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| Die Lufthansa hat seit 2019 bereits 24 innerdeutsche Strecken eingestellt, im kommenden Jahr werden weitere 100 innerdeutsche Flüge pro Woche nicht mehr stattfinden. |
Befreiungsschlag. Herbst der Reformen! Aufschwung jetzt, gerade noch im letzten Moment. Friedrich Merz und Lars Klingbeil haben viel versprochen, als sie vor vielen Monaten antraten, den eingeschlafenen Riesen Deutschland wiederzuerwecken. Doch mit dem neuen Wirtschaftsstärkungspaket gelang Schwarz-Rot ein überraschend großer Coup. Deutschland, schallt es aus Berlin, ist zurück. Die Jahre der Depression sind beendet. Mit der früheren Wirtschaftsgroßmacht muss wieder gerechnet werden.
Habecks Klimakilleridee
Nur vier Monate nach der Ankündigung, man wolle jetzt "schnell die Wirtschaft stärken", geht es auch schon in die ersten Vorbereitungen. Ab Januar, pünktlich, wenn die CO₂-Steuer das nächste Mal steigt, wird endlich ein sogenannter "Industriestrompreis" eingeführt. Dabei handelt es sich um eine alte Klimakilleridee, die der damalige Klimawirtschaftsminister Robert Habeck schon 2023 vorgeschlagen hatte.
Aus Angst vor einem Zusammenbruch der fossilen Industrien, die damals stark davon zu profitieren begann, dass mit im Ukrainekrieg kein teurer Atomstrom mehr die Netze verstopfte, hatte der grüne Visionär eine solidarische Lösung ins Spiel gebracht: Private Verbraucher und kleine Unternehmer würden mit ihren Steuern und einer klaglosen Begleichung ihrer hohen Energierechnungen genügend Geld zusammenbekommen, um den alten Fossilriesen BASF, Bayer, Salzgitter und Evonik das weiterwirtschaften zu ermöglichen.
Dadurch, so hatten Habecks Experten durchgerechnet, blieben Arbeitsplätze erhalten, Steuereinnahmen flössen weiter, Familien könnten ihre hohen Energierechnungen begleichen und der Standort werden dauerhaft gesichert.
verschobenes Experiment
Wegen des Widerstandes der damals noch existierenden FDP, die demonstrativ nach einer "marktwirtschaftlichen Lösung" im Interesse ihrer Sponsoren rief, konnte das Modell von der Ampel allerdings nicht mehr ausprobiert werden. Umgesetzt wird der Vorschlag erst jetzt von einer Koalition, die in ihrem Eifer, grundlegende Reformen durchzuführen, nicht bei einem von den privaten Haushalten subventionierten Industriestrompreis stehenbleibt.
Friedrich Merz, viel gescholten wegen der zahllosen Versprechen, die er schon in den ersten Wochen und Monaten seiner Amtszeit brechen konnte, geht im achten Monat seiner Kanzlerschaft aufs Ganze: Auf die faktische Streichung der Schuldenbremse, den Investitionsbooster und den Industriestrompreis lässt er mit einer Rücknahme der zuletzt beschlossenen Erhöhungsstufe der Ticketsteuer für den Luftverkehr ein weiteres Stück Ampelerbe abwickeln. Zum 1. Mai 2024 hatte die Vorgängerregierung die sogenannte "Luftverkehrsabgabe" für alle Abflüge von deutschen Flughäfen auf – je nach Entfernung – 15, 40 und 70 Euro angehoben.
Doppelt so hohe Nebenkosten
Nach Angaben des Flughafenverbandes ADV liegen die staatlich verordneten Nebenkosten für einen Mittelstreckenflug mit einem Airbus A320 in Deutschland rund 3.545 Euro – in Nachbarländern wie Österreich, Frankreich oder den Niederlanden betragen sie nur durchschnittlich 1.298 Euro.
Das sollte so sein. Ziel war es einerseits, zusätzliche Einnahmen für die Staatskasse zu generieren. Andererseits aber auch, den als klimaschädlich und unnütz begriffenen Luftverkehr im Zuge der Klimawende zurückzudrängen. Statt zu fliegen, sollten Bürgerinnen und Bürger den Zug nehmen. Da der oft nicht oder doch nie zuverlässig verkehrt, steckte darin die Botschaft, dann eben gleich daheim zu bleiben. Man kann auch mit dem Lastenrad im Stadtwald schöne Stunden erleben.
Bus- statt Us-Tourismus
Balkonien statt Spanien, Bus- statt US-Tourismus, das sollte die Zukunft sein. Die Maßnahme zeigte schnell große Erfolge: Im Unterschied zu sämtliche Nachbarstaaten hat sich der Luftverkehr in Deutschland bis heute nicht vom Corona-Tief erholt. Ein Flugticket in die Vereinigten Staaten kostet hierzulande zwar eigentlich auch heute nur um die 350 Euro. Doch über ein ganzes Dutzend unterschiedlicher Gebühren, Steuern, Abgaben, Umweltkosten- und Ausgleichszuschläge liegt der vom Fluggast zu zahlende Gesamtpreis letztlich bei über 800 Euro.
Das ist so teuer, dass zur diesjährigen Klimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém nicht einmal mehr der Kern der deutschen Klimaschutzklasse anreisen konnte. Ein letztes Alarmzeichen für Schwarz-Rot. Zwar spielt die 2011 von Angela Merkel eingeführte Luftverkehrssteuer Jahr für Jahr mehr als 1,5 Milliarden Euro ein. Nach der Erhöhung waren sogar zwei Milliarden eingeplant - mehr als genug, um die 1,5 Milliarden einzuspielen, die das Deutschland-Ticket an Zuschüssen braucht.
Beliebte Bremsspuren
Doch die Bremsspuren der wegen der hohen Koste ausbleibenden Passagiere richten noch deutlich mehr Schaden an. Weit im Westen der Republik weichen Fluggäste nach Frankreich aus, im Norden nach Amsterdam, im Süden in die Schweiz und Österreich. Immer mehr Sachsen fliegen von Prag aus und Mecklenburger haben den kleinen Flughafen in Swinemünde entdeckt.
Überall verzeichnen die Betreiber teils zweistellige Wachstumsraten. In Deutschland hingegen ist selbst der Berliner Vorzeigeflughafen "Willy Brandt" bis heute noch nicht wieder bei den Passagierzahlen angelangt, die der frühere Berliner Hauptstadtairport Tegel hatte. Ryanair hat sich vielerorts komplett zurückgezogen, Wettbewerber wie Wizz dünnen ihr Netz aus, selbst die Lufthansa hat Dutzende Verbindungen gestrichen.
Luisas langer Kampf
Der Kampf gegen Inlandsflüge, den Langstreckenluisa, die Grünem, die SPD, die - inzwischen verstorbene - Klimabewegung "Letzte Generation" und große Teile der Frequent-Flyer-Medien ausgerufen hatten, trug reiche Früchte. Bürgerinnen und Bürger, von der Inflation ohnehin hart getroffen, verzichteten massenhaft darauf, sich noch Flugreisen zu leisten, wie sie für die politische und aktivistische Klasse zum Kern des eigenen Lebensmodells gehören.
Die Lufthansa allein hat mittlerweile 24 innerdeutsche Strecken komplett eingestellt, im kommenden Jahr werden weitere 100 innerdeutsche Flüge pro Woche nicht mehr stattfinden. Das Angebot an Flügen in Deutschland insgesamt ist im Vergleich zu 2019 um rund 20 Prozent geschrumpft. Ganze Regionen sind vollkommen vom Luftverkehr abgehängt. Der nächste Weg hinaus in die Welt beginnt mit einer stundenlangen Autofahrt zu einem der wenigen Flughäfen, die noch eine globale Anbindung haben.
2,5 Prozent Preissenkung
Das ist der Bundesregierung nun aber auch wieder nicht recht - und so dreht sie die Preisschraube ein Stück zurück: Rein rechnerisch sinkt die Ticketsteuer auf der Kurzstrecke von 15,53 Euro pro Person auf etwa 13 Euro, bei Flügen bis 6.000 Kilometer werden nicht mehr knapp 40, sondern nur noch 33 Euro fällig. Und Fernreisende zahlen 80 Euro pro Person und Reise wieder nur um die 60.
Insgesamt werden die Mindereinnahmen des Finanzministers auf 350 Millionen Euro geschätzt. Eine Summe, die ein deutsches Bundesland problemlos als "Paket für Natur- und Artenschutz auch für kommende Generationen" spendiert. Dass die Spitzen von CDU, CSU und SPD das als Rettungsring für eine Branche sehen, die wie viele andere kurz vor dem Zusammenklappen steht, ist selbst mit Blick auf die personelle Besetzung des Kabinettstisches nicht wirklich zu vermuten.
Eine traurige Dimension
Die Dimension der "Erleichterungen" zeigt vielmehr deutlich, wie verzweifelt die Lage wirklich ist: Statt durchgreifender Veränderungen gelingt es Schwarz-Rot allenfalls, nach monatelangen Verhandlungen kosmetische Pinselstriche zu setzen, die kaum mehr in der Lage sind, die Solidarmedien zum pflichtschuldigen Applaus zu veranlassen. Die Steuer-, Gebühren- und Abgabenaufschläge auf ein Langstreckenticket sinken von 450 Euro auf 430. Eine Verminderung um 2,5 Prozent des Gesamtflugpreises. Zweifel, ob das die Branche rettet, sind angebracht. Bei kürzeren Flügen ist es etwas weniger.
Der Berg kreise und er gebahr die nächste Maus.
Symbolische Bedeutung
Auch der nach fast dreijährigem Ringen angekündigte Industriestrompreis hat eher symbolisch Bedeutung als durchschlagende Wucht. Einerseits bleibt der Kreis der Unternehmen, die überhaupt drauf hoffen dürfen, von den privaten Stromkunden subventioniert zu werden, auf einige wenige große Firmen beschränkt, denen die Bundesregierung überragende Bedeutung zumisst, weil die krisenhaften Erscheinungen hier schon so weit fortgeschritten sind, dass Produktionsanlagen heruntergefahren und ganze Unternehmesnbereiche geschlossen werden.
Auch die Glücklichen, die von der auf zwei Jahre begrenzten Zuschussregelung profitieren, bekommen nur ihren halben Verbrauch für fünf Cent je Kilowattstunde. Die Hälfte der dadurch erzielten Einsparungen müssen sie im Gegenzug in Klimaschutzmaßnahmen und neue, ernergieeffizientere Anlagen investieren - unabhängig davon, ob sich das wirtschaftlich rechnet. Der Rest des Energiebedarfes muss weiterhin voll bezahlt werden.
Im Tausch gegen zusätzliche Bürokratie
Bei einem durchschnittlichen Strompreis von 17 bis 18 Cent, wie ihn deutsche Industrieunternehmen derzeit tragen müssen, beläuft sich die Senkung durch den Industriestrompreis also nicht auf zwölf bis 13 Cent pro Kilowattstunde. Sondern bestenfalls auf sechs bis sieben, erkauft mit zusätzlicher Bürokratie, denn die Großverbraucher werden das alles abrechnen und ihre Klimainvestitionen nachweisen müssen. Beim Staat entstehen im Gegenzug neue Kontrollorgane, die nachrechnen, prüfen und den Finger auf jeden Posten legen.
Für die wacklige Koalition in Berlin ist dieses kleine Karo eine ganz große Nummer. Bärbel Bas sagte stolz, man habe damit "gezeigt, dass die demokratische Mitte auch zu Entscheidungen komme". Das Signal sei klar. Nun sei es an den Unternehmen, "diese Entscheidungen dafür zu nutzen, Standortsicherheit und Beschäftigungssicherheit" zu geben. Auch CSU-Chef Markus Söder sieht in den lauwarmen Schrittchen, Deutschland nicht noch schneller zu deindustrialisieren, ein "Ankurbeln der Konjunktur".
Bundeskanzler Friedrich Merz, der inzwischen schon seit sechs Wochen die vielen, vielen Investitionsangebote, ordnet, die sich im Kanzleramt stapeln, ist sicher, dass die EU auch zustimmen werde. Die Tragödie wäre ja auch perfekt, täte sie das nicht.


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