Montag, 12. September 2022

Inflationsprämie: Wie das Entlastungspaket nicht funktioniert

Mehr als 700.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Rentnerinnen und Rentner dürfen sich dank eines Versehens der Ampel auf eine zweite Einmalzahlung zur Entlastung freuen.

Ein großer, ein ganz großer Wurf war es. Kanzler, Klimaminister und Finanzminister standen Schulter an Schulter in Berlin, um den Menschen die frohe Botschaft zu verkünden: Irgendwann in kurzer Zeit, mehr als sechs Monate nach dem zweiten und bisher letzten Versprechungspaket zur Entlastung der Bevölkerung geht die Erleichterungshilfe in die nächste Runde. Eine Inflationsprämie werde es geben, Hartz IV werde umbenannt, Arme bekämen bald Heizhilfe und von der Inflation geplagte Bäcker, Stahlkocher und Chemiefirmen dürfen ihren Beschäftigten bis zu 3.000 Euro extra überweisen, ohne dass darauf Steuern fällig werden.

Irrtum über eine Spende vom Staat

Schon eine Woche später musste der Schweriner Fahrradhändler Dominik Selber seine Mitarbeitenden zusammenrufen. "Ich hatte mitbekommen, wie sie sich untereinander erzählten, was sie mit dem Geld machen würden", sagt der 47-Jährige, der seinen Laden seit 2003 als Inhaber führt. Bestandteil der Erzählungen seiner Angestellten sei immer auch die Frage gewesen, ob er, der Chef, sich von der Regierungskohle etwas abknapsen werde.

Meine Leute wissen ja, dass es gar nicht gut läuft derzeit." Lieferketten klemmen, Nachschub kommt nicht, bestellte teure Räder werden nicht abgeholt, weil Kunden das Geld bereits einplanen, um die nächste Gasrechnung zu zahlen. "Was mich bei meinen Angestellten erstaunt hat, war die Beobachtung, dass sie alle meinten, ich bekäme von der Regierung Geld, um ihnen die Inflationsprämie auszuzahlen." Es habe ihn zwei Stunden gekostet, allen klarzumachen, das die Ampel keinen Cent geben werde. "Sondern wir das alles hier bei uns erwirtschaften müssen."

Heizlohn für Rentnernde

Selbers sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren enttäuscht. Wo denn da die Entlastung sei, hätten sie ihn gefragt. "Aber ich konnte es ihnen nicht sagen." Jedenfalls nicht, ehe Dominik Selber zufällig auffiel, dass es doch eine gesellschaftliche Gruppe geben wird, die doppelt von den Entlastungsversprechen der Bundesregierung profitiert. 

Ausgerechnet meine Großmutter hat mich darauf gebracht", erzählt der Jungunternehmer. Die habe er nach den Regeln des 2. Entlastungspaketes für zwei Stunden auf 450-Euro-Basis in seinem Laden angestellt, "damit sie das Anrecht hat, die 300 Euro Energiepauschale überwiesen zu bekommen." Soweit er sehe, werde das auch klappen - "zumindest, wenn die Energiepauschale eines Tages wirklich ausgezahlt werden sollte." Nach den neuen Ampel-Regeln aus dem sogenannten "3. großen Entlastungspaket" ("3GE", Olaf Scholz) sind es diesmal die Rentnerinnen und Rentner, die anstelle der steuerpflichtig Beschäftigten mit 300 Euro bedacht werden. "Glück für meine Omi, denn sie ist nun schon wieder dabei", freut sich Selber. 

Doppelt bedachte Senioren

Ein großes Glück für die 77-Jährige, aber eine erschreckende Entdeckung für den Bundesfinanzminister. Bei der Beratung über das 3GE war übersehen worden, dass Millionen in kleinen Jobs steuerpflichtig arbeitende Rentnerinnen und Rentner durch die Ausschüttung einer Rentnerruhigstellungsprämie bereits zum zweiten Mal bedacht werden, ebenso wie steuerpflichtig angestellte Studentinnen und Studenten. Während ohne Ausbildungsvergütung vollzeitbeschäftigte Lehrlinge und Fachschüler erneut leer ausgehen, weil sie bei den hektischen nächtlichen Schlussverhandlungen über die neuen Entlastungsversprechen schlicht vergessen wurden.

Niemand im Finanzministerium wisse, welcher Ruheständler nebenher arbeite oder wegen der angekündigten ersten Entlastungszahlung kurzzeitig eine Stelle angetreten habe, um Anspruch auf die 300 Euro zu haben. Bekannt sei bei Finanzämtern und Rentenversicherungsträgern nur, wer Ruhestandsbezüge kassiere - das allein berechtige nun zum Bezug der neuen Heizhilfe. Wer im ersten Anlauf aus steuerpflichtig Beschäftiger profitierte, bekommt nun erneut Geld. Und wird damit doppelt so viel bekommen wie ein normaler Arbeiter oder Angestellter.

Zweimal eine Einmalzahlung

Dominik Selber freut sich für seine Großmutter, die für für Strom, Gas und Lebensmittel wie alle Bürgerinnen und Bürger im Land derzeit Rekordpreise bezahlen muss. "Aber ich verstehe nicht, weshalb die Bundesregierung das als ,Einmalzahlung für Rentner:innen' bezeichnet, wenn mehr als 700.000 Senioren zweimal kassieren."  Zwar gehe es dabei  nur um eine Überzahlung von um die 200 Millionen Euro. "Doch in Zeiten knapper Kasse zählt doch jeder Cent."

Im politischen Berlin ist das Problem mittlerweile bekannt. Da es keine Möglichkeit gebe, Doppelkassierer von Amts wegen zu enttarnen und eine solche Enttarnung rechtlich auch keine Befugnis begründen würde, eine der beiden Zahlungen zu verweigern, plant das Finanzministerium eine bundesweite Befragung aller Ruheständler. Alle 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner sollen in den kommenden Wochen per Briefpost aufgefordert werden, zu erklären, ob sie bereits von der großzügigen Einmalzahlung der Energiepauschale in Höhe von 300 Euro für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte profitiert haben. Einen gesetzlichen Anspruch auf eine zweite Zahlung, diesmal aus dem Topf für Senioren, hätten sie dennoch. Das Finanzministerium hofft allerdings, dass eine große Zahl von Älteren freiwillig auf die zweite Zahlung verzichtet.


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