Montag, 18. Mai 2009

Aufstieg dank Armut

Kommt Zeit, kommt Rat. Kommt aber eine Studie zur "Armut in Deutschland", kommt mit derselben klebrigen Folgerichtigkeit ein gellend lauter Armutsalarm. Der Paritätische Wohlfahrtsverband, der massiv Stellen abbauen müsste, gebe es nicht die vielkritisierte und seit 1945 immer weiter auseinanderklaffende "Schere zwischen arm und reich" (dpa), diagnostiziert folglich in seiner "alarmierenden Armutsstudie" (Der Spiegel), dass viele Landkreise im Osten und Nordwesten in einem "Teufelskreis der Verarmung" steckten. Und, das wird nun ein echtes Zauberkunststück werden, "die Wirtschaftskrise könnte die Lage noch verschlimmern".

In den verwendeten Zahlen von 2007 klafft die Schere noch richtig schön. Kein Wunder, denn als Bezugsgröße gelten 60 Prozent des Durchschnittseinkommens: Für einen Single 764 Euro, für einen Alleinerziehenden mit einem Kind 994 Euro, mit zwei Kindern 1223 Euro, für ein Paar ohne Kind 1376 Euro, ein Paar mit Kind 1605 Euro und ein Paar mit zwei Kindern 1835 Euro.

1835 Euro ist so ziemlich genau der Nettobetrag, den ein in Vollzeit beschäftigter Mitarbeiter eines deutschen Landtagsabgeordneten verdient - Kindergeld für Töchterchen und Söhnchen selbstverständlich schon eingerechnet. Ist Landtagsmitarbeiters Ehefrau zufällig Hausfrau, ist der Mitarbeiter also per Definition arm, weil er und seine Familie weniger als 60 Prozent des deutschen Durchschnitteinkommens zur Verfügung haben.

Wir wissen nicht, wie deutsche Landtagsabgeordnete diesen grauenhaften Umstand mit ihrem Gewissen vereinbaren. Mancher lässt seine Mitarbeiter gleich zwei Vollstellen besetzen, die meisten aber sehen der grassierenden Armut scheinbar tatenlos zu.

Deshalb auch liegt die Armenquote in Deutschland je nach Region zwischen zehn und 24 Prozent. Viele, viele Menschen müssen ähnlich leiden wie die Mitarbeiter der Frauen und Männer, die in den Landtagen sitzen und Tag für Tag dafür kämpfen, Deutschland zu einem schöneren und gerechteren Ort zu machen.

Vergebens. Denn, so fabuliert der Wohlfahrtsverband, "im Zuge der Wirtschaftskrise könnte die Armut in Deutschland massiv ansteigen". Wie das geht, rechnet der "Armutsatlas" allerdings nicht vor, denn mathematisch gibt es gar keine Formel, die ein solches Ergebnis auswerfen kann. Sinken die Durchschnittslöhne, wie neulich bei einer Demo in Berlin von fortschrittlichen Menschen gefordert, die PPQ-Leser Manfred sofort fotografierte (Foto oben, danke dafür, Manfred!), etwa weil Menschen arbeitslos werden, kurzarbeiten oder Lohneinbußen hinnehmen müssen, steigt nämlich nicht die Armut. Sondern der eben noch arme Landtagspolitikermitarbeiter, dessen Gehalt dank der Großzügigkeit seines Landtagsabgeordneten gleich bleibt, wie von Zauberhand aus dem eben noch bedauernswerten Zustand des von der Armutsschere Geschnittenen zu einem plötzlich überdurchschnittlich gut verdienenden Mitbürger auf. Und das alles ohne einen Cent mehr im Portemonnaie zu haben.

So geht Statistik, hat nun auch die "Welt" ausgerechnet, so geht Armut in einem reichen Land. Und jede Wette: Auch der nächste Armutsbericht wird es schaffen, die Armut enorm steigen zu lassen. Hat er doch bisher noch jedes Jahr geschafft. Während sich die durchschnittlichen Haushaltseinkommen von 12.400 Euro im Jahr 1973 auf 27.500 Euro im Jahr 2007 mehr als verdoppelten

5 Kommentare:

nwr hat gesagt…

"Während sich die durchschnittlichen Haushaltseinkommen von 12.400 Euro im Jahr 1973 auf 27.500 Euro im Jahr 2007 mehr als verdoppelten."

Ohne Inflations- und Preissteigungsbereinigung ist das keine Aussage, schließlich stiegen die durchschnittlichen Gehälter zwischen 1922 und 1923 auch von 5 Millionen auf 50 Milliarden RM, ohne daß es den Menschen besser gegangen wäre.

ppq hat gesagt…

der posten steht aber beim statistischen bundesamt halt so nackt da, uninflatiohnsbereinigt. es hat immerhin gereicht, die armut zu erhöhen

volesne hat gesagt…

bezugsgöße ist nicht der mittelwert (alle einkommen aufsummiert und durch durch alle empfänger geteilt) sondern der median (alle einkommen nach höhe sortiert und dann das in der mitte genommen) damit ist das aufstiegsargument schon dahin.

Tim hat gesagt…

Mißt das Statistische Bundesamt auch die geistige Armut in Deutschland?

nwr hat gesagt…

@volesne
Ja, so ist es richtiger. Das Ergebnis wäre auch im Mittelalter verfälscht, wenn man den Besitz von Adel und Gesinde zusammenaddiert und durch die persona geteilt hätte, um festzustellen, daß 100 % der Menschen eigentlich genau über der Armutsgrenze leben, es also per Statistik keine Armut gibt. Und heute geht die Schere zwischen Arm und Reich auch wieder weiter auseinander, auch wenn man konstatieren muß, daß unter „Armut“ im Mittelalter etwas anderes verstanden wurde als heute.

@Tim
Wenn es darum ginge ... Nein, ein totalitär materialistisches Zeitalter wertet nur in momentan verbrauchbarer Materie, nicht in Zukunftsressourcen wie Kinderreichtum, Bildung, gemeinschaftsbildendem Mythos ... Und da sieht es ganz trostlos aus.