Samstag, 29. Oktober 2022

Aus für Autos: Unterhändler als Schicksalslenker

Mit dem Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor folgt die EU ihrer bewährten Taktik: Beschlüsse für weit in der Zukunft liegende Termine, begleitet von medialen Triumphfanfaren.

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iemand hat sie je gewählt, niemand hat sie im Amt bestätigt, niemand kennt sie, nicht einmal ihre Namen werden jemals öffentlich. Sie sind die grauen Eminenzen, die großen Unbekannten, die Strippenzieher und Schicksalsgeber, die in Medienberichten stets als die "EU-Unterhändler" auftauchen, die sich auf dieses oder jenes "geeinigt" hätten. Wer da mit wem verhandelt, mit welchem Mandat, mit welchem Verhandlungsspielraum, mit welchem Ziel, welcher roten Linien - keiner fragt, keiner sagt, weiß es es, keiner soll es wissen.

Diesmal also die Auto-Einigung, eine Entscheidung, die dem bekannten Muster folgt, das die EU seit Jahrzehnten als ihre Erfolgsstrategie erkannt hat. Beschließe stets nur Dinge, deren Konsequenzen in der Realität weit, weit in der Zukunft liegen. Verkünde sie im Kleingedruckten und rechne fest damit, dass jedermann und jede Frau da draußen im ersten Moment denken wird, jetzt sind sie komplett verrückt geworden. Sich im zweiten aber tröstet: Bis dahin kann noch viel passieren. Die kommen schon noch zur Vernunft. 

Verkaufsverbot vor dem Vergessen

Die Taktik ist bei Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor dieselbe. In zwölf Jahren erst soll es in der gesamten EU ein Verkaufsverbot für Autos geben, die von Benzin- oder Dieselmotoren angetrieben werden - auch Deutschlands Unterhändler haben dem Mobilitätsausstieg offenbar zugestimmt. Dabei war das Thema im letzten Bundestagswahlkampf kaum erwähnt worden. Und die Mehrheit der Stimmen ging letztlich an das Lager der Parteien, die ein Verbrennerverbot ablehnen. 

Grüne und Linke, die beiden Verbotsparteien, kamen zusammen auf ganze 19 Prozent. Für Unterhändler ohne Namen, Gesicht, Gestalt und Verantwortung aber reicht das. Sie einigen sich das eine Mal auf ein 170 Milliarden-Budget, das andere Mal auf eine neue Klimasteuer, auf "humanitäre Korridore", auf den Ausbau der deutschen Abhängigkeit von Russland, eine Frauenquote für alle Aufsichtsräte nicht-staatlicher Unternehmen, ein "Klimaziel für 2030" oder den Aufbau und den folgenden ewigen Unterhalt einer "Europäischen Arbeitsbehörde zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Missbrauch, Betrug und nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit, auf die sich die Unterhändler in der Vergangenheit schon einmal geeinigt hatten.

Unterhändler als Schicksalslenker

So viele Weichenstellungen. So viel zu tun. Die EU-Unterhändler entscheiden immer wieder über die Lebenswege von 440 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, zumindest was Deutschland betrifft. Hier wird beinahe schon genüsslich umgesetzt, was immer die der Öffentlichkeit grundsätzlich unbekannten Unterhändler für richtig und wichtig befinden.  So dass es die an regelrechter Gesetzgebung durch die europäischen Verträge immer noch gehinderte EU-Kommission nach Abstimmung mit dem halbdemokratisch gewählten EU-Parlement als "Richtlinie" oder "Verordnung" zur Leitschnur des notwendigen gesetzgeberischen Handelns der Mitgliedsstaaten machen kann.

So wenig Überblick die anonymen Unterhandelnden haben, so wenig demokratische Kontrolle bleibt Wählerinnen und Wählern in diesem raffinierten System aus Hinterzimmerdiplomatie, Übertölpelung und medialer Begleitmusik aus feierlichen Fanfaren. Erst interessiert die Unterhändlerkompromisse niemanden, weil ihre Realisierung weit, weit in der Zukunft liegt. Dann rutscht alles in ein tiefes, andauerndes Vergessen. Schließlich rückt der Termin an und das Erschrecken ist groß. Wie hat das geschehen können? Wer ist dafür verantwortlich? Was nun? Was tun?

Ohne jede Konsequenz

Nichts. Wenn es zu spät ist, die Unterhändler längst im Ruhestand, die Regierungen, die sie entsandt hatten, abgewählt und so tief untergetaucht, dass keine Konsequenz sie mehr erreichen kann, bleibt nur, stur zu tun, was die Altvorderen beschlossen haben. Die Männer, die unter der Ägide des damaligen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel die Abgasvorgaben für die Autoindustrie beschlossen, waren lange nicht mehr in ihren informellen Ämtern, als sie die vernichtenden Auswirkungen der anfangs als rein pro forma ausgegebenen Richtlinie 2005/55/EG in der Praxis zeigten.

Das Erstaunen war dann groß, die Prozesse waren lang und teuer, die gesellschaftlichen Auswirkungen  verheerend: Und Sigmar Gabriel war nirgendwo mehr zu sehen, ebenso wenig wie die" EU-Unterhändler".


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