Dienstag, 17. Juni 2025

Einheitspartei: Sozialismus aus einer Hand

Grüne SPD Fusion Niederlande
Frans Timmermanns (r.) ist der neue starke Mann in der schwachen neuen fusionierten Partei aus Grünen und Sozialdemokraten in den Niederlanden.

Die Unterschiede waren schon marginal, die gemeinsame Bedeutung nur noch ein Hauch derer, die die Sozialdemokraten und die Grüne in den Niederlanden einst besessen hatten. GroenLinks und Partei der Arbeit kamen bei der letzten Wahl noch auf 15 Prozent der Stimmen, nahezu zwei Drittel davon steuerten die Grünen bei.  

Die Partij van de Arbeid (PvdA), geführt vom langjährigen EU-Kommissar Frans Timmermans, ist seitdem der kleinere Knabe in der Fraktionsgemeinschaft. Jetzt gehen die beiden Parteien den letzten Schritt: Sozialdemokraten und Grüne in den Niederlanden schließen sich zu einer neuen Partei zusammen. Nach der Fusion wollen sie sozialistische Angebote aus einer Hand machen.

Der endlose Niedergang 

Ein leises, langsames Ende nach mehr als 120 Jahren. Der Verfall der Sozialdemokratie in den Niederlanden ging tatsächlich noch rascher vonstatten und er hatte dramatischere Auswirkungen als in Deutschland. Immer wieder regierte die streng sozialistische SPD im Nachbarland mit. Immer mehr verlor sie dabei an politischem Kapital, an Glaubwürdigkeit und am Vermögen, einzusehen, woran es liegt. 

Dass Timmermanns, der bei der EU-Wahl 2018 noch versucht hatte, EU-Kommissionspräsident zu werden, nach Amsterdam zurückkehrte, war ein letztes Alarmsignal, wie schlimm es um die Partei steht, die ihre Wurzeln in der 1894 gegründeten Sociaal-Democratische Arbeiderspartij sieht. Mit Mitte 60 hatte der Niederländer noch alle Chancen auf ein strahlendes Ende seiner Brüsseler Karriere. Wenn Ursula von der Leyen in vier Jahren abtritt, wäre der Mann aus Maastricht genau im richtigen Alter, um als Nachfolger einzuspringen. 

Fehlendes Fachpersonal 

Doch längst ist das demokratische Personal in der Gemeinschaft so knapp, dass die wenigen verlässlichen Kader vom Format eines Jens Stoltenberg, Mark Rutte, Christine Lagarde, Ursula von der Leyen und eben Frans Timmermanns jeweils dort eingesetzt werden müssen, wo die Not am größten ist. Es geht hier weniger um einen Fachkräftemangel als um ideologische Klarheit. Wer steht wo. Which side are you on? Sag mir, wo Du stehst! Mit dem Luxemburger Nicolas Schmit hatten Europas Sozialdemokraten bei der EU-Wahl im vergangenen Jahr einen alten Kämpen aus dem Breschnew-Zeitalter aufgeboten, der die Bürger mit Aufbruchsignalen überzeugen sollte. Es wurde ein Desaster.

Allerdings kam auch Timmermanns, der frühere Kommissar für Klimaschutz, als geschlagener Mann mit einem Koffer voller gebrochener Versprechen nach Hause. Als er im Dezember 2014 ins Amt gerutscht war, hatte Timmermans angekündigt, dass die EU-Kommission sich von nun an auf die wesentlichsten Aufgaben Europas konzentrieren wolle. Er strich kurzerhand 83 Gesetzesinitiativen, oder zumindest kündigte er an, sie streichen zu wollen, weil übergriffige Ideen wie die Öko-Design"-Richtlinie als bürokratische Monster galten und die 440 Millionen EU-Bürger kopfschütteln und schimpfen ließen.

"Aber wir machen es nicht" 

Doch Sozialdemokratie ist eben immer auch ein anderes Wort für "Wir haben es gesagt, aber wir machen es nicht". Die EU-Öko-Design-Richtlinie wurde keineswegs eingefroren,  das Glühlampenverbot kam ebenso wie die Verfügung, dass Staubsauger nicht mehr saugen dürfen und Flaschendeckel festgeschweißt sein müssen.  Fest verankert in der DNA aller progressiven Parteien ist die Urüberzeugung, dass das eigene Politbüro am besten wisse, was die Menschen tun und lassen, wonach sie streben und wie viel Freiheit ihnen zugestanden werden sollte. 

An Beliebtheit beim Wähler zu verlieren, ist für Sozialdemokraten, Sozialisten und grüne Linke verschmerzbar, denn sie sehen sich in keiner anderen Rolle als die frühen Christen. Man wird verlacht und verhöhnt und geschmäht, weiß aber, dass man selbst doch als einziger richtig liegt und alle anderen das eines Tages auch verstehen werden, wenn man es ihnen nun geduldig genug erklärt.

Weit weg von der Wirklichkeit 

Frans Timmermanns hat es versucht, aber auch er ist gescheitert. Viel mehr als den Absturz in der Beliebtheit bei den Wählerinnen und Wähler zu bremsen, konnte der letzte bekannte PvdA-Politiker nicht erreichen. Zu weit weg von der Lebenswirklichkeit der Holländer sind die Angebote der früheren Volkspartei, die vor 30 Jahren noch angekündigt hatte, ihre "ideologischen Federn" abschütteln zu wollen. Stattdessen aber nutzte sie wie ihre deutsche Schwesterpartei weiterhin die alten, auf Klassengegensätzen basierenden Parolen: Gegen die Reichen, gegen den Individualismus, gegen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. 

In einer Gesellschaft wie der niederländischen, in der sich die Mehrzahl der Menschen schon irgendwie als Angehörige des Mittelstandes definiert, kommt das nicht gut an. Zumal die Timmermanns-Partei parallel versuchte, an den Rändern nach Zustimmung zu fischen. Sie war zu rechts und zu links zugleich, ihre Zielgruppe, auch das erinnert an deutsche Verhältnisse, gibt es nicht mehr. Die Einsicht der Vordenker in der Partei, die eigene Auslage entsprechend neu zu gestalten, gibt es noch nicht.

Blick aus den Kaderschmieden

So schwierig wäre es gar nicht. Die Kinder aus der früheren Arbeiterklasse sind sozial aufgestiegen. Und die, die es nicht geschafft haben, wollen das nicht von Frauen und Männern vorgehalten bekommen, die außerhalb der Kaderaufzuchtanstalten der Partei noch keinen Tag erlebt haben. Auch Frans Timmermanns kommt diesem Bild recht nahe: Der Diplomatensohn diente anfangs als Gehilfe eines EU-Kommissars, dann als Assistent eines Parteigranden, er wurde Abgeordneter in niederländischen Parlament, dann  Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, dann Außenminister und endlich EU-Kommissar und Vize-Chef der Kommission.

Kontakt zur Außenwelt ist da selten. Kaum jemals wird das Verwaltungswirken aus den heiligen Hallen der Kommission mit den Folgen der eigenen Verfügungen konfrontiert. Dass Sozialdemokraten generell Themen meiden, zu denen ihnen keine sozialistischen Antworten einfallen, hilft auch nicht bei der Popularisierung sozialdemokratischer Wahlprogramme. Im Unterschied zur Zeit vor 100 Jahren können viele aus der Zielgruppe nicht nur lesen, sondern verstehend lesen. Sie bemerken die Leerstellen, die Leerformeln, das trickbetrügerische Drumherumreden. Und reagieren allergisch auf den Versuch, sie für dumm zu verkaufen.

Hauptsache weg 

Die einen wandern nach rechts, die anderen dorthin, wo dieselben Zusagen moderner klingen. GroenLinks, vor 35 Jahren durch eine Fusion der moskautreuen Kommunistischen Partei der Niederlande, der Pazifistischen Sozialisten, der Christlichen Linken und der kurzlebigen linken Kleinstpartei der evangelischen Bergprediger entstanden, hat die alte Sozialdemokratie in der Beliebtheit überflügelt. 

Doch ihre Perspektiven sehen kaum besser aus. Gefangen im Ghetto der Zustimmung, die sich auf das ideologisch gestählte Beamtentum, Studenten, Staatsangestellte und von der Furcht vor dem Weltuntergang beseelte Verschwörungstheoretiker beschränkt, dümpelt die Partei seit 35 Jahren bei Wahlergebnissen zwischen vier und neun Prozent

Trübe Aussichten 

Aussicht auf Macht null, Aussicht auf Machtteilhabe nur wenig größer. Mehr noch als Deutschland, dessen Bürgerinnen und Bürgern eine Liebe zum Kollektivismus seit dem Kaiserreich in den Knochen steckt, sind die Niederländer Individualisten, die zentrale sozialdemokratische Werte wie Kollektivgeist, Solidarität und soziale Sicherheit mit Sympathie betrachten, selbst aber individuelle Verantwortung und persönliche Entscheidungen bevorzugen. 

Die Ergänzung des sozialistischen Betreuungsangebotes der Arbeiterpartei um die von GroenLinks angebotenen Schwerpunkte Klimaschutz, nachhaltige Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Stärkung der Europäischen Union macht es kaum reizvoller, die Kombination zu wählen.

Aber wenigstens numerisch sieht sie stärker aus. Seit der letzten wahl bezeichnet sich das rotgrüne Fraktionsbündnis als zweitstärkste Kraft in der niederländischen Politik. Nur der rechte Populiste Geert Wilders hat mit seiner PVV mehr Mandate - und das, obwohl Rot und Grün zusammen im Vergleich zur Wahl 2017 fast die Hälfte ihrer Wähler verloren haben. 

Die Fusion als Konsequenz 

Eine Fusion ist da nur konsequent. Sie kann die unausweichliche Entscheidung darüber weiter verzögern, was schon so lange schiefläuft, dass die vom Parteiapparat produzierten Programme immer weniger Anklang finden. Sie kann zwei schwachen Parteien die Fassade einer erfolgreichen Volkspartei vorhängenbleiben, die es schafft, die Lücke zwischen den Rechtspopulisten, Neoliberalen, Konservativen und radikalen Linken zu füllen, ohne sich selbst in irgendeiner Weise um innere Reformen zu bemühen. 

Der Sozialismus ist und bleibt das Ideal beider Fusionspartner, der eine zentrale gemeinsame Nenner, um den die bunte Borte aus "ideologischen Federn" Marke Klimaschutz, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Vielfalt gestrickt ist. Nach beider Vorstellung wird der neue Sozialismus kein proletarischer sein, wie er im Ostblock so dramatisch gescheiert ist, sondern ein von oben verordneter Staatssozialimus mit demokratischem Gesicht, hübsch wohlstandswahrend unter Berücksichtigung einer planwirtschaftlichen Verteilungsgerichtigkeit, für deren Ausgewogenheit die Partei mit allen ihren Funktionären einsteht. 

Ein Vorbild für Deutschland 

Ein Modell, das Schule machen könnte in Deutschland. Hier steht die Sozialdemokratie vor denselben Fragen, hier mangelt es auch den Grünen an überzeugendem Personal und populären Inhalten. Auf die Fragen der Zeit fehlen nicht die Antworten, aber der Mut, sie zu geben. Bei Wahlen fehlen infolgedessen die Wähler, gerade die jungen. In den Niederlanden hatten Rot und Grün im Parlament bereits in einer gemeinsamen Fraktion Opposition gemacht. Der Zusammenschluss zu einer Einheitspartei, deren Name später gefunden werden soll, erscheint nur folgerichtig. 

Auch den Mitgliedern beider Parteien. Die stimmten nach Angaben der Parteivorsitzenden mit großer Mehrheit zu. Bei GroenLinks waren 89 Prozent dafür, bei den Sozialdemokratien waren es 88 Prozent. Zur nächsten, wieder einmal vorgezogenen Parlamentswahl am 29. Oktober treten beide noch als Listenverbindung an, vermutlich wieder mit dem früheren EU-Kommissar Timmermans als Spitzenkandidat. Die Fusion wird dann im kommenden Jahr vollzogen. Aus den Resten zweier kleiner Parteien entsteht dann eine größere Kleine, die das gesamte Fortschrittspaket aus einer Hand bietet.

Eine sozialdemokratsiche Partei gäbe es dann nicht mehr in den Niederlanden. Aber eine Socialistische Eenheidspartij van Groen Nederland wäre ein schöne Nachfolger.


Keine Kommentare: