Freitag, 23. Mai 2025

Mit Zahlen prahlen: Gegen jede Chance

Schwerpunkt sexualisierte Gewalt: Richtig dargestellt, werden 17.000 Fälle zu einer Welle, die sich kaum mehr beherrschen lässt.

Alles wird bekanntlich immer schlimmer, immer öfter und immer mehr. Die Moderne nährt sich von der Idee, Bedrohliches zu entdecken. Und wer mit der Wahrheit lügen will, mit reinen, puren, ungeschminkten Fakten Meinung machen und dabei nicht erwischt werden, dem rät das Lehrbuch des klassischen Demagogiefaches "Lügen mit der Wahrheit" Zahlen ohne jeden Bezug zu präsentieren. Mehr Rechte, mehr Straftaten, mehr Verstöße und mehr Gewalt, sie sind das Fundament, auf dem Vater Staat sein wichtigstes Versprechen baut: Mit mehr Verboten, mehr Gesetzen und sogenannten schärferen Regeln wird alles wieder, wie es war.

Mehr Verstöße

Dass es zu "mehr Verstöße gegen den Jugendschutz" kommt, zu mehr "sexualisierter Gewalt", die mehr Kinder im Netz mehr gefährdet, folgt der unbestechlichen Logik, von der auch die seit dem Zweiten Weltkrieg beständig steigende Zahl Rechter und rechter Straftaten lebt. Auch ohne die Antwort auf 551 Fragen zu kennen, ist der alljährliche Jahresbericht von jugendschutz.net eine Fundgrube an Wissen über mediale Mechanismen: Schon in der Steinzeit des Kampfes gegen Hetze, Hass und Zweifel war die gemeinnützige GmbH mit Sitz in Mainz eine zuverlässige Quelle für beunruhigende Nachrichten. 

Hier konstatierten die Mitarbeiter der von den Obersten Landesjugendbehörden, den Landesmedienanstalten und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam finanzierten "Zentralstelle" zuerst, dass das Internet "immer brauner" werde. Hier galt frisch entdeckte 1.872 deutschsprachige Nazi-Websites auch angesichts der Gesamtzahl von fast 14 Millionen deutschsprachigen Internetangeboten nicht als recht schwer zu finden. Sondern als akute Bedrohung.

Keine rechten Websites mehr

Doch die Zeit wandelt sich. Längst zählen die Jugendschützer nicht mehr rechte Websites, sondern rechtsextreme Inhalte auf Facebook, Twitter und YouTube. Das Feld wirft einfach mehr ab. "Rund 5.500 rechtsextreme Beiträge und Angebote" fanden die Experten bereits in sozialen Netzwerken. Seither sind es noch mehr. Aber vorsichtshalber wird niemals mitgeteilt, wie viele "Beiträge und Angebote" es überhaupt gibt.

Ein Strickmuster, das sich bewährt hat und deshalb auch bei der Alarmmeldung über Kinder und Jugendliche angewendet wird, die "Internet zunehmend mit Hassinhalten und sexualisierter Gewalt in Kontakt" kommen. 17.630 Verstöße gegen den Schutz von Kindern und Jugendlichen registrierte jugendschutz.net im vergangenen Jahr im Netz. In 90 Prozent der Fälle habe es sich um "Darstellungen sexualisierter Gewalt" gehandelt, beschrieb Stefan Glaser, Leiter und Geschäftsführer der GmbH, die schon seit 1997 und in jüngster Zeit immer mehr "quasi hoheitliche Aufgaben des Staates" (AK Zensur) übernimmt.

Immer noch 17.000 Fälle

17.630 Fälle, das sind so viele wie das BKA vor drei Jahren zählte. Also viel zu viel. Die Zahl der Fälle habe sich auch gerade verdreifacht,  klagt Glaser zum Beispiel bei der "Tagesschau". Obwohl die "LPR-Trägergesellschaft jugendschutz.net" schon seit 2003 organisatorisch irgendwie an die Kommission für Jugendmedienschutz "angebunden" (jugendschuzt.net) ist, einer Versammlung der Direktorinnen und Direktoren von Landesmedienanstalten, und inzwischen "auch als gemeinsames Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet" dient, wird es offenbar nicht besser. Nur mehr. 

Aber wie viel eigentlich? So wenig die "Bund-Länder-Organisation" (Tagesschau) in ihrem Jahresbericht qualitative Auskünfte über den Charakter der medial präsentierten Verstöße gibt, so wenig findet eine quantitative Einordnung statt.  "90 Prozent mehr" errechnet der "Spiegel". Aber mehr wovon? "Angebote mit Bezug zu Sex/Pornografie machten nur 2 Prozent aus" heißt es im Bericht. Doch "sexualisierte Gewalt dominierte Arbeit" heißt es auch. Weitere Erklärungen fehlen - ein Kunstgriff, mit dem es gelingt, aus dem, was da ist, mehr zu machen, als man hat.

48 Fälle pro Tag

Denn was genau bedeuten 17.000 Fälle sexualisierter Gewalt inklusive Pornobezug? 48 Vorkommnisse pro Tag, bundesweit. Da in Deutschland etwa neun Millionen Menschen im Alter von 7 bis 16 Jahren leben, hat jedes Kind eine Chance von 1:555, dass ihm auch einmal begegnet, was jugendschutz.net wolkig als "so genannte Kinderpornografie" und "Jugendpornografie" beschreibt. Gemeint sind unter anderen möglichem "Missbrauchsvorgänge" durch die Verwandlung von Alltagsfotos in Nacktbilder, mit denen Kinder dann gemobbt und erpresst werden. Von wem? Von anderen Kindern? Man weiß es nicht, aber: Dabei werde sogar Künstliche Intelligenz genutzt.

So sehr, dass "wer online ist, unweigerlich auf rassistische, antisemitische und frauenverachtende Inhalte" stoße. Angesichts der Wahrscheinlichkeit von 1:555 muss er vielleicht eine Weile suchen, immerhin waren im vergangene Jahr gerade mal 0,18 Prozent aller Kinder und Jugendlichen vom einem "Verstoßfall" betroffen. Genug, um eine radikale alte Forderung zu wiederholen: Die großen Plattformen Altersüberprüfungen endlich so umsetzen, dass kein Minderjähriger mehr dorthin gerät, wo es von sexualisierter Gewalt zu wimmeln scheint, wenn die Darstellungsform der Zahlen entsprechend angepasst wird. 


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wenn keiner krank würde, müsste sich der Arzt einen neuen Job suchen.