Donnerstag, 12. August 2010

Mit dem Gesicht zum Volke

Mit dem Gesicht zum Volke positioniert sich Verbraucherministerin Ilse Aigner seit Monaten unbeirrt gegen die Weltmachtpläne des Internetkonzerns Google. Jetzt greift die gelernte Fernsehmechanikerin, die bereits ihren Austritt bei Facebook öffentlichkeitswirksam zelebriert hatte, zur Selbsthilfe auch gegen das menschenverachtende Street-View-Projekt des Netzmultis: Per Widerspruch zwingt Deutschlands oberste Verbraucherschützerin die Datenkrake, Fotos ihrer Privatvilla im Internet zu pixeln. So könne jeder Wähler sofort sehen, wo sie wohne, und sich ein Bild von ihrem Verhältnis zu Offenheit und Demokratie machen.

Ein Stück gelebte Transparenz, der sich Politiker aller Parteien anschließen wollen, noch ehe Google im Herbst seinen Online-Kartendienst Street View in Deutschland startet. Politiker-Villen sollen danach sofort ab Start von Street View daran zu erkennen sein, dass sie hinter einer groben Pixelung nicht zu erkennen sind.

Und das in 3D, wie die Fachagentur dpa herausgefunden hat. Einem aktuellen Report von Deutschlands einzig wahrer Staatsagentur zufolge geht es bei Street View nämlich insgeheim um nichts Geringeres als die Darstellung "dreidimensionaler Fotoansichten von Straßen und Gebäuden im Netz" - und das auf Bildschirmen, die grundsätzlich nur zweidimensional darstellen können.

Ein technisches Wunder, das auch Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer und einer der Netzexperten der Grünen, begeistert. Einen grundlegenden Fehler habe 2008 die damalige Bundesregierung gemacht, indem sie eine gesetzliche Regelung für das Abfilmen deutscher Innenstädte durch Google verpasst habe. Beck macht damit zum ersten Mal öffentlich, dass Google gar nicht fotografiert, sondern ganz Deutschland "abgefilmt" hat. Das war bisher ein gut gehütetes Geheimnis weniger Eingeweihter und bekennender Street-View-Gegner etwa aus Düsseldorf, die sich - wie oben im Bild zu sehen - jetzt aus Protest vor ihren Häusern im Düsseldorfer Mendelweg haben fotografieren lassen, um später dagegen Widerspruch einzulegen. Damit hat es das Rentnerquartett natürlich sofort in Google Maps geschafft.

Thomas Oppermann von der SPD kündigt das jetzt schon an. "Ich werde Widerspruch erheben gegen Fotos von meinem Haus und meinem Garten", sagt er und torpediert damit das gesamte Street-View-Projekt, das ihm "zu schnell und zu weit" geht. Wenn Google ausschließlich Wiesen, Feldränder und verträumte Wälder zeigen wollen würde, wäre das ganz anders. So aber zürnt auch der einst für die Freiheit aller von allem angetretene grüne Innenexperte Hans-Christian-Ströbele. "Ich bin gegen Google Street View und werde die Möglichkeit wahrnehmen, Einspruch einzulegen", sagt er, der schon längst nichts mehr begründen muss. Er findet das Projekt schlicht "ungeheuerlich", das müsse als Argument reichen.

Parteifreund Beck treiben noch ganz andere Sorgen um. „Falls Google die Daten in seiner Zentrale in den USA speichert, wird es später schwierig, die Löschung durchzusetzen“, formuliert Beck seine Ängste vor riesigen Datenbanken voller Filme von deutschen Hausfassaden, die unkontrolliert im Ausland liegen. Was, so heißt es unter der Hand, sei denn, wenn es wieder zum Krieg käme? Dann könnten fremde Mächte die detaillierten 3D-Filme nutzen, gezielt deutsche Städte zu bombardieren.

Beck will das verhindern. Er fordere „dringend internationale Regelungen“ für Internetdienste, sagte der Spezialist für Auslandsmissionen, der sich dabei einig ist mit seinem CDU-Kollegen Wolfgang Bosbach. Der beklagt, dass Fassaden derzeit noch keinerlei Persönlichkeitsrechte haben, ein Umstand, dem dringend abgeholfen werden müsse. Gleichstellung sei das Gebot der Stunde, ein Fassadenbeauftragter in jeder Stadt und jeder Gemeinde könne künftig dafür sorgen, dass die Rechte der Schwächsten der Schwachen, die sich wegen ihrer Unbelebtheit selbst nicht artikulieren könnten gewahrt werden.

Damit rennt Bosbach bei der FDP im Reichstag, dessen Verwaltung trotz steigender Terrorgefahr durch die Abbildung des Hohen Hauses im Netz bislang noch keinen Widerspruch bei Google eingelegt hat, offene Türen ein. Eine führende FDP-Webexpertin namens Gisela Piltz rief alle Bürger zum Einspruch auf. Deutschland müsse ein weißer Fleck auf der Google Earth bleiben, damit Deutschland weiter prosperieren könne. Sollte Google Bilder trotz Widerspruchs veröffentlichen, müssten die Landesdatenschutzbeauftragten über etwaige Sanktionsmöglichkeiten entscheiden, plädierte die FDP-Datenschutzexpertin für eine Fünfte Gewalt neben den ordentlichen Gerichten. So könne der Hamburger Datenschutzbeauftragte per Verordnung das Recht verliehen bekommen, Internetdienste deutschlandweit zu verbieten.

Ein Plan, den die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, wunderbar findet, sobald sie davon erfährt. Jelpke, als gelernte Friseuse im Rasieren geübt, nannte es „skandalös, dass für den Widerspruch nur vier Wochen Zeit sind“. Google müsse die „Persönlichkeitsrechte aber immer und zu jeder Zeit respektieren“, sagte sie, das habe die von ihr verehrte DDR schließlich auch getan. Beim Staatssicherheitsdienst, der die nur sozialen Errungenschaften der Arbeiter und Bauern geschützt habe, hätte ihrer Kenntnis nach seinerzeit jedermann jederzeit gegen seine Erfassung protestieren können. Eine Fristenlösung, wie sie dem Multi aus Kalifornien vorschwebe, sei deshalb unvorstellbar.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Tja wie immer: als Behörde, als Staat, als ausführendes Organ im Interesse irgendeines nie näher bestimmten Allgemeinwohls darf geschnüffelt, spioniert, verwanzt, durchleuchtet, nacktgescannt, in der dreckigen Unterwäsche gewühlt werden, aber unter den eigentlich öffentlichen Politikerrock darf niemand schauen. Na sollen sie sich verpixelieren und sich so extra kenntlich machen. Die Dialektik des Sichtbarmachens und Tarnens haben sie natürlich nicht verstanden.

Gerade in Zeiten, in denen die Wahrscheinlichkeit täglich wächst, dass der Mob wieder durch die Gassen tobt, muss man selbst wie der Mob aussehen und sich nicht irgendein Sonderzeichen auf die eigene Stirn pappen.

Le Penseur hat gesagt…

Damals, als die noch in Wandlitz wohnten, wohlbehütet durch Stacheldraht, Betonmauern und das Wachregiment "Feliks Dzierzynski", gab es diese Probleme noch nicht. Da müssen wir wieder hin!

Eine FDJ- & Stasi-Mitarbeiterin in der Regierung war der erste Schritt. Viele (oder eigentlich nur mehr ein paar) weitere werden folgen.

So wächst zusammen, was zusammengehört ...

Anonym hat gesagt…

Mein Vater hat auch Angst vor Google, dabei hält er Computer und Internet für Teufelszeug und hat nicht die blasseste Vorstellung, was Google ist.

Gustav Fröhlich hat gesagt…

ich freu mich schon drauf, wenn Google endlich die Street-View solcher landschaftlichen Schönheit wie Deutsche Ferienstraße, Schwarzwaldhochstraße etc. online stellt. es sei denn..

..haben Biber, Hasen, Bäume und das ganze Ungezieferzeugs dann auch einen anspruch auf persönlichkeitsrecht??

ppq hat gesagt…

das macht dein vater ganz richtig!da steckt doch in wirklichkeit eine riesensauerei dahinter. wenn ich schon höre, dass das alles kostenlos sein soll! so fangen die alle immer an, auch hitler hat anfangs versprochen, dass es alles umsonst gibt, gar nicht von kohl zu reden, b lühgende landschaften, portokasse. und nun google.

ich verstehe die frau aigner. so lange ich keinen eigenen rechner hätte, um im notfall zurückzugucken, würde ich es mir auch verbitten, dass andere meine fassade anstarren.