Donnerstag, 23. Mai 2024

Gespaltene Gemeinschaft: Wie die EU mit vielen Stimmen schweigt

Aufstand der ewigen Opfer: Seit es Palästinenser gibt, haben sie es besonders schwer.

Josep Borrell wusste längst Bescheid. Der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik der EU ließ die Katze schon vor Wochen aus dem Sack. "Mehrere Länder werden den palästinensischen Staat am 21. Mai anerkennen", verkündete der Spanier, was ihm der spanische Außenminister José Manuel Albares verraten hatte. Nun wechselt auch noch Irland auf die Seite der EU-Staaten, die im zur Hälfte von der Hamas kontrollierten Palästinensergebiet ein reguläres Völkerrechtssubjekt erkennen.  

Alle für Anerkennung

Zuvor hatten Tschechien und die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Polen und Schweden sich entschlossen, nicht mehr auf eine gemeinsame Lösung der 27 Wertepartner zu warten. Sondern im Alleingang, einer nach dem anderen, auf ein Angebot des EU-Parlaments vom Dezember 2014 einzugehen, das damals erklärt hatte, die Anerkennung durch Mitgliedsstaaten "in Verbindung mit fortgesetzten Friedensverhandlungen" zu unterstützen.

Damit steht es neuerdings 19:8 und die EU zeigt sich einmal mehr als tief gespaltene Gemeinschaft. Die deutsche Regierung versicherte sofort, dass sie nicht plane, dem Lager der Anerkenner beizutreten. Man setze auf "diplomatisches Geschick und viel Zeit". Die EU-Kommission, unfähig, ihren Laden zusammenzuhalten, kommentierte der Coup der Spanier und Iren nicht. Josep Borrell, der sich am liebsten als "Außenminister" (Bundeszentrale für politische Bildung) bezeichnen lässt, schwieg. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte noch weniger.

Jeder Satz ist falsch


Jeder Satz könnte nur falsch sein. Und die Geschichte zeigt: Eine EU kann mit vielen Stimmen sprechen, ohne etwas zu sagen. Als eine Fraktion aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Österreich, Schweden, Griechenland und Dänemark sich vor fünf Jahren nach den Parlamentswahlen in Venezuela entschloss, den unterlegenen Oppositionskandidaten Juan Guaidó als neuen Präsidenten anzuerkennen, folgten die übrigen EU-Staaten nicht, obwohl auch das nicht zuständige EU-Parlament sich für Guaidó ausgeprochen hatte

Nicolás Maduro blieb an der Macht. Die EU erkannte dem Kurzzeitpräsidenten schließlich die Anerkennung wieder ab. Auch die Bundesregierung knickte ein und entzog ihrem Mann in Caracas die Unterstützung, allerdings deutlich leiser, als sie ihn zuvor zum legitimen Präsidenten gemacht hatte. Die Blamage konnte so auf die übliche Weise in Grenzen gehalten werden: Man spricht nicht mehr über seine schiefgegangenen Heldentaten.

Vergessene Heldentaten

Mag sein, dass die Erinnerung an die sogenannte Venezuela-Pleite die Bundesregierung davon abhält, auf die starken Stimmen im eigenen Lager zu hören, die als Belohnung der - in der EU seit kurzem verbotenen - Hamas für die Massaker vom 7. Oktober eine Anerkennung der Mörderbande als Regierung eines legitimen Landes fordern. Der Sozialismus-Influencer Ralf Stegner hat sich für die Idee starkgemacht, Israel fallen zu lassen. Seine Genossin Isabel Cademartori, Enkelin eines chilenischen Kommunisten, hat auf die stets "offene Haltung" der deutschen Sozialdemokratie in Fragen der Moral hingewiesen: "Die Anerkennung Palästinas kann ein wichtiger erster Schritt Richtung einer dauerhaften politischen Lösung des Nahostkonflikts sein".

Es wäre nicht mehr als eine Rückkehr zum Status Quo, den die Übernahme der Gebiete der ehemaligen DDR durch den Geltungsbereich des Grundgesetzes im Herbst 1990 beendet hatte. Die DDR, ebenso wie die Linke im Westen fasziniert vom arabischen Traum einer Vernichtung aller Juden, hatte die demonstrativ "Staat Palästina" (Daulat Filasṭīn) genannte Fiktion bereits im November 1988 anerkannt. Nicht ohne Stolz, denn nicht zuletzt die DDR hatte Terrorgruppen wie den Schwarzen September mit Waffen versorgt und verletzte Kämpfer aufopferungsvoll für neue Einsätze und Anschläge gesund gepflegt.

Nebbich, denn das größere Deutschland bestimmte. Die Phalanx der Freunde des palästinensischen Aufstandes sahen die im ehemaligen britischen Mandatsgebiet lebenden Araber mittlerweile als von Israel kolonisiertes Volk, dem volle Soli zu gelten hat, so lange es mit Bomben, Morden und Entführungen um seine Anerkennung als ganz normales Land unter allen anderen kämpft. Der Schatten jener anderen Vergangenheit aber, von Angela Merkel schließlich zur "Staatsräson" ausgerufen, hinderte bisher sämtliche Bundesregierungen daran, aus den eigenen Überzeugungen symbolische Entscheidungen zu machen. 

Staatsempfang für Massenmörder 

Man freute sich mit dem Massenmörder Jassir Arafat über dessen Erfolge. Man vermied es, die Hamas wegen ihrer offen bekundeten Absichten zur Vernichtung aller Juden und der ständigen Raketenangriffe auf Israel als Terrororganisation einzustufen, etwa vergleichbar der "Gruppe Reuß". Und man empfing seinen diktatorisch herrschenden Nachfolger Mahmud Abbas wie einen Staatschef, der dann auf offener Bühne in Gegenwart des verschreckt schweigenden deutschen Bundeskanzlers von einem "Holocaust" an den Palästinensern schwadronieren durfte. 

Die "volle Solidarität" mit Israel, sie ist in Europa auch eine volle Solidarität mit den Palästinensern, die, seit es sie gibt, mehr zu leiden haben als jedes andere Volk, das sich ganz und gar von Hilfsleistungen der Weltgemeinschaft ernährt, kleidet und mit Waffen ausrüstet. Mag die EU auch gespalten wirken in ihrer Position zur Frage der Anerkennung eines Staates Palästina, nur weil der weder der staatlichen Aufgabe nachkommt, die Freiheit der Einzelnen zu schützen noch dem Gemeinwohl dienende Interessen verfolgt, so ist das doch Basis der Grundlage der außenpolitischen Erfolge der Gemeinschaft. Wer immer auch kommt, sie ist schon da.



2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Stegner ist der 1000. Beweis, dass Sozialismus nicht funktioniert.

irgendwer hat gesagt…

Alle wollen "GenschMan" sein, doch es gibt nur einen GenschMan.

(https://www.sueddeutsche.de/politik/slowenien-und-kroation-20-jahre-unabhaengigkeit-genschers-alleingang-1.1112330)