Montag, 20. Februar 2012

Bundessuchtbericht: Sport ist Mord

Etwa 26 Millionen Deutsche zwischen 14 und 69 Jahren gelten als sportsüchtig oder sportgefährdet. Diese erschreckenden Zahlen machte die Bundesregierung in ihrem jährlichen Suchtbericht öffentlich. Besonders betroffen seien Jugendliche und junge Erwachsene. Fünf Prozent der 14- bis 16-jährigen Mädchen und drei Prozent der gleichaltrigen Jungen hätten die Kontrolle über ihre Aufenthalte auf Sportplätzen weitgehend verloren. Als "problematisch" wird die Sportplatz-Nutzung von 1,4 Millionen unter 24-Jährigen eingestuft. Einem Kurs mit Werbeverboten, höheren Steuern auf Sportvereinsbeiträge oder härteren Strafen für Sportschuhverkäufe an Jugendliche erteilte die Bundesdrogensuchtbeauftragte Mechthild Dyckmans (FDP) eine Absage. Sportsucht soll nach ihrem Willen aber wie zuletzt die Buchsucht und die Shoppingsucht"offiziell als Krankheit eingestuft werden".

Denn die Fakten sind erschütternd, die der Deutsche Sportbund im Rahmen einer Studie der Hohenmölsener Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie geliefert hat: Hatte der zentrale Verband der Sporttreibenden in Deutschland bei seiner Gründung 1950 noch nur 3,2 Millionen Mitglieder, stieg diese Zahl schon 1960 auf 5,2 Millionen und erreichte 1970 schon zehn Millionen. Auch die Zahl der Vereine, die sogenannten Freizeitsportlern, aber auch auf absolute Leistungen fixierten Professionellen wie Mezit Özil, Jan Ulrich und Magdalena Neuner Unterschlupf boten, stieg von 29.486 auf 39.201.

Trotz milliardenteurer volkswirtschaftlicher Schäden durch gebrochene Knochen, gerissene Sehnen und gedehnter Bänder wurde die Sportgefahr jahrzehntelang verharmlost. Weil es keine Warnungen der Behörden vor dem Sporttreiben gab, stieg die Zahl der in Vereinen organisierten Gelegenheitsläufer, -Fußballer und Tennisspieler allein bis zum jahr 2005 mehr als das Achtfache gegenüber 1950. Die Mitgliederdichte im Verhältnis zur Bevölkerung betrug 2003 bereits 33 Prozent, das heißt, jeder dritte Deutsche trieb organisiert Sport - 1950 war es noch nur jeder 14 gewesen. dabei ist die Dunkelziffer nach Angaben von Experten noch weit höher. Viele sogenannte Freizeitsportler seien nicht organisiert und in den Sportdatenbanken deshalb nicht erfasst. Auch Besucher von Fitnesscentern gingen ihrer Sucht oft ohne behördliche Aufsicht nach.

Die Folgen der Sportsucht aber sind fatal. 1,3 Millionen Sportverletzungen werden jährlich bei den Krankenkassen angezeigt. Arbeitsuasfälle und Versorgungskosten in Höhe von rund 1,6 Milliarden Euro jährlich belasten die deutsche Wirtschaft. Andere Berechnungen sprechen sogar von 17 Milliarden.

Auch wenn es sich bei diesen Zahlen nur um Hochrechnungen handelt, will die Bundesregierung ihre Präventionspolitik radikal ändern. Die Sport-Sucht bildet einen Schwerpunkt der künftigen "Strategie zur Sucht- und Drogenpolitik" der Bundesregierung, die jetzt vom Kabinett verabschiedet wurde und den alten Aktionsplan aus dem Jahr 2003 ablösen soll.

Nach Worten von Mechthild Dyckmans geht es unter dem neuen Motto "Sport ist Mord" zunächst um Aufklärung für Eltern und Jugendliche über verantwortlichen Umgang mit Sport-Angeboten. Ebenso dringlich sei es, Sportabhängigkeit als Suchterkrankung anzuerkennen, denn nur dann finanziere die gesetzliche Krankenversicherung die Therapie der Betroffenen. Für den Herbst kündigte die Drogenbeauftragte eine Tagung zum Thema Sport-Abhängigkeit an. Als weiteren Schwerpunkt der neuen Drogenpolitik nannte Dyckmans die Behandlung betagter Suchtkranker. Aufgrund besserer medizinischer Versorgung würden exzessiv Sporttreibende mittlerweile immer älter. Medizinische Einrichtungen, Pflegedienste und Heime stellt dies vor ganz neue Herausforderungen, etwa bei Bewegungsangeboten im Altenheim.

Archiv: Wenn Dummheit wehtun tut


1 Kommentar:

Corax hat gesagt…

Wie soll es auch anders sein in einem Lande, in dem selbst Bundespräsidenten vor aller Leute Augen Sport treiben (Sportabzeichenjäger Weizsäcker, Wandersmann Carstens, Gesangssportler Scheel)! Was diese Männer versaut haben, kann auch ein Helmut Schmidt nicht mehr wettrauchen.