Dienstag, 30. April 2024

Rebellion der Rentner: Fantastische Verschwörung

Der von der mutmaßlichen Terrorgruppe Reuß geplante Umsturz atmet mehr als nur leichte Züge von Wahnsinn.
Der von der mutmaßlichen Terrorgruppe Reuß geplante Umsturz atmet mehr als nur leichte Züge von Wahnsinn.

Sie hatten sich Flinten zugelegt, Handschellen und Helme, dazu mehr als 140.000 "Waffenteile" (DPA), mit denen beim Angriff auf den Bundestag nach den Hauswachen des Sicherheitsdienstes geworfen werden sollte. Empfohlen worden war diese Strategie wohl vom Transkommunikationsteam, einem Heiler, einer Hexe und einer Kaffeesatzleserin, auf die die Prinzen Reuß seit Hunderten von Jahren schwören.

Auf die Schliche

Nicht vorhergesehen aber hatten der Rat der Weißen der Befreiungsarmee des im Thüringer Exil lebenden Reichskanzlers in spe, dass die aktuell zuständigen deutschen Behörden den Umtrieben der reichsbürgerlichen Umsturzbewegung frühzeitig auf die Schliche kommen könnten. Zwar war die Aufstandsbewegung schon so weit gewachsen, dass in einem nächsten Schritt zumindest Heimatschutzkompanie Nummer 221 von geplanten 280 hätte beginnen können, "eigenständig" (Der Spiegel) nach jungen Leuten zum Mitreisen zu suchen. 

Insgesamt aber befand sich die "Reuß-Gruppe" (Die Zeit) wohl noch in einem frühen Stadium der Machtübernahme. Auf "Basis der Ideologie der sogenannten Reichsbürger" (Tagesschau) war ein "gewaltsamer Umsturz geplant", der 73-jährige Heinrich XIII. Prinz Reuß hatte seine "terroristische Vereinigung" gegründet und seinen Sturm auf den Reichstag geplant, an dessen Sicherung durch einen breiten und tiefen Burggraben seit dem Angriff der Impfgegner mit Deutschland-Tempo gearbeitet wird. Doch wie genau es weitergehen sollte nach der Machtergreifung und den anschließenden Erschießungen gemäß einer von der Vereinigung geführten "Feindesliste", müssen die Prozesse ermitteln, deren erster nun an historischer Stätte in Stammheim begonnen hat.

Fantasten als Gefahr

Spinner oder Staatsfeinde oder beides? Das Verfahren mit dem Aktenzeichen 3 St 2 BJs 445/23, kurz "Reichsbürgerprozess" genannt, verblüfft zum Auftakt mit Superlativen. 600 Seiten Anklage, 400.000 Blatt Beweise, 270 Polizisten als Zeugen, Verhandlungen an drei Oberlandesgerichten gegen drei Verschwörergruppen mit Namen wie "militärischer Arm" und "Rädelsführer" , Verfahrensdauer ein oder zwei oder drei Jahre, genau wird man es nachher wissen. Wie auch, ob die Fantasten um den Prinzen aus dem Seitenzweig einer erloschenen Linie eines Provinzfürstengeschlechts aus Thüringen wussten, was sie tun wollten, oder ob sie sich nur gegenseitig versicherten, dass ihr Wahn Wirklichkeit sei.

Die Geschichte der Roten Armee Fraktion, die als bisher personalstärkste, mordlustigste und ideologisch gefestigste Terrorgruppe der bundesdeutschen Historie Dutzende Menschenleben opferte, um eine bessere Welt herbeizuschießen und zu bomben, belegt die Wirkungsmacht kollektiver Halluzinationen. Mag auch alles dagegensprechen, ein fester Glaube, sorgfältig in einer überschaubaren Gruppe gepflegt, ersetzt die Realität vollständig.

Falsche Assoziationen

Wer dabei unversehens an die Katholische Kirche, die Anhänger des Kalifats oder des Veganismus, die Grünen, die Linke, die FDP oder die SPD denkt, liegt vollkommen falsch. Die gewählten Mittel zum Zweck trennen legitime Versuche der Veränderung der Gesellschaft von Angriffen "krimineller Banden" (DPA): Die einen setzen auf Geduld, den langen Marsch durch die Institutionen, der zu den Hebeln der Macht führt. Die anderen wollen die Schaltzentralen stürmen, um ein blutiges Scherbengericht über die Demokratie abzuhalten. 

Das eine ist erlaubt und immer wieder erfolgreich. Das andere ist noch nie geglückt, zieht aber gesellschaftliche Außenseiter magisch an. Auch der von der mutmaßlichen Terrorgruppe Reuß geplante Aufstand atmet mehr als nur leichte Züge von Wahnsinn. 

Die blutigen Angriffe der RAF auf den gesellschaftlichen Frieden waren noch ein "Krieg von 6 gegen 60.000.000" (Heinrich Böll), den verstehen konnte, wer die Bild-Zeitung las und zum Urteil kam, dass sie "nicht mehr kryptofaschistisch, nicht mehr faschistoid" sondern "nackter Faschismus" mit "Verhetzung, Lüge, Dreck" war. Doch ein halbes Jahrhundert danach geht es nicht mehr um die Rebellion junger Leute, die sich erstmal die Hörner abstoßen müssen, sondern um einen Aufstand alter Männer und Frauen, denen die "ganze Richtung" nicht passt (Christian Daniel Schubart).

Opfer von Kleinkrimineller

Unter der Fahne von Esoterik und Aberglauben, angeführt von einem Rat aus renitenten Rentnern, die sich von einer Hofastrologin und einem "Seher" beraten und von Schweizer Kleinkriminellen um sechsstellige Summen bringen ließen, zeigt sich die mutmaßliche Terrorgruppe schon am Anfang des größten Prozesses, der in Deutschland jemals gegen die Planer eines Staatsstreiches durchgeführt wurde, als wirrer Verein von Fantasten. Drei Dutzend Leute, beseelt von "einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen und Erzählungen der Reichsbürger sowie der QAnon-Ideologie" (Die Welt) wollten die Machtfrage stellen, bewaffnet mit "Neun-Millimeter-Pistolen" (DPA), Vorderladern und Flinten nebst "350 Hieb- und Stichwaffen" (Tagesschau), nicht zu vergessen auch "Elektroschocker, Gefechtshelme und Nachtsichtgeräte". 

Ein Staat, der solche Feinde fürchten muss, hat ganz andere Probleme.


8 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Warum posiert der Volksstürmer mit einen Sichtschutz in Kindergröße auf dem Helm?

Anonym hat gesagt…

Am Ende wollen die Spötter aus der Deckung locken?* Zum Registrieren, Katalogisieren, späterem Eliminieren? Nur, weil ich nicht paranoid bin, heißt noch lange nicht, dass sie nicht hinter mir her sind.
*Hatte doch Pepi Goebbels Anfang 1934 einmal neckisch gucken lassen, dass die Schriftsteller und Journalunken nicht so zimperlich sein sollen, sondern etwas kühner in ihren Äußerungen werden mögen. Ehm Welk hatte sich mit feinem Witz dazu geäußert - wurde gleich ins Loch gesteckt ...

ppq hat gesagt…

@anmerkung: das heißt "swagness" soweit ich weiß

Volker hat gesagt…

"*Hatte doch Pepi Goebbels Anfang 1934 einmal neckisch gucken lassen, dass die Schriftsteller und Journalunken nicht so zimperlich sein sollen, sondern etwas kühner in ihren Äußerungen werden mögen. Ehm Welk hatte sich mit feinem Witz dazu geäußert - wurde gleich ins Loch gesteckt ..."

Sieh mal an. Dann ist das also gar nicht auf Maos Mist gewachsen

Arminius hat gesagt…

Ich werde heute abend in meiner Doppelkopprunde klären, wie wir am besten an Habeck rankommen. Und dann schalten wir alle Atomkraftwerke wieder an!

Anonym hat gesagt…

Diesen "Witz" gab es schonmal mit/ über Lauterbach. Bis auf die, die den "Witz" gemacht haben, lachen die Protagonisten immer noch.

PS: Die NSA weiß, wo Sie wohnen. "Tipp eines befreundeten Geheimdiensts" usw. usf.

Anonym hat gesagt…

Keynes war nach dem Ersten Weltkrieg als Vertreter des britischen Schatzamtes Mitglied der britischen Delegation bei den Versailler Vertragsverhandlungen. Er trat kurz vor Abschluss der Verhandlungen unter Protest gegen die Vertragsbedingungen, die Deutschland auferlegt werden sollten, von seinem Posten in der Delegation zurück und schrieb 1919 das Aufsehen erregende Buch Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages (The Economic Consequences of the Peace), mit dem er die Deutschland auferlegten Reparationszahlungen als ökonomisch widersinnig kritisierte.

Siehe auch die Rakowski-Protokolle.
Es setzt ein gesundes Maß an Unvorhergenommenheit voraus: Mit dem Versailler Diktat haben sich die Franzosen und auch die Engländer ökonomisch selber ins Knie ge ...bissen.
Warum aber dieses, erfordert, nach den heutigen Maßstäben, ungewöhnliche Gedankengänge.

Anonym hat gesagt…

Da wäre auch noch der Neiding Chlodwig der Erste gewesen: Als er schon fast alle auch nur andeutungsweise potentiellen Konkurrenten über Eck gebracht hatte, jammerte er herum, er stünde nun ganz alleine da, ohne Verwandte, buhu, ob denn gar niemand sein Freund sein wolle ...