Dienstag, 19. August 2025

Verschwiegen und verdrängt: Warum nicht dumm?


Dummheit   Intelligenz   Kognitive Fähigkeiten   Bildungsmangel   Gesellschaftliches Tabu   Selbstzweifel   IQ-Rückgang
Die wissenschaftlich ermittelte Verteilung von Intelligenz ist das einzige Indiz, das auf regionale Unterschiede bei der Verteilung der Dummheit hinweis.


Es gibt Sätze, die fallen im Alltag beiläufig, fast schon kokett: "Ich bin so dumm!", sagt mancher zu sich selbst, wenn ihm ein Missgeschick passiert. Schlüssel vergessen. Handy verloren. Wieder versäumt, den Müll gleich auf dem Weg zur Arbeit mit zur Tonne zu nehmen. Die Anlässe sind vielfältig, die Auswirkungen häufig gering. Und doch ist der Ärger groß, nicht nur bei denen, die von sich selbst schon lange wissen, dass sie das sind, was landläufig "dumm" genannt wird.  

Kokettieren mit der Dummheit 

Alle anderen kokettieren eher mit dem Begriff "Dummheit", sie kosten mit der Selbstbezichtigung den Gedanken aus, wie es wäre, zu sein, was man nicht ist. Eine kleine Unachtsamkeit, ein Flüchtigkeitsfehler, und schon ist man "dumm"? Wäre denn aber ein Dummer überhaupt in der Lage, sich selbst als dumm zu diagnostizieren? Was bedeutet es eigentlich, "dumm" zu sein? Und warum ist Dummheit eines der letzten großen Tabus der modernen Gesellschaft? Ein dunkles, unaussprechliches,  nicht erwähnbares Geheimnis, um das Wissenschaft, Politik und Medien gleichermaßen einen großen Bogen schlagen?

Dummheit ist per Definition  nicht Armut, nicht Bildungsmangel, nicht Klimawandel oder eine Charakterschwäche wie der Hang zum Hass. All diese gesellschaftlichen Probleme dominieren die Schlagzeilen, in stetem Wechsel, aber letztlich zuverlässig. Das Thema Dummheit aber, das zweifelsohne prägend ist für den gesellschaftlichen Gesamtzustand, findet systematisch nicht statt. Dummheitsberichterstattung in Deutschland ist folkloristisch, sie hängt am Satz "Ich bin so dumm!" und wendet ihn auf Menschen, Situationen und Entscheidungen an, ohne die Frage zu beantworten, was Dummheit eigentlich ist.

Das Gegenteil von  Intelligenz? 

Mehr als das Gegenteil von Intelligenz, so viel steht fest. Wissenschaftler sind sich einig, dass Menschen in bestimmten Situationen oder Lebensbereichen ausgesprochen klug agieren und sich in anderen dennoch töricht verhalten können - eine Beobachtung, die jeder Mensch aus eigenem Erleben bestätigen kann. So handeln intelligente Mitbürger und die, die weniger intelligent sind. So handeln Hochgebildete und durchschnittliche Begabte, Ostdeutsche, Westdeutsche, Ältere und Junge. Niemand muss wirklich dumm sein, um sich dumm zu verhalten. 

Allerdings existierte neben der Alltagsdummheit, die aus falschen Einzelentscheidungen resultiert, eine Art Dummheit, die nicht kontextabhängig, sondern systematisch ist. Sie hat viele Gesichter, es gibt Millionen Betroffene. Häufig leidet ein großes Umfeld unter der Dummheit dieser Menschen, weil Dummheit an sich kein Karrierehindernis ist, ja, im Gegenteil oft Grundvoraussetzung für eine Karriere. "Dummheit kennt keine Selbstzweifel", sagt das Sprichwort und gerade im politischen Berlin wird das tagtäglich unter Beweis gestellt. 

Vor aller Augen 

Vor aller Augen geschieht das, teils im Fernsehen, aber auch in den sozialen Netzwerken. Die Erkennntis, dass Dummheit nicht aus Unwissen besteht, sondern aus dem Beharren auf falschen Wissen, ist alt, aber virulent. Und doch hält sich das Bemühen, das gesellschaftliche Mysterium um die Dummheit zu lüften, in engen Grenzen. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen, die sich dem Thema widmen. Keine Trendfolgeforschung, die sich nicht als "Intelligenzforschung" zu tarnen versucht. Selbst die Verwendung des Begriffs "Dummheit" wird vermieden. Stattdessen sprechen Experten weitschwiefig und rücksichtsvoll von einem "Mangel an Intelligenz", etwaig fehlender Einsichtsfähigkeit oder einem schwach ausgebildeten Urteilsvermögen.

Das Schweigen über Dummheit ist auffällig, das Desinteresse einem einem so bedeutsamen Phhänomen in einer Gesellschaft, die sich selbst beinahe schon manisch beobachtet und erforscht, erstaunlich. Während Statistiken zu Einkommen, Bildung und Gesundheit in Hülle und Fülle vorliegen, gibt es kaum belastbare Daten zur Verteilung kognitiver Fähigkeiten oder deren Fehlen. Ist die Intelligenz der Bevölkerung ein Dunkelfeld, so ist die Dummheitsverteilung ein schwarzes Loch: Womöglich aus Angst vor der Erkenntnis will die Gesellschaft ihre kognitiven Ressourcen lieber nicht kennen.

Furcht vor der Wahrheit 

Fürchtet sie, dass die These des US-Biologen Gerald Crabtree stimmt, der behauptet, dass die Intelligenz der Menschheit seit Beginn des Ackerbaus vor rund 3000 Jahren kontinuierlich abnimmt? Hätte eine solcher Rpückgang aber überhaupt etwas zu tun mimt wachsender Dummheit? Crabtrees Überlegungen nach war Intelligenz früher überlebenswichtig. 

Der Dumme starb, der Schlaue überlebte, die Evolution nutzte Dummheit und Intelligenz als Auslesekriterien. Heute aber schützt die Gesellschaft auch und vor allem weniger Begabte. Der Selektionsdruck ist gesunken, für die gesamte Menschheit eher unvorteilhafte genetische Mutationen könnten sich ungehindert ausbreiten. Aber wächst dadurch die Zahl der Dummen? 

Kaum wissenschaftliches Interesse 

Die Versuche, die Frage wissenschaftlich zu beantworten, sind allenfalls episodisch. Der neuseeländische Intelligenzforscher James Flynn hat gezeigt, dass die durchschnittlichen IQ-Werte der Bevölkerung der Industrieländern von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu dessen Ende um bis zu 25 Punkte pro Generation stiegen. Eine Folge besserer Bildung, besserer Ernährung und medizinischer Versorgung, aber auch nur ein Indiz. 

Ein Intelligenzquotient ist ein Marker für die Abwesenheit von  Dummheit, aber kein Beweis dafür. Dummheit hat eher mit der Abwesenheit von Vernunft zu tun als mit fehlender Intelligenz. Und doch sind IQ-Tests die einzige Methode, mit der zumindest im Beifang Erkenntnisse über die Verbreitung der Dummheit gewonnen werden. Danach sinken die Intelligenzquotienten seit einem Vierteljahrhundert wieder, zumindest in Norwegen, Dänemark und Großbritannien, wo entsprechende Studien entstanden.

Die Welt wird dümmer 

Eine norwegische Untersuchung mit 730.000 jungen Männern ergab einen Rückgang von etwa sieben Punkten pro Generation, in Großbritannien fiel der durchschnittliche IQ schon seit 1945 um bis zu vier Punkte pro Jahrzehnt. Einzelheiten gelten als unappetitlich. Der Versuch, aus sinkenden Intelligenzwerten eine wachsende Anzahl an Dummen abzulesen, würde als profane Abwertung gelten. Die zudem, soweit steht eine abwertende Vermutung im Vordergrund der Vermeidung jeder Beschäftigung mit dem Thema, eine sehr große Gruppe der Bevölkerung treffen würde.

In Deutschland wird systematisch überhaupt zum Thema geforscht. Allerdings gibt es Hinweise auf regionale Unterschiede, die ein Dummheitsgefälle vermuten lassen. Eine Bundeswehr-Studie aus den 90er-Jahren zeigt ein deutliches West-Ost- und Süd-Nord-Gefälle: In Bayern wurden nach Tests bis zu 90 Prozent der Wehrpflichtigen als intelligent eingestuft, in ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg nur ganze zehn Prozent. Unklar ist, ob die gravierenden Unterschiede wirklich kongnitive Diskrepanzen abbilden oder aus einem politisch und historisch unterschiedlichen Vorbildungsgrad resultieren.

Macht Trinkwasser dumm? 

Die Studie ist umstritten, doch sie warf nie die Frage auf, ob der Problemkomplex nicht erforscht werden müsste. Wer auf die Spur der Dummheit gehen will, tut das generell, indem er ein Interesse an der Intelligenz vorschiebt. Studien aus Harvard und Neuseeland fanden eine Korrelation zwischen fluoridiertem Trinkwasser und niedrigeren IQ-Werten bei Kindern. Andere Studien zeigten, dass ein längerer Schulbesuch den IQ signifikant steigern kann.

Auch soziale Multiplikatoren spielen - welche Überraschung! - Forschungsergebnissen zufolge eine Rolle, Intelligenz herauszubilden: In Umfeldern, die kognitive Leistungen belohnen, entwickeln Individuen höhere Fähigkeiten. Inwieweit Dummheit als erlernte oder gar angeborene Eigenschaft damit verringert werden kann, wurde nicht untersucht.

Die Gründe, warum über Dummheit nicht gesprochen wird, sind einleuchtend. Der Begriff Dummheit  selbst schon gilt als stigmatisierend und diskriminierend, Dummheit beschreibende Begriffe wie "Schewachkopf" oder "Idiot" sind von Gerichten als Beleidigung abgeurteilt worden - völlig unabhängig davon, ob sie auf Personen gemünzt waren, in deren Fall es sich um zutreffende Tatsachenbehauptungen gehandet hat. 

In gefährlicher Nähe 

Wer Dummheit thematisiert, begibt sich in die Nähe von Rassismus oder Elitismus. Die Sarrazin-Debatte von 2010 zeigte, wie schnell Diskussionen über Intelligenz und Genetik eskalieren. Thilo Sarrazins Thesen über regionale und ethnische Unterschiede in der Intelligenz wurden als "krude" angeprangert, auch wenn sie sich auf wissenschaftliche Daten stützten. 

Durch das systematische desinteresse fehlt es an belastbaren Daten. Während Statistiken zu Einkommen, Gesundheit und Bildung flächendeckend erhoben werden, gibt es keinerlei verlässliche Informationen zur Verteilung von Dummheit. Ja, bisher existiert nicht einmal eine wissenschaftliche Definition des jedermann geläufigen Begriffes. Dummheit ist tabu, im Gegensatz zu Armut,  Unsportlichkeit und fehlenden musischen Talenten.

Verfeinerte Sensibilität 

Die streng verfeinerte kulturelle Sensibilität der modernen Gesellschaft erlaubt Beschreibungen Einzelner als "dümmste Diebe" oder die gruppenbezogen menschenfeindliche Charakterisierung als "dümmste Regierung". Doch zugleich verbiette es das von Grundgesetz gebotene Ideal einer  Gleichheit aller, kognitive Unterschiede als gegeben anzuerkennen und ihr Ausmaß zu erforschen. Die von der Bundeswehrstudio befeuerte Vorstellung, dass bis zu 25 Prozent der Bevölkerung in abgelegenen Regionen Deutschlands dumm sein könnten, wird als Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt interpretiert.

Ohne überhaupt je wissenschaftlich ermittelt zu haben, worin mögliche Ursachen eines solchen epischen Ausmaßes an Dummheit liegen könnten, wird nach mehr "Bildungsgerechtigkeit" gerufen. Wenn das nicht hilft, war es einfach noch nicht genug - das typische Erklärungsmuster, zu dem Dumme aus Mangel an Einsichtsfähigkeit regelmäßig Zuflucht suchen. 

Integration der Dummen 

Repariert werden muss dann dort, wo nichts mehr zu reparieren ist. Aus den Schulen kommen nicht nur Ungebildete, sondern Bildungsunfähige. Die Wirtschaft reagiert bereits auf diese Entwicklung. Mit Konzepten wie dem "Stupidity Management" versuchen Unternehmen, weniger qualifizierte Arbeitskräfte zu integrieren - vorgegebene Handgriffe ersetzen Eigenverantwortung. In der Politik werden Wahlzettel vereinfacht und Botschaften verkürzt, die Medien entwickeln spezielle Sendungen in "einfacher" oder "leichter" Sprache, um sich senderseitig an sinkende kognitive Möglichkeiten bei den Empfängern anzupassen.

Statt gezielter Herausforderungen, die Denken fördern und Dummheit bekämpfen, wird der allgemeine Niveauabbau als notwendige Verflachung einer intellektuellen Kultur gesehen, die viele benachteiligt. Keine Bücher mehr lesen, keine kenntnisgeprägten politischen Diskussionen mehr führen und kein Musikstück mehr zu hören, das länger als drei Minuten und komplexer als "Hänschen Klein" ist, gilt als Königsweg zur Schaffung einer intellektuell gerechten Gesellschaft. 


2 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

OT das BSW sucht in öffentlicher Ausschreibung einen einen lustigen Vereinsnamen

Macht alle mit.

Bündnis sozialistische Wirklichkeit (ersatzweise Wichtigkeit)

ppq hat gesagt…

Bund starker Weiber