Dienstag, 17. Mai 2011

Gaskocher als Fegefeuer

Er ist zweifelsohne der größte Bassist der Rockgeschichte, wenn nicht von seinem Spiel, dann aber doch von seiner Körperlänge her. Seit mehr als zwei Jahrzehnten zelebriert Nicky Wire mit seiner Band Manic Street Preachers die Kunst der Auslöschung des Pop durch seine nadelfeine Zuspitzung. Alles, was dieses für Tourneen neuerdings zum Quintett aufgebohrte Trio spielt und singt und tanzt, ist vom Willen zur großen Hymne getragen und vom Pathos großer Orchester beseelt. Selbst wenn sie eine zornige Interims-Nummer wie die Klassenkampf-Schmonzette "The Masses Against The Classes" aufführen, deren Titel gut auch eine Anne-Will-Sendung zum Schicksal der FDP zieren könnte, ist das Fegefeuer mehr Gaskocher als sengende Sonnenglut.

Ein "euphorisches Bad in Erinnerungen", erlebt die "Welt". Dabei hatten sie sich eigentlich schon nach dem ersten Album auflösen wollen, die damals noch vier jungen Männer aus Wales in ihren selbstbemalten T-Shirts, mit den unkorrekten Pelzmänteln und den kajalverschmierten Augenringen. Stattdessen haben sie weitergemacht, erstmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit und mit Liedern wie "Life Becoming A Landslide" oder "From Dispair To Where", in denen die Gewissheiten einer behüteten Jugend im Kalten Krieg parallel zur Auflösung der tiefgefrorenen ideologischen Blöcke dahinschmolzen. Als Bandmitglied Richey Edwards, Mädchenliebling, Textdichter und Gitarristendarsteller in einer Person, dann plötzlich am Vorabend einer US-Tour verschwand, erfand sich der Rest neu: Eine Balladencombo nun, die in unschuldiges Weiß gekleidet die Hitparaden stürmte mit großen Epen aus kleinen Städten, die "Design for Life" hießen und die ewig alte Geschichte neu erzählten. Man ist, wo man herkommt: "Libraries gave us power, then work came and made us free", singt James Dean Bradfield, der wirklich so heißt, ehe er sich fragt: "What price now for a shallow piece of dignity".

Man muss das nicht verstehen, man kann es fühlen, wenn das Schicksal einen dafür vorgesehen hat. Lust, die Botschaft in die Welt zu tragen, hatten Wire, Bradfield und der notorisch stille Schlagzeuger Sean Moore in den letzten Jahren immer weniger - mal wurden die Gitarren harscher, mal die Chöre opulenter, nur Konzerte gaben die drei allenfalls in Polen oder daheim in Großbritannien, nicht aber in Deutschland, das sie nie verstanden hat.

Auch in Hamburg, wo die Manic Street Preachers nun doch mal wieder einen einzigen Auftritt absolvierten, sind im Publikum viele nachgereiste Briten, ein paar Holländer und Dänen. Deutschland versteht das Stürmerische, das Glattkantige, die Sozialismus und individuelle Freiheit gleichzeitig reklamierenden Verse nicht. Liebe oder Krieg, das ist die Frage, wenn ein Lied aber behauptet, das hier sei nicht die Liebe, sondern nur das Ende des Krieges, dann ist der Deutsche zurecht verwirrt. Traditionell wollen die Menschen hier Steuersenkungen oder Steuererhöhungen. Dass die Steuern mal so bleiben könnten, weil ja offenbar alle irgendwie damit leben gelernt haben, nun, auf die Idee kommt nicht einmal die FDP. Sean Moore trommelt und schweigt. Nicky Wire trägt einen absurden Hut und später einen getigerten Pelzmantel. "We love the winter, it brings us closer together", singt James Dean Bradfield. Am Ende steht ein Albert Camus-Zitat: "A slave begins by demanding justice and ends by wanting to wear a crown."


Wiedergeboren in CSI New York

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