Samstag, 18. Oktober 2025

Klimaproblem: Essen heizt die Erde auf

Eine neue Studie befeuert die Angst vor den Kipppunkten: Immer mehr Menschen können immer besser essen. Für das Klima sind das üble Nachrichten.

Die Grünen abgewählt, der Kinderaufstand von "Fridays for Future" beendet und selbst die besonders engagierte Widerstandsorganisation "Last Generation" hat sich aufgelöst. Zu viele Krisen überfordern selbst die besorgtesten Bürger, von der gegen immer neue akute Bedrohung kämpfenden Politik ganz abgesehen. Bis in die großen Medien hinein ist der Klimawandel verschwunden, nicht einmal Spuren einer Restaufregung sind zu entdecken.

Das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" etwa hat im Jahr 2025 bereits 42 Hefte veröffentlicht - der größten Bedrohung der Existenz der Menschheit aber widmete die Redaktion  in diesem Zeitraum nicht eine einzige Titelgeschichte. Auch die Gesamtstatistik spricht eine klare Sprache: Klima war gestern. Krieg, Wirtschaft, Gaza und die rechte Gefahr haben die größte Menschheitsbedrohung aus dem Fokus des öffentlichen Interesses verdrängt.

Die Politik ist gefordert 

Gute Nachrichten sind rar, nachdem im Endkampf gegen die Mehrheitsgesellschaft sogar die bekanntesten Gesichter der  Klimabewegung jede persönliche, individuelle Verpflichtung zu klimaneutral-nachhaltigen Verhaltensänderungen bestritten hatten. Nicht der Einzelne müsse so leben, dass möglichst viel Kohlendioxid gespart wird, sondern die Politik habe Gesetze zu schaffen, die ihn dazu zwingen. 

Es sind katastrophale Zahlen, die die Umwelt- und Klimaforscher des Climate Watch Institutes (CWI) da in einer neuen Studie aufführen. In dem Papier, unmissverständlich überschrieben mit dem Titel "Die Klima-Tücke", führen Institutschef Herbert Haase Punkt für Punkt auf, wo es beim großen Kampf gegen das Pariser Klimaziel noch immer hakt und warum selbst Klima-Musterknabe Deutschland trotz seines engagierten Vorgehens beim Abwickeln der umweltgefährdenden Industrie kaum noch Chancen hat, die Erderwärmung aufzuhalten. 

Es liegt am Essen 

"Es liegt am Essen", sagt Haase, vor Jahren Gründungsdekan des im Rahmen der Bundesbehördenansiedlungsinitiative (BBAS) mitten in Sachsen geschaffenen High-Tech-Forschungsstandortes. Die menschliche Ernährungsweise heize den Klimawandel nicht nur weiter an, wie bisher befürchtet. Angesichts der in anderen gesellschaftlichen Bereich bereits erreichten Verminderungsfortschritte sei sie es, die drohe, die vorgesehenen Minderungsvorgaben unerreichbar zu machen.

"Die Schweizer Gletscher schmelzen in Rekordtempo, die wirtschaftlichen Schäden durch Wald- und Buschbrände nehmen weltweit dramatisch zu, Deutschland leidet entweder unter Dürre oder unter Starkregen", sagt Herbert Haase. Doch das Augenmerk auf diese Phänomene des Klimawandels verstelle der Blick für die wahren Probleme. "Wir essen zu viel und wir essen das Falsche", zeigt sich der Klimasoziologe überzeugt.

Fakten zeigen brutale Wahrheit 

Die Fakten geben ihm recht. 2024 war nicht nur das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – es war auch das Jahr, indem weltweit am wenigsten gehungert wurde. Nach Angaben der Vereinten Nationen litten zuletzt nur noch rund 673 Millionen Menschen unter Hunger. Das waren 8,2 Prozent der Weltbevölkerung und der niedrigste Stand seit fast 20 Jahren. Doch als Wissenschaftler sieht Herbert Haase eben auch die düstere Kehrseite der Medaille: Mit sinkendem Hunger steigt die Belastung der Erdatmosphäre durch Nahrungsverbrauch, je mehr gegessen wird, desto höher die Klimalast.

Haase rechnet die dramatischen Daten vor: Der jährliche CO2-Fußabdruck der Ernährung pro Person in Afrika liege bei durchschnittlich rund nicht einmal 500 Kilogramm pro Person, im wohlhabenden und überernährten Deutschland hingegen seien es 1,7 Tonnen CO2-Äquivalente. Insgesamt komme der durchschnittliche afrikanische Verbraucher auf eine jährliche CO2-Produktion von rund einer Tonne, der deutsche jedoch auf etwa 7,16 Tonnen. "Das sind Zahlen, die uns beunruhigen müssen", sagt Haase, "denn sie zeigen, was unserem Planeten droht, sollten sich die Lebensverhältnisse in Afrika weiterhin verbessern."

Folge wäre eine akute Krise 

Eine akute Klimakrise wäre wohl die Folge, und sie fiele schlimmer aus als die derzeit laufende. Rund 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen laut der Untersuchung der Forscher*innen aus Sachsen heute bereits durch die Nahrungsmittelproduktion. Dieser Anteil würde absehbar noch weiter steigen, wenn afrikanische Kunden mehr Nahrungsmittel nachfragen. "Selbst wenn fossile Brennstoffe weltweit vollständig ersetzt würden, könne die Erderwärmung dann allein aufgrund unserer Ernährung demnach nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden", warnt Herbert Haase.

Für besonders problematisch halten die Wissenschaftler den steigenden Fleischkonsum überall dort, wo sich Menschen aufgrund verbesserter Lebensverhältnisse Zugriff auf besonders proteinhaltige Nahrungsmittel verschaffen können. Um den zusätzlichen Bedarf zu decken, sei zusätzliche Tierzucht erforderlich. "Aber Wiederkäuer wie Rinder oder Schafe stoßen große Mengen Methan aus – ein Treibhausgas, das deutlich klimaschädlicher ist als CO₂." 

Rettung durch Planetendiät 

Hoffnungen, dass eine Ernährungsumstellung hin zur sogenannten Planetary Health Diet, die auf rein pflanzliche Energiezufuhr setzt, gegen den Trend wirken könnte, macht sich Herbert Haase nicht. Die von der EAT-Lancet-Kommission vorgeschlagene Ernährungsstrategie gibt vor, dass der Konsum von Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen ungefähr verdoppelt wird, der Verzehr von Fleisch und Zucker dagegen halbiert. Damit könnten die Grenzen des Planeten eingehalten werden, haben die Experten errechnet.

Doch Herbert Haase widerspricht. Selbst wenn eine - womöglich von der EU-Kommission mit Hilfe einer Richtlinie verordnete -  Umstellung der Ernährungsweise aller Europäer gelinge, indem etwa Fleischproduktion und -verkauf verboten würden, sei die Perspektive trübe. Eine fleischbetonte Ernährung verursache etwa 2,2 Tonnen, eine vegetarische Ernährung circa 1,3 Tonnen und eine vegane Ernährung etwa 1,04 Tonnen.

Bedrohlicher Rest 

"Es bleibt also selbst bei strengen Regeln ein Rest, der zusammen mit der wachsenden Belastung durch die aus Armut und Unterernährung tretenden Bereiche in Afrika, Asien und Südamerika nicht durch eine Ernährungsumstellung ausgeglichen werden könne. "Wir merken ja heute schon, dass die Auswirkungen der Klimakrise spürbarer werden", sagt Herbert Haase. 

Andere Hebel, die er und seien Forscherkolleg*innen ausgemacht haben, sind die sogenannte Mobilität und die Fertilität. "Wer auf Bewegung verzichtet, kann mehr als 20 Tonnen Co2 jährlich einsparen", sagt der Wissenschaftler. Der Verzicht auf Kinder bringe sogar noch deutlich mehr, gerade in Deutschland. "Alles in allem erspart jedes Ungeborene der Erde fast 50 Tonnen Kohlendioxid."

Extremwetterereignisse nähmen weltweit zu, ein Negativrekord jage den nächsten. Die globale Erwärmung sei allenfalls noch zu bremsen, wenn es gelänge, die wichtige Meeresströmung Atlantische Meridionale Umwälzbewegung (AMOC) zu stoppen, um das Klima in Europa erheblich abkühlen zu lassen. "Aber die Kollegen von der Atmosphärenforschung sind da wohl noch nicht auf dem Stand, dass sich das so einfach mit einem Knopfdruck bewirken lässt", mutmaßt Haase.

Stellschraube Ernährung 

Es bleiben nur wenige andere Möglichkeiten, die Folgen der Klimakatastrophe beherrschbar zu halten und eine der zentralen Herausforderungen zu bewältigen, die sich der Menschheit derzeit stellen. Eine davon ist die Stellschraube bei der weltweiten Ernährung, einem der größten Treiber der Klimakrise. Da sich der langsame, aber stetige Wohlstandsgewinn in den früheren Entwicklungsländern des globalen Südens trotz aller Empfehlungen nicht in eine Ernährungsweise übersetze, die ausschließlich auf Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse setzte und auf Fleisch und Milchprodukte verzichtet, müsse Haase zufolge eine Ebene tiefer angesetzt werden.

"Um eine klimagerechte Ernährungsweise global durchzusetzen, müssen wir die Landwirtschaft  grundlegend verändern", sagt der Forschungsleiter. Gefragt seien Maßnahmen, die auf eine geringere Fleischproduktion zielen. "Dadurch würden Fleisch, Milch und Käse teurer und mancher in Afrika und Asien würde sich doch wieder überlegen, ob ihm pflanzliche Erzeugnisse zur Ernährung nicht doch wieder reichen." Nur durch solche tiefgreifenden Anpassungen, so empfiehlt die CWI-Studie, lasse sich ein klimaneutrales Ernährungssystem erreichen, das die Gletscherschmelze bremst, die Ozeane abkühle und immer häufiger ausbrechenden Flächenbrände vermeidet.

Entscheidung über die Essensfrage  

Für Herbert Haase ist die Entscheidung über die Essensfrage alternativlos. "Allein in Deutschland haben sich die Klimaschäden zwischen 2000 und 2021 auf 145 Milliarden Euro summiert, mehr als die Hälfte davon seit 2018", sagt er. Ohne entschlossene Ernährungsumstellung für alle könnten sich die Verluste bis 2050 auf bis zu 900 Milliarden Euro erhöhen. 

Trotz der absehbaren Erfolge der Einführung und laufenden Erhöhung der CO2-Steuern, mit der die zu Mehrverbräuchen einladende Kostenersparnis durch erneuerbar erzeugten Strom ausgeglichen werden, führe um eine strengere Regulierung der Nahrungsaufnahme kein Weg herum. In Europa habe der erfolgreiche Ausbau von Wind- und Solarkraft die Stromkosten allein zwischen 2021 und 2023 um rund 100 Milliarden Euro gesenkt, weltweit aber werde der Klimaeffekt vom Drang zu Fleisch und Wurst aufgezehrt. "Die Frage ist deshalb nicht, ob Deutschland für das Klima auf tierische Lebensmittel verzichtet, sondern wie wir weltweit so wirksam Vorbild werden, dass es alle Staaten tun", heißt es in der Studie.  


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