Donnerstag, 16. Februar 2017

NSA-Affäre: Ein gutgeführtes Fürstentum

Dass der BND dieses Selfie für die NSA abgreifen wird, hat Ute Weber aus Kassel nicht geahnt. Sie ist damit in ganz großartiger Gesellschaft.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, sagt das Sprichtwort - der frühere Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat es verinnerlicht und deshalb auf dem Höhepunkt der BND-NSA-Krise nach eigener Aussage gleich zweimal bei Bundeskanzlerin Angela Merkel nachgefragt, was sie von der Zusammenarbeit des BND mit der NSA wisse.


Merkel, so Gabriel, habe geantwortet. "Beide Male ist das von der Kanzlerin verneint worden", sagte der Vizekanzler, amtierende Pop-Beauftragte, scheidende SPD-Chef und Übergangsaußenminister. Doch dass Gabriel nach der ersten klaren Auskunft der Kanzlerin ein zweites Mal nachfragte, wirft ein besorgniserregendes Licht auf den inneren Zustand der Großen Koalition: Der eine Partner traut dem anderen nur noch, soweit er ihn sehen kann.

Vizekanzlers Unsicherheit


Selbst eindeutige Aussagen der Regierungschefin, dass es keine Wirtschaftsspionage des BND im Auftrag der NSA gegeben habe, führen beim Vizekanzler nicht zur Beruhigung, sondern zu anhaltender Unsicherheit. Gabriel glaubte Merkel nach deren erster Antwort offenbar nicht. Er misstraut seiner Kabinettschefin. Gabriel hatte Zweifel, ob die CDU-Chefin ihm wirklich reinen Wein einschenkt oder ob sie nicht vielmehr versucht, ihn mit Ausflüchten abzuspeisen. Der SPD-Chef, in den Hinterzimmern der Volksverdummung ein erfahrener Spieler, blieb deshalb dran und fragte ein weiteres Mal nach: Ist es richtig, dass es stimmt, was Du mir neulich gesagt hast?

Ein Offenbarungseid in aller Öffentlichkeit, leider unbeobachtet und sträflich unanalysiert von den Leitmedien. Doch wenn schon der Koch dem Kellner nicht mehr traut, obwohl der ihm immer mal wieder die höchste Ehrerbietung gezollt hat, was soll dann der Gast denken?

Und was soll ein NSA-Untersuchungsausschuss, der heute ein letztes Mal symbolisch zusammentritt, um eine Staatsaffäre zu untersuchen, deren Vorhandensein alle Verantwortlichen auch drei Jahre danach leugnen?  "Abhören unter Freunden geht gar nicht", hatte Angela Merkel seinerzeit Empörung simuliert. Das reichte schon, um schadlos aus einer Klemme zu kommen, die noch vor zehn Jahren jeden Regierungschef hätte stützen lassen: Wusste sie es, was ihre ausgefeilte Formulierung nahelegt, dann hat sie ihren Amtseid gebrochen. Wusste sie es aber nicht, dann hat sie ihr Bundeskanzleramt, ihre Geheimdienste nicht im Griff.

Widerwillige Ermittler


Glücklicherweise fanden die widerwillig in Marsch gesetzten Ermittler des Generalbundesanwalts "keine Anhaltspunkte" für gegen Deutschland gerichtete Ausspähaktionen der USA. Spionage gehe vor allem von Russland, China und dem Iran aus, beruhigte Innenminister Thomas de Maiziere alle Gemüter, die meinten, es lägen längst genug Indizien auf dem Tisch, um zumindest darüber zu diskutieren wie deutsche Geheimdienste nicht nur jahrelang die angebliche Existenz einer rechtsextremen Mördergruppe, sondern auch die flächendeckende Überwachung durch eine fremde Macht hatten übersehen können.

Es ist die vielleicht bizarrste Facette der seit nunmehr vier Jahren im langsamen fade out abklingenden bundesdeutschen Geheimdienstaffäre, dass es den Beteiligten von Bundesregierung über nachgeordnete Regierungsgremien und das Parlament bis zu den Geheimdiensten BND, Verfassungsschutz und MAD, den Justizbehörden und letztlich auch bis in die bereitwillig wegschauenden Medien gelingt, so zu tun, als hätten alle 1. nichts gewusst, seien 2. völlig überrascht worden und nun 3. bemüht, mit aller Kraft aufzuklären.

Ein Staatswesen in Auflösung, ein Staat wird vorgeführt, das Strafgesetzbuch zum Witz, der Paragraph zur geheimdienstlichen Agententätigkeit zur Kann-Bestimmung, der gegen türkische Ditib-Prediger, nicht aber gegen die in Kanzleramtsnähe sitzenden Freunde eingesetzt wird.

Sie wollen nicht nur nicht bemerken, dass sie abgehört werden, sie forschen nicht nur nicht nach, was ihnen eigentlich wer antut, nein, sie wischen auch alle Belege dafür weg, die ihnen frei Haus geliefert werden. Snowden hören? Das gibt Ärger mit den USA. Ernsthaft ermitteln? Und was, wenn wirklich rauskäme, wer wann was wusste?

Merkel macht den Deckel drauf


Angela Merkel sagt heute im NSA-Untersuchungsausschuss aus und macht den Deckel drauf auf einen Topf, in dem es dank einer kollektiven Anstrengung von Politik, Ermittlungsbehörden, Geheimdiensten und Medien längst nicht mehr kocht.

Die innere Logik eines gutgeführten Fürstentums. Der Mann, der die Geheimdienste beaufsichtigte, wurde auf einen neuen lukrativen Posten bei der Bahn befördert. Der Mann, der die Geheimdienste heute beaufsichtigt, wusste von nichts, konnte ihr also auch nichts sagen. Und der Mann, der einst die aktuellen Spionageverträge mit den USA unterschrieben, hat, wird kommenden Monat als Bundespräsident vereidigt.

Bitterlemmer: Falschparken und Terror - was sie wirklich unterscheidet





8 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Ist das Foto oben dieser Lena Leak, den die NSA schnell noch zur Ablenkung an die Medien getuschelt hat?

Ansonsten ist es Merkel und de Maiziere völlig wurscht, was der Ami hierzulande macht, da sie Teils vons Janze sind, also an der Macht. Der Ami spioniert nicht, er sichert unsere Freiheit. Das hat seinen Preis. Der besteht im Wegducken und Wegkucken, wenn es geboten ist.

Trump und Steinmeier werden eines Tages herzlichst miteinander können, wenn es geboten ist. Können sie eh, da sie seelenverwandt sind.

ppq hat gesagt…

so sieht es aus. dumm nur, wenn es rauskommt

Sauer hat gesagt…


Souveränität der Bundesrepublik

Mit der Spionageaffäre wird eine alte Frage aufgeworfen: Ist die Bundesrepublik souverän? Schäuble hat diese Frage ja schon mehrfach verneint und gesagt, die Bundesrepublik sei nie souverän gewesen. Seine Feststellung hat er leider niemals begründet. Tatsächlich wird seit Jahren gemutmaßt, daß jeder Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt durch Unterschrift erklären muß, daß er die Autonomie Deutschlands betreffende Rechte der Alliierten anerkennt und achtet. Inwieweit diese Mutmaßung zutrifft, wurde m. E. bisher nicht geklärt. Egon Bahr hat erzähl, daß Willy Brandt sehr verärgert gewesen sei, als er diese Unterschrift leisten mußte. Bahr hat auch Helmut Schmidt gefragt, ob er zu dieser Anerkennung alliierter Rechte genötigt wurde. Schmidt behauptete, sich nicht erinnern zu können; er wußte angeblich nicht mehr, ob ihm ein entsprechendes Schriftstück vorgelegt wurde.

Nimmt man an, daß tatsächlich gewisse alliierte Rechte gegenüber der Bundesrepublik weitergelten, was ich nicht für unwahrscheinlich halte, dann ist es nicht ausgeschlossen, daß zu diesen Rechten auch das nach ungehinderter Spionage in Deutschland gehört. In diesem Fall hätte die Bundesregierung keine Möglichkeit, die Spionage zu unterbinden. Ohne unsere politischen Laienschauspieler exkulpieren zu wollen, erachte ich es für möglich, daß ihr Herumeiern aus einem Problem erwächst, an dessen Lösung sie sich aus Opportunitätsgründen nicht herantrauen: Sie können nicht zugeben, daß sie nur bedingt handlungsfähig, also Marionetten sind, weil sie sonst offenlegen müßten, daß die Alliierten Deutschland weiterhin beherrschen. Die Offenlegung könnte zu Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber den Alliierten führen, könnten die deutschen Politiker befürchten. Also dürfen weder die Abtretung der Souveränität noch die Hintergründe der Spionagegeschichte bekannt werden. Wer weiß?

Was bleibt? Ein bißchen Schadenfreude über die bemitleidenswerten Spione, die das Gegacker von Merkel in Englisch übersetzen mußten. Wie oft werden sie die Spionage nicht spionagewürdigens Gewäsch verflucht haben?

Sauer hat gesagt…

Sakradi:

Wie oft werden sie das der Spionage nicht spionagewürdige Gewäsch verflucht haben?

Frolleinwunder hat gesagt…

Foschepoth lesen. Der legt dar, wie es funktioniert. Die alliierten Vorbehaltsrechte zur Post- und Telefonüberwachung sind längst in deutsches Recht übertragen worden. Der BND ist verpflichtet, den Amerikanern die Überwachungsergebnisse zu liefern. Auf ein No-Spy-Abkommen kommt es gar nicht an. Soviel zur Souveränität.
PS: Deutschland ist nicht einmal in der LAge, ein Jagdflugzeug allein herzustellen. Deutsche Ingenieure haben in britischen Waffenfabriken keinen Zutritt. Zufall?

ppq hat gesagt…

ich würde das nicht so hoch hängen. natürlich souverän, aber ohne vorstellung davon, was das bedeutet. der schrödersche verweigerungsakt damals beim irak, der war doch deshalb so aufgeregt kommentiert worden, weil er quasi souverän war bzw. souveränität zeigte.

alles andere lässt sich auch mit der einbindung in bündnissysteme erklären. man will doch gerade in deutschland immer mit den anderen auf einer seite spielen. da muss niemand niemandem irgendein papier vorlegen, das der dann mit blut unterschreiben muss. das geht auch so, gut sogar

Anonym hat gesagt…

Auch die damalige Verweigerung Gerhard Rotkohls des Anständigen sollte man nicht zu hoch hängen. Was ihn dazu trieb, war nicht Anstand, sondern Kalkül: Direkte militärische Beteiligung wäre beim Volk nicht so gut angekommen, indirekte sowie finanzielle hat er ja dann auch nicht zu knapp geleistet.

ppq hat gesagt…

es ging gerade nicht um sein kalkül, sondern darum, dass er es nicht haben, sondern auch ausleben konnte. souveränität ist doch, wenn du was machen kannst, was jemand anderem nicht gefällt.

dass er sich dann rauskaufen musste, steht auf einem anderen blatt. aber er konnte in diesem moment souverän handeln