Montag, 19. Mai 2025

Industrieausstieg: Das Reich der armen Zwerge

Degrowth Europa  Schornstein
Der Ofen geht aus: Auch unter der neuen Bundesregierung hält Deutschland Kurs auf den Energieausstieg, nur der Zeitplan wird vielleicht noch einmal gestreckt.

Anderswo machen sie weiter, als gäbe es keine Klimakatastrophe. Anderswo wird der Götze Wachstum angebetet, das Goldene Kalb des vermeintlichen "Wohlstands" als heilige Kuh aller Anstrengungen gehätschelt und getätschelt. Die Menschheit, so zeigen es neue Zahlen der Wirtschaftsberatungsgesellschaft EY, befindet sich weiterhin auf einem Irrweg ins endgültige Aus durch Erderhitzung, das Ende der Rohstoffressourcen und die bittere Pille einer selbstverschuldeten falschen Marschrichtung hin zu immer mehr moderner Technologie, die immer energieintensiver an den begrenzten Vorräten des Planeten rüttelt.  

Deutsche Führung

Allein Europa, angeführt von Deutschland, hat die Zeichen der Zeit wenigstens im Ansatz verstanden: Gerade erst meldete das Umweltbundesamt erste Erfolge von Energieausstieg und Rückbau der Industrie. Durch eine inzwischen im dritten Jahr anhaltende Schrumpfung der Wirtschaft sanken die Treibhausgasemissionen in Deutschland sanken im vergangenen Jahr um beachtliche 3,4 Prozent. Die von Restindustrie, Verkehr und Haushalten noch ausgestoßenen 649 Millionen Tonnen Kohlendioxid liegen unter der vom Gesetzgeber erlaubten Emissionsmenge von 693,4 Millionen Tonnen. 

Zwar bedeuten die neuen Zahlen eine deutliche Steigerung zum Jahr davor. 2023 hatte Deutschland seinen Treibhausgas-Fußabdruck bereits auf 598 Millionen Tonnen reduzieren können. Doch trotz des Anstieges um 8,5 Prozent in nur einem Jahr bleibe eine deutschliche Unterschreitung. Damit behalte das immer noch größte Industrieland der Europäischen Union sein Reduktionsziel für 2030 "in greifbarer Nähe". Voraussetzung, auf Kurs zu bleiben, sei allerdings die "konsequente Umsetzung geltender klimapolitischer Instrumente".

Andauernder Abstieg

Die Chancen stehen gut, dass das gelingt, denn der Rückbau der klimaschädlichen industriellen Basis ist weiterhin auf einem guten Weg. Nach einer neuen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY verlieren Europas Topkonzerne im Vergleich zur Konkurrenz in den USA und Asien noch schneller als in den zurückliegenden Jahrzehnten an Marktanteilen, Finanzstärke, Umsatz und Bedeutung. Fanden sich unter den Top-100 der globalen Großkonzerne mit Daimler, Volkswagen, Siemens, der Deutschen Telekom, Eon, BMW, Deutscher Post, Deutscher Bank und der Allianz vor 20 Jahren noch zehn deutsche Unternehmen, sind es heute mit SPD und Siemens noch zwei. 

Ganz EU-Europa kommt im Jahr fünf nach dem Erreichen des Zieljahres zur Umsetzung der Lissabon-Strategie auf 13 globale Giganten - drei weniger als sich aus den Vereinigten Staaten unter den Top-20 platzieren können. Selbst dem früheren Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" bleibt "der Abstieg der deutschen Konzerne in der Weltrangliste" (Spiegel) nicht mehr verborgen. 

"Während Deutschland früher viele starke Konzerne in den Top-100 hatte, ist die Anzahl dieser Unternehmen stark geschrumpft" beklagt das Blatt aus Hamburg. Gemessen an den Schwergewichten aus den USA und Asien hätten "Europas Großkonzerne das Nachsehen". Und deutsche Unternehmen schnitten bei Umsatz und Gewinn sogar besonders schlecht ab. 

Der kranke Mann

Es ist unverkennbar das alte Lied vom kranken Mann Europas, ja, der Welt, das da angestimmt wird. Als werde nachhaltiger Klimawohlstand dadurch geschaffen, dass die größten Konzerne aus Europa die aus den USA und Asien bei Umsatz und Gewinn abhängen, richtet sich der Blick ausschließlich auf Umsatzzahlen. Unter den 1000 umsatzstärksten Börsenunternehmen hätten die Topfirmen aus den Vereinigten Staaten ihren Absatz 2024 um durchschnittlich 4,5 Prozent gesteigert, die aus Asien ihren um immerhin noch 3,2 Prozent. Europas Großunternehmen verzeichneten dagegen ein Minus von 1,1 Prozent. 

Zuletzt hatte die Politik beschlossen, den größten unter ihnen den Beinamen "nationaler Champion" zu verleihen, um sie über ihren internationalen Bedeutungsverlust hinwegzutrösten. Der Gewinnentwicklung hat das kaum geholfen: Während asiatische Konzerne ihr operatives Ergebnis der Studie zufolge um fast ein Fünftel (19,5 Prozent) steigerten und die Unternehmen aus den USA ein Gewinnplus von 8,2 Prozent melden konnten, sanken die Gewinne der kleinen Großkonzerne aus Europa im Durchschnitt um 6,5 Prozent. Deutsche Konzerne lagen noch darüber, das heißt darunter: Ihr Umsatz ging um 3,1 Prozent zurück, ihr Gewinn sank um 8,5 Prozent.

Im Dienst der Zukunft

Notorische Wachstumsverfechter sehen schon die Welt untergehen, zumindest die alte Welt in Europa. "Die Lage ist wirklich ernst und spitzt sich aktuell weiter zu", lässt der "Spiegel" einen vermeintlichen Experten sagen. Doch die Wahrheit sieht natürlich anders aus. Europa, angeführt von Deutschland, ist nicht etwa in der "Defensive", wie ein Mitarbeiter der nach dem Wirecard-Skandal in "EY" umbenannten Wirtschaftsprüfungsagentur Ernst & Young es nennen darf. Sondern ganz vorn und genau dort, wo Konzepte von Postwachstum und Degrowth im Dienst der Zukunft umgesetzt werden.

Wer früher stirbt, ist länger tot, und wer eher schrumpft, hat schneller fertig. Mit großem Vorsprung marschieren Deutschland und Europa beim Gang in die klimaneutrale Gesellschaft voran. Mit einer schier "übermenschlichen Leistung", wie es seine Nachfolgerin Katherina Reiche genannt hat, brachte Klimawirtschaftsminister Robert Habeck das Schiff auf Kurs. Auch unter der stockkonservativen Regierung von Friedrich Merz droht kein plötzlicher Rechtsschwenk hin zu Positionen, wie sie die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritannien und Belgien vertreten.

Energieausstieg statt Klimageld

Auch unter Schwarz-Rot bleibt es beim Energieausstieg, nur die Zeitschiene bis zum endgültigen Erreichen der Klimaziele wird wahrscheinlich noch ein weiteres Mal gestreckt. Merz verfolgt ersten Ankündigungen einen komplizierten Plan, der sinkende Energiepreise nutzen soll, um Energie noch schneller für alle noch teurer zu machen. Das von der Ampel-Regierung versprochene "Klimageld", dessen Auszahlung noch kurz vor Weihnachten fast unmittelbar bevorstand, hatte Merz seinen Wählerinnen und Wählern eigens dazu kurz vor der Bundestagswahl noch einmal ausdrücklich zugesagt

Inzwischen aber gilt die Rückzahlung der rund 18,5 Milliarden Einnahmen aus der CO2-Steuer als unmöglich - die Haushaltslage erlaubt es einfach nicht, weil die Steuereinnahmen nicht sprudeln wie geplant. Schuld sind die Großkonzerne, die es nicht mehr gibt, und die Uneinsichtigkeit der Bürger, sich in die unabdingbaren Notwendigkeiten zu schicken. 


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das darf aber nicht dazu führen, dass es bei den Steuern und bei der Förderung von allerlei Förderwürdigem stockt. Das hat man aber im Blick.

OT wie ich den Leserbriefseiten bei Zeller entnehmen, wurde der CSD Gelsenkirchen wegen einer abstrakten Bedrohungslage abgesagt.
Ich weiß nicht, was witziger ist: Dass er abgesagt wurde oder dass man die Bedrohungslage 'abstrakt' nennt.