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Der Corner Chor sang Alice Weidel (r.) ein Lied des Protestes. |
Es war ruhig geworden in Deutschland, noch ruhiger, als es für eine alternde Gesellschaft mit düsterer Zukunft normal ist. Sommerferien, Parlamentsurlaub, Stille an allen Fronten. Doch es ist nicht die Stille des Friedens, sondern die eines Landes, das sich in Resignation ergeben hat. Wo einst die Straßen unter dem Marschtritt von Millionen Gegen-Rechts- und Anti-Remigrationsdemos bebten, wo die mutigen "Omas gegen Rechts" und ihre Finanzierung tagelang das wichtigste Thema waren und Politiker genug Rückgrat hatten, eigene Medientermine abzusagen, wenn sie im Studio auf die Falschen zu treffen drohten, herrscht nun Schweigen.
Trauriges Schweigen
Ein bitteres, ein trauriges Schweigen im Land der Täter, die sich für einen Rechtsruck entschieden, als sie konservativen und rechtsextremistischen Parteien bei der Bundestagswahl zu einer satten Mehrheit verhalfen. Unter Kanzler Friedrich Merz und Vize-Kanzler Lars Klingbeil sind geschlossene Grenzen, Gaskraftwerke, Bezahlkarten für Geflüchtete und eine Aufrüstung wie zu Zeiten des Kalten Krieges Normalität geworden. Und angesichts dieser neuen, bedrückenden gesellschaftlichen Realität wagt kaum mehr jemand, den Mund aufzumachen.
Die großen Leitmedien haben ihre Segel einmal mehr in den Wind gedreht. Die Führer und Führerinnen der Refaschistisierung des Vaterlandes haben in allen Talkshows ihren festen Sitz. ARD und ZDF behandeln die AfD, als sei sie die größte Oppositionspartei im demokratisch gewählten Bundestag – ein gesichertes rechtsextremes Gewächs, das man mit höflicher Neugier gießt, statt es rabiat auszureißen.
Die neue politische Kultur ist eine von Toleranz und Akzeptanz. Die Nazis sind als gleichwertige Grundrechtsträger anerkannt, so lange sie höflichen bleibt und ihre Sprache mäßigen, gelten sie als nicht weniger stubenrein und vorzeigbar als demokratische Politiker von Linkspartei, SPD, Union oder Grünen.
Das Maß ist voll
Das Maß ist nicht voll, es ist so maßvoll, dass niemand merkt, wie die Normalisierung voranschreitet. Die Regie ist professionell, etwa jetzt beim ARD-Sommerinterview, in dem das Erste versuchte, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel als ganz normale Frau zu präsentieren. Weder Hitlerbart noch Triggerwarnung, kein Faktencheck im Laufband und kein Widerspruch gegen krude Thesen, mit denen Weidel forderte, dass Versicherungsleistungen der Krankenkassen nur noch Beitragszahler erhalten sollen, Bürgergeld nur noch Bürger und Asylbewerber nur noch Sachleistungen.
Weidel hatte ihren Auftritt strategisch geplant, sie war gekommen, sich als Stimme der Vernunft zu zeigen, als jemand, der ausspricht, was viele denken. Ihre Lösungsvorschläge für die Probleme der Republik hätten noch vor einigen Monaten als Versuche gegolten, einen Umsturz auszurufen. Heute aber ist die ARD bereit, sie Sorgen zu verbuchen. Weidel spricht, sie lächelt, sie hetzt, ohne es zu tun. der ihr zugeteilte Moderator ist bereit, darauf einzugehen, als wäre der demokratische Konsens etwas, das man ausbalanciert, nicht entschlossen verteidigt.
Widerstand am 20. Juli
Zum Glück aber gibt es noch Widerstand an diesem traditionsreichen 20. Juli laut, bunt und entschlossen wie seinerzeit an der Wolfsschanze. Während sich die ARD bemüht, die Illusion eines Gesprächs stattfinden zu lassen, macht sich im Hintergrund die Wirklichkeit bemerkbar. Unerklärliche Geräusche übertönen Weidels Hetze. Musik erklingt, dass der Boden bebt. Die Wahrheit meldet sich aus dem Off: ein Chor von Frauenstimmen, zunächst zart, dann mächtig, schwebt in harmonischer Terzenschwere, als wolle er die Alpen erzittern lassen.
"Scheiß ARD, Scheiß ARD, Scheiß ARDehehe, Schei-eiß ARD!", singen sie – der "Scheiß-ARD-Jodler", ein Oratorium aus dem bayerischen Untergrund, geschaffen von Hans-Joachim "Jodler" Schmitz, einem musikalischen Querkopf aus Augsburg, der die Republik aus ihrer Lethargie reißen will.
Schmitz, ein Mann mit dem Habitus eines Dorfmusikanten und dem Geist eines dadaistischen Rebellen, hatte genug. Genug von einer ARD, die der AfD eine Bühne bietet, als wäre rechtsextreme Rhetorik eine zugelassene Geschmacksrichtung im politischen Eiscafé. Genug von einer Öffentlichkeit, die glaubt, Faschismus lasse sich ausdiskutieren, wenn man ihn nur höflich genug einlädt. "Wenn die ARD der AfD ein Mikrofon reicht, dann singen wir dem Sender ein Lied", hatte Schmitz den Seinen aus der Widerstandsgruppe von "Opas gegen rechts" in Karminatal bei Augsburg gesagt. Alle waren sofort dabei.
Kampf im Kellerstudio
Im kleinen Kellerstudio feilte er dann an einem Gema-freien Chorgesang: Inspiriert vom alpenländischen "Andachtsjodler", der einst Bergbauernherzen höher schlagen ließ, schuf er ein Werk, das Hochkultur und politische Poesie, Machtkritik und das beständig wachsende Gefühl so vieler, vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht mehr repräsentiert zu werden, in einen harmonischen rahmen setzt.
Die Melodie: leicht, feierlich, fast seraphisch, wie ein Chor von Engeln, der die Alpen herabsteigt. Der Text: ein Manifest, das die Heuchelei der ARD mit Skalpellpräzision seziert. "Scheiß ARD!" – drei Silben, die die Stille der Republik durchbrechen wie ein Donnerschlag. Der Sender selbst überträgt sie in die Wohnzimmer draußen. Der Chor singt so, dass selbst die aufgebufften Techniker der ARD keine Chance haben, die Signale aus den Ansteckmikrofonen von Weidel und Moderator Preiß nach vorn zu mischen.
Gesungene Unzufriedenheit
Jeder kann es hören, jeder spürt die Unzufriedenheit. Der "Scheiß-ARD-Jodler" reiht sich ein in die Tradition großer Protestlieder, die Machtstrukturen bloßstellten. Wie "Das weiche Wasser bricht den Stein", mit dem die Bots gegen Unterdrückung ansangen, oder Ton Steine Scherben mit "Keine Macht für Niemand", das Marschlied für den Marsch durch die Institutionen, ist Schmitz’ Jodler ein akustischer Widerspruch gegen die Verhältnisse. Selbst Bob Dylans "Blowing in the Wind", das die Fragen einer Generation in den Wind schrieb, hallt in seiner provokanten Einfachheit nach: Da schwingt etwas im Wind, das nach dem "Wind of Change" der Scorpions klingt.
Doch wo Degenhardt mit Metaphern, die Scherben mit rohem, unverschnittenem Zorn und die Hannoveraner Popband mit der universellen Sehnsuchtspoesie der Naturbilder arbeiteten, setzt Schmitz auf derben Humor und alpenländische Ironie, um die ARD zu entlarven – eine ARD, die sich als Hüterin der Demokratie inszeniert, während sie rechtsextreme Narrative normalisiert. Ein Konzept, das aufging: Die Wirkung des Auftritt des "Corner Chors" – einer queeren, bunten und vielfarbigen Kleinkunstgruppe, die Schmitz für seine Vision gewann – überstrahlte in der Wahrnehmung von Medien, Politik und Bürgern alle Botschaften, die Alice Weidel an die Frau und den Mann draußen im Lande hatten bringen wollen.
Die ARD wird emotional
Endlich einmal erreichte die ARD ihre Zuschauenden wieder emotional. Das zumeist ältere, nach 10.000 "Tatort"-Morden und 300 "Monitor"-Enthüllungen über Putin, Trump und die Tricks der Atomindustrie abgebrühte Publikum erwachte für einen Moment aus seiner Resignation. Es fühlte sich mitgenommen in einen Zwiespalt: Lachen? Weinen? Ist das noch Demokratie oder fängt sie genau hier an? Was ist zu tun? Die ARD anrufen? Mitsingen? Gegen den Protest protestieren?
Getroffene Hunde bellten, AfD-Sympathisanten schäumten über die gesungene Sabotage des Interviews. Wer gegen die Rückkehr des Faschismus ist, freute sich klammheimlich über den Akt des künstlerischen Widerstandes, mit dem es gelungen war, die ARD daran zu hindern, Weidels Botschaften zu übertragen. Mit drastischen, aber kunstsinnigen Mitteln, das war Jodler Schmitz von Anfang an wichtig.
Er habe keine Bombe werfen und keine Klebeaktion durchführen wollen. "Uns ging es darum, die ARD sich selbst entlarven zu lassen", beschreibt er. Der gebührenfinanzierte Sender gebe der AfD eine Bühne und wundere sich dann, wenn das Volk das Vertrauen in die Aufsicht durch die von der Politik mit handverlesenen Vertrauensleuten besetzten Fernsehräte verliere. "Dagegen muss man aufstehen."
Ein Spiegel der Wirklichkeit
Hans-Joachim Schmitz gelang das Kunststück, die Medienmaschinerie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen: Öffentlichkeit, Spektakel, Provokation. Sein "Scheiß-ARD-Jodler" war kein bloßer Protest, sondern ein Spiegel, der der ARD ihr Versagen vorhielt – ähnlich wie Franz Josef Degenhardts Balladen die Herrschenden oder Scherben die Staatsmacht entlarvten. Die blamierte ARD ist selbst schuld daran, so vorgeführt worden zu sein: Indem sie der größten Oppositionspartei eine Plattform bot, machte sie sich zur Zielscheibe, im vollen Bewusstsein, dass eine solche Sendung noch vor zwei, drei Jahren von einem Sturm der Entrüstung aller Demokraten direkt in die Spree geblasen worden wäre.
Schmitz' Kompostion spielt subtil mit diesen Veränderungen. Der Kontrast zwischen lyrischer Melodie und derbem Text ist absurd, kindlich und kompatibel mit dem Kunstanspruch der "Tagesschau in leichter Sprache". An "Scheiß ARD" ist nichts falschzuverstehen. Diesen Text singen sie in Sachsen mit ähnlicher Begeisterung wie in den Beamtenvillen im großstädtischen Hamburg. Musikkritiker lobten den seraphischen, berückenden Gesang als leicht und doch feierlich, eingängig, gesanglich gleichsam schwebend, mit einer fulminanten Melodie, die auf der Terz beginnt und endet. Ein Volkslied, geschrieben von einem Mann, der bisher kaum bekannt war.
Wie Degenhardt und die Scorpions
Hans-Joachim Schmitz wird von Chorliebhabern schon länger gelobt und geschätzt. In Augsburg geboren, in einer Familie, die mehr für Weißwurst als für Subversion bekannt ist, zeigte er früh musikalisches Talent. Als Jugendlicher spielte er in einer Blaskapelle, doch seine Leidenschaft galt der alten katholischen Chormusik. Deren Partituren könnten mehr als unterhalten, glaubte er schon als Teenager. "Sie kann aufwecken, provozieren, die Wahrheit ans Licht bringen – wie Dylan, wie Degenhardt, wie Scherben."
Lange fand Schmitz keinen Chor, der seine Vision teilte und das künstlerische Vermögen mitbrachte, seine komplexen kontrapiunktischen Kompositionen zu singen. Erst als er den "Corner Chor" kontaktierte, eine Gruppe unkonventioneller Singender, die sich keinem anderen künstlerischen Erbe verpflichtet fühlen als dem eigenen, wurde seine Vision umsetzbar. Ein Oratorium, das die Heuchelei der ARD entlarvt. Klartext in Noten. Die Sängerinnen, zunächst skeptisch, waren bald Feuer und Flamme.
Unerschrockene Proben
"Wir haben geprobt, bis die Nachbarn mit der Polizei drohten", lacht Schmitz über den gelungenen gesungenen Schlag ins Gesicht der ARD, der unvergesslich eingebleut wurde, dass eine Normalisierung rechtsextremer Positionen vom Volk nicht gewünscht wird. "Wenn die ARD glaubt, sie könne der AfD eine Bühne bieten und so tun, als sei alles in Ordnung, dann haben sie die Rechnung ohne uns Jodler gemacht", droht Schmitz mit Wiederholung, sobald die Brandmauer wieder angegriffen wird.
Man werde friedlich demonstrieren, aber laut. Kunst müsse wehtun wie Dylans Lieder, wie der Rock der Scorpions und so viele Lieder der Toten Hosen. "Scheiß ARD!" setzt das um – es ist mehr als ein Lied, es ist der Aufschrei eines besseren Deutschlands, das im Alltag nicht mehr allzuoft zu sehen ist. Hier aber nicht zu überhören war.
7 Kommentare:
Keine Ergebnisse für "Scheiß ARD!" gefunden
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Was ist mit den Suchmaschinen los?
Genialer Spin, die Nummer als Protest gegen die ARD darzustellen.
Wer die Teilnahme am Liedersingen einer Vicky Leandros öffentlich absagt, um dann doch heimlich dem Schlagerabend beizuwohnen , um sich an Liedern der Leandros zu berauschen, ist nicht satisfaktionsfähig.
Die Weidel hat einen ähnlichen Musikgeschmack wie die Freundin von Farin Urlaub dazumal, einen beschissenen, der weitaus nerviger ist als der von Yoko Ono.
Hier können interessierte Leser auch mal die Qualität des Suchindexes auf dem PPQ-Planeten prüfen.
Der Durchschnittswählerpöbel war und ist jedenfalls wieder einmal mehr entzückt, dass die Nazis zur Schnecke gemacht werden.
Darüber hinaus ist zu befürchten, dass die "AfD" sich früher oder später maximal verbiegt und anschleimt. Mit unserer angeblichen historischen Verantwortung ward schon mal ein Anfang gemacht.
Noch büschen OT, mein Spezi "Kurschatten" wieder: "Die Stimmung dreht sich ..." Bitter auflach.
Das liest man seit mindestens 25 Jahren. Die Stimmung kippt / dreht sich, jetzt haben sie endgültig den Bogen überspannt, jetzt lassen sie endgültig die Maske fallen - alles ein Sch ...marrn.
Dieselben Schreihals-Sozialisten würden auch einem Adolf Hitler huldigen, wenn man denen erzählt, dass der auch einer war. Nur eben ein nationaler ohne das 'inter' davor, nichtsdestotrotz aber auch Moslemfreund und Kriegskumpel der Ukrainefaschisten gegen die Russen.
Doidsche Gernegroß-Geschichte wiederholt sich gerade mit dem kleinen Unterschied, dass der Kreml jetzt Atomwaffen besitzt und die sicher auch nutzen wird, bevor er zum rechtlosen Westwertesklaven wird.
Laut der Nato-Doktrin ist die BRD übrigens das atomare Premium-Schlachtfeld.
Vermutlich später Dank unserer Verbündeten wegen 'damals'.
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