Sonntag, 13. Juli 2025

Hetzjagd auf Jens Spahn: Entgleiste Hasstiraden

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Jens Spahn hat sich verrechnet: Seine Abgeordneten wollen Frauke Brosius-Gersdorf partout nicht wählen.

Er steht auf einmal mutterseelenallein, eine Zielscheibe auf der Brust und von allen Parteifreunden verlassen. Nach dem Triumph der CDU bei der Bundestagswahl, als es der Union gelang, mit einem schwächsten jemals erzielten Ergebnisse souverän wieder ins Kanzleramt einzuziehen, hatte Jens Spahn auf einen Ministerposten verzichtet, um seinen Anspruch auf die Nachfolge von Friedrich Merz in den kommenden vier Jahren von der Spitze der Fraktion aus zu untermauern. Zugleich, so spekulierte Merz, würde der frühere Gesundheitsminister so keine stete konservative Provokation in seiner Mittelinks-Regierung aus SPD, CDU und CSU sein.

Sorgen bei Team Sicherheit 

Doch Spahn blieb da und mangels anderer Unionspolitiker mit rechter Gesinnung rückte der 45-Jährige schon nach kurzer Zeit ins Visier der Opposition. Grüne und Linke, in den Jahren der Pandemie die Prätorianergarde des "Teams Sicherheit", fanden in ihm einen vielversprechenden Kandidaten für die Behauptung, damals sei zwar alles richtig gemacht worden, von Spahn aber alles falsch. Die Maskenbestellungen des seinerzeit als mal zu streng, mal zu wenig streng gehandelten Quereinsteigers in die Gesundheitspolitik verwandelten sich mit drei, vier Jahren Verzögerung in den Corona-Skandal. 

Spahns Maskenorder schien stundenweise empörender als die Aberkennung der Grundrechte von Millionen, Überlegungen für staatliche Eingriffe in das individuelle Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Verwaltung eines ganzen Landes über Verordnungen. Notgedrungen, denn jeder im politischen Berlin wusste, dass entsprechende Gesetze die Grenze dessen überschritten hätten, was selbst einem in galoppierende Furcht versetzten Volk vermittelbar gewesen wäre.

Zielscheibe der Unzufriedenen 

Gegen Spahns paar Milliarden wären die ungleich höheren Summen, die Ursula von der Leyen verpulvert hatte, Peanuts. Spahn, wie so viele Führungskräfte derzeit aus dem Münsterland, Bankkaufmann, European Young Leader, Atlantiker und offen schwul lebend, war die Figur, an der sich Linke, Grüne und SPD rieben. 

Letztere immer dann, wenn sie ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Bundesregierung artikulieren wollten. Die Grünen, weil ihnen alle anderen populären Themen abhandengekommen sind. Und die Linke, weil Jens Spahn noch am ehesten dem Bild des rechten Brückenbauers entspricht, dessen geheimes Ziel es ist, mit den Nazis von der AfD ein postfaschistisches Regierungsbündnis zu schließen.

Jens Spahn agierte, als gingen ihn die offen Angriffe nichts an. Seit er vom damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet aussortiert worden war, hat sich der Wahlberliner angewöhnt, persönliche Attacken ins Leere laufen zu lassen. Spahn ist mit Mitte 40 schon ein uralter Hase im deutschen Politikbetrieb, er geht schon auf sein erstes Vierteljahrhundert als Bundestagsabgeordneter und als Fraktionsvorsitzender besetzt er derzeit einen der wenigen Posten in Partei und Politikverwaltung, die er noch nicht innehatte.

Faule Kompromisse 

Während Carsten Linnemann, der andere jüngere Hoffnungswert einer CDU, die nicht nur verspricht, weniger Merkel zu wagen, sich zurückgezogen hat, um auf bessere Zeiten zu warten, spielt Spahn das Spiel von oben. Als Fraktionschef kommt ihm die Aufgabe zu, die Geschlossenheit der eigenen Reihen zu gewährleisten, Abweichler auf Linie zu bringen und die mit der SPD ausgehandelten, oft faulen Kompromisse parlamentarisch durchzusetzen. Spahn ist damit der Schlüssel zur Macht für Merz und Klingbeil. 

Sein gescheiterter Versuch, den zwischen SPD und Union geschlossenen Kuhhandel um die Ernennung der Jura-Professor Frauke Brosius-Gersdorf unter den widerstrebenden Abgeordneten durchzusetzen, rückte den großgewachsenen "Populisten" (Spiegel) in den Mittelpunkt des Interesses der Opposition, die sich nur Stunden vor dem fest eingeplanten Einzug ihrer progressiven Richterkandidatin ins höchste deutsche Gericht von Spahn um die Früchte aller Anstrengungen gebracht sah. Die Enttäuschung darüber schlug so schnell in offenen Hass um wie kaum jemals zuvor. Binnen weniger Minuten wurde Jens Spahn für die Anhänger von Brosius-Gersdorf zum Staatsfeind Nummer 1. 

Zorn, Wut und Entsetzen 

Zorn, Wut und Entsetzen brachen sich Bahn, angefeuert von prominenten Vorbetern wie der Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann, dem linken TikTok-Star Heidi Reichinnek der SPD-Justizministerin Stefanie Hubig. Spahn wurde verantwortlich gemacht für das, was als neuerliche "Staatskrise" davon  ablenken sollte, dass Union und Sozialdemokratie in der Regierung angesichts der verfahrenen Gesamtsituation ebenso ratlos agieren wie die übrigen Parteien in der Opposition. Die SPD beschuldigte ihn, "gezielt Ämter und Personen beschädigt" und damit "die Integrität unseres demokratischen Gemeinwesens" gefährdet zu haben, wie Hubig schimpfte. 

Die Sozialdemokratin ist in bester Gesellschaft. Bei Haßelmann wurde der homosexuelle Christdemorat zum Frauenfeind, die linke Lichtgestalt Reichinnek sah ihn "in trauter Einigkeit mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten eine Kampagne fahren, die nicht weniger als skandalös ist". Ein früherer Verfassungsrichter, nach Karlsruhe beordert als Krönung einer langen Parteikarriere, sprach von "Führungsversagen".  Selbst die seit Monaten abgetauchte frühere Grünen-Chefin Ricarda Lang meldete sich zurück,: "Wenn Jens Spahn nicht in der Lage ist, Mehrheiten in seiner Fraktion zu organisieren, dann sollte er nicht Fraktionsvorsitzender sein", riet die 31-Jährige der konkurrierenden Partei. 

"Die Arroganz in Person"

Auch andere Oppositionspolitiker beklagen die schwer angeschlagene christdemokratische Seite der neuen Regierungskoalition. "Jens Spahn die aktuelle Achillesferse für Friedrich Merz", seziert ein ostdeutscher Grünen-Chef aus dem Rheinland. Die Frage sei: "Ist dem  Kanzler das Land wichtiger, oder schleppt er einen Fraktionsvorsitzenden mit, der vertuschen will, die Kanzlerwahl nicht hinbekommt und bei allem noch die Arroganz in Person ist?"

Persönliche Angriffe, gezielte Schüsse auf die Integrität und raunende Vorwürfe ohne Beleg - gegen Jens Spahn werden alle Register gezogen. Versteckt in vermeintlich verbindlichen Sätzen, geprägt von demonstrativer Sorge um den Zustand der Führung der CDU und den unserer Demokratie, finden sich Herabsetzungen, Aufrufe zu Hetzjagden und Hasstiraden. Draußen im Land befeuern die spahnfeindlichen Parolen eine Hasswelle, wie es sie selten gegeben hat. Heißgemacht von Reichinnek, die eine Verschwörungstheorie teilte, nach der Spahn für den Richtervorschlag der Union bewusst Stimmen der AfD in Kauf genommen habe, brach ein wahrer Sturm aus Hass und Verachtung los.

Spahn ist an allem schuld 

Spahn sei schuld an der Macht des Rechtspopulismus, orgelte "Die Zeit". Seine "miesen Tricks" (Taz) ließen die "Regierung planlos in eine Selbstblockade taumeln".  Der Schuldige am "schwarz-roten Fiasko" habe "die Macht an die rechten Hetzportale verloren" (Spiegel) und sei nun "angezählt" (n-tv), "so beschädigt, dass er gehen sollte" (Welt). Es sei dem CDU-Fraktionschef nicht gelungen, die nur ihrem Gewissen verpflichteten Angeordneten seiner Fraktion mit Zuckerbrot und Peitsche zu zwingen, nach den  Vorgaben der Parteiführung zu wählen. Vermutlich absichtlich, denn Spahn wolle eine andere Republik. Der "machtbewusste Karrieristen, der immer wieder durch rechtspopulistische Ausbrüche aufgefallen ist" (ND), braue etwas zusammen, das "düstere Farben trägt. Es ist eine Mischung aus Schwarz und Blau".

In Zeiten, in denen weniger reicht, um Medienkampagnen in Hasswellen zu verwandeln, wie die Amadeu-Antiono-Stiftung ermittelt hat, sind das Einladungen an den digitalen Mob, über die ins Visier genommene Zielperson herzufallen. Der Haßelmann-Aufruf an alle Frauen, sie sollten sich gegen den bekennend schwul lebenden Mann "wehren" (Britta Hasselmann) fiel auf fruchtbaren Boden. "Wäre mir dieses Ekelpaket Spahn heute persönlich über den Weg gelaufen, ich glaube, ich hätte ihn tatsächlich geohrfeigt", schreibt ein Mitglied von "Team Habeck", das "gar nicht beschreiben kann, wie wütend ich bin" über Spahn, diesen "miesen Charakter, was für ein verlogenes Miststück". 

Eine digitale Hetzjagd 

Alles erinnert an eine digitale Hetzjagd, bei der kein Stück Spahn  ungeschoren bleibt. Der Christdemokrat sei "nicht vertrauenswürdig", heißt es, andere beschimpfen ihn als "Prototyp einer entgleisten politischen Elite: kaltschnäuzig, skrupellos und immun gegen jede Verantwortung", "korrupten Lügner" und "Nichtskönner". Spahn könne "außer Chaos und mutmaßlicher Korruption nicht wirklich etwas". Selbst seine Teilnahme an einem Treffen der Bilderberger, ganz normales Tagesgeschäft für Führungskräfte im politischen Berlin, wird dem Fraktionsvorsitzenden jetzt vorgeworfen.

Jens Spahn wehrt sich bislang mit seiner bewährten Strategie. Schweigen. Nicht kommentieren. Nicht einmal ignorieren. Ursprünglich hatte die Union die Wahl der von Anfang an ungeliebten Frauke Brosius-Gersdorf auf diese Weise über die Bühne bringen wollen. Kein großes Medienspektakel vorab. Auch die Abgeordneten sollten nur so viel wissen, wie zum Handheben im Bundestag unbedingt notwendig gewesen wäre. Nach dem unaufgeregten Durchwinken ab in die Sommerpause. Nicht nur Jens Spahn durfte sich sicher sein, dass sich im September kein Mensch mehr an die fortschrittliche Verfechterin von Grundrechten unter Genehmigungsvorbehalt erinnern würde.

Glühend heißer Kulturkampfsommer 

Jetzt aber ist Spahns Schicksal für immer mit dem der bekanntesten jemals für Karlsruhe nominierten Kandidatin verknüpft. Der Kulturkampfsommer wird lang, er ist heute schon glühend heiß. Doch die Chance, dass das Thema Brosius-Gersdorf ausbrennt, erscheint verschwindend gering. Gelingt es der  Opposition nicht, Spahn abzuräumen, und der Union nicht, die SPD zu überzeugen, dass Brosius-Gersdorf selbst ihre Kandidatur zurückziehen muss, wird die Geschichte weitererzählt, sobald das politische Berlin in acht Wochen langsam wieder darangeht, die vielen, vielen brennenden Aufgaben zu lösen, die keinerlei Verzögerung dulden.

 


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Auch wenn nichts dabei rumkommen wird ist es doch eine lehrreiche Show um diese Frauke Sowieso.

Anonym hat gesagt…

...Dr. Rainer Rothfuß hingegen ist der Ansicht, Deutschland müsse seiner historischen Verantwortung gerecht werden ...
Es klingt fast so an, als wäre Freund Anmerkung tatsächlich der Meinung, "wir" hätten eine "historische Verantwortung" - und dürften lediglich dieser darum nicht nachkommen, weil "wir" ja aktiv beim Krieg mitmischen? Ich bitte höflichst darum, dieses unbedeutende Missverständnis auszuräumen.

Anonym hat gesagt…

Es kommt schon etwas dabei herum - die (ungeheuchelte und aufrichtige*) Empörung der Salonbolschewisten darüber, dass die "Rechten" eine höchst befähigte Frau aus Bosheit existentiell vernichtet hätten. Das stimmt zwar alles nicht die Bohne - aber *ich kenne meine Pappeimer (sehr frei nach Schiller).

Anonym hat gesagt…

Harsefeld ist erst der Anfang: Wo der Staat scheitert, nehmen die Bürger das Recht in die Hand ...

Alf: Ha, ha - ich lach' mich tot!
Latscht der verstrahlte SPCDUSED-Wähler in Grüppchen mit Handy bewaffnet herum. Magisches Denken, wie kleine Kinder.
Tu felix Bohemia - da darf der unbescholtene Bürger ein kurzes Faustrohr führen. (Uffz. Alois Revetcki: "Mir ist das verboten, da werde ich eingesperrt." )

Anonym hat gesagt…

<< Ist da nicht mal ein russisches Flugzeug fast abgestürzt, weil der Pilot Klein-Sohnemann mal fliegen ließ? >>
In meiner Erinnerung IST es abgestürzt - sehr unangenöhm, weil aus 9000 Meter Höhe. Der Pilot hatte den 15jährigen Sohn und die 13jährige Tochter im Cockpit gehabt - damals wohl nicht verboten, und ist zu den Passagieren auf ein Schwätzchen gegangen. Darauf packte es den Bengel - er durfte eben NICHT fliegen, den Autopiloten abzuschalten, um eben mal ein bisschen selbst zu fliegen. Da passte die Trimmung nicht mehr, und das war es dann. So habe ich das noch im Speicher.