Freitag, 30. April 2010

Wir sind Kachelmann

Allein machen sie Dich ein, mit sechs dagegen ist gut kleben: Das größte Geheimnis der modernen mitteldeutschen Kunst ist gelüftet, das Rätsel des Kachelmannes, der seit Jahren unermüdlich liebevoll gestaltete Fliesen-Unikate an die Fassaden der Saalestadt Halle klebt, gelöst. Fünf junge Männer, kunstbeflissen, einfallsreich, im Freeclimbing geübt, wollen ihrer Stadt nach Recherchen des Street Art-Magazins "Bild" durch eine Neuverfliesung der gründerzeitlichen Altstadt überregional zu Ruhm und Ansehen verhelfen. Am Ende stehe der Traum vom Unesco-Welterbetitel, davor aber steht eben beharrliche, beinahe allnächtliche harte Nachtarbeit ohne öffentlichen Dank für die Kachel-Aktivisten, die sich Diego, Dooh, Le Phonk, Jay Flow, Hermano und Hubertus nennen, weil sie Angst vor den Nachstellungen der Staatsmacht haben müssen. Ein Dienst am Gemeinwesen, das von diesem noch kaum geschätzt wird, wie ein Dokumentarfilm des MDR erst kürzlich zeigte.

"Ostfliesland" haben Kacheleologen hier in der einzigen offiziellen Kachel-Galerie PPQ das raumgreifende Projekt des fünffachen Kachel Gott genannt, "Yeah!" nennen sich die jungen Künstler selbst, eine Verneigung vor Halle als zweitgrößte Beatles-Stadt neben Liverpool. Alle Fliesen, mit denen sie versuchen, den Verfall der rissigen Fassaden der Innenstadt zu stoppen, sind im Sinne der Nachhaltigkeit aus Abrisshäusern geborgen und später mal zart, mal kräftig bemalt. 500 Fliesen, jeweils Unikate, hat das Quintett bislang geklebt: Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der städtebaulichen Probleme der angeblichen IBA-Stadt Halle, doch allemal ausreichend, um Fliesen-Führungen für neugierigen Kachel-Gott-Fans oder Fliesen-Kalender und Bildbände anzubieten.

Da müsste aber wohl das Stadtmarketing erwachen, da müsste im Rathaus, bislang fliesenfeindlich damit beschäftigt, ganze Straßenzüge abzureißen, nur weil dort von Kachelfreunden besonders geschätzte und vielbesuchte Fliesen ausgetsellt sind, ein entschlossenes Umdenken einsetzen, zugunsten der Kunst, zugunsten der jungen Künstler, deren Werk eine deutliche Sprache spricht: Unsere Jugend ist keine Jugend, die immer nur yeah, yeah und yeah ruft! Unsere Jugend ist beseelt vom Geist eines van Gogh, angetreten, die Erinnerung an das von brutalen Banausen geschleifte Fäuste-Denkmal, an den zur Fettleibigkeit neigenden Fußballzauberer Maradona und an die Artenvielfalt imKäferreich zu bewahren, wie selbstlose Sammler hier im großen Kachelverzeichnis zeigen. Die Unesco versucht derzeit noch, das wachsende Werk, das sich den Klickzahlen im Internet zufolge wachsender Beachtung weltweit erfreut, zu ignorieren. Technokraten bei der Arbeit, denen die verschwundenen Statuen von Bamiyan mehr Weltkurlturerbe sind als das von Schulklassen, Kindergruppen und künftigen Zivildienstleistenden im Einführungskurs Demokratie und FDGO tatsächlich begreifbare Kunstwerk in der Nachbarschaft.

Doch die breite Volksbewegung der Fliesenfrunde wird nicht nachlassen, für das große Ziel des Kachel-Kollektivs zu kämpfen. Jeder ist aufgefordert, eigene Funde direkt an politplatschquatsch@gmail.com geleitet werden, jeder Fund wird von uns auf Wunsch mit einem vom japanischen Computerhersteller Lexmark persönlich hergestellten Kunstdruck der von Kachel-Gegnern vernichteten Ur-Fliese prämiert.

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