Freitag, 23. März 2018

Medienvertrauen: Warum die Menschen ihre Lügenpresse wieder lieben

Nur selten in der Geschichte war das Vertrauen der Menschen in ihre Medien so groß wie heute.

Das Vertrauen in die Medien ist sechs Wochen nach der letzten großen Medienkrise so hoch wie nie, die Reichweiten der Tittenportale landauf, landab steigen, der „Spiegel“ erscheint meist am Samstag und seine Leserzahl spricht von zunehmender Exklusivität. Verstummt sind die Vorwürfe der "Lügenpresse", die Glaubwürdigkeit der Leitmedien ist so hoch wie zuletzt 1918.

Eine aktuelle Studie des Medienforschers Hans Achtelbuscher belegt, dass das kein Einzelfall ist, sondern die Dunkelziffer vermutlich sogar höher liegt. Achtelbuscher forscht am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung zu aktuellen Phänomenen wie dem Themensterben in den deutschen Medien, Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss  subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität. 

PPQ nahm den Experten für digitale Demenz bei einem Treffen in Bad Nauheim ins Kreuzverhör.

Herr Achtelbuscher, in ihrer Studie „Medien in Deutschland 2018“ kommen Sie zu dem Schluss, dass mittlerweile nur noch eine ganz kleine Clique von etwa 13 Prozent der Menschen in Deutschland der Aussage zustimmen, Medien für Fake News verbreiten. Der Wert entspricht fast dem Abschneiden der Grünen bei aktuellen Umfragen. Ein Zufall?

Achtelbuscher: Einerseits deckt sich dieser Wert beinahe, das ist richtig. Andererseits bedeutet es nicht, dass grüne Wähler, die an Glyphosatverschwörungen, die heilsame Wirkung deutscher Hilfslieferungen nach Afrika und das dritte Geschlecht glauben, gleichzusetzen sind mit denen, die den Medien nicht vertrauen und umgekehrt. Klar ist aber auch, dass es Verbindungen gibt. Wichtig ist erst einmal, dass wir es klar erkennen, dass sich nur noch jeder Zehnte in Deutschland von den Medien belogen fühlt. Das ist ein Schritt nach vorn: Fast 90 Prozent der Menschen glauben also, was ihnen gesagt wird.

Aber die radikalen Zweifler gefährden dennoch unseren gesellschaftlichen Zusammenhang, sagen Sie?

Achtelbuscher: Jedes Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen ist für diese gefährlich. Wenn dann etwa eine grüne Spitzenpolitikerin auch noch dafür trommelt, einen hart errungenen europäischen Konsens wie den über eine Weiterzulassung von Glyphosat, nur um bei dem Beispiel zu bleiben, durch einen nationalen Alleingang zu torpedieren, dann ist das Wasser auf die Mühlen solcher Unzufriedenen, die aus der eigenen wirtschaftlichen Lage – Beamtenhaushalt, zwei Kinder, Klavierunterricht und Lateinnachhilfe – schließen, dass niemand einen Grund hat, nicht vegan zu leben.

Kann man bei diesen „üblichen Verdächtigen“ in aller Zerrissenheit gemeinsame Motive abbilden?

Achtelbuscher: Nein, dazu ist die Szene zu gespalten. Aber man kann sagen, dass öffentlich-rechtliche Medien oder auch Tageszeitungen und Magazine überdurchschnittlich viel Vertrauen genießen, verglichen mit Schmuddelblogs und kleinen Internetklitschen, die den meisten Deutschen meistens nicht einmal bekannt sind. Unserer Meinung nach hat das mit der sogenannten Fake-News-Kampagne der Bundesregierung zu tun, in der ja nachdrücklich vor einem Umgang mit nicht-regierungsamtlichen Quellen gewarnt wurde, die den Bundestagswahlkampf beeinflussen wollten.

Das hat dann nicht geklappt?

Achtelbuscher: Ein Irrtum. Besser als jetzt konnte es für Russland nicht laufen. Putin soll, so heißt es in Moskau, jeden Abend stundenlang über die Situation in Berlin lachen. Jüngere wissen das aus dem Internet, verstehen es aber nicht. Älteren dagegen bleibt die Quelle verschlossen, weil sie ihr misstrauen. Aber die Unterschiede zwischen den Gruppen sind insgesamt nicht groß, weil es die meisten gar nicht interessiert. Ähnlich ist es bei Frauen und Männern. Frauen scheinen etwas skeptischer zu sein als Männer, da kommt wohl die jahrelange Lektüre von sogenannten Frauenmagazinen durch. Männer lesen einfach weniger und glauben dadurch mehr. Ostdeutsche sind von Haus aus verloren, Westdeutsche lassen sich stets mit Geld und dem Versprechen auf mehr Geld überzeugen.

Sie erheben die Daten seit 1908, und es gibt erkennbar einen positiven Trend. Zwischen 1908 und 2015 vertraute weniger als ein Drittel der Menschen in die journalistische Arbeit, 2016 und 2017 stieg das Vertrauen explosionsartig auf 42 Prozent, jetzt liegt es schon bei über 74 Prozent.

Achtelbuscher: Ich sage, diese neue Liebe der Menschen zu unseren Medien ist Belohnung für das ernsthafte Faktenchecken, mit dem die Leitmedien eine neue Ära des Journalismus eingeläutet haben. Es ist ja nicht so, dass nur das Vertrauen stieg, während die Auflagen sanken, sondern es hat auch kaum noch öffentliche Demonstrationen gegen Medien gegeben, über die nicht berichtet werden konnte. Damit endete eine Phase der Verunsicherung, einer Selbstzerfleischung, die teilweise alles infrage stellte, was auch gut und nützlich war.

Knapp 40 Prozent der Befragten sagten, die Medien würden ihr Lebensumfeld nicht abbilden. Das ist eine überraschend hohe Zahl, welche Themen fehlen?

Achtelbuscher: Grundsätzlich schaffen es große und herausragende Ereignisse leichter in die Nachrichten und nicht der Alltag einer alleinerziehenden Mutter aus Frankfurt-Rödelheim. Die Protagonisten in den Medien bilden nicht repräsentativ die gesamte Bevölkerung ab, das ist normal. Hier zählt das Schrille, das Fremde, das Schmutzige. Sex und Crime, dazu die Kanzlerin und die anderen Haupthelden der Berliner Puppenbühne, wie ich sie nennen. Figuren, die nach Jahren des fortgesetzten Auftauchens jeder in ihrer Rolle kennt. Da bleibt dann nicht aus, dass bestimmte Alltagsprobleme medial nicht aufgearbeitet werden können, weil keine Zeit mehr ist. Das Sterben der Menschen, die mit Messern in Berührung gekommen sind, ist so ein Thema. Oder ein anderes, wie sich die Einnahmen der Bürger und die Einnahmen des Staates auseinanderentwickelt. Oder wie Europa seine Gängelbänder behutsam in immer weiteren Lebensbereiche auslegt, als wolle es die Subsidiarität irgendwann ganz abschaffen. Das findet dann alles keinen Weg mehr in die Zeitungen und ins Fernsehen.

Zurück zu den Skeptikern: Wir bei PPQ diskutieren tagtäglich darüber, wie man deren Vertrauen zurückgewinnt, um sie wieder für unsere gemeinsame Sache zu gewinnen. Aber bei Themen, die schwer zu erklären sind, wie Flüchtlinge oder SPD,  stoßen wir an unsere Grenzen. Wie kann man jemanden, der anderer Meinung glaubt sein zu müssen, wieder in die Gemeinschaft der Demokraten zurückholen?

Achtelbuscher: Ich würde die Skeptiker auffordern, abzulassen von ihrem selbstzerstörerischen Tun. Das Internet kann kein rechtsfreier Raum sein, wo jeder schreibt, wie er will, und seine eigenen kleinen Erkenntnisse gleichberechtigt gegen die der Kanzlerin stellt. Im Sinne der Demokratie ist es gut, dass viele Menschen vorsichtig sind mit dem, was sie sagen und schreiben, und nicht blind mit denen mitschreien, die glauben, das ändere etwas. Diese Problemgruppe ist letztenendes klein, das sind  Wutbürger, die nur schreien. Das hört irgendwann auch wieder auf, wenn die gesunden Teile der Gesellschaft sich entschließen, es nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Aber nach der Bundestagswahl erschienen plötzlich viele Berichte darüber, warum die AfD im Osten so stark abgeschnitten hat?

Achtelbuscher: Leider. Das war so ein Moment, in dem manche Redaktion die Nerven verlor. Wir Forscher nennen es Krenz-Phänomen, nach dem DDR-Politiker, der gegen Ende dieses bis dahin diktatorischen Staates plötzlich Transparenz predigte, um sich zu retten. Man hat damals gesehen, dass das nicht funktioniert, diese einfühlsamen Geschichten über Frust und Unglück, über Benachteiligte, Abgehängte und Arme, über all das, was bis dahin nicht wahrgenommen wurde. Das stärkt nur die Ränder.

Müssen wir stärker versuchen, die Frustrierten und Skeptiker zu verstehen, ohne gleich für ihr Verhalten Verständnis zu haben?

Achtelbuscher: Gerade nicht. Gefragt ist, sein Inneres zu panzern gegen die Versuchung, für Pediga-Demonstranten, AfD-Wähler, Internet-Pöbler und Oppositionspolitiker Verständnis zu empfinden. Wer meckert, muss auch nicht verstanden werden. Das ist einfach keine Aufgabe für Journalisten. Darum können sich Sozialarbeiter kümmern, wenn das nicht reicht, gern auch die Polizei. Aber die Methode, die Probleme dieser letztliche selbstsüchtigen und unsolidarischen Menschen öffentlich zu machen, funktioniert nicht. daraus ziehen die nur Selbstbestätigung. Das heißt, die Betroffenen kommen immer wieder, immer lauter, weil sie meinen, dass sie einen Anspruch darauf haben, dass jemand ihre Probleme löst. Aber für die Lösung der Probleme sind ja nicht unbedingt die Journalisten oder die Bundesregierung verantwortlich.

Sie haben in den Umfragen festgestellt, dass mehr als jeder Zweite nicht weiß, wie Medien funktionieren, wie Pressestellen arbeiten, wie in Großraumbüros per Copy&Paste Reportagen und hochwertige Analysen angefertigt werden. Besteht hier Aufklärungsbedarf?

Achtelbuscher: Ich denke nicht, nein. Vieles an dieser traditionellen Arbeitsteilung - Parteipressestelle schickt Erklärung an Agentur, Journalist liest bei Agentur, kopiert Aussage als Zitat, das aussieht wie selbst gehört, und analysiert dann je nach eigenem Bias - muss nicht öffentlich gemacht werden, weil dann traditionell eingespielte Vertrauensroutine Schaden nähme. Bei uns zu Hause lag immer eine Tageszeitung auf dem Frühstückstisch, mit 14, 15 habe ich dann angefangen, sie zu lesen. Und ich habe geglaubt, dass diese Leute, diese Journalisten, all das selbst gehört und gesehen hatten - die versunkene Fähre in Indien, die Diskussionen auf dem Bundestagsklo, den Streit zwischen Spitzenpolitikern. Erst später wurde mir klar, dass das Meiste daran einer Kombination aus Hörensagen und eigener Fantasie entspringt. deshalb sage ich heute: Die Marke ist zu wichtig, die Vorstellung, sie stehe für eine  bestimmte Qualität, muss erhalten bleiben, auch auf Kosten der Transparenz des Herstellungsprozesses.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Eulenspiegel (der den Rübennasen zu Frankfurt seine Klabusterbeeren um tausend Goldgulden als Prophetenbeeren verkauft hatte, 35. Historie - ...und schlemmte tüchtig ...) ward auf dem Totenbett befragt, was er im Leben so bereut hätte. Unter anderem, wenn er gesehen hatte, wie sich einer beim Essen mit dem Messer in den Zähnen popelte, hatte er immer große Lust, ihm das Messer in den Hals zu stoßen, aber sich nie getraut - das bereut er.

So ging es mir vorhin, als ich ein Spießerlein in der U-Bahn sah, das mit roten Flecken auf den Bäckchen eifrig den Speichel las, die Blödzeitung für die evangelische Oberstudienrätin mit Doppelnamen. Ich hatte Lust, ihm meine Taschenlampe, die sich mittels Schalter auf 200 000 Volt umlegen läßt, mal kurz ans Dickbein (man ist ja kein Unmensch) zu halten, aber - nicht getraut.