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Ehe Richter in Karlsruhe urteilen können, müssen Politiker in Berlin ein "traditionell nach Proporz" gestaltetes Verfahren betreiben. Abb: Kümram, Öl auf Hartfaser |
Wie es genau passiert, weiß draußen im Lande niemand. Wohlweislich haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes einst nur bestimmt, dass offene Richterstellen am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe je zur Hälfte durch den Bundestag und den Bundesrat zu besetzen seien.
Jeder Richter, der vorgeschlagen wird, braucht eine Zweidrittelmehrheit, die Vorschläge kommen aus einem Wahlausschuss des Bundestages. Wer heute hundert Deutsche nach ihrer Theorie befragt, wie die wichtigsten Hüter der Grundrechte nach Baden geraten, wird hundert Vermutungen hören. Und allenfalls zwei, drei richtige Tipps zu hören bekommen.
Prozedere im Hinterzimmer
Mehr als sieben Jahrzehnte ging nach diesem nicht näher ausgestalteten Prozedere alles weitgehend unfallfrei über die Bühne. Anfangs waren es nur CDU, CSU, FDP und SPD, die Richter vorschlagen durften. Immer abwechselnd, darauf hatte man sich geeinigt. Mehr Parteien wurden nicht gebraucht, um Kandidaten durchzubringen, auf die man sich im berühmten "Hinterzimmer" (Sigmar Gabriel) vorab geeinigt hatte. Wählst Du diesmal meinen mit, wähle ich nächstes Mal Deinen. Einfacher geht es kaum.
Später schafften es auch die Grünen auf die Besetzungscouch. Nachdem sie immer wieder mal in diesem oder jenem Bundesland mitregieren, ließ es sich nicht mehr vermeiden, sie zu beteiligen. Im Bundesrat ist eine Zweidrittelmehrheit für jede Besetzung erforderlich, die Union, FDP und SPD konnten nicht mehr sicher sein, sie sicher zu haben.
Besetzungsformel 3-3-1-1
Unauffällig und rein informell - es geht hier nur um die Vergabe der Jobs, deren Inhaber über die Einhaltung der Verfassung wachen - einigten sich die deutschen Dauerregierungsparteien auf einen neuen Verteilungsschlüssel, der nirgendwo niedergeschrieben ist, aber respektiert wird. Die Besetzungsformel Union / SPD / Union / SPD / Union / SPD / Grüne / FDP bestimmt, dass für je drei Richter, die Union und SPD aussuchen, einmal auch die Grünen und die FDP einen Richter aussuchen dürfen, dem die anderen dann ihr Plazet geben, um dafür zu sorgen, dass ihre Kandidaten deren Stimmen bekommen.
Das ist noch immer gut gegangen. Selbst ernsthafte Adressen bezeichnen das institutionalisierte Kungelverfahren vor Verfassungsrichter-Wahlen als eines, bei dem "die Vorschlagsrechte traditionell nach Proporz unter den Parteien verteilt werden, die für eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt werden". Handverlesene Christdemokraten wie Stephan Harbarth und Peter Müller reisten mit einem fast noch warmen Bundestagsmandat nach Karlsruhe, um dort über Gesetze zu befinden, die sie als Abgeordnete selbst mit beschlossen hatten.
Die gesamte Hinterzimmerkoalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen hatte den Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt, den Obmann der CDU im Rechts- und Verbraucher-Ausschuss des Bundestages, dessen Kanzlei den VW-Konzern in der Abgasaffäre vertrat, nicht nur als einfachen Verfassungsrichter ans höchste deutsche Gericht zu entsenden. Sondern ihn, nach einer angemessenen Anstandspause, zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu machen.
Besetzende und Besetzer an einem Tisch
Harbarth, "einer der größten Raffkes im Bundestag", wie ihn der "Stern" einmal nannte, war womöglich wirklich ein "ausgewiesener Parteipolitiker", wie die Taz nörgelte, noch dazu einer, der nie im Justizdienst stand. Doch er bewährte sich. Die Gipfeltreffen der Verfassungsorgane gingen weiter, von einem Tisch getrennt, aber in der Sache einig. Um die "Krise als Motor der Staatsmodernisierung" ging es beim letzten Mal, der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) trug vor. Dass aus all dem nichts werden konnte und geworden ist, dafür konnten weder der Redner noch seine Zuhörer.
Mit Günter Spinner, Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold sind nun wieder neue Verfassungsrichter bereit, längst vakante Plätze zu übernehmen, die wegen des abrupten Endes der Ampel nur noch notbesetzt sind. Spinner wird von der CDU/CSU vorgeschlagen, die beiden Damen von der SPD.
Das Auswahlverfahren unterscheidet sich diametral etwa von dem in Polen üblichen europarechtswidrigen Berufungsweg, aber auch den dort zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit geplanten Reformen. Die sehen vor, dass Kandidaten für die höchsten Richterposten abgelehnt werden, wenn sie in den vorangegangenen vier Jahren der Regierung oder einer Partei angehört haben oder als Abgeordnete, Senatoren oder Mitglieder des EU-Parlaments tätig gewesen sind.
Ordentliche Westdeutsche
Waren weder Spinner noch Brosius-Gersdorf noch Kaufhold. Alle drei sind ordentliche Westdeutsche, so dass die Ostdeutschenquote unter den 16 Karlsruher Richterinnen und Richtern stabil bei 6,25 Prozent bleibt. Alle drei werden sicher gewählt, nachdem sich die Union bereiterklärt hat, ihren ursprünglichen Wunschkandidaten Robert Seegmüller aus Rücksicht auf die SPD und die Grünen zurückzuziehen und zum Ausgleich die in den eigenen Reihen umstrittene Frauke Brosius-Gersdorf widerstandslos durchzuwinken.
Das System zeigt sich wasserdicht und europarechtlich unbedenklich, es atmet die frische Luft des gegenseitigen Respekts und da formal nicht die Exekutive über die Richter bestimmt, die berufen werden, um über ihr Handeln zu richten, sondern Parlamente das tun, ist auch demokratietheoretisch alles bestens. Es ist kein Wahljahr, auch nicht im Osten. Nicht einmal die folkloristische Diskussion über die Notwendigkeit, einen zweiten Ostdeutschen nach Karlsruhe zu schicken, muss geführt werden.
"Traditionell nach Proporz"
Dafür aber die, ob das "traditionell nach Proporz" (LTO) verteilte Teilhaberecht diesmal für eine Zwei-Drittel-Mehrheit ausreichen wird. Brosius-Gersdorf gilt in Teilen der Union als juristische Aktivistin, deren Absicht es sei, den eben glücklich halbwegs beendeten Marsch nach links in der Robe eines Verfassungsrichtenden fortzusetzen. Andere bis hin in die CSU verweisen auf die Notwendigkeit, die Kröte zu schlucken, um die "Handlungsfähigkeit unserer Demokratie" zu gewährleisten. Egal was, es muss. Egal wer, Hauptsache jemand.
Auch so wird es in jedem Fall dünn. Selbst wenn CDU, CSU und SPD sich einig werden, reichen ihre 328 Sitze im Bundestag nicht, das Trio einzustellen. Die schwarz-rote Koalition braucht Hilfe von den Grünen, von der Linken oder - Gott bewahre - sie bekommt sie von der AfD. Mit den Grünen allein reicht es nicht, mit den Linken zu reden aber hat sich die Union vor Jahren selbst verboten. Obwohl auch die ehemalige SED schon in mehreren Bundesländern mitregiert und in Thüringen sogar eine Landesregierung angeführt hat, gab es nie Überlegungen, sie auf die Besetzungscouch einzuladen.
Allerschlimmster Fall
Und das wird es sein, was Heidi Reichinnek und Jan van Aken fordern werden, erst recht nachdem die Union sich geweigert hat, die linke Fraktionsvorsitzende ins Geheimdienstüberwachungsgremium des Bundestages zu wählen. Ohne geht es nicht, mit geht es nicht. Gelingt es trotzdem, die Wahl am Freitag im Namen von "unserer Demokratie" irgendwie über die Bühne zu bekommen, dann wird eine "meinungsstarke Professorin" (Der Spiegel) eine Art Verfassungsrichterin sein, der in den kommenden zwölf Jahren niemand abnehmen wird, unparteiisch geurteilt zu haben. Wird es nichts mit der Wahl, muss im schlimmsten Fall die Besetzungsformel erweitert werden.
8 Kommentare:
Don Alphonso
Ich denke, der feige Deal lautet:
Die SPD verkneift sich Fragen zu Spahns Maskengeschäften, und die CDU schenkt der SPD und den Linksauslegern das Verfassungsgericht.
Statt reinen Tisch zu machen, sich selbst vom Coronadebakel zu reinigen und auf eigene Punkte zu beharren.
Frauke Brosius-Gersdorf
Ein Name, der alles sagt. Dörte ginge auch noch.
Aber, was für ein "Coronadebakel"? Für die Masse kam da eine böse Seuche aus dem Nichts, und die weise Obrigkeit hat uns mit einer wohl bemessenen Mischung aus Milde und Gestrengigkeit davor gerettet.
Die Maschen des westwertigen Demokratiegeflechtes sind längst so eng verdrahtet, dass niemand ihm entkommen kann. Mit immer neuen verfilzten Klüngeleien setzen die vom MIchel naiv angehimmelten Nutzviehhirten sich gegenseitig als Cäsaren ein, während die Plebs/der Pöbel auch 2000 Jahre nach dem Zirkus im Alten Rom in den Kampfarenen lustig weiter ihre bewunderten Gladiatoren bejubelt.
Verfassungsschutz oder Verfassungsschmutz ... das ist hier die Frage.
Ob Wahlen politisch überhaupt etwas bewirken, bleibt ungewiss.
Mit dem gegenwärtigen Bodenhaltungs-Personal ist jedoch wenig Neues zu erwarten.
Man kann nur Herdentrieb und stupide blökendes "Weiter so!".
Schlammkriecher auf Weltbelehrungs-Speed.
Idioten, die sich gegenseitig Genialität attestieren.
Hypersensibel belegte Besetzungscouchen bei Psychiatern.
Safespaces nicht nur gegen Sonnenschein, sondern auch gegen kulturbereichernde Teilhabefachkräfte.
Grapschende Import-Wüstensöhne wegen zwei 40°-Tagen in den Backofen-Betonwüsten Absurdistans.
Wen interessiert angesichts dieser von allen Medien permanent penetrant herbeigebrüllten Klimaglutofen-Katastrophe schon eine regimetreue neue Richter-Schauspielerin in Karlsruhe?
Lügen und betrügen wird dadurch nicht enden, denn der Germane kapiert seine Verarschung nicht.
Die Kamelkarawahne wird also weiter ziehen.
Da fehlt im Text ein Hinweis auf den letztes Jahr vorsorglich eingeführten "Ersatzwahlmechanismus". Danach kann, wenn im Bundestag keine Einigung gelingen sollte, dessen "Wahlrecht auch vom anderen Wahlorgan ausgeübt werden" (§ 7a Absatz 5 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG).
Demnach könnte der Bundesrat die Wahl vornehmen ohne dass man der Linkspartei entgegenkommen müsste.
das ausmaß an peinlichkeit wäre nicht erträglich. ähnliches gilt für den fall, es einfach drauf ankommen zu lassen
selbst diese offensichtlichste aller chimären wird von den sklaven nicht wahrgenommen: wenn überhaupt, müsste diese korrupte fascho bude grundgesetzgericht heissen!
denn das was es für ein verfassungsgericht bedarf, existiert ja weiterhin nicht, wo auch der gesamte irrsinn dieser linksextremen, hardcore faschistischen diktatur aka BRiD staatssimulation begraben liegt!
Den Verantwortlichen ist schon lange nichts mehr peinlich. Immerhin geht es um die Sicherung "unserer Demokratie", da wäre falsche Scham unangebracht. Nun, man wird sehen. "Stand jetzt" (N. Kovac) heißt es von der CDU, man spreche mit der Linkspartei nicht über die Richterwahl.
@dumm-michel: seit man sich vor mehr als 30 jahren entschlossen hat, diese vorschrift zu streichen, wonach sich das deutsche volk eine verfassung zu geben habe, gilt das GG als verfassung
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