünschen folgen", wie es das Mitglied des "Forums Starker Staat" nennt, leben wie "Maden im Aufmerksamkeitskuchen" (Achtelbuscher). Verschwinden aber meist nach einer kurzen Frist so gründlich, ohne dass sie mit bloßem Auge weiter beobachtet werden können. 

Akute Aufmerksamkeitsabsorbtion

Eine These, der sich seinerzeit kaum jemand anschließen wollte. Wo Achtelbuscher, als Erfinder der Größenordnung EMP als Einheit für einheitliche Empörung eigentlich eine Hausnummer im medienwissenschaftlichen Gewerbe, warnte, dass es in der medialen Widerspiegelung der Realität immer öfter nicht mehr um wirkliche Bedeutung von Ereignissen, um komplexe Zusammenhänge und das Abwägen eines schwierigen Für und Wider gehe, sondern um reine akute Aufmerksamkeitsabsorbtion, fanden sich zahlreiche Absorbtionsleugner, die das Gegenteil behauptet, ohne sich die Mühe zu machen, Belege anzuführen. 

Mit fünf Jahren Verspätung erst hat  der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen seinem Kollegen jetzt in der „Süddeutschen Zeitung den Rücken gestärkt. Als „Kult der Kurzfristigkeit“ beschrieb der Inhaber des Lehrstuhls für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen dieselbe erschütternde Beobachtung. Pörksen nennt es ein "Gefangensein im Moment" und benutzt, eine deutliche Referenz an den Vordenker Achtelbuscher, ausdrücklich das Bild vom "Stichflammen-Spektakel", das Hans Achtelbuscher im Jahr 2015 geprägt hatte.

Spektakulär, grell und banal

Wir erleben, schreibt Pörksen, "die Verdrängung des Wichtigen durch das bloß Spektakuläre, Grelle und Banale, das in betäubender Intensität über unsere Bildschirme flimmert." Bedeutsam ist Jetzt, Jetzt aber ist immer schon wieder vorbei, ehe auch nur ein klarer Gedanke zu beschreiben weiß, was Jetzt gerade war. Hatte Achtelbuscher die Parade der größten Friedensbedrohungen seit dem Ende der Balkan-Kriege, die Abfolge von heißesten Sommer, nassesten Frühlingen, größten Rettungspaketen und schwersten Streits in der Union um die bevölkerungsreichste Zustromwelle als Zeichen einer womöglich kardiologisch bedingten Kurzatmigkeit gedeutet, sieht Bernhard Pörksen Kräfte am Werk, die antivisionären, klickzahlgetriebenen und zu neuigkeitsfixierten Reflexen gehorchen.  Es fehle ein "planetarischer Journalismus“, der aus der Adlerperspektive Entwicklungen sortiere – "weg von einer rein zeitlich bestimmten Aktualität, weg vom Neuigkeits-Fetisch, hin zu einer Betrachtung der existenziellen Relevanz von einzelnen Themen".

Weniger Haltbarkeit als seinerzeit die hektische Aufregung um das Sarrazin-Buch, analysierte Hans Achtelbuscher, als ausgebildeter Entroposoph ein Mann, der die Dinge von hinten denkt. Längst komme es überhaupt nicht mehr darauf ankomme, "wie wichtig ein Thema wirklich ist, sondern vor allem darauf, wie es sich medial vermitteln lässt." Je persönlicher die Anbindung sich gestalten lasse, desto einfacher falle eine  "gezielte Überzeichnung", die gleichzeitig erlaube, jeden Themenkomplex in höchster Eile durchzupeitschen. Anschließend geselle sich das Thema stets auf den Friedhof all der anderen ungelösten Menschheitsfragen, die in der Vergangenheit auf einer Stichflamme gekocht und dann umgehend vergessen worden seien. 

Auf dem Friedhof der Aufregerthemen

Dort liegen nun dank der Rückkehr der Taliban nach Kabul neben dem Brexit, Griechenland, Fukushima, der Schuldenkrise, dem Ukrainekonflikt, Trump, den Querdenkern, der Flüchtlingswelle, dem NPD-Verbot und dem Gebührenstreit auch die Rettung des Weltklimas, die Flutkatastrophe an der Rur und die letzten Pandemiebeschlüsse des Corona-Kabinettes. "Wobei zur Ehrenrettung letzterer gesagt werden muss, dass sie schon von der Originalquelle so aus der Zeit gefallen verbreitet wurden, dass sie nicht einmal mehr die Stichflamme eines vorübergehenden Interesses anzünden konnten", wie Achtelbuscher schmunzelnd am Telefon sagt.

Ja, es ist unverkennbar, der keineswegs als eitel geltende Forscher ist geschmeichelt von der späten, "aber ja wenigstens wörtlichen" (Achtelbuscher) Bestätigung, die seine Einschätzung der Lage der Mediennation heute findet. Dass Bundesaußenminister Heiko Maas, wegen seiner Vorliebe für knappe Anzüge im politischen Berlin das "Maasmännel" genannt, erst vom Vormarsch der Taliban Kenntnis nahm, als die amtliche "Tagesschau" sie durch sein berühmtes Wohnzimmer  marschieren ließ, erstaunt den kritischen Kenner der regierungsamtlichen Abläufe kaum. 

Auch moderne Politiker wie Heiko Maas, erfahren in der Eigeninszenierung und in der Lage, dabei noch durch ihre Schutzmaske zu trinken, seien konditioniert auf eben jenen Stichflammen-Journalismus, den auch "heiß brennende Focus" (Achtelbuscher) beklagt. "Ohne ausreichend heißen Reiz fehlt ihnen einfach jeder Reaktionsreflex."


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wo haben die den denn ausgegraben? Pörksen, 'Fellow des Thomas Mann House in Los Angeles'.
Das stinkt nach vielen Soros-Dollars, die in seinen Taschen klingeln, und damit ist er der richtige Mann für DLF.
Auf dem Etikett steht Medienwissenschaftler, drin steckt ein stumpfer Agitator eines global kontrollierten und damit eines kontrollierenden Journalismus. Aber 'global' darf man nicht mehr sagen, das klingt wie 'globalistisch' oder 'globalisiert', da würde auch der größte Depp inzwischen misstrauisch. Also flieht er aus der Geographie in die Astronomie und ein 'planetarischer' Journalismus wird heraufbeschworen, egal wie bescheuert und offensichtlich, für DLF und Thomas Mann House ist das Schlangenöl gut genug.

Pörksen: '...programmatische Polarisierung entlang von Sachfragen und nicht entlang von Fragen der persönlichen Integrität des Charakters, wie wir es im Moment aktuell im Wahlkampf in Deutschland erleben.

Mit der Forderung nach Aufhebung der persönlichen Integrität des Charakters als Auswahlkriterium rennt er bei den aktuellen Wahlkandidaten offene Türen ein, als hätten es ihm Groko & Grüne ins Drehbuch diktiert.
Also einfach nicht mehr fragen, wer ans Ruder kommt. Jeder, der verspricht, den Kurs zu halten, ist so gut wie jeder andere.
Man muss ihm ein gewisses Geschick attestieren bei seiner Forderung, den Klimawandel zur globalen Medienrichtschnur zu machen. Die Investoren möchten natürlich, dass die Steuerzahler vor allem über die Richtigkeit der Klima-Abgaben informiert werden, und als Zugabe werden Meldungen etwa von vorübergehenden Massenmorden nach unten gewichtet. Was sind so ein paar Wehwehchen gegen das große Ziel in ferner Zukunft. Die Entwicklung geht ja schon in die Richtung, aber da sieht Pörksen noch Raum für Korrekturen.

ppq hat gesagt…

er unterscheidet sich von achtelbuscher eindeutig dadurch, dass er nicht nur diagnostiziert, sondern auch konkrete empfehlungen für eine behandlung äußert

Gerry hat gesagt…

@anonym1: Klasse geschrieben.

Volker hat gesagt…

Pörksensprech:
Hier gilt es sehr präzise und genau zu argumentieren, denn niemand, der sich um die Qualität von Journalismus bemüht und darüber Gedanken macht, kann keinen Journalismus wollen, der aktivistisch oder in falschem Sinne alarmistisch ist.

Ob der weiß, was er sagt?

Anonym hat gesagt…

>Ob der weiß, was er sagt?

Ich habe mir den Schwafelbruder bis zu der Stelle angehört, und es ist ein Transkriptionsfehler.
Zu Pörksens Predigt könnte man noch ein paar Spaßbeiträge schreiben, aber diese akademische Kotze mag im Gully der Zeitläufe verschwinden.