Samstag, 23. August 2025

Doku Deutschland: Aufstand in der Sterbekammer

Ergebnislos hat Karl Grauburg seinen Hungerstreik beendet, ohne das ersehnte Zeichen aus dem politischen Berlin bekommen zu haben.

Am hundertsten Tag seiner wagemutigen Aktion beschloss
Karl Grauburg schließlich, die große Sache, die ihm so wichtig war, weil sie für so viele so wichtig ist, aufzugeben. "Ich musste einsehen, mir fehlt es wohl doch an dem Opfermut, den es braucht, um ein solches Unternehmen zum bitteren Ende durchzustehen", sagt er zerknirscht. Grauburg ist gezeichnet von mehr als drei Monaten Widerstand und innerem Kampf. Tief haben sich Furchen in sein Gesicht gegraben. Er hat abgenommen. Und an Glauben verloren.

Vergebliches Unterfangen

Grauburg, 52 Jahre alt, gelernter Kellner und viele Jahre im Außendienst einer großen US-Brauerei tätig, hatte mehr gewollt. Doch nach 100 Tagen Hunger und mehr als 16 Kilo "Grauburg-Verlust", wie er es nennt, reicht seine Kraft nicht mehr weiter. Er hat verloren und mit ihm hat es wohl die gesamte Menschheit. Geplant war das alles ganz anders. Grauburg wollte die Welt besser machen. Und er war bereit, dafür persönliche Nachteile zu erleiden. "Bis an die Schmerzgrenze", wie er selbst sagt.

Das alles nur allein mit dem Ziel, den damaligen Bundeskanzler dazu zu bewegen, einzugestehen, dass es mit der Migrationspolitik so nicht weitergehen kann. Ein Vorhaben, das er allein ausgetüftelt hatte. "Ich dachte, zu viel verlangt ist das nicht, jeder sieht doch das Problem und ich wollte ja auch nicht, dass gleich nach neun Jahren Lösungen präsentiert werden."

Im Unterschied zu anderen, die in der Vergangenheit etwa für den Klimaschutz hungerten, verfüge er nicht über die notwendigen Möglichkeiten. Er sei nicht der Typ, der sich missionarisch auf den Marktplatz setze und jeden dabei zuhören lasse, wie sein Magen knurrt. "Ich fühle mich eher als leiser Vertreter der Zivilgesellschaft", beschreibt Grauburg, der wirken will, "ohne jemanden zu bedrängen".

Kein idealer Ort

Seines Hungerstreiks wegen hat Grauburg selbst in den großen Redaktionen der Leitmedien und der regionalen Blätter angerufen, aber nirgendwo, sagt er, sei er über die Sekretärin hinausgekommen. Wochenlang habe er gerufen, bis er dann einfach zu geschwächt gewesen sei, um weiter zu versuchen, seiner Aktion die dringend notwendige öffentliche Wahrnehmung zu verschaffen.

Der Ort, an dem er hungerte, sei wohl auch nicht ideal gewesen. "Wer kommt schon hierher nach Steinburg", denkt er heute kritisch über seine Entscheidung nach, in dem kleinen Ort im Landkreis Sonneberg zu hungern. Doch der Weg nach Berlin, direkt vor das Kanzleramt oder gar vor das Parlament, sei ihm zu weit gewesen. "Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Leute dort eine Bringepflicht haben, sie müssen auch dorthin schauen, wo das Licht der Scheinwerfer nicht hinfällt und kein Reporterteam der ARD versucht, richtiges Leben im falschen abzubilden."

Körperlich mitgenommen


Natürlich, Freunde und Verwandte hätten geholfen oder besser gesagt, helfen wollen, aber auch sie haben nicht mehr erreicht, sagt Grauburg, der noch vor viereinhalb Monaten ein kräftiger, sportlicher Kerl war. Heute gleicht er einem buddhistischen Hungerkünstler, Haut und Knochen, die Gesichtshaut spannt sich über hohlen Wangen.

"Mein Vorhaben hat mich körperlich ziemlich mitgenommen", gesteht er. Die Nieren seien durch den trockenen Hungerstreik, den er dazwischen über sechs Tage durchgezogen habe, in Mitleidenschaft gezogen worden. Ansonsten hätten ihm die Ärzte gesagt, sei alles so weit in Ordnung, auch dank der Mineralien, die er unter ärztlicher Kontrolle stets eingenommen hatte, während er hungerte.

Alleingelassen im Sterbezimmer

Doch mit dem Körpergewicht nahm auch der Mut ab. Grauburg empfand das als weitaus schlimmer. Den kleinen Raum in einer Neubausiedlung am Rand von Steinburg, den er zum Hauptquartier seiner Aktion gemacht hatte, das er nach 45 Tagen sein "Sterbezimmer" taufte, konnte er bald nicht mehr verlassen.

Von draußen kam aber auch kaum mehr jemand herein, um nach ihm zu schauen. "Viele Freunde, Ex-Kollegen und Nachbarn haben mich für verrückt erklärt", sagt er, "keiner von denen glaubte, dass man als kleiner Mann wirklich etwas erreichen kann." Er selbst konnte am Ende auch mit den wenigen Unterstützern, die weiter zu ihm hielten, nur noch über das Internet kommunizieren. "In den wenigen Momenten, in denen ich halbwegs wach und klar war", sagt er. Denn der Hunger treibe Menschen dazu, vor lauter Schwäche immer mehr schlafen zu wollen.

Verhaltenes Echo aus der Zivilgesellschaft

Gerade auch weil das Echo aus der Zivilgesellschaft so verhalten war, dass es keinerlei Energie spendete. "Alle klagen immerzu, dass es zu viel ist, dass wir überfordert sind und selbst die demokratischen Parteien gehen mit Parolen von Abschiebung und Grenzkontrollen hausieren", beklagt er.

Doch sein YouTube-Kanal stehe bis heute bei nur zwölf Abonnenten. Grauburg schätzt, dass auch die Bundesregierung dabei ist, wahrscheinlich ein privater Anmelder, und das BKA sowieso. Er lobt sich selbst, indem er sagt, dass er dennoch durchgehalten und immer wieder Content geliefert habe. "Aber Wertschätzung ist mir nicht zuteilgeworden."

Er kapituliert


Das klingt bitter, es klingt nach Kapitulation. Karl Grauburg, der bis vor etwas mehr als 100 Tagen ein unauffälliges Leben lebte, wie es so viele tun, "hart arbeiten", sagt er, "ab und an etwas genießen, sich einfach etwas gönnen, um zu feiern, dass man es geschafft hat, sich das leisten zu können", musste einsehen, dass der Aufstand eines Einzelnen kaum etwas bewirkt. "Hast Du die Medien nicht hinter ihr", mutmaßt er, "dann interessiert es kein Schwein, ob Du verreckst, weil Du etwas für alle erreichen willst."

Umso bitterer sei diese Erkenntnis für ihn, weil er sich als Vertreter der hart arbeitenden Mitte empfindet, um deren Wohlwollen seit einiger Zeit alle Parteien buhlen. "Für mich bleibt die Einsicht, dass ich zu schwach war, um für mein Anliegen zu sterben", fasst er seine in langen, verzweifelten Stunden der Einsamkeit gewonnene Erkenntnis zusammen. Eine neue Generation, die mehr Biss mitbringe, müsse es noch einmal versuchen. "Ich wäre dann als stiller Sympathisant dabei", sagt er, "denn die Gesundheit geht in meinem Alter nun mal vor."

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