Mittwoch, 15. September 2021

Postergirl der Kinderarmut: So traurig ist das Schicksal des Mädchens in der roten Jacke

Seit dem ersten Auftauchen des todtraurigen Fotos im Jahre 2012, damals noch als Frontporträt des Mädchens mit glatzköpfiger Puppe, ist das Bild zu einer modernen Ikone gewachsen. Hunderte Male musste die arme Kleine ran, mit ihrer roten Jacke und der blau-weißen Mütze Armut verströmen in Taz und Cicero, FAZ und Welt, Neue Presse, Waz und Bild. Ein trauriges Kind aus Ostdeutschland, von allen guten Geistern verlassen, einsam in einer Plattenbausiedlung an der sprichwörtlichenn Straße der Gewalt. Irgendwie sah sie sogar missbraucht aus und sei es nur vom kalten Geist des Neoliberalismus, den die kahle Freifläche vor ihr verströmte wie die EZB den Todeshauch des Inflationalismus.

Jedes fünfte Kind mit Schicksal

Die Taz, die 2015 jedes fünfte Kind unter 15 Jahren unterhalb der Armutsgrenze aufwachsen sah, liebte die Symbolkraft des Bildes, das für 1,15 Millionen Schicksale von Kindern stand, die in Familien ohne staatliche Unterstützung aufwuchsen, gezwungen, auf Geländern zu sitzen und mit kaputten Puppen in der Gosse zu spielen. Das Handelsblatt sah 2018 dann schon fast jedes siebte Kind auf Hartz IV angewiesen. Die Stuttgarter Nachrichten zählten 2018 nach und fanden noch mehr Kinder von Armut betroffen als bisher gedacht. Das ZDF folgte 2019 mit einer Langzeitstudie zu "Kindheitsarmut", einer n neuen Spielart der Tragödie. Nicht die Kinder waren nun mehr arm, es war die Kindheit, die arme. Nein, viele arme Kinder schaffen Ausstieg aus der tristen Plattenbausiedlung nicht. Es wurde alles immer schlimmer. 

Immer mehr Rote-Jacke-Bilder werden gefälscht.

Ganz übel aber erst es, als Kopisten und dreiste Plagiatoren das Schlachtfeld eroberten und sich mit teilweise dreist gefälschten Fotos von armen Mädchen in roten Jacken auf dem Wachstumsmarkt der Armutsberichterstattung breitmachten. Sie waren es, dem originalen armen Mädchen in der roten Jacke nun auch noch das letzte Häppchen Bisschen nahmen, die Butter vom Brot und die kaputte Puppe aus der dünnen Kinderhand. Gut gemeint, denn trotz der anhaltenden Aufmerksamkeitswelle für das fortwährende Problem der beständig und scheinbar unaufhaltsam wachsenden Armut unter Kindern ist jedes neu gezeigte schlimme Schicksal eines mehr, das das Blatt endgültig wenden wird. 

Das einzig echte Rote-Jacke-Bild

Doch für die kleine Anna-Lara Sauerfred, die dem Fotografen einst für das bis heute einzig echte Rote-Jacke-Bild  Modell stand, bedeutet die Konkurrenz einen tiefen Einschnitt. Zuletzt sei die Armutberichterstattung ohnehin schon beständig zurückgegangen, klagt die heute 19-Jährige, die genau Buch führt über ihre Medieneinsätze. Das Jahr 2019 habe einen Tiefpunkt der Berichterstattungsfrequenz gebracht, 2020 sei dann durch die Corona-Pandemie nicht besser gewesen. Anna-Lara Sauerfred, die sich nach inzwischen 13 Jahren im Armutseinsatz selbst manchmal schelmisch lächelnd als "Außenministerin der deutschen Kinderarmut" bezeichnet, spricht in diesem Zusammenhang von Diskriminierung und Zurücksetzung. 

Dass wie wie 2015 jedes fünfte Kind arm sei, zeige, dass Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern mit niedrigen Einkommen deutlich stärker als andere betroffen seien. Auch sie selbst, von ihren Anhängern auch schon mal als "Postergirl" der Kinderarmut bezeichnet, habe erfahren müssen, dass die soziale Karriereleiter unten keine Sprossen habe. 

Obwohl die Bilder von ihr, der kaputten Puppe und dem frustrierend  apokalyptischen Umfeld, in dem sie zwischen Flasche, Missbrauch, ostdeutschen Nachbarn, Kramen in Papierkörben nach einem Happen Essen und Betonwänden aufwachsen musste, um die ganze Welt gegangen seien, habe es anschließend an Folgeaufträgen gemangelt. "Wer einmal als Armutsmodell lebt, der wird das mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent niemals für Modeaufnahmen oder auch nur für Regierungskampagnen im Auftrag der Bundeswehr gebucht", sagt sie heute bitter. 


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