Sonntag, 19. November 2023

SPD fordert: Hände weg von mit der Schuldenbremse

Gelenkig, geschmeidig, dabei aber prinzipienfest furchtlos dem eigenen Geschwätz von gestern gegenüber - die SPD-Vorsitzende will nun auch offiziell zurück zur grenzenlosen Schuldenwirtschaft.
Gelenkig, geschmeidig, dabei aber prinzipienfest furchtlos dem eigenen Geschwätz von gestern gegenüber - die SPD-Vorsitzende will nun auch offiziell zurück zur grenzenlosen Schuldenwirtschaft.

Es war eine der größten Taten der deutschen Sozialdemokratie, sich ans Eingemachte zu wagen. Als Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vor 15 Jahren mit seiner Werbung um die Einführung einer Schuldenbremse begann, wusste der tatkräftige SPD-Politiker seine Partei hinter sich. Doch nicht nur die frühere "Arbeiterpartei" (Willy Brandt) war überzeugt, dass die ewige und uferlose Schuldenmacherei auf Kosten künftiger Generationen endlich ein Ende haben müsse. 200 SPD-Abgeordnete stimmten für die Einführung, nur 19 dagegen.  

Keine Lasten mehr für morgen

Der Bundestag folgte der ältesten deutschen Partei und votierte an jenem Freitag, dem 29. Mai 2009, mit Zwei-Drittelmehrheit für strenge Regeln und einen begrenzten Zugriff aller jemals noch kommenden Regierungen und Parlamente auf Kredite, die Lasten auf morgen verschieben und von Steuerzahler getragen werden müssen, die oft noch nicht einmal geboren sind. Die Schuldenbremse begrenzte die jährliche Neuverschuldung des Bundes auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, freilich nicht gleich. 

Denn den der smarte Machtmann Peer Steinbrück wollte zwar in die Geschichte eingehen, die daraus erwachsenden Schwierigkeiten der notorisch klammen Staatskasse am am liebsten nicht auch noch selbst lösen müssen. Steinbrück, ein Sozialdemokrat des seinerzeit noch existierenden rechten Flügels der Partei, fand ein Inkrafttreten im Jahr 2016 recht hübsch. Der gebürtige Hamburger wusste, er würde dann 69 Jahre alt sein und den absehbaren Ärger nicht ausbaden müssen.

Wie ein Mann für die Schuldenbremse

Ordentlich "Sondervermögen" obendrauf.

Das tat seine Partei, wenn Not am Mann war. Schon fünf Jahre, bevor die neue harte Regel überhaupt in Kraft trat, warf sich die SPD mit allem, was sie noch hatte - viel war es nicht, denn inzwischen war sie von den Wählerinnen und Wählern auf die Oppositionsbänke verbannt worden - für die eigenhändig im Art. 115 des Grundgesetzes verankerte Regelung in die Bresche, die CDU, CSU und FDP schlagen wollten. Die von nunmehrigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, einem Spezialisten für gewiefte Finanztricks, geplante "Aushöhlung der Schuldenregel" werde man "stoppen". Schließlich sei ihr Ziel "eine nachhaltige Konsolidierung des Bundeshaushalts" gewesen, "um für Generationengerechtigkeit zu sorgen". 

Nicht mit der SPD! Auch nicht mit miesen, aber durchsichtigen Tricks wie der freihändigen Festlegung neuer Maximalgrenzen für die Übergangszeit und einer Nutzung der "Konjunkturkomponente zu seinen Gunsten" (SPD). Beide Maßnahmen widersprächen Sinn und Zweck des Gesetzes, Beschränkungen werden umgangen und Maximalwerte ausgeweitet und außerdem das Budgetrecht des Parlaments untergraben. 

Steinmeier organisiert den Beweis

Ein Vorgehen, das die deutsche Sozialdemokratie nicht dulden wollte und konnte. Walter Steinmeier, damals noch offiziell aktiver Parteipolitiker, brachte den Gesetzentwurf Drs. 17/4666 ein, von dem seine Fraktion zwar wusste, dass er abgelehnt werden würde. Der aber später immer als Beweis herangezogen werden könnte, dass die SPD für "die konsequente Umsetzung der Schuldenregel" steht, gemeinsam mit den Grünen und gegen einen neuverschuldungssüchtigen Block aus CDU, CSU, FDP und Linkspartei. Nur die beiden späteren Ampelparteien hielten damals Sparkurs: "Konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen in die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gehen" und "in wirtschaftlichen Boom-Phasen sind sogar staatliche Haushaltsüberschüsse zu erarbeiten."

Eingehalten wurden die Vorgaben der Bremsregel, bis dato der größte Versuch deutscher Politik, statt in der lästigen Gegenwart lieber eine ferne Zukunft zu regieren, niemals, nicht unter CDU-Kanzlerin Merkel und nicht unter ihrem Nachfolger Scholz. Immer war etwas, immer musste irgendjemand, eine Gruppe, ein speziellen Klientel oder eine selbstgeweckte Zukunftserwartung bedient oder eine akute Bedrohungslage gemanaged werden. Die EU kippelte, der Fachkräftezustrom war teuer, die Pandemie kam, die Energiekrise. Die Schuldenbremse war vollkommen unwirksam, weil einfach immer eine Notlage ausgerufen wurde, wenn das Geld nicht reichte. Aber sie war ein Symbol, an das sich niemand heranwagte.

Konsequenz auf verräterischem Urteil

Erst jetzt, nach der verräterischen Klage der Union gegen die Verschiebung von früherem Geld in eine schwarze Klimakasse und dem nicht weniger verräterischen Verfassungsgerichtsurteil gegen diese nur gut gemeinte Manöver, hat die SPD ihre konsequente Haltung geändert. SPD-Chefin Saskia Esken ist nun für ein als "erneutes Aussetzen" bezeichnetes Ende der Legende vom sparsamen Staat. Nicht nur Investitionen "etwa in die Infrastruktur" seien sonst gefährdet, sondern auch das letzte bisschen innerer Zusammenhalt der Koalition. Als Begründung sollen diesmal die "anhaltenden Krisen" (Esken), der Überfall Russlands auf die Ukraine und der Konflikt im Nahen Osten herhalten. Ereignisse, die drohen, die geplante Klimarettung durch Heizungstauschförderung, Dämmungssubventionen, Aufbau von modernen Chipfabriken und die Rückzahlung von CO2-Geld als Klimaprämie an die Bürger zu verhindern.

Ein Normalhaushalt reicht nun wieder nicht, die anstehenden Aufgaben zu stemmen, "ohne dabei andere Aufgaben zu vernachlässigen", hat Esken ausgerechnet. Eine "Krisenbewältigung auf Kosten der sozialen Infrastruktur, der Demokratieförderung oder der Integration" - das sei aber mit der SPD nicht zu machen. Weil die Einnahmen aus den geplanten Steuererhöhungen aber erstens erst fließen, wenn die SPD nach der nächsten Bundestagswahl allein oder nur mit den Grünen regiert, und das Verfassungsgericht zweitens auch das zuletzt genutzte Schlupfloch der ausgelagerten "Sondervermögen" zumindest für den Moment gestopft hat, sei sie "davon überzeugt, dass wir erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremsen-Regelung benötigen". 

Keine Bremse am Schulzzug

Weg mit dem Weg zu einer Rückkehr zu "finanzpolitischer Normalität" nach "Jahren des Schuldenmachens" zu machen, wie er Finanzminister Christian Lindner vorschwebt. Keine Bremsen, wie der vormalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz einst aus dem "Schulzzug" gesungen hatte. Und her mit dem Griff in die tiefen Taschen der Nachgeborenen, die von ihrem Glück nichts ahnen und sich deshalb auch nicht beschweren, sind sie doch damit beschäftigt, das Brandenburger Tor zu streichen.

Gelenkig, geschmeidig, dabei aber prinzipienfest furchtlos dem eigenen Geschwätz von gestern gegenüber - zwölf Jahre nach dem mannhaften Einsatz der SPD für die Beibehaltung der Schuldenbremse, ganz egal, was es kostet, setzt sich die deutsche Sozialdemokratie für den "pragmatischsten und klügsten Weg" zur Behebung der eigenen Lähmung ein, wie es der Top-Ökonom Marcel Fratzscher nennt: Dort nehmen, wo sich keiner beklagt. Denen die Kosten der Rettung der eignen Koalition überhelfen, die es erst merken werden, wenn es zu spät ist.


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