Freitag, 30. Dezember 2022

PPQ: Die Menschinnen des Jahres

Auch das Bild des Jahres zeigt Christine Lambrecht: Bei einem Truppenbesuch wagte sich die Verteidigungsministerin auf einen der noch fahrbereiten Panzer.

Es war der Krieg in der Ukraine, der in diesem dritten der Pandemie sogar für ein Ende der pandemischen Lage sorgte. Erst kam der Angriff, dann die Energiekrise, die alles überdeckte. Die Fortschrittskoalition in Berlin legte den Rückwärtsgang ein, die Fossilen Energien wurden zum Lebensretter von Industrie und Privathaushalten. Ein Deutschland-Tempo wurde entdeckt, das vor allem kommunikativ eine mitreißende Kraft entfaltete. Zwischendrin teilte sich die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer: Hier die Querdenker, Zweifler und Infragesteller. Dort die, die alles schon immer gewusst hatten, die Prepper, die Warner vor Engpässen in der Versorgung, die Kritiker einer Abhängigkeit von Russland.

Der Star als geduldeter Quengler

Unter den Untergehern sind bekannte Namen wie Gerhard Schröder, der seinem Vorgänger im Amt ins gesellschaftliche Aus folgte, wie Karl Lauterbach, der vom Talkshow-Weltrekordler zum nurmehr gerade noch geduldeten Quengler wurde, und Robert Habeck, dem das Kostüm als Lichtgestalt einer nachhaltigen Ökowirtschaft abhanden kam, als er sich gezwungen sah, beim Scheich von Katar einen Bückling zu machen. Kein Wunder also, dass ausgerechnet Christina Lambrecht, die so oft infragegestellte Verteidigungsministerin die Liste der "Menschinnen (NDR) des Jahres" anführt, die PPQ-Autoren auch in diesem weitgehend missratenen 2022 wieder gewählt haben. 

Natürlich hat der Kanzler, der zu seiner eigenen Überraschung einer wurde, die Richtlinienkompetenz. Und ebenso natürlich ist es die Außenministerin gewesen, die schon mit ihrem ersten FototerminAuftritt vor dem Eiffelturm allen Glanz und Glamour für sich reklamierte, die Wählerinnen und Wähler vom Ampel-Kabinett erwarten konnten. Doch es Lambrechts gleich zu Beginn des russischen Angriffs klargestellte Weigerung, Schwerewaffen an die Ukraine zu liefern, die die 57-Jährige zum Star der Bundesregierung machte: Die Beharrlichkeit, mit der die SPD-Politikerin dabei blieb, ganz egal, wie sich die Frontlage entwickelte, hat sich Millionen Menschen ins Gedächtnis eingebrannt. 

Scheitern als Vorbereitung

Kaum jemand hatte von einer Frau, die als Direktkandidatin für den Bundestag viermal in Folge scheiterte und 2019 nach dem überraschenden Rochade von Katarina Barley nur als Notlösung auf ein Ministeramt rückte, so viel Rückgrat erwartet. Und Lambrecht lieferte noch mehr. In konsequenter Fortsetzung der Friedenspolitik ihrer Vorgängerinnen Thomas de Maiziere, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer entrüstete sie die Bundeswehr nahezu vollständig. Aus der immerhin noch "bedingt abwehrbereiten" (Der Spiegel) Armee der 60er Jahre wurde eine "Trümmertruppe", wie das teils staatseigene Portal T-Online lobt. Vor diesem Heer, dieser Marine und dieser Luftwaffe muss niemand Angst haben.

Dagegen zu bestehen, in einem Land wie Deutschland, das nach zwei selbst vom Zaun gebrochenen Kriegen von einer so tiefen Friedenssehnsucht beseelt ist, dass ein Aufruf, für den Frieden zu frieren, quer durch alle Lager auf offene Ohren und geschlossene Thermostate tritt, ist selbst für die anderen Aufsteiger in der Ampel schwer. Nancy Faeser etwa, als Innenministerin permanent auf dem Absprung in die hessische Staatskanzlei, strahlte ebenfalls, aber längst nicht so hell.

Gestoppte Rentnerrebellion

Ihr Kampf gegen den Rechtsextremismus, der die Gesellschaft im 22. Jahr nach dem von Gerhard Schröder ausgerufenen "Aufstand der Anständigen" bis in die Mitte befallen hat, zeitigte nur punktuell Erfolge: Es gelang, die Rentnerrebellion des sogenannten "Rates" niederzuschlagen, die Montagsnazis wurden ausgebremst und zudem machte die Sozialdemokratin Schluss mit einer "völlig überkommenen bisherige Praxis"  (Faeser), nach der deutsche Bundesbehörden seit der 7. Juni 1950 erlassenen „Anordnung über die deutschen Flaggen“ (FlaggAO) ausschließlich die Bundesdienstflagge hissen durften. 

Doch weder die angestrebte Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gelang noch konnte die Bevölkerung überzeugt werden, ihre Meinung kundzutun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln. Faeser zeigte in Katar, wie das geht: Ihre "One Love"-Binde liegt heute im Deutschen Museum, eine Mahnung an kommende Schüler*innen-Generationen, nie nachzulassen beim Senden von Signalen und dem Setzen von Zeichen, auch wenn es nichts kostet und nicht einmal etwas bringt.

Die schwachen Männer

Scholzens Männer fielen dagegen deutlich ab. Einigen Bürgern bekannt ist immerhin noch Christian Lindner, der erste Finanzminister, dem es gelang, in einem Jahr so viele Schulden zu machen wie seine Vorgänger in 20 oder 10, ohne dass dabei an der Schuldenbremse gerührt wurde. Lindner bewies, dass Gasgeben und Bremsen zugleich einander nicht ausschließen, dass laute Klagen über die schwierige Lage alle Nachfragen zu Milliarden an Mehreinnahmen zum Schweigen bringen und der neue Kriegsliberalismus das Kollektiv in den Mittelpunkt stellt. 

Marco Buschmann, der andere Liberale, der hier und da auftauchte, assistierte engagiert: Mit Blick auf die anstehenden Prozesse gegen die "Letzte Generation halbierte Buschmann die Höhe der Ersatzfreiheitsstrafe, er warf sich schützend vor das Bundesverfassungsgericht und die davorstehende Besetzungscouch, und er fand es "wichtig, dass wir uns dahinter klemmen, dass der Staat digital wird". 

Rühren an den Schlaf der Welt

Das rührt an den Schlaf der Welt und macht auch Buschmann zu einer bestimmenden Person eines Jahres, das an Krisen, aber auch an Unterhaltungswert so viel zu bieten hatte, dass manches bereits wieder vergessen ist. Der Vorstoß zur Einsetzung eines Parlamentspoeten, der sogenannte "Ein-Abwasch"-Vorschlag, den Bundestag der Einfachheit halber für fünf Jahre zu wählen, das Karrierekarussell, das so schnell rotierte, dass kaum jemand noch die vorbeifliegenden Gesichter erkennen konnte, das Zorro-Verbot und die Schnitzel-, Gas- und Strombremse - selbst verglichen mit den letzten Merkel-Jahren, die geprägt waren von einem Hochbetrieb in der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) war das alles viel und doch nie genug.

Die frühere Kanzlerin, die all das vom Ende her gedacht hatte und ihrem Vorgänger im Amt so zum idealen Zeitpunkt beinahe unbemerkt ins gesellschaftliche Aus folgen konnte, zeigte von der Seitenlinie noch einmal, dass auch sie ohne Zweifel zu den Person*innen des Jahres gezählt werden muss. Keiner aus der Ampel und niemand aus der Partei ruft noch an und fragt nach Rat, aber der französische Präsident klingelt zuweilen durch und Merkel ist auch sonst mit sich im Reinen. Manches hätte anders, manches müsste noch, wie etwa die Altkanzlerinnenseite angela-merkel.de. Die wird eines Tages von den wundervollen guten alten Zeiten kurz nach der Euro-Staatsschuldenkrise erzählen, dann nach "amerikanischen Vorbildern für multimediales Storytelling" (Tagesspiegel) und mit "Geschichten anhand von großformatigen Bildern in einer Scroll-Down-Navigation".

Aber überlebt zu haben, all die schicksalhaften Entscheidungen, die anstrengenden Reisen mehr, die nächtlichen Krisentreffen, die Dauertelefonate und Fernsehauftritte, das ist weit mehr als genug, um zu den Gewinnern zu zählen. Nicht mehr dabei, nicht mehr mittendrin oder gar obendauf, aber spukhaft fernwirkend immer noch, wie es nur echte Sieger sind.


5 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Kommen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht* auch noch, oder sind das keine Menschinnen?

* Martin Schirdewan nimmt Sahra Wagenknecht vor AfD-Vergleich in Schutz (mrc/dpa)

Sehr schön, daß sie einen Schutzengel hat.

ppq hat gesagt…

man kann nicht alles haben

und wer ist dieser schirdewahn? ist der nicht schon lange tot?

Anonym hat gesagt…

Der Fotokünstler musste die Sättigung hochziehen bis Tarnfleck wie Clownkotze aussieht, damit Lambrecht nicht wie ein Geist aussieht.

Anonym hat gesagt…

Die Weltgeschichte wimmelt von Wichtigtuern, die glauben ohne sie bricht alles zusammen. Wenn sie dann weg sind vermisst sie keiner. In Erinnerung bleiben nur die schlimmsten Massenmörder, wie zum Beispiel Dschingis Khan oder Napoleon.

ppq hat gesagt…

es fehlt euch eindeutig an respekt.