Dienstag, 22. Juli 2025

Starkwetter: Die Karriere eines Klimawortes

Starkregen und Dürre haben sich in den vergangenen Jahren parallel immer unverzichtbarer gemacht.


Es fehlte ihnen am Bewusstsein, sie vermochten es noch nicht, die ganze Größe der Problemlage zu erfassen. Jahrhunderte-, ja, jahrtausendelang kam die Menschheit ohne den Begriff "Starkregen" aus. Selbst noch heute lebende ältere Menschen erlebten zwar eine Kindheit mit Regenfällen, die auch mal 100 oder 150 Liter pro Quadratmeter niedergehen ließen. Doch die Wissenschaft, die Politik, Medien und Bevölkerung hatten keine Worte für die Lage.  

Großtropfig im Sozialismus 

Es gab keinen "Starkregen" in Deutschland, nicht einmal als Fremdwort. Erst 1957 tauchte die Vokabel  zum ersten Mal im Sprachgebrauch auf. Das Wort ist eine Erfindung des volkseigenen DDR-Betriebes VEB Geschwätz, aus dem später die Bundesworthülsenfabrik BWHF werden wird. Entwickelt wird es, als die DDR-Staatspartei SED beschließt, ihren Arbeitern und Bauern in einem populärwissenschaftlicher Aufsatz ein vermeintliches meteorologisches Phänomen erklären zu lassen, das sie dafür verantwortlich macht, dass die Versorgungslage auch zwölf Jahre nach Kriegsende noch so schlecht ist. Schuld sei "großtropfiger Starkregen", der Ernten verderbe. Die herabfallenden großen Tropfen zerstörten die Ähren.

Das leuchtet vielen Bürgerinnen und Bürgern ein, setzt sich aber nicht durch. Bis in die 70er Jahre hinein ist Starkregen kein Thema mehr, nicht in der DDR und schon gar nicht im demokratischen Teil Deutschlands. Erst 1987 wagt das damalige Nachrichtenmagazin "Der Spiegel"-Magazin eine Übernahme aus dem Ostdeutschen: In einem Artikel namens  "Grober Unfug", der "öffentlich Anklage gegen einen gewissen Herrn Sommer" (Zitat) erhebt, weil der "eine Zumutung für den Menschen" sei, wird das von der sozialistischen Meteorologie geprägte Wort erstmals verwendet.

Ein langsamer Wandel 

Es ist noch lange nicht der erhoffte Durchbruch. Der kommt nicht mit einer einzigen Wetterkatastrophe, einem allgemeinen Unheil oder einer Zunahme der Regenmengen. Es brauchte erst einen Wandel der Wetterberichterstattung: Ab 1994 taucht der "Starkregen" erstmals regelmäßiger aus der Pfütze der Wetterberichte auf, bescheiden, nahezu beiläufig. 

Das ändert sich dramatisch ab 1998: Bis dahin hat der "Spiegel" das Wort 50 Jahren nur 16 Mal verwendet. Dann aber explodiert die Wort-Nutzung, der "Starkregen" wird zum tagtäglichem Alarmbegriff. In den letzten 20 Jahren hat der "Spiegel" das Wort 1.478 Mal verwendet.  95 Prozent aller Anwendungsfälle fallen damit in den Zeitraum die letzte zwei Sekunden der 2025 Jahre seit Beginn der Zeitrechnung. 

Die gesamte Medienlandschaft diesem Trend im Takt der gesellschaftlichen Klimasensibilisierung. Mittlerweile haben sich zum Starkregen" modernistische Varianten wie der "heftige Starkregen" gesellt. Aus der unbenannten Gefahr ist ein geläufiges Schlagwort geworden, das keineswegs nur bei besonders schweren Unwetter und katastrophalen Niederschlägen Verwendung findet. Um als "Starkregen" angekündigt zu werden, müssen Regenmengen keine Jahrhunderthochwasser wie 1501 an der Donau oder 2002 an der Elbe mehr auslösen. Jeder kleine Wolkenbruch eignet sich als Anlass, zu warnen und einen nahenden Untergang zu beschwören.

Die Erfindung der Extremwetter-Sprache


Der Aufstieg des Begriffs "Starkregen" ist Teil einer gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Neudefinition von Wetter und Klima. Mit dem Fortschritt meteorologischer Messmethoden  und dem Einzug digitaler Medien beschleunigte sich die Transformation: Ereignisse, die früher als ganz gewöhnlicher "Sommerregen" oder ein "Unwetter" durchgingen, erhielten dramatischere Bezeichnungen, mit denen sich im Aufmerksamkeitswettkampf punkten lässt. Begriffe wandern dabei aus Fachkreisen in die Alltagssprache, unterwegs werden sie angespitzt und geschliffen – ein Phänomen, das gerade beim Wetter spätestens seit der "Heißzeit" zur Kommunikationsmaxime wurde.

Die mediale Inszenierung ist heute allgegenwärtig – Wetter-Apps piepen, Nachrichten warnen, Katastrophenbilder reisen viral durchs Netz. So ist die Öffentlichkeit heute rund um die Uhr auf Empfang – und Starkregen wird dabei zum Signalwort der Gegenwart. 100 Liter in Mecklenburg sind dann "so viel wie im Ahrtal", zwei Triggerbegriffe werden kombiniert und dem Empfänger wird suggeriert, es werde nun wohl ein ganzes Bundesland in die Ostsee gespült.

Klimawandel als Beschleuniger der Begriffskarriere


Doch es bleibt nicht bei sprachlichen Moden. Dass ausgerechnet ab dem Jahrtausendwechsel die Nennung von Starkregen und auch "Dürre" parallel im Ngram-Viewer (oben) rapide anstieg, ist kein Zufall. Die Bedrohung durch den Klimawandel ist gerade in kühlen Sommern mit wenigen Tropennächten schwer akut im Bewusstsein zu halten.

Ersatzweise werden darum sogenannte  Wetterextreme für die Berichterstattung bemüht. Alles, was nicht exakt auf dem langjährigen Durchschnitt liegt, ist zu viel oder zu wenig, im kollektiven Bewusstsein sorgt der Klimawandel nicht mehr für tägliches Wetter, aus dem sich ganz langsam ein Klimabild ergibt. Sondern ausschließlich für "Wetterereignisse", die jedes einzelne für sich beweisen, dass es keine Launen der Natur mehr gibt, sondern nur noch nasse oder trockene Beweise für eine dramatisch veränderte Welt.

Belegbarer Trend


Wissenschaftlich ist dieser Trend belegbar: Die Atmosphäre kann pro Grad Erwärmung rund 7% mehr Feuchtigkeit aufnehmen – genug, um schwere Regenfälle noch schwerer zu machen. Die Dichte der Extremereignisse nimmt global und national messbar zu. Starkregen, einst Randphänomen, ist zur meteorologischen Alltäglichkeit geworden und zur gefühlten Bedrohung: Heute, so haben Meteorologen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) errechnet, werden in Deutschland jährlich rund 1000 Starkregen-Events gezählt.

Parallel dazu erlebt auch die "Dürre" ein schwindelerregendes Karriereumfeld. Wo Regenwut und Wassermassen auftreten, fehlt anderenorts der Tropfen. Beide Extreme zeigen im Ngram-Viewer (oben) einen synchronen Anstieg – Ausdruck einer Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Flut und Trockenheit. Während die einen Keller auspumpen, kämpfen Landwirte und Wasserwerke mit ausbleibenden Niederschlägen. Wetter wird zur Frage der Existenz, Starkregen und Dürre zu Ikonen des Anthropozäns. Nicht mehr lange, und es wird zweifellos zur Erfindung des "Starkwetters" kommen müssen.

Die neue Rolle des Deutschen Wetterdienstes


Ein entscheidender Akteur im Starkregen-Drama ist heute der Deutsche Wetterdienst (DWD). 1952 gegründet, ursprünglich zur Wetterüberwachung und Unterstützung von Luft- und Seeschifffahrt, hat sich der DWD in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Die Behörde warnt nicht mehr nur vor Unwettern, sondern erklärt sie auch offiziell für beendet, kategorisiert Wetterlagen nach Gefahrenlevel, erstellt Gefahrenanalysen, historische Auswertungen und sie lenkte die gesellschaftliche Debatte rund um den Klimawandel. 

Der DWD betreibt heute neben Wettervorhersagen auch sogenanntes Präventionsmanagement: Mehr als 200.000 Mal im Jahr wird rechtzeitig vor Wetterveränderungen gewarnt. Hochaufgelöste Radardaten erlauben es auch, Starkregen besser zu erkennen – Prognose und Reaktion erfolgen in engem Takt. Oft folgen Warnungen so schnell aufeinander, dass niemand mehr zuhört. Der Dienst ist zentraler Ansprechpartner in Sachen Klimaextreme: Kein Krisenstab, der nicht den DWD alarmiert – kein Bundesland, das auf eigene Faust vor Starkregen oder dessen Ende warnt.

Wurzeln, Wandel – und was bleibt


Die Wortwurzel bleibt dabei bemerkenswert: "Starkregen" will mehr sagen als "Regen" – es ist der Versuch, mit der Sprache Kontrolle über die Wahrnehmung der Menschen  zu gewinnen. Die Genese des Begriffs ist auch ein Lehrstück politischer und gesellschaftlicher Transformation: Von einer spleenigen ostdeutschen Propagandaspezialität zum bundesweiten Signalwort. Kaum ein anderes Wetterwort spiegelt so deutlich einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, getrieben von realen Extremwetterlagen, medialem Alarmismus und wissenschaftlichem Fortschritt.

Was bleibt? Starkregen ist gekommen, um zu bleiben – ob als Alarmbegriff oder reale Bedrohung. Wo früher ein "Unwetter" reichte, braucht es heute "heftige Starkregenereignisse", um die wachsende Wetterangst zu artikulieren. Der Blick in die Archive ist ein Blick in eine Sprache, die klarmacht: Der Wandel des Wetters ist eher ein Wandel der Worte. Und die nächste Begriffsinnovation, die den Alltag erobert, ist immer nur eine Wetterlage entfernt.


7 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Da geht noch was.
-----
„Absolut extreme“ Wetterlage in Europa: Sintflutartiger Regen sorgt in Italien für Chaos
Stand:17.04.2025, 19:02 Uhr

Von: Dominik Jung

Anonym hat gesagt…

Extrem starke 21 Grad draußen, mitten im Juli.

Die Anmerkung hat gesagt…

Der focus läßt Tuvalu jüngst nicht untergehen, sondern klimaunbewohnbar werden.

https://www.focus.de/earth/klimaflucht-aus-tuvalu-haelfte-der-inselbewohner-will-nach-australien_776a9b42-2c9e-4cfb-8da5-abee72a2eb75.html

Klimaflucht aus Tuvalu
Dieses Land könnte als erstes der Welt unbewohnbar werden - Bewohner wollen weg

Mit DPA-Material

Der lachende Mann hat gesagt…

Wenn die Typen in den Wetterdiensten nicht so schrecklich humorlos wären (vielleicht sind sie auch nur starr vor Angst vor ihren Vorgesetzten), wäre es für sie bei den heutigen technischen Möglichkeiten ein leichtes, von ihren dunkelroten oder grell violetten Deutschlandkarten lustige kleine Rauchwirbel aufsteigen zu lassen oder gar Flämmchen.

Anonym hat gesagt…

>klimaflucht-aus-tuvalu-haelfte-der-inselbewohner-will-nach-australien

Halb Afrika und Mittelost wollen nach Europa. Wegen Klima, na klar.

Anonym hat gesagt…

https://www.youtube.com/watch?v=sC7WYcedJQA dreiwettatafft : " Kopenhagen , die Kinder sind im NSU Truck unterwegs nach BaWü, 12 Uhr, Bern , das Schwarzgeld ist in Sicherheit - die Frisur sitzt - 16°° , shopping in Mailand , die Locke lockt .

Anonym hat gesagt…

Bernd glaubt : die 3 Wettertafftdame ist ziemlich dominant . Auch die Learjetstewardess ist ziemlich heiß .(Hermestüchlein flattert im Wind , tja, das Klimer )