Donnerstag, 29. Juni 2023

Deutschland bangt: Besteht der Nazi den Treuetest?

Sonneberger Wutsonntag als Großgemälde: Der junge Maler Kümram, bekanntgeworden als Merkel-Porträtist, hat die Ereignisse im Thüringen Wald mit breitem Pinsel auf Palettenholz gestrichen.

Die Brandmauer, sie ist nun nur noch ein schmaler Sims, verteidigt von einem früheren Kommunisten. Die letzte Linie zwischen Demokratie und dem Rückfall in dunkelste Zeiten, sie schien den Feinden der regelbasierten Werteordnung schon mit dem fatalen Wahlakt vom Sonneberger Wutsonntag besiegt: Mehrheit für Rechtsaußen in einem Bundesland, das seit Jahr und Tag instabil von Linksaußen regiert wird. Robert Sesselmann, der als vermeintlich bürgerlicher Extremist verkleidete Anwalt, ausgebildet an den demokratischen Bildungseinrichtungen der Republik und später dennoch dem früheren westdeutschen Lehrer Björn Höcke verfallen, ordnete im Triumph des gefühlten Sieges bereits seine Siebensachen, um nach der Machtergreifung mit Fackelzug und Fanfaren ins Landratsamt an der Bahnhofsstraße einzuziehen.

Rutscht ganz Thüringen hinterher

In Erfurt, mit dem Auto über verschlungene Bergpfade in knapp zwei Stunden zu erreichen, mit dem ICE nach mehrfachen Umsteigen unter anderem im bayrischen Coburg in zweieinhalb, tagten die Krisenstäbe in Permanenz. Fällt Sonneberg ab, rutscht Thüringen im kommenden Jahr bei den mit vier Jahren Verzögerung anstehenden Landtagswahlen womöglich komplett hinterher. Das grüne Herz in der braunen Soße. Städte wie Weimar und Jena, Hochburgen der Zivilgesellschaft, devastiert. Die letzten Wälder bedroht von den Motorsägen der Prepper und Kaminbesitzer. Die vor dem Verschwinden stehende Linkspartei verlöre ihre letzte Machtbastion. Der Wiederaufbau des Sozialismus in Deutschland seine homebase. Die Völker der Welt von Kuba über Berlin bis Nordkorea einen Hoffnungsort.

Doch die Demokratie, auch wenn sie im Erfurter Parlament keine Mehrheit hat, sie ist doch wehrhaft. Auch Robert Sesselmann und seine fragwürdigen bis offen faschistischen Anhänger muss das jetzt erfahren. Statt einfach so widerstandslos ins neue Amt einziehen zu können, um dort damit zu beginnen, die gemeinsamen europäischen Asylregeln, den Green Deal, den Chips Act, die legendären Maastricht-Kriterien samt Schuldengrenze und Bundesschuldenbremse und demnächst auch das neue Heizungsgesetz zu unterminieren, muss der AfD-Mann noch einmal bangen: Ein vom Thüringer Kommunalwahlgesetz vorgesehener "Demokratie-Check" wird den 50-Jährigen zuvor noch auf Herz und Nieren, illegale Verbindungen und verbotene Überzeugungen prüfen. Erst wenn das Ergebnis wider Erwarten positiv ausfällt, kann Sesselmann sein Amt antreten.

Die Ex-SED prüft die neuen Extremisten

Den sogenannten Treuetest vornehmen wird Frank Roßner, ein früheres Mitglied der SED, das später über die kurzlebige DDR-Bürgerbewegung Neue Forum noch rechtzeitig zur SPD wechselte, um später selbst Landrat werden zu können. Nach mehreren verlorenen Wahlen und Referentenstellen in Regierungsinstitutionen und Ministerien fand sich eine dauerhafte und angemessene Anschlussverwendung als Chef des Landesverwaltungsamtes. Roßner musste sich dazu keiner Konkurrenz stellen, auch einen Demokratiecheck absolvierte der Vielparteienpolitiker nicht - wer hätte ihn auch vornehmen sollen, das er selbst ja noch nicht im Amt war.

Der Demokratie-Check des Robert Sesselmann, nach Aktenlage der erste überhaupt, der in Thüringen durchgeführt wird, wird auch vor diesem Hintergrund besonders spannend. Einerseits drohen Aufstände und neue Umfrageergebnisse, sollte nach Auffinden einer Sammlung mit Hitlerfigürchen, Videokassetten mit Kriegsfilmen und russischsprachigen Büchern entschieden werden müssen, dass eine Übergabe Sonnebergs an den gelernten Anwalt vor dem Hintergrund der angespannten Weltlage zu gefährlich wäre. Andererseits könnte ein Unbedenklichkeitsattest einer SPD-geführten Behörde für das bekennende Mitglied einer vom Verfassungsschutz teilweise als gesichert rechtsextrem geführten Partei sämtliche Bemühungen konterkarieren, noch wankende Wählerinnen und Wähler mit eindringlichen Appellen und deutlichen Hinweisen auf die Ereignisse von 1933 davon abzuhalten, noch einmal auf einen Führer mit H hereinzufallen.

Jede Antwort ist falsch

Wie auch immer die bange Frage beantwortet wird, ob der Nazi den Treue-Test besteht, es wird falsch sein. Versagt Roßners Behörde dem Wahlsieger die Bestätigung der Befähigung, eine Wahlbeamtenstelle antreten zu dürfen, werden Sesselmanns Wählerinnen und Wähler darin ein politisches Urteil sehen, gefällt von einem Richter im Auftrag einer kleinen konkurrierenden Partei, die fürchtet, von den Futtertrögen vertrieben zu werden. Räumt das Verwaltungsamt aber nach der tiefgründigen Einzelfallüberprüfung von Äußerungen, Ansichten, Verbindungen und inneren Überzeugungen des Amtsanwärters offiziell ein, dass Sesselmann die "die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt", wie es das Gesetz verlangt, dann drohte dieser Persilschein Millionen von bisher zögernden Bürgerinnen und Bürgern zu irritieren. 

Die betreffenden, vor allem in Ostdeutschland und speziell in Thüringen kaum darin geübt, Zwischentöne wahrzunehmen, wären wohl schlagartig überzeugt, dass die AfD am Ende doch nicht plant, die gewohnte Werterepublik abzureißen, ARD und ZDF zu enteignen, die Bundeswehr an den Westwall zu verlegen und aus dem Euro auszutreten. Die Quittung für die kleine Heiligsprechung könnte der demokratische Block bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr erhalten - mit großen Folgen für die gesamte Republik, die mit Blick auf die EU-Wahlen ("Europawahlen") und die darauffolgende nächste Bundestagswahl heute schon vor jeder Art Veränderung zittert. Wie auch immer das Ergebnis des Gesinnungstests ausfallen wird, das Verfahren ist so verfahren, dass es nach hinten loszugehen droht.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wie man vernimmt, sind die Nichtwähler mitschuldig daran, dass der sogenannte Nazi im Bundesland, das von einem sogenannten Linken regiert wird, an dieses Amt kam.
Das mit den Wahlen haben sie noch nicht so gut gelöst wie bei Honecker. Wird vielleicht noch.