Donnerstag, 28. August 2025

Ausreisewelle: Wie sich Fachkräfte aus Deutschland auf die große Flucht vorbereiten

Der Exodus hat begonnen. Die Ausreisewelle ist noch ein Rinnsal, aber sie wächst. Jeder Grenzposten, jede neue Verordnung, jede Rede von Merz und Reiche treibt neue Menschen hinaus. „Deutschland war einmal das Land der Dichter und Denker“, sagt eine Auswanderin. "Jetzt ist es das Land der Grenzschützer, AfD-Wählenden und Atomkraftfans."

Sie packen ihre Koffer, rollen ihre Lebensläufe und Zeugnisse zusammen und schauen nervös auf die Landkarte: Immer mehr Deutsche, die sich einst als Herz der europäischen Demokratie verstanden, denken darüber nach, das geliebte Vaterland zu verlassen, das nie eins hatte sein wollen.

 Der Rechtsruck, der die Bundesländer in der Mitte der EU in Atem hält, fand mit dem fulminanten Wahlsieg des Friedrich Merz’ bei der Bundestagswahl einen neuen Kulminationspunkt. Mit der Ernennung von Katherina Reiche zur Wirtschaftsministerin, dem Liebäugeln mit einem Atomkraft-Revival und der Verweigerung der neuen Regierung, ein AfD-Verbot anzugehen, wuchs die Beunruhigung. 

Aus der Uneinigkeit wurde Spaltung, aus Beunruhigung Angst. Deutschland, bis dahin weltoffen und gastfreundlich, präsentierte sich nun demonstrativ als  Staat mit Grenzkontrollen. Der neue Innenminister Alexander Dobrindt tat alles, um das Land in eine Festung zu verwandeln. Trotz Fachkräftemangels und steigender Arbeitslosigkeit zielt die schwarz-rote Koalition auf die Abschaffung des Familiennachzuges, auf längere Arbeitszeiten und höhere Sozialversicherungsbeiträge. 

Die eben erst eingeführte Turbo-Einbürgerung soll rückabgewickelt werden. Transgenderrechte stehen unter Beschuss. Alles deutet darauf hin, dass die angekündigte Steuerreform Reiche entlasten und die, die keine Steuern bezahlen, kaum begünstigen wird.

Bei vielen Menschen herrscht inzwischen blanke Verzweiflung. Wer kann, sucht nach dem Ausgang, irgendwohin, nur nicht hierblieben. Wer nicht kann, sucht zumindest nach dem Notausgang. Jens Baberfeld ist einer von Unzähligen, die zwischen Verzweiflung und Ohnmacht schwanken. "Wir haben Angst um unsere Zukunft", sagt der 37-jährige Ökologieökonom, der einen guten Job bei einer Bundesbehörde hat, meist vom Homeoffice aus arbeitet und mit Frau und zwei Kindern in einer Kleinstadt im Brandenburgischen lebt. Hier ist die Welt noch in Ordnung, auf den ersten Blick. Doch auf den zweiten? 

Baberfeld sitzt im abgedunkelten Wohnzimmer des Einfamilienhauses, das er und seine Frau noch mindestens 18 Jahre abzahlen werden. Alles ist schmuck, alles ist schick, aufgeräumt und sauber. 

"Wir wissen nicht, was werden soll", sagt der großgewachsene Schwabe, der nach dem Studium in Potsdam im Osten hängenblieb und hier ein "spätes Kind der DDR" heiratete, wie er selbst sagt. Seine Peggy arbeitet in der Stadtverwaltung, zehn Minuten mit dem Rad entfernt. Die beiden Kinder gehen in der Nähe zur Schule, erste und reitet Klasse, ein deutsches Familienleben wie gemalt. 

Doch was ist wirklich los? "Niemand kann doch übersehen, dass mit dem Ende der Ampel ein ganz neuer Kurs eingeschlagen worden ist", sagt Peggy Baberfeld. Auf einmal gehen es nur noch um die Entlastung der hart arbeitenden Mitte, um Korrekturen an der Sprachpolitik und um die Ausrichtung des Landes auf einen großen Krieg mit dem größten europäischen Nachbarn.

"Was soll denn dann aber mit unseren Kindern werden", fragt sich Peggy Baberfeld immer öfter. Auch nach drei Jahren des mörderischen Ringens in der Ukraine, das weiß sie dank ihrer Tätigkeit aus erster Hand, gäbe es keine Schutzräume für Zivilisten, ja, nicht einmal Pläne, eine entsprechende Infrastruktur bis zum befürchteten Kriegsbeginn im Jahr 2029 oder 2030 aufzubauen. "Jeder von uns weiß, wie zeitraubend die Ausschreibung solcher Projekte ist", warnt Jens Baberfeld. Zudem stiegen die Kosten mit jeder Minute, die weiter zugewartet werde.

Baberfelds haben sich selbst gewappnet, so gut es geht. Der Keller ist ausgebaut, mit Regalen voller Vorräte. Sie haben einen Wassertank angeschafft und feste Stahlrolladen für die Fenster. Das Gefühl aber, dass sich die Lage zuspitzt und das alles vielleicht nicht ausreichen wird, es will nicht vergehen. 

Dazu kommt, sagt Jens Baberfeld, dass der Rechtsruck beunruhigend um sich greife. Man wage nicht mehr, zu sagen, was man denke, man halte sich zurück, wo rechtsextremistische Parolen gerufen würden, weil die einem aus Ministerstatements in der Tagesschau bekannt vorkämen. Selbst mit Freunden spricht Jens Baberfeld nur noch über verschlüsselte Kanäle, sein Blick huscht immer wieder zur Tür. "Ich bin mir nicht sicher, ob die Vorratsdatenspeicherung nicht schon in Kraft ist, ohne dass wir es wissen."

Alles, was jemand sag, könne irgendwann gegen ihn verwendet werden, glaubt der Familienvater, der Deutschland noch vor zwei Jahren auf einem guten Weg sah. Die Elektromobilität stand damals vor dem endgültigen Durchbruch. Baberfelds nutzten ein Angebot der Bundesregierung, um sich fast kostenlos eine Ladestation in die Garage bauen zu lassen. 

Warum auch nicht, denn die Wärmepumpe fürs Haus hatten sie damals komplett privat finanziert. "Wir waren leider zu früh für die Förderprogramme."  Die wurden seitdem zusammengeschmolzen, kein Wunder, sagt das Paar wie aus einem Mund, "dass viele glauben, die Dringlichkeit, mit der wir aus den Fossilen aussteiegn müssen, sei eine Erfindung der Ampelregierung gewesen."

Vertrauen in die Konsistenz der Planungen, die aus Brüssel und Berlin kommen, sei damit verlorengegangen. "Hüh und Hott und rein in die Kartoffeln und wieder raus, das versteht doch keiner." 

Jens Baberfeld hatte den Ingenieur schon an der Hand, der das Haus der Familie mit einer weiteren Dämmschicht überplanen sollte. Man habe ihm dann abgesagt, denn "wer weiß, wie uns das ausgelegt worden wäre - vielleicht ja als Demonstrationshandlung gegen die Entsapnnungpolitik von Herrn Merz bei der Klimatransformation."

Es sind solche Zweifel an der Demokratie in Deutschland, die die beide Fachkräften abends immer wieder über Landkarten und Reiserouten brüten lässt. Es geht für das Paar allerdings nicht um einen Urlaub mit der Familie, sondern um die Zukunft. "Wenn wir ehrlich sind, ist Deutschland für uns schon lange Geschichte", räumt Peggy Baberfeld ein. 

Die Angst, dass der neue Kanzler Merz und seine Koalition mit eiserner Faust regieren, sei für sie beide mehr als ein Hirngespinst. "Der Gedanke ist Alltag." 

Mit dem Gefühl, dass Deutschland die Gefahr des Klimawandels erkannt habe und entschieden gegensteuere, verschwand die Zuversicht, Teil von etwas ganz Großem zu sein. "Das wahlergebnis der Grünen bei der Bundestagswahl war für uns wie ein Nackenschlag." 

Mit Freunden, mit denen sie noch offen sprechen können, aber auch mit Gleichgesinnte in sozialen Netzwerken tauschen die Baberfelds ihr erschreckenden Beobachtungen aus. Sie berichten von Entfremdung, von gespaltenen Familien, von Kollegen, die plötzlich offenbaren, schon länger gesichert rechtsextremistische Parteien zu wählen, und von Nachbarn, die sich beim Grillen über Grenzkontrollen freuen. 

"Ich erkenne mein Land nicht wieder", habe ihm eine langjährige Freundin entsetzt geschrieben, erzählt Jens Baberfeld und er fühle ebenso. Wo sind die Menschen, die 2015 auf den Bahnhöfen Teddybären warfen? Wo sind die, die auf den Balkonen applaudierten? Eingeschüchtert, abgedrängt, marginalisiert.

 "Früher war Deutschland ein Ort, an dem man seine Meinung sagen konnte. Heute? Lieber nicht", sagt Baberfeld. Die Angst, am Arbeitsplatz als linksgrün versifft abgestempelt zu werden, ist groß, selbst in seiner Behörde. "Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Schlosser oder Mauerer oder meine Frau müsste als Verkäuferin arbeiten..."

Das Ende des Satzes bleibt offen und noch sind es die Grenzen ja auch. "Zum Glück", freut sich Peggy Baberfeld, die  entschlossener noch als ihr Mann darauf drängt, sich den Hunderttausenden anzuschließen, die nicht mehr Teil eines Staatswesens sein wollen, das den gesellschaftlichen Konsens des offenen, vielfältigen Landes stillschweigend aufgekündigt hat. 

Offizielle Zahlen gibt es keine, aber die Indizien mehren sich: Die Zugriffszahlen auf Auswanderer-Portale explodieren. Beratungsagenturen berichten von Anfragen, wie sie sie noch nie erlebt haben. "Viele im Bekanntenkreis fragen sich: Wo gehe ich hin, wenn es hier schlimmer wird?", erzählt Jens Baberfeld.

Sich selbst die Wurzeln auszureißen, auf eine Reise ohne Wiederkehr zu gehen - wie schlimm muss es sein, dass Menschen sich dazu gezwungen sehen? "Die Entscheidung zu gehen fällt meist, wenn die Politik plötzlich das eigene Leben betrifft", sagt Peggy Baberfeld. Der Kipppunkt sei für jeden anders, für sie aber sei er jetzt erreicht. "Es trifft uns mit voller Wucht", schildert Jens Baberfeld ein Land, in dem Hochschulen unter Druck geraten, sogenannte Wokeness hinter sich zu lassen, in dem die Atomkraft im Aufwind ist und keine Rede mehr von der kommunalen Heizungsplanung.

 Er habe sich früher nie vorstellen können, wie schnell ein so großes Gemeinwesen umkippen könne, sinniert Baberfeld. "Gerade noch waren wir alle sicher, dass sich bald alle anderen Länder unserem Beispiel anschließen werden." Und nun heiße es überall, Deutschland stehe allein, sein Sonderweg führe ins Nichts.

Für Familie Baberfeld, beide Akademiker, war die Entscheidung zur Auswanderung eine Frage der Selbstbehauptung. "Wir wollten unseren Kindern eine Zukunft bieten, in der Wissenschaft und Weltoffenheit zählen", sagt Peggy Baberfeld. Ihre Angst, dass die Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Atomkraft als Fortschritt und eine kontrollierte  Grenze als Tugend gilt, ist groß. 

"Wir wollen, dass unsere Kinder in einem sicheren Umfeld aufwachsen, aber ohne Abschottung." Zu Gehen, so lange es möglich sei, fühle sich wie ein Muss an. "Wenn es erst zu spät ist, dann bereut man doch, nicht gehandelt zu haben."

Doch die große Sehnsucht nach dem besseren Anderswo ist ein tastendes Suchen. Wohin denn? Babefelds haben lange von Skandinavien geträumt, sich aber dann von den langen Wintern abgeschreckt gefühlt. Kanada war auch eine Zeit lang Favorit, ebenso Portugal und Neuseeland. Zu einem Schluss sind die beiden noch nicht gekommen, denn "prüfe, wer sich ewig bindet", so Jens Baberfeld, sei schlauer als ein Kurzschlussentscheid.

 Fest stehe für sie beide, dass im Ausland vieles besser sei, aber in keinem besser. "In dem einen Land gibt noch echte Demokratie und offene Gesellschaften, aber die Energie kommt aus einem uralten Atomkraftwerk." In anderen dagegen seinen  die Erneuerbaren bereits die wichtigste Energiequelle, aber dafür hapere es bei den Grundrechten. 

"Wir machen es uns deshalb nicht einfach", sagt Peggy Baberfeld. Schließlich soll es für immer sein und Sprachbarrieren, Jobhürden, Papierkrieg zur raschen Einbürgerung wolle niemand mehrfach überwinden. Fest stehe, dass sie beide entschlossen seien, lieber im Ausland zu scheitern als in Deutschland unterzugehen. "Die neuen Beschränkungen, mit denen Auswanderungswillige vom Wegzug abgehalten werden sollen, haben uns noch einmal in der Auffassung bestärkt, dass wir nicht mehr lange warten können." 

Wer das Land verlassen wolle, brauche nicht mehr nur Mut, sondern auch Geld, einen Teil davon nehme der Staat jetzt als Austrittsgebühr. "Man fühlt sich wie in einem schlechten Film", sagt Peggy Baberfeld, "als würde man aus der DDR fliehen – nur dass diesmal die Mauer von innen gebaut wird."

Die weiterhin weltoffene Haltung, die die Bundesregierung demonstrativ betont, während sie  Ggrenzkontrollen einführt, die angeblich der Sicherheit dienen, klingen den Baberfelds wie Hohn im Ohr. "Was nützt mir Sicherheit, wenn ich mich nicht mehr wohlfühle, weil alles engherzig geworden ist", sagt Peggy Baberfeld. 

Politische Gräben verliefen längst durch die Wohnzimmer, durch die Familie, durch Freundeskreise. "Mit meinem Vater rede ich nicht mehr über Politik", gesteht Jens Baberfeld. Sein alter Herr finde, Merz sei die letzte Rettung, er selbst sehe den Christdemokraten als den Kanzler des Endes der Freiheit. "Zwischen uns gibt es deshalb nichts mehr zu reden."

Mit einem Auswanderungsberater checken die Baberfelds gerade ihr Optionen. Sie ahnen schon,dass es nicht leicht werden wird, egal, wohin es schließlich geht. "Es ist, als würde man ein Stück von sich selbst zurücklassen", sagt Peggy Baberfeld. 

Wie so viele der neuen deutschen Emigranten sitzt sie schon beinahe auf gepackten Koffern, in den Nächten träumt sie von einem besseren Leben im Ausland. Es nütze alles nichts, sagt Jens Baberfeld: "Aber ich will meinen Kindern später nicht erklären müssen, warum ich geblieben bin, als alles den Bach runterging." 


2 Kommentare:

Trumpeltier hat gesagt…

Was wollen Piefke?

Gemessen am Geisteszustand der Ureinwohner, die bis heute jene Parteien wählen, die ihnen die goldwerten exotischen Bereicherungsgeschenke servieren, kann der Integrations-Input nur aus weiteren Schwachköpfen bestehen, um ein kritisches Bildungsgefälle zu vermeiden, was schnell in Frust, Trauma und Amok münden kann, wie wir noch nicht persönlich Betroffenen es fast täglich medial bereits erfahren dürfen.

Ein Land/Volk hat sich in seiner grenzenlosen Toleranz-Dummheit längst abgeschafft, ist kollektiv aber zu blöd, um die demografische Entwicklung bei Millionen Zuwanderern mit total anderen Kulturvorstellungen zu kapieren. Die Mohammeds müssen nur etwas warten und während der Zeit ihre Weiber schwängern, und sie werden hier automatisch zur sogar demokratischen Mehrheit, während deutsche Schlappschwänze und Trockenpflaumen auf Nachwuchs verzichten und lieber launisch ihr Queerkopf-Geschlechter wechseln.

Jene, die fliehen, sind jene, die das Land bisher am laufen hielten und die Schnauze vom Multiklultighetto voll haben, für das sie auch noch bezahlen müssen. Es verlassen also nicht die Pestratten das sinkende Schiff, sondern das ausgebildete Personal, das es bisher über Wasser hielt. DerUntergang ist somit nur noch eine Frage der Zeit. Und wie wird die wohl aussehen?

Etliche Dystopieutopien liefern diesbezüglich prima Drehbücher.

Anonym hat gesagt…

...sie werden hier automatisch zur sogar demokratischen Mehrheit ...

So seinerzeit im Libanon: Drauflos karnickelt, und als ihrer an Zahl genug waren, unter anderem Straßensperren errichtet, Fahrzeuge angehalten, und die Ungläubigen an Ort und Stelle abgeknallt.
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Aus "Der Krieg mit den Molchen": "Nein, zu uns kommen sie aber nicht. Und wir haben ja
auch noch das Gebirge (Elbsandstein-) dazwischen." - "Aber Vater, die haben doch schon die Anden plattgemacht!"