Freitag, 1. April 2022

Abschied von Anetta Kahane: Oma gegen rechts

Im Angesicht des Bösen: Anetta Kahane hat ihr Leben lang mit den eigenen Waffen auf der richtigen Seite gekämpft und immer gewonnen.


Sie geht, aber niemals so ganz. Anetta Kahane, erst über Jahrzehnte Teil des festen Fundamentes der Funktionärsdiktatur im Osten Deutschlands, später dann in einer zweite Karriere höchste Moralwächterin des neuen, liberalen Deutschlands, hat das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erklären lassen, dass sie sich mit nun 67 Jahren aufs Altenteil zurückziehen will. Nicht allerdings weiterhin alles im Blick zu behalten: Die Feinde unserer Ordnung, die Quertreiber, Verschwörungstheoretiker, Russen, Kritikaster und Sachsen. Menschen also, die ihr ein Leben lang Lohn und Brot verschafften, erst als Mitarbeiterin der Staatssicherheit der DDR. Dann als Chefin des Wächterrates "Amadeu Antonio Stiftung".

Der gestohlene Nachname

Mit dieser von ihr selbst gegründeten Firma, benannt nach dem 1990 in Eberswalde von Skinheads erschlagenen Amadeu Antonio Kiowa, dem Kahane einfach den Nachnamen abschnitt wie das im weißen Umgang mit Schwarzen Menschen Tradition hat, gelang der früheren IM Viktoria nicht nur der späte Sprung zur "Bürgerrechtlerin" (Die Zeit), als die sie nun schon immer gegolten haben wollte und sollte. Sondern auch eine der seltenen deutschen Erfolgsgeschichten des Internetzeitalters: Kahane, zeitweise als "Bundesmahnbeauftragte" nicht unkritisch betrachtet, weil sie im revlutionären Furor auch mal die Falschen verriet, schaffte, was sonst kaum jemandem im alten Europa glückte. 

Mit ihrem kleinen start up und Starthilfe aus antifaschistischen Förderprogrammen der Bundesregierung gelang es ihr, mit Internetriesen wie Facebook auf Augenhöhe zu kommen und die eigenen Meinungsfreiheitsschutzabteilungen als höchstes deutsches Demokratiegericht dauerhaft zu etablieren. Dank der Übertagung von Netzhygienefunktionen durch den US-Internetreisen gelang es sohar, sich von Zahlungen der Bundesregierung unabhängig zu machen. 

Öffentlich anschubfinanziert

Ein Beweis dafür, dass Deutschland mithalten kann, wo öffentliche Anschubfinanzierung und privates Engagement gemeinsam auf ein richtige Ziel zuarbeiten. Heute ist AAS hochprofitabel. Keine "dunkelste Ecke der Online-Welt" (AAS) ist mehr sicher vor den Fachleuten für porentiefe Sprachhygiene, die "Ausschau" hielten "nach rechtsextremen Influencern, Hass-Kommandos & der nächsten Terrorzelle in Planung" (Amadeu Antonio).

Anetta Kahane schaffte es nicht nur, ihren Wikipedia-Eintrag dauerhaft so zu verändern, dass selbst die Geschichte ihrer Enttarnung als Stasi-Spitzel zu mutigen Tat einer reuigen Sünderin wurde. Nein, sie rückte als erste ehemalige IM des Ministeriums für Staatssicherheit auch in den Zauberzirkus der medialen Dauerberieselung auf. Kahane war eine Instanz. Was sie zu sagen vorgab, galt, und es galt für alle, sich daran zu halten. Anetta Kahane war es, die festlegte, dass„alles sagen zu können, einfach alles“ dasselbe sei „öffentlich hassen zu dürfen, als gäbe es kein Morgen“. 

Falsche Übersetzung als Grundlage

Ihr hat Deutschland zu verdanken, dass mit dem selbst ausgedachten Begriff der "Hassrede" - einer simplen, wenn auch falschen Übersetzung des englischen hate speech - als "segensreiches Ergebnis eines langen Zivilisationsprozesses“ (Kahane) "jenseits des Juristischen ein Klima" entstand, "das weit Gefährlicheres mit sich bringt als ein Wettrennen von wildgewordenen Säuen, die durchs Dorf getrieben werden". 

Nämlich eine Gesellschaft, in der auch Dinge, die nicht strafbar sind, plötzlich nicht mehr sagbar scheinen, weil sie zwar nicht verboten, aber auch nicht erlaubt sind. So dass Menschen, die etwas sagen wollen, lieber schweigen, weil sie es für sicherer erachten, still zu sein als sich als "wildgewordene Säue" bezeichnet und von den Hexenjägern der Hatespeech-Sturmtrupps bei virtuellen Hetzjagden um Job und Ruf, Einkommen und Auskommen gebracht zu werden.

Geschrumpfte Gefahren

Anetta Kahanes Abschied kommt in einer Zeit, in der die großen Gefahren, die Deutschlands erste Oma gegen rechts stets so unvergleichlich an die Wände malen konnte, dass viele frühere Abnehmer ihre Kolumnen mittlerweile gelöscht haben, dramatisch schrumpfen. Die Wohlstandssorgen vor einer Machtübernahme durch sächsische Nazis, die Angst vor Menschen, die nicht geimpft werden wollen, die Ausgrenzung aller, die "trotz des hohen Verfassungsguts der Meinungsfreiheit" (Kahane) sagen wollen, was sie sagen zu müssen glauben, sie scheinen vor dem Hintergrund der neuen Weltlage kaum mehr von Bedeutung. 

Ein Vierteljahrhundert nach der smarten Idee, mit der "Antonio Amadeu Stiftung" (Original ohne Bindestriche und ohne Kiowa) eine eigene Institution zur Feindbeobachtung und -bekämpfung  zu gründen, zieht sich die verdienstvolle Gründerin aus der ersten Reihe der staatlich finanzierten zivilgesellschaftlichen Projekte gegen Rechtsextremismus zurück. Kahane hinterlässt ein blühendes Unternehmen mit fast sechs Millionen Euro Jahresumsatz, 80 Beschäftigten und dem Rufg, über Schicksale entscheiden zu können. Der Kampf gegen aber, er ist noch nicht gewonnen. Ihrer "Amadeu Antonio Stiftung" will Anetta Kahane deshalb "weiterhin beratend zur Seite stehen", auch werde sie "weiter schreiben, eigene Projekte verfolgen und auch für andere Organisationen da sein, wenn sie das wollen."



3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ihrer sei nicht gedacht. So sehr man diesen Tag herbeigewünscht haben mag, es wird sich ähnlich viel ändern, als würden Sorosch oder K. Schwab in ihre Echsenmenschenwelt zurückkehren.

Carl Gustaf hat gesagt…

Wenn man so möchte, kann man Gil Ofarim als Opfer Kahanes bezeichnen. Kahane brauchte immer etwas, was ihr eigenes Denunziantentum maximal relativieren hat. Wenn man das eigene Denunziantentum schon nicht mehr leugnen kann, so muss man die öffentliche Auffassung von Denunziantentum so drehen, dass darin nichts Verwerfliches mehr gesehen wird, sondern nur noch das zivilgesellschaftlich Wertvolle und Wahre. Gelernt ist gelernt: Kahane hat das öffentliche Denunzieren wieder hoffähig gemacht.

Ich höre Ofarim vor Gericht schon jammern: "Ich war ihr hörig, ich habe im Geiste von Annetta Kahane denunziert.". Für mildernde Umstände sollte das dann allemal reichen.

Die Anmerkung hat gesagt…

Darf ein Aprilscherz so weit gehen?

https://nitter.net/rosidaggi/status/1509911703282229255

dagmar rosenfeld @rosidaggi

Wir wollten eine Anzeige im Tagesspiegel schalten, leider wurde sie abgelehnt. Natürlich möchten wir sie trotzdem keinem vorenthalten.
P.S. Wir freuen uns sehr auf unseren neuen @weltamsonntag-Kolumnisten Harald Martenstein. Ab morgen am Kiosk.

https://nitter.net/pic/media%2FFPRH--NWUA8LJh7.png