Sonntag, 28. September 2025

Aufrüstung Ost: Panzerfabriken für den Frieden

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Ein Friedenspanzer, gebaut nach Entwürfen von Heinrich Straumer, dem Begründer des Vereins Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Der Kampf wird ein ungeheurer werden, mit modernen Panzerarmeen, Spezialkräfteeinheiten, Drohnen und einem schicken Weltraumkommando. Gebraucht für den anstehenden endlosen Abnutzungskampf werden schwere Waffen im Übermaß, Waffen, die aus möglichst frontnahen Fabriken kommen müssen, um die absehbaren Mängel beim geplanten Transport des Nachschubs aufs Schlachtfeld zu minimieren.  

Deutschlands große Panzer- und Geschützfabriken allerdings stehen noch weit im Westen, tief im Kernland der Nato, dort, wo der Russe nach dem letzten Krieg nichts abbauen konnte und auch nach dem Ende des Kalten Krieges keinen Abriss verlangen durfte. Strategisch ein Problem für die Planung der Verteidigung. Je kürzer die Versorgungslinien, desto mehr profitiert der Angegriffene vom Vorteil seiner kürzeren Frontlinie. Je länger, desto mehr hebt sich dieses Plus für die eigene Kriegsführung im Kräftemessen mit dem Angreifer auf. 

Rüstung für alle 

Ein Problem, das nach dem Willen der Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer zum Vorteil des gesamten Landes genutzt werden soll. Seit Donald Trump dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj Anfang des Jahres mitteilte, dass er doch nicht Amerikas Krieg kämpft, überschattet die russische Bedrohung Europa wie in den zwei Jahren Krieg zuvor nicht. 

Das politische Berlin wurde durch die dramatischen Szenen im Weißen Haus aufgeschreckt aus dem süßen Traum, mit 5.000 Helmen, ein paar Panzerhaubitzen aus Altbeständen und gelegentlichen Solidaritätsausflügen nach Kiew genug getan zu haben für die Ostflanke. Seitdem sieht sich Bundeskanzler Friedrich Merz auch als vorderster Hüter des Westens. 
 
Und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius denkt weiter als bis Riga, Narva und Donezk. "Im Weltraum gibt es keine Grenzen oder Kontinente, dort sind Russland und China unsere direkten Nachbarn", hat der Sozialdemokrat seine vom Referat Kampfbezeichnungen des Verteidigungsministeriums auf den Namen "Combined Space Operations Initiative" getaufte erste multidimensionale Kampfeinheit der Bundeswehr als eine Art Dachwache der Demokratie beschrieben. Auch im Weltraum soll Deutschland verteidigungsfähig werden, "als Schrittmacher unter den europäischen Nationen", wie Pistorius sagt.
 
"Der Weltraum hat keine Grenzen, also sollten wir auch keine ziehen, wenn es um unsere gemeinsame Sicherheit geht." 35 Milliarden Euro will der frühere Bundeswehrgefreite bis 2030 für sein "Star Wars"-Projekt ausgeben, um die ungehinderte Nutzung des Alls als "Schlüsselfaktor für den Erfolg militärischer Gesamtoperationen" sicherzustellen. Diese Verantwortung, versprach Pistorius, ende nicht in der Stratosphäre. Sie brauche "kleine Trägerraketen für flexible Starts, mittelfristig aber auch europäische Schwerlastträger, ohne die wird es nicht gehen". 

Ohne eigene Rakete 

35 Milliarden, das sind sieben Milliarden im Jahr - das entspricht in etwa der Summe, die Deutschland in Künstliche Intelligenz steckt, die es auch nicht hat. Weil Deutschland derzeit auch keine funktionierende Rakete besitzt - zuletzt waren ehrgeizige Startversuche mit den Aggregat4-Nachbauten SR75, RFA und mit der Propangasrakete "Spectrum" gescheitert, während die Ariane 6 nach 15 Jahren Entwicklungszeit noch in der Erprobungsphase ist  - muss aus den knappen Mitteln auch noch die Produktion des von Pistorius geforderten Schwerlastträgers finanziert werden. SpaceX benötigte allein zehn Milliarden, um die "Falcon9" zu entwickeln. 
 
Vom knappen Geld aber wollen alle etwas ab, damit es Gutes tut, während es für neue Panzer, Kanonen, Uniformen und Jagdflugzeug-Entwicklungen wie das Future Combat Air System (FCAS) verschwendet wird, die etwa ab dem Jahr 2040 den Eurofighter "Typhoon" ersetzen sollen. Zur selben Zeit stünde dann - sollte Frankreich nicht vorher Staatsbankrott anmelden müssen - auch das deutsch-französische Main Ground Combat System (MGCS) bereit, das die beiden heute genutzten Kampfpanzer Leopard 2 und Leclerc durch ein neues vernetztes Kampfpanzersystems ersetzt, wenn es Paris und Berlin doch noch gelingt, den Streit um den Zugriff auf das geschätzte Umsatzpotenzial von 100 Milliarden Euro ohne offene Feldschlacht beizulegen.

Aktuellen Berechnungen nach wäre Deutschland allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits im elften Jahr im Krieg mit Russland. Nach dem Verlauf des russischen Angriffes auf die Ukraine kämen die gemeinsamen Waffensysteme der sechsten Generation im gerade recht, um mit der Elblinie die Außengrenze des Gebietes zu verteidigen, in dem im gleichen Jahr planmäßig das große Ziel der Klimaneutralität erreicht werden wird.  

Ein Stück vom Rüstungskuchen 

Dass die Ost-Ministerpräsidenten jetzt fordern, für ihre wirtschaftlich daniederliegenden Länder ein Stück vom Rüstungskuchen abbekommen zu dürfen, ist Chance und Risiko zugleich. Deutschland nehme Milliarden-Schulden für die Verteidigung auf, auch die Ostdeutschen müssten zahlen. Es könne deshalb nicht sein, dass für sie nichts abfalle. Wenn schon ein Krieg unausweichlich sei, dann müsse der vorhergehende Rüstungsboom auch dem Osten auf die Beine helfen.
 
Aufrüstung Ost statt Aufschwung Ost. Haseloff, Kretschmer und Voigt argumentieren, dass angesichts des Zusammenbruchs der Autoindustrie dringend Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden müssten, möglichst noch vor den bedrohlich näherrückenden nächsten Landtagswahlen. Die noch unter Angela Merkel angeschobene Behördenansiedlungsoffensive reiche nicht aus, die vielen tausend freigesetzten Fachkräfte adäquat zu beschäftigen. 

Andererseits zögern Merz und Pistorius aus guten Gründen: Die Geschichte zeigt, dass sich die unbefestigte Ostgrenze an Oder und Neiße im Falle eines Angriffes kaum lange halten lassen wird. Riskierte es die Bundesregierung jetzt, dem Osten mit einer festen Quote der Investitionen aus der Krise zu helfen, droht nach 2029 vielleicht der schnelle Verlust der nagelneuen großen Rüstungsfabriken.   

Lauwarme Tröstungen 

Mit den üblichen lauwarmen Tröstungen auf später hat Merz die Erwartungen abmoderiert. Es gehe um "Standortentscheidungen der Unternehmen", aber die Bundesregierung könne schon dafür sorgen, "dass die Standortentscheidungen unter besonders günstigen Bedingungen getroffen werden." Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall etwa rechnet in nächster Zeit nicht mit einem, russischen Angriff. Das Düsseldorfer Unternehmen will im kommenden Jahr eine "neue Munitionsfabrik" (Die Zeit) in Lettland bauen. Wäre die Kriegsgefahr wirklich groß, würde die Standortentscheidung nicht auf einen Ort gefallen sein, der als klassisches russisches Durchmarschgebiet Richtung Suwalki-Lücke gilt.
 
Ostdeutschland ist nicht sicher, aber deutlich sicherer, so lange es friedlich bleibt. Der CDU-Chef versteht, dass Kretschmer, Voigt und Haseloff gern ihren Anteil der ursprünglich zur Waffen- und Munitionsproduktion gedachten 500 Milliarden Euro Sonderschulden hätten. Er weiß aber auch, dass das Geld dafür nicht reichen wird, wenn es vorher für den Aufbau von Munitions- und Waffenfabriken ausgegeben wird.  

Keine Anschlussverwendung 

Statt den in nächster Zukunft freiwerdenden tausenden von Automobilwerkern in Sachsen eine Anschlussverwendung in der Friedenspanzerproduktion zuzusagen, sicherten Merz und Pistorius zu, "Anstrengungen" zu unternehmen, um auch in Ostdeutschland Standorte für Rüstungsindustrie auszubauen. Auf die Schnelle aber werde sich das nicht machen lassen, weil das Vergaberecht der EU keine Quoten für Panzer, Kampfflugzeuge, Hubschrauber, Kriegsschiffe und U-Boote aus bestimmten Herstellungsregionen vorsehe. 
 
Die ursprünglich von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ins Spiel gebrachte "Ost-Komponente" für Rüstungsaufträge scheitert im Moment daran, dass es derzeit an Produktionsstandorten in den früheren Anschlussgebieten fehlt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sieht darin aber auch eine Chance für die Rüstungsindustrie, Standorte in Ostdeutschland aufzubauen. Man sei sich da "total einig", schilderte Boris Pistorius die Stimmungslage am Tagungsort  Weimar, einst Heimat der 1. Panzer-Division und Standort des Gustloff-Werkes II, in dem die SS Zwangsarbeiter Gewehre, Geschützteile und Raketenfeinmechanik produzieren ließ.

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