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Steffi Jelinek vertraute der Steuersenkungsversprechen von Friedrich Merz. Jetzt ist sie enttäuscht. |
Für Friedrich Merz ist die Antwort mit derselben Sicherheit längst gegeben, wie sie für seinen Koalitionspartner SPD noch offen ist. Steuererhöhungen wird es nicht geben, hat der Bundeskanzler sich vielfach öffentlich festgelegt. Angesichts der kurzen, aber überaus wendungsreichen Geschichte der politischen Verlässlichkeit des 69-Jährigen ein Fingerzeig darauf, dass alles genauso kommen könnte wie er es versprochen hat. Oder aber auch so anders wie es die deutsche Sozialdemokratie gern hätte.
Merz weiß es auch nicht mehr
Niemand weiß es nicht, vermutlich nicht einmal Friedrich Merz selbst. Dass Geld fehlt, ist klar, aber das war nie anders, so sehr die Bundesregierungen seit Konrad Adenauer auch an der Preisschraube für die Steuerbürger drehten. Von zu wenig Geld gibt es aus Sicht der Parteien immer zu viel. Für jeden Finanzminister gehört das Klagen und Barmen über viel zu geringe Steuereinnahmen ebenso zum kleinen Einmaleins der eigenen Arbeit wie die Aufforderung an die Kabinettskollegen, jeder müsse in seinem Ressort schauen, was sich wo einsparen lasse.
Erfolg hat das nie, weil die Taschen des Staates voller Löcher sind. Wo er geht und steht, hinterlässt er eine Spur aus verschwendeten Millionen Milliarden. Das meiste Geld verliert er wie jeder schlechte Haushälter, ohne sagen zu können, wo es eigentlich geblieben ist. Der Staat ist so groß, heute größer als jemals zuvor, dass es ihm um kleine Summe niemals geht, während er bei der Betrachtung der großen Ausgaben stets zum Schluss kommt, dass die sich nun einmal nicht vermeiden ließen.
Es ist unerlässlich
Niemand kann etwas dagegen machen, dass sie unerlässlich sind. Wer könnte wohl kaltherzig genug sein und Zuschüsse, Subventionen oder Beihilfen streichen, an die sich alle gewöhnt haben? Ganz ernsthaft ist in der deutschen Diskussion um das Bürgergeld, diesen missgebildeten Sohn der rückabgewickelten Hartz-IV-Reformen, die Rede davon, dass es doch nur ein paar zehntausend Empfänger seien, die sich weigerten, eine Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder ein gefördertes Arbeitsverhältniss aufzunehmen.
In Berlin-Neukölln, der eigentlich Hauptstadt des Herzens des neuen Deutschland, erscheint zwar ein Drittel der Nothilfeempfänger nicht zu vereinbarten Terminen. Doch Kritik daran, dass die Steuerzahler deren dolce vita dennoch finanzieren, prallt an Prinzipien ab: Die Mehrheit erscheine doch immerhin.
Billionen sind Peanuts
Genaues über den Rest weiß es niemand, denn die Bundesagentur für Arbeit führt sicherheitshalber keine Statistik über die Zahlen der Totalverweigerer. Ob es nun aber 15.000 sind oder 150.000 oder anderthalb Millionen - die Kosten für den Unterhalt der Betroffenen, argumentieren SPD, Linke und Grüne, machten allenfalls ein paar zehn- oder hundert Millionen aus. Gemessen an den Gesamtausgaben für soziale Belange in Höhe von 1.345 Billionen Euro jährlich sind das Peanuts. Selbst wenn allen Verweigerern alles gestrichen würde, stiege der Sozialhaushalt inflationsbedingt schneller weiter als die Einsparung ihn sinken lassen könnte.
Es ist unmöglich, das zu verhindert. Staatsausgaben sind eine Einbahnstraße. Dass Steuern und Abgaben immerfort steigen müssen, ist ein Naturgesetz. Seit Angela Merkel ihr Amt antrat, haben sich die Sozialausgaben verdoppelt. Auch die Steuereinnahmen stiegen von 452 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf zuletzt fast 950 Milliarden Euro. Allein im vergangenen Jahr gelang ein Sprung um 3,5 Prozent - das durchschnittliche Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung steig von ehemals 6.500 Euro auf nun 11.234 Euro.
Nur die Verschuldung hält Schritt
Nur die Staatsverschuldung hielt damit halbwegs Schritt: Aus Verbindlichkeiten in Höhe von 1,5 Billionen Euro, die in den 60 Jahren zwischen 1950 und 2020 aufgelaufen waren, wurden durch die Umgehung der Schuldenbremse durch diverse Sondervermögen 2,5 Billionen.
Geld, von dem nicht nur Finanzminister Lars Klingbeil sagt, dass es hinten und vorn nicht reichen wird. Doch woher nehmen und wem stehlen? Angesichts der aktuellen Wahlumfragen, in denen die Regierungsparteien so weit weg sind von einer Mehrheit wie die EU von der weltweiten Technologieführerschaft, kann sich die Koalition kein weiteres gebrochenes Versprechen leisten.
Der unbeliebteste Kanzler
Friedrich Merz ist auch so schon nach nicht einmal einem halben Jahr im Amt der unbeliebteste Kanzler aller Zeiten, ein Kunststück, das zu vollbringen dem Nachfolger des bis dahin unbeliebtesten Amtsinhabers Olaf Scholz nicht einmal seine eingeschworenen Feinde zugetraut hatten. Der Koalitionspartner SPD regiert unter einer aus alten Genossen der Ampel-Ära notdürftig neugebildeten Führung weiter im Selbstmordmodus: In einigen ostdeutschen Bundesländern ist sie einstellig, auch in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg gleich die schmale, beinahe durchsichtige Silhouette der einstigen Volkspartei verblüffend der der FDP der Jahre nach 2022.
Niemand hat die Absicht, die Steuern zu erhöhen. Aber nach Lage der Dinge wird nichts anderes übrigbleiben. Bärbel Bas, die frühere Bundestagspräsidentin, der ihre einst genossene Ausbildung zur Bürogehilfin den Nimbus einer echten Sozialdemokratin aus dem Volk verschafft hat, spricht denn auch lieber von "Zumutungen", wenn sie die Notwendigkeit erörtert, irgendwie über die nächste Zeit zu kommen.
"Neue Grundsicherung"
Die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin hat nach Monaten in Klausur die Bezeichnung "Neue Grundsicherung" für den ungestörten Weiterbetrieb eines Systems vorgeschlagen, dessen Begünstigte nach Angaben der Berliner "Morgenpost" zur "Hälfte inzwischen Nicht-Deutsche" sind. Ein Zustand, der nicht einmal der deutschen Sozialdemokratie wirklich gefällt, weil die verbliebenen Teile der alten Basis langsam das Verständnis verlieren. Den sie aber leider Gottes im Unterschied zum Namen des größten Alimentationssystems der Welt auch nicht ändern kann.
Wie seinerzeit der Teilvorgänger SED steht die große stolze "Arbeiterpartei" (Willy Brandt) für das Konzept eines rundum betreuten Lebens. Aus der den Parteien vom Grundgesetz vorgegeben Aufgabe, an der Willensbildung mitzuwirken", hat die SPD eigenständig die gemacht, "das tägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu regeln". So, glauben sie in der Partei, die 21 der letzten 25 Jahre Regierungsverantwortung trug, "sieht es das Grundgesetz vor". Und so wäre auch eine Sozialpolitik begründbar, die allen alles nimmt, auf dass es die Parteiführer anschließend als Wohltaten unters Volk streuen.
Ein rundum betreutes Leben
Für diesen Service muss der Bürger zahlen. Und ist er nicht willig, dann wird Bärbel Bas die "Zumutungen gerecht verteilen". Wenn allen etwas genommen wird, damit der Staat mehr hat, darf sich niemand beschweren - das ist aus dem Versprechen der "Steuersenkungen für 95 Prozent" geworden. Um Tricks und Kniffe, an das Geld der Leute zu kommen, ist die Arbeitsministerin so wenig verlegen wie es ihre Vorgänger dabei waren, die Milliarden wieder loszuwerden.
Mit der "Anpassung" der Beitragsbemessungsgrenze hat Bas eine Möglichkeit gefunden, die Reichen, Wohlhabenden und Überverdiener zur Kasse zu bitten, die bei der deutschen Sozialdemokratie vor einigen Wochen noch als "hart arbeitende Mitte" gerühmt und mit haltlosen Zusagen anstehender Erleichterungen zur Stimmabgabe verführen wollte.
Immer mehr für den Staat
Die Anpassung ist eigentlich ein Routinemanöver. Der laufenden Geldentwertung folgend, beansprucht der Staat einen beständig wachsenden Anteil der Erwerbseinkommen als beitragspflichtig. Vor 25 Jahren noch wurden Rentenbeiträge auf nur 4.397 Euro des Monatseinkommens erhoben, bei der Krankenversicherung waren gar nur 3.298 Euro beitragspflichtig. Das hat sich deutlich geändert: Für die Rentenversicherung liegt die Bemessungsgrenze heute bei 8.050 Euro monatlich, bei Kranken- und Pflegeversicherung bei 5.512,50 Euro.Der numerische Anstieg liegt bei 67 und 83 Prozent - keine Bundesregierung hat es versäumt, wenigstens die allgemeine Inflationsrate auf den beitragspflichtigen Einkommensanteil aufzuschlagen. Bärbel Bas geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie will die Lohnentwicklung zum Maßstab ihres Versuches nehmen, die Einnahmen unauffällig, aber beträchtlich zu erhöhen.
Ein gewieftes Manöver gerade vor dem Hintergrund einer anderen Kenngröße, bei der im zurückliegenden Vierteljahrhundert das Gegenteil passierte: Der sogenannte "Sparerfreibetrag", der den Anteil an Zins- und Kapitaleinkünften beschreibt, bei dem der Finanzminister darauf verzichtet, ein Viertel plus Solidarzuschlag für sich zu vereinnahmen, ist trotz einer Geldentwertung um etwa 50 bis 70 Prozent seit dem Jahr 2000 nicht etwa gestiegen, sondern um ein Drittel gesenkt worden.
Nur beim Kassieren schnell
Wo er nehmen kann, ist der Staat schnell mit der Kasse bei der Hand. Wo er geben müsste - so nennen Politiker es, wenn sie zumindest nicht noch mehr nehmen - lässt er sich Zeit und Zeit und noch mehr Zeit. Jeder einzelne Augenblick ist bares Geld: Auf Gutverdiener würden mit den neuen Beitragsbemessungsgrenzen ohnehin höhere Abgabe von mehreren hundert Euro im Jahr warten. Die Bas-Erhöhung, doppelt so kräftig wie in der Vergangenheit üblich, lässt die hart arbeitende Mitte noch ein wenig mehr bluten.
Und das letzte Wort ist noch nicht gebrochen. Der an eine Bauernbühne erinnernde Streit zwischen den Koalitionspartnern über "Reformen" mit oder ohne Kürzungen und Steuererhöhungen ist aller Erfahrung nach nur das Vorspiel für einen neuen großen Wurf. Unbeliebt und ohne Zukunft wie sie sind, könnten Merz und Klingbeil auch noch "ein paar Steuererhöhungsfantasien" (Wolfgang Kubicki) in die Realität zerren.
Abgaben auf Abgaben
Vielleicht wird es eine Mehrwertsteuererhöhung? Vielleicht ein Verteidigungssoli? Eine Luftverteidigungsabgabe wäre hübsch, eine Steuer auf die Grundsteuer ertragreich und dass Abgaben Beiträge hierzulande bisher nicht einmal mit dem niedrigen Umsatzsteuersatz belegt werden, spricht für eine sehr begrenzte Fantasie im Finanzministerium.
Ist der Ruf erst ruiniert, kassiert es sich erst ungeniert: Merz und Klingbeil haben beide nichts mehr zu verlieren, zu gewinnen haben sie auch nichts. Sie können die Weichen für lange Zeit stellen: Die Schaumweinsteuer, von Kaiser Wilhelm 1902 erfunden, um Deutschland eine große Flotte bauen zu können, wird heute noch eingetrieben. Und den Solidarzuschlag, 1991 auf ein Jahr befristet, zahlt bis heute jeder Rentner, dessen Spargroschen mehr abwerfen als der zuletzt auf 1.000 Euro festgelegte Steuerfreigrenze für Kapitalerträge.
1999, der halbe Liter Bier in der Kneipe kostete 1,50 oder zwei Euro, hatte er noch bei 3.000 Euro gelegen.
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