Samstag, 30. März 2024

Aber bitte mit Sahne: Die verrückte Cookie-Liebe der Deutschen

Das Stockholm-Syndrom bringt ein Drittel der Deutschen dazu, die EU-Cookierichtlinie zu lieben.

Sie sind überall, unerkannt leben sie mitten in der Gesellschaft, von außen kaum zu identifizieren, aber innen ganz und gar überzeugt von eigentümlichen Werten, einem fast schon religiösen Glauben an bizarre Riten und im tiefsten Herzen von einem Gefolgschaftsgeist beseelt, der sie zu willigen Werkzeugen einer jeden Obrigkeit macht.

Eine große Minderheit

Ja, sie sind nur eine Minderheit. Aber eine ganz besonders schräge. Und eine erschütternd große: 24 Prozent der deutschen Internetnutzerinnern und -nutzer sind von den Vorschriften, die die Europäische Gemeinschaft sich mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der ePrivacy-Verordnung zum Schutze personenbezogener Daten nicht genervt, sie halten die Vorschriften nicht für unsinnig und beklagen sich nie über endlose Bestätigungsklick und störende Warnbanner. 

Stoisch akzeptieren diese menschlichen Maschinen das Schicksal, das ihnen EU-Kommission, EU-Parlament und der EU-Rat  zugedacht haben, als sie als Ersatz für die weltweit einmalige und schon außerordentlich störende Cookie-Richtlinie eine Vielzahl von noch viel weitergehenden neuen Regelungen einführten. Für Behörden, Unternehmen und Webseitenbetreiber begann eine Ära mit zahlreichen neuen Dokumentationspflichten. 

Zeitalter des Wegklickens

Für harmlose Privatnutzer das Zeitalter des Wegklickens: Theoretisch hatten die Führerinnen und Führer der europäischen Wertegemeinschaft vorgesehen, dass Internetnutzer vor der Nutzung einer jeden Internetseite aufmerksam seitenlange Informations- und Warndokumente studieren, um sich über das Risiko klarzuwerden, das sie etwa mit dem Besuch der Seite der Europäischen Union eingehen. Das würde ein Signal in die Welt senden und Staaten auf allen Kontinenten flugs bewegen, ihre Insassen ähnlich umfassend zu schützen.

In der Praxis jedoch scheiterte die große Reform an der Ignoranz und Faulheit der Menschen. Statt zu lesen, wird weggeklickt. Statt die kluge Weiterentwicklung und Umsetzung der Maßnahmen zum Schutz der Bürger zu lobpreisen, wird geschimpft, von Bevormundung gesprochen und der maßgebliche Leitfaden für die Anwendung von Cookies auf Websites weitgehend ignoriert. 

Fast hätte die EU

Selbst die EU war bereits einmal kurz versucht, eine Überarbeitung des bürokratischen Monsters anzugehen, um durch eine weitere Verkomplizierung "die Durch- und Umsetzung der DSGVO besser" (EU) zu machen. Das Vorhaben aber liegt auf Eis. Auch, weil immerhin ein knappes Viertel der Deutschen sich einer Umfrage des Digitalverband Bitkom zufolge überhaupt nicht an den ausführlichen Hinweisen auf die Datennutzung stört, die immer wieder auftauchen. Und nicht daran, dass sie alleweil lang bestätigt oder angepasst werden müssen.

Drei Viertel der mehr als 1.000 Befragten sind von diesen Cookie-Bannern und Tracking-Einstellungen genervt. Zwei Drittel (68 Prozent) sagen sogar, sie möchten sich damit gar nicht mehr beschäftigen. Hier finden die Internetriesen das Publikum, das alles nur noch besinnungslos wegdrückt oder gar Browsererweiterungen zu diesem Zweck nutzt. Die europäische Gemeinschaft mit ihrer überbordenden Bürokratie, ihrem Regelwust und ihren undurchschaubaren Entscheidungsprozessen zeigt sich so am Zugangspunkt zum Netz transparent wie selten: Die Menschen entscheiden sich eigenständig, alle Vorschriften zu ignorieren.

Abstand von der Zukunft

Bei rund der Hälfte der Befragten (51 Prozent) hat die EU sogar noch mehr erreicht: Sie gaben an, manche Angebote gar nicht mehr zu nutzen, weil sie "zu viele Cookies" (Bitkom) verwenden. Nur einem Drittel sind die Cookie- und Tracking-Einstellungen eigenen Angaben zufolge wichtig, weil schließlich überall auf die fürchterlichen Gefahren aufmerksam gemacht wird. Allerdings sagt ebenfalls rund ein Drittel (31 Prozent) zu den eigenen Abwägungsentscheidungen: "Ich verstehe die Einstellungen nicht". 

Der mündige EU-Bürger als Betreuungsgegenstand, fürsorglich von gesetzlichen Vorgaben umgeben, die ihn auch sein eigenes Todesurteil ungelesen abzeichnen lassen würde. Die Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer hat sich das weder gewünscht noch darum gebeten, sie hat nun allerdings auch keinerlei Möglichkeiten, die von einer selbstverliebten Bürokratie zusammen mit einem weitgehend unkontrollierten politischen Apparat erlassenen Vorschriften aufzuheben oder auch nur zu verändern. 

Hilflos ausgeliefert

Den hilflos Bemutterten bleiben drei Wege der Akzeptanz: Das Ignorieren, die Wut und die Entwicklung einer tiefen Zuneigung aufgrund des Stockholm-Syndroms. Etwa ein Drittel der Menschen entscheidet sich offenbar für diesen Weg, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Während die EU auf der einen Seite alles tut, um Anbieter zu veranlassen, einen barrierefreien Zugang zu allen Internetangeboten zu gewähren, baut sie selbst auf der anderen Seite mit Leidenschaft an Barrieren. Schon um zu verhindern, dass allzu umfänglich über die weitgehenden Pläne der Gemeinschaft zur umfassenden Kontrolle der Bewegungen der Bürgerinnen und Bürger im Netz diskutiert wird.

Die Liebe zur Unterwerfung

Was das nun für Menschen sind, die dem allem mit Liebe und Herzlichkeit begegnen, die nicht nur widerwillig mitmachen, sondern ihr Los als Cookierichtlinienopfer freudig hinnehmen, ist bisher nicht erforscht. Völlig unklar gilt in der Wissenschaft deshalb, welche Einzelschicksale dahinterstehen, wie etwa die Kindheit und Jugend der sagenhaften 24 Prozent der Internetnutzerinnen und -nutzer verlaufen ist, die nicht nur grundsätzlich und stoisch allen Cookie- bzw. Tracking-Vorgaben zustimmen, sondern dabei nicht einmal einen Hauch von Zorn, Wut und Widerstand empfinden.

Es sind sichtlich Menschen, denen nicht nur die Lust fehlt, sich damit zu beschäftigen, wie es kommen konnte, dass ihnen ein solcher Zwang auferlegt wird, sondern denen es gelingt, ein leeres Ritual ohne jeden Zweck oder Sinn noch als positiv zu empfinden. Gelänge es, herauszufinden, welche Lerninhalte, Strafen und Belobigungen zur Entwicklung solch sklavischer Charaktere führen, wäre der künftigen Lenkung und Leitung des Landes sehr geholfen. Von Kindesbeinen an könnten Nachwachsende entsprechend erzogen werden, eine Grundfolgsamkeit würde sie gegen Ideologien der Ausgrenzung und gegen innere Zweifel an Maßnahmen immunisieren.


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