Dienstag, 31. Januar 2023

Grundsteuer: Ein Ding, sie zu knechten

Keinen Cent mehr müssen die Menschen bezahlen, die künftig mehr bezahlen müssen.
Den ersten Termin verpassten sogar die ganz Eifrigen, die aus Angst vor staatlicher Verfolgung sofort nach den ersten Aufforderungen begonnen hatten, in den behördlichen Datenbanken nach allen zu suchen, was Vater Staat an Angaben über sie gesammelt hat. Nur reichte es nicht. Die Meldesysteme brachen zusammen, für Teile der Bevölkerung stellten sich die Formulare als zu komplex heraus. Vor die Wahl gestellt, sein größtes und am längsten vorbereitetes Projekt zur Transformation der Demokratie in eine gerechte Steuergesellschaft aufzugeben oder mit Gewalt durchzusetzen, entschied die Bundesregierung sich für eine Fristverlängerung.  

Ein paar Wochen sind Zeit genug

Die lange Bank, Deutschlands Hauptereignisschauplatz, sollte es der noch fehlenden Hälfte der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen, ihre Grundsteuererklärung doch noch fristgerecht abzugeben. Zeit genug war gewesen: 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht die alte Regelung für verfassungswidrig erklärt, 2019 hatte der Bundestag einer Neuregelung zugestimmt, zwei Jahre nahm sich die Verwaltung dann Zeit, die Umstellung zu organisieren. Für die Immobilienhaie im Land blieben dann noch in paar Monate, sicherzustellen, dass den Behörden ausreichend genaue Angaben vorliegen, um auch wenigstens mit den bisher eingenommenen 14,7 Milliarden Euro planen zu können.

Es war als Kraftprobe geplant. Würden die Menschen,. Millionen kleiner Häuslebauer und Selbstbewohner kleiner ererbter Katen im Brandenburger Outback, sich wirklich zwingen lassen, die Arbeit des Staates zu erledigen? Würden wirklich alle die komplizierte, zeitaufwändige und eigentlich komplett unnötige Datenzusammenstellung absolvieren, klagend, murrend, aber ohne aufzumucken? Würde der Souverän sich dazu bewegen lassen, sich mit der ohne weitere sachliche Begründung eingeforderten Grundsteuererklärung selbst am Versuch zu beteiligen, ihm künftig für jeden Meter noch tiefer in die Tasche zu greifen? Die Grundsteuererklärung, sie war in Fortsetzung der Pandemiemaßnahmen angelegt als Ding, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.

Nur ein Drittel pariert sofort

Doch es zeigte sich hier einmal mehr die Teilung der Gesellschaft, wie sie auch in anderen Bereichen immer wieder zu bemerken ist. Etwa ein Drittel der Menschen parierte umgehend. Sie klickten sich durch die brüchigen Datenspeicher der Ämter, riefen verzweifelt bei ARD-Ratgebersendungen um Hilfe, bezahlten sogar Steuerberater dafür, keine Steuern zu sparen. 70 Prozent aber übten anfangs hinhaltenden Widerstand. Als ginge es sie alles gar nichts an, schienen diese Klassen und Schichten in der Bevölkerung demonstrieren zu wollen, dass der Staat gar nichts gegen seine Untertanen unternehmen kann, wenn nur recht viele von ihnen im Widerstand sind. 

Angesichts einer Welle an Verweigerung, wie sie die altbundesdeutsche Demokratie zuletzt bei den Volkszählungsversuchen in den 80er Jahren erlebt hatte, knickte die Bundesregierung ein. Die Abgabefrist wurde verlängert, um den säumigen zwei Dritteln die Chance zu geben rechtstreu weiterzuleben. Die Werbekampagne wurde ausgebaut, Ratgebersendungen, Bundeshandreichungen und Nachhilfekurse im Gemeinsinnfunk nahmen Zögerliche bei der Hand. Wer sich jetzt nicht stellt, darf nicht auf Gnade hoffen, hieß es überall. Von Strafgebühren, Verzugszinsen und Enteignungen war die Rede. Das in Berlin häufig als "Reichsnachrichtendienst" verspottete SPD-Organ RND verhöhnt die Opfer sogar noch und erklärt ihnen "Warum Wut und Trotz nicht helfen".

Das dreckige Drittel

Ein Kräftemessen. Wenige Tage vor dem Ablauf des Ultimatums fehlten immer noch 30 bis 40 Prozent der Anträge auf höhere Besteuerung. Ein Drittel der Bevölkerung verweigert sich offenkundig wissentlich, ein Drittel der Menschen glauben, Schabernack mit ihrem Staat spielen zu können. Die ersten Ministerpräsidenten zeigten Nerven, die ersten Ratgeber rieten zu Einsprüchen. Die ersten Rathausschefs ließen durchrechnen, wie viel mehr sie ab 2025 aus ihren "Einwohnenden" (Köln)  herauspressen können. Der Bund selbst verkündete zwar, er werde den Abgabetermin nicht einhalten können, trotz der "schnellen, unkomplizierten und kostenlosen Abgabemöglichkeiten" (Finanzministerium).  Tut uns leid, zu viel Besitz, zu wenig Leute, zu schlecht die Internetanbindung und die eigene Übersicht. 

Aber bis auf einen Rest von etwa der Hälfte bis zu einem Drittel der Abgabeberechtigten haben sich die Menschen gebeugt wie geplant: Was Kritiker als "Elend der öffentlichen Verwaltung" sehen, markiert in Wirklichkeit einen Meilenstein beim Ausbau des fürsorglichen Staates. Die Parteien, längst aus der ihnen ursprünglich vom Grundgesetz zugewiesenen Rolle,  bei der politischen Willensbildung des Volkes nur mitzuwirken, denken sich fortwährend neue Regeln aus. Gerichte, von den Parteiführungen handverlesen besetzt, segnen sie ab. Verwaltungen nutzen sie, um sich beständig zu vergrößern. Medien, von privaten Heuschrecken bis hin zum Gemeinsinnfunk, mahnen im Chor, das alles als gut und richtig zu empfinden. Es gehe nun mal nicht anders. Und wer das nicht könne, steht außerhalb der großen Gemeinschaft der Gleichgesinnten.

Den Fuß in den Nacken

Es muss nicht im Einzelfall funktionieren. Es muss nur Möglichkeiten schaffen, willkürliches Verwaltungshandeln zu legitimieren. Nun, wo eine gesellschaftliche Spaltung deutlich wird zwischen denen, die sich wenigstens nach Kräften mühen, den Launen des Staates folgsam nachzukommen, und denen, die meinen, das verweigern zu können, liegt der Ball bei der Politik. Sie kann nach gusto entscheiden, ob sie noch einmal nachgibt, Fehler einräumt und gesteht, dass es unangemessen und frech war, Bürgerinnen und Bürgern, oft alt und mit geringer Digitalkompetenz, nur ein paar Monate für ihre Grundsteuererklärung einzuräumen, der eigenen Finanzverwaltung dann aber zwei Jahre für die Bearbeitung. Oder ob sie durchzieht, den Fuß all denen in den Nacken drückt, die sich einem "effektiven und effizienten Gesamtprozess mit digitalen Mitteln" (Key Pousttchi) hinhaltend in den Weg zu stellen versuchen. Auf Willkür wächst Allmacht am besten. Unberechenbarkeit ist der Humus, auf dem Angst gedeiht.

Alles kann, muss aber nicht. Vielleicht wird die Politik beschließen, gar nichts zu tun wie damals, als Glücksspiel in Deutschland noch schwer gesundheitsschädlich und absolut illegal war. Vielleicht wird sie die Frist noch einmal verlängern. Vielleicht wird sie aber auch erneut zu mehr Digitalisierung rufen und eine umfassende neue Bürokratie aufbauen, damit bei der nächsten Grundsteuerreform alle 36 Millionen Grundstücke in Deutschland gleich per Behördenmausklick höher bewertet werden können. Und vielleicht wird auch ein Exempel statuiert, wahrscheinlich in Mecklenburg-Vorpommern, wo erst ganze 40 Prozent der Besitzer der meist wertlosen Immobilien in Pasewalk, Friedland und Löcknitz ihre Bekennerschreiben beim Finanzamt abgegeben haben. Für jeden angefangenen Monat der Verspätung darf der Staat mindestens 25 Euro Verspätungszuschlag kassieren. Für einen Großteil der strandfernen Immobilien im bettelarmen Bundesland im Norden bedeutet das eine komplette Verstaatlichung binnen weniger Jahre.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Erstens: viele oder sogar die meisten der eifrigen Grundsteuererklärer sind Frauen. Frauen haben, evolutionär bedingt, Angst davor, ausgeschimpft zu werden, insbesondere vom ultimativen Alphatier, dem Staat. Was muss man sich anhören von seiner Frau, wenn mal wieder eine Mahnung in's Haus flattert, weil ein Erklärungs- oder Zahlungstermin überschritten wurde.Und man merkt, es ist tatsächlich Scham. Die Frauen schämen sich für ihren Gatten, für sein Fehlverhalten gegenüber der Administration.
Zweitens: Aus direkter Anschauung weiß ich (und im Internet gibt es wohl auch schon diverse Hinweise), dass die größten Immobilienbesitzer im Verzug sind - die Länder und der Bund. Die Bearbeiter verweisen allerdings berechtigterweise darauf, dass die administrativen Vorbereitungen für die Grundsteuererklärung (z.Bsp Elster) nicht besonders hilfreich sind für Sch....-Grundstücke wie ehemalige Schießplätze, vom Staat geerbte verfallene ehemalige Wohn-Katen, Strassenecken, die nicht bebaubar sind, Seen oder Uferstreifen an Bundeswasserstrassen, oder was es sonst noch gibt an merkwürdigen "Immobilien". Aber keine Angst, der Staat soll sich für grundsteuerpflichtige Grundstücke bereits eine Fristverlängerung bis März, und für nicht grundsteuerpflichtige Grundstücke eine Fristverlängerung bis Oktober oder November eingeräumt haben.
Drittens: Bei aller Datensammelwut wird erstaunlich wenig über die Qualität der Immoblien erfragt. Ist ein Haus aus den 30ern noch im damaligen Zustand oder schon etwas weiterentwickelt? Auf welcher Basis wird ein Grundsteuerbescheid erlassen, wenn man nur weiß: Baujahr 1965, nicht kernsaniert.
Viertens: das, was erklärt wird ( korrekt, unwissentlich falsch, wissentlich falsch) soll von entsprechenden Bearbeiter-(innen) geprüft und in einen Grundsteuerbescheid umgewandelt werden. Aber in den Ämtern sitzen in zunehmenden Maße Mitarbeiter, die schon mit einem oder beiden Augen auf die hoffentlich bald kommende Verrentung und Pensionierung schielen, und die von daher nur noch getrieben werden von dem Wunsch, sich jetzt nicht mehr kaputt zu machen. Mich würde der zukünftige Krankenstand in den zuständigen Ämtern sehr interessieren.
Ende meines Palavers.

Anonym hat gesagt…

Herrlicher Kommentar, 10 Daumen hoch.

Anonym hat gesagt…

Was eigentlich immer hilft ist dummstellen. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Das hilft bei ungeliebtem Wehrdienst, bei Arbeitsstellen, die man aus irgent einem Grund nicht haben möchte
und sicher auch bei dieser Steuer. Vorgesetzte und Beamte halten doch sowieso jeden für einen
Dummkopf, da kann man sich auch so verhalten. Bei dieser Steuersache also irgentwas ankreutzen
und dann abschicken. Sollen sie sich doch damit rumärgern. Einspruch kann man immer noch einlegen.

Anonym hat gesagt…

Als sie die Häuslebauer abholten habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Häuslebauer ...

Der lachende Mann hat gesagt…

Sehr gut!