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Der junge Maler Kümram hat den typischen deutschen Handy-Startbildschirm in Öl gemalt. |
Ursprünglich sah der Plan etwas anders aus. Europa hatte sich freimachen wollen aus der Abhängigkeit von amerikanischen Internetfirmen, deren Verständnis von Netzhygiene seit dem Abschied Joe Bidens aus dem Weißen Haus in eine von Brüssel und Berlin aus betrachtet extremistische Richtung geht. X und Facebook, Google und all die anderen Netzwerke spuren nicht mehr, wenn Correctiv und die Amadeu-Stiftung zu Sperren auffordern.
Das ZDF-Projekt "Raven"
Nicht nur Robert Habeck, Thierry Breton und verschiedene damals noch führende SPD-Politiker hatten sich vor diesem Hintergrund dafür ausgesprochen, Google, X und Facebook noch einmal zu erfinden, diesmal aber europäisch und von Anfang an streng überwacht. Auch die EU-Kommission legte die Instrumente auf den Tisch: Bis Europa eines Tages selbst entwickelt haben wird, was beim ZDF als Projekt "Raven" längst in der Mache ist, sollten sich die Großkonzerne aus Übersee unterwerfen. Oder aber die Kommission würde sie mit den Waffen, die sie sich mit dem Digital Service Act, dem Digital Markets Act und dem Data Governance Act selbst gebaut hat, zur Folgsamkeit zwingen.
Bei X war es zuerst so weit. Tage nur setzte Brüssel dem Besitzer der Kurznachrichtenplattform als Frist, um sich einer Befragung zu stellen. Elon Musk ignorierte die Vorladung. Die Kommission wiederholte sie, doch bereits ahnend, dass auch das keine Wirkung haben würde, leitete sie ein sogenanntes "förmliches Verletzungsverfahren" gegen den "Höllenschlund" (SZ) ein.
Angst vor Konsequenzen
Ermitteln wollte die EU damals, im Dezember 2023, inwiefern X wirksame "Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation" ergriffen hat. Musk solle dazu "meinem Team die ergriffenen Maßnahmen mitteilen" und gleich auch die Algorithmen offenlegen, die unter der Haube von X rattern. Thierry Breton, ein Franzose, der wenig später in die Rente abgeschoben wurde, drohte ultimativ: "Dass alle negativen Auswirkungen illegaler Inhalte auf X in der EU im Zusammenhang mit dem laufenden Verfahren und der Gesamtbewertung der Einhaltung des EU-Rechts durch X" zu Konsequenzen führen würden.
Die Maus mit EU brüllte. X war auf Bewährung. Brüssel sortierte bereits "unser Instrumentarium" (Breton), um es "voll auszuschöpfen, um die EU-Bürger vor ernsthaftem Schaden zu schützen". Im Sommer vor einem Jahr war dann klar: X verstößt "in Schlüsselbereichen der Transparenz" gegen EU-Recht.weil es "Dark Patterns verwendet und somit Nutzerinnen und Nutzer irreführt, kein angemessenes Werbearchiv zur Verfügung stellt und den Zugang zu Daten für Forschende blockiert".
Es drohte eine Sperre für den Dienst in ganz Europa - unter anderem, weil X gegen Gebühr einen blauen Haken anbietet, der zeigen soll, dass der betreffende Nutzer eine Gebühr für seinen Account bezahlt und nicht wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen grau markierten kostenlosen Staatshaken nutzt.
Die brüllende MEUs
Es wäre wohl so gekommen, die MEUs hätte zugebissen, um zu zeigen, was sie kann. Doch dann kam Donald Trump nicht nur für viele Mitarbeiter von ARD, ZDF, Spiegel, SZ und Taz überraschend ins Weiße Haus zurück. Und je strenger der neue, alte Präsident nach Europa schaute, desto mehr sank dort der Mut, sich ausgerechnet jetzt mit Tech-Konzernen anzulegen, deren Chefs zur Rechten und zur Linken Trumps saßen. Aus Mut wurde Kleinmut. Die großen Pläne einer europäischen Resilienz, aufgebaut aus nicht existierender Software, nicht existierenden Internetplattformen, fehlenden eigenen Chips und erstickenden Auflagen für jeden, der versuchen würde, eine Idee umzusetzen, die es noch nicht gibt, verwandelte sich in einen tief geduckten Bückling.
Codename "Pausierung" - Recht muss Recht bleiben und unabhängig gegen jedermann angewendet werden. Doch so wie die EU in der Lage ist, angesichts dauerhafter Verstöße gegen die europäischen Grundlagenverträge so lange von Strafen gegen die Mitgliedsstaaten abzusehen, bis es gelungen ist, einen Dschungel an Ausnahmetatbeständen zu erfinden, ist sie auch fähig, die erst im Januar noch einmal demonstrativ "verschärften" (Tagesschau) Untersuchungen wegen mutmaßlicher Verstöße zu verlangsamen, wenn ein zorniger Präsident nicht weiter verärgert werden soll.
Angriff durch die Hintertür
Brüssel hat eine andere Möglichkeit gefunden, die Amerikaner zu brüskieren, ohne dass es wie Absicht aussieht. Bei der Öffnung des Zugangs zum EU-Finanzdatenmarkt, einem bisher fest verschlossenen Reich, will die EU Meta, Apple, Google und Amazon strikt ausschließen. Als Begründung dient der Vorwurf, die Big-Tech-Konzerne würden anderenfalls sicher sensible Daten missbrauchen, wenn der seit zwei Jahren verhandelte Financial Data Access Regulation (FIDA) ihnen die Chance gäbe, an Informationen über das Ausgabe- und Sparverhalten der Menschen zu gelangen und ihnen auf dieser Basis neue digitale Finanzprodukte anzudrehen.
Das soll nach dem Willen der Kommission den alteingesessenen Banken überlassen bleiben, die lange um dieses exklusive Privileg gekämpft hatten. D sieht aus wie eine kleine Entschädigung dafür, dass die EU plant, mit dem digitalen Euro der EZB in zwei, drei Jahren erstmals Zentralbankgeld direkt an die Bürgerinnen und Bürger auszugeben und die traditionellen Banken damit beiseitezuschieben. In Wirklichkeit aber entspringt dem Wunsch, dass auch im Geldgeschäft alles bleiben möge, wie es immer war. Und die, die alles umstürzen, am besten draußen bleiben.
Keine neuen Dienstleistungen
Statt der großen Internetkonzerne sollen es die Banken sein, die "neue Dienstleistungen" und neue Arten der Finanzberatung erfinden. Google und Co dabei mitmachen zu lassen, hatten die Lobbyisten der Großbanken mit dem Argument abgelehnt, das würde deren "marktbeherrschende Stellung stärken". Diese nebenbei auch den eigenen Interessen dienenden Bedenken der Branche wurden von der Europäischen Kommission und den wichtigen europäischen Regierungen ernst genommen. Wenn schon keine Sondersteuer für die Garanten einer funktionierenden europäischen Digital-Infrastruktur, dann wenigstens geschlossene Schotten, "um die Entwicklung eines digitalen Finanzökosystems in der EU zu fördern, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und die digitale Souveränität der Verbraucher zu schützen".
Abschließend beschlossen ist das alles noch nicht. Wie immer müssen Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament dem endgültigen Text der Verordnung der Form halber noch zustimmen. Bis dahin hoffen sie überall, dass der Ausschluss der großen US-Unternehmen nicht in Washington bekannt wird. Donald Trump hatte noch nach Abschluss der Zollverhandlungen angekündigt, auch nach dem Abschluss eines Handelsabkommen jederzeit Vergeltungszölle verhängen zu wollen, wenn US-Technologieunternehmen unfair behandelt werden.
Nur 25 Jahre später
Das Handelsabkommen existiert bis heute nicht, die Drohung aber steht im Raum. Und auch wenn die 440 Millionen betroffenen Europäer aus ihren Medien kein Wort über die weitreichenden Beschlüsse zum Boykott von Google, Meta, Amazon, X und Co. erfahren, könnte es doch jederzeit sein, dass sich die Chefs der Tech-Unternehmen selbst bei Trump beschweren. Sie sind schließlich der Meinung, dass auch die Verbraucher in der EU verlieren werden, wenn nur die etablierten Banken die Möglichkeit bekommen, sogenannte "innovative Finanzdienstleistungen" zu erfinden und anzubieten. Vieles spricht dafür: Mit "Wero" haben die Geldinstitute es 25 Jahre nach der Gründung von Paypal geschafft, eine deutlich schlechtere eigene Plattform zur schnellen Zahlung per Mail zu entwickeln.
"Die ursprüngliche Vision von FiDA war es, den Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Daten und Zugang zu besseren zu geben", sagt Daniel Friedlaender, Leiter der Computer & Communications Industry Association Europe, zu deren Mitgliedern viele Big-Tech-Konzerne gehören. Jeder hätte dann selbst entscheiden sollen, welche Daten er wem zur Verfügung stellt. Angesichts des stillen Krieges der EU gegen den früheren großen Bruder in Amerika aber nutzt die Kommission die Gelegenheit, die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher vorab einzuschränken und auf die Firmen zu beschränken, die bereits Zugang zu den Kundendaten haben, ohne das bisher genutzt zu haben.
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