Ein Traum vieler Deutscher wird wahr: Mit dem Rückzug der Industrie ins Ausland eröffnet sich ein Fenster der Möglichkeit, Deutschland zu einem Naturparadies umzubauen.
Es kann noch nicht verraten werden. Die Sache soll eine Überraschung werden. Pssst! Wann das Geschenk überreicht wird, steht noch nicht fest, doch sobald es so weit ist, werden es alle erfahren. Bundeskanzler Friedrich Merz eilt seit Monaten schon von Rednerpult zu Rednerpult, um die Vorfreude zu schüren. Es wird groß werden, das Reformpaket. Eine Revolution oder doch zumindest ein Reförmchen, das alles, was versäumt wurde von CDU, CSU, SPD, Grünen und FDP, die in den zurückliegenden Jahren in stets wechselnden Kombinationen regierten, ausbügelt und Deutschland wieder zum Blühen bringt.
Eine Minute nach zwölf
Zeit wird es, denn es ist "eine Minute nach zwölf", wie Merz eben erst beschrieben hat. Die Uhr tickt, der "Zeitdruck ist groß", hieß es jetzt bei Bosch, einem der größten noch verbliebenen Arbeitgeber außerhalb des Behördenapparats. Hektik aber bricht im politischen Berlin nicht aus. Angesichts der seit Monaten laufenden Entlassungswelle in der Industrie sind die 13.000 Bosch-Mitarbeiter, die gehen müssen, nur ein weiteres Ärgernis von vielen. Merz wird sich bestätigt fühlen: "Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht unter Druck", hat er gesagt und auf einen Reformstau und einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA und Asien, verwiesen, "wo Produktionskosten deutlich niedriger sind". Er betont, dass Deutschland "zu teuer und zu langsam" ist, was die Wettbewerbsfähigkeit einschränkt
Der Kanzler, dessen Plan es war, bis zum Sommer eine Stimmungswende einzuleiten, sieht die Lage mittlerweile als dramatisch an. Er selbst fordert wieder und wieder dringende Maßnahmen, um Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Von wem er sie fordert, ist allerdings unklar: Wer regiert das Land, wenn er doch die Oppositionsrolle zu spielen beschlossen hat?
Nur mit höheren Steuern
Ist es Lars Klingbeil, der SPD-Chef, der weniger Sozialstaat nur mit mehr Besteuerung zulassen will? Ist es Alice Weidel, die Merz den "Bankrotteur unter allen Kanzlern der Bundesrepublik" genannt hat und 107 Kilo Gold vielleicht aus Angst vor höheren Abgaben für Vermögende im Maserati nach Liechtenstein bringen lassen haben soll? Ist es gar Heidi Reichninek, die "will, dass wir den Sozialstaat ausbauen"? Oder Markus Söder, der Mann aus Bayern, der auf Merzens Scheitern hofft? Oder Britta Haßelmann, die Wasser auf die Mühlen der Staatszweifler gießt, in dem sie zu Herbstanfang schon vor einem "Winter der Enttäuschung" warnt?
Friedrich Merz hat eingeräumt, dass all das Zeit braucht, Zeit, die nicht da ist. Doch gut Ding will Weile haben und wer die Wirtschaft retten möchte, wartet besser, bis sie sich von selbst erholt. Mit diesem Marschplan waren schon Scholz und Habeck unterwegs, zwei Ur-Liberale, die den Selbstheilungskräften des Marktes mehr zutrauten als jedem staatlichen Eingriff. Ihre Strategie bestand bekanntlich darin, der Wirtschaft und den Menschen immer mehr und noch mehr aufzuladen, damit das Ende recht früh kommen möge. Merz wollte es anders machen, doch es geht eben nicht.
"Stimmung unterirdisch"
Der Dampfer Deutschland hat einen Wendekreis von etwa sieben Jahren, das ist in der beobachtenden Demokratiekunde unumstritten. Nicht einmal sieben Monate sind um und nicht mehr nur im Lande, sondern auch in der Union ist die "Stimmung unterirdisch". Alle warten. Keiner weiß etwas. Weiß es Merz? Oder spielt er, der keine Zeit hat, auf genau diese wie der zum Tode Verurteilte, der vor die Wahl gestellt wird, sofort gehenkt zu werden oder dem Pferd des König das Sprechen beizubringen. Der wackere Recke wählt Letzteres und nennt es zur Begründung eine sichere Variante: Entweder, der König stürbe oder das Pferd oder er selbst. Oder, auch nicht schlimm, es lerne wirklich sprechen.
Die Zahlen, sie sind nicht gut, für niemanden. Je weniger Merz handelt, desto mehr hilft er denen, die er einst "halbieren" wollte. Und immer wenn er handelt, hilft er ihnen noch ein bisschen mehr. Nach Thüringen, das mit Hilfe von Sahra Wagenknechts kommunistischer Plattform gerade noch so von Klippe gerissen werden konnte, stehen mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt demnächst gleich zwei Bundesländer vor dem Absturz. Nach zehn Jahren intensivsten Kampfes gegen rechts ist die AfD jetzt in beiden Ländern stärkste Kraft. In Mecklenburg nähert sich die dort als Regierungspartei gesetzte SPD ihrem Bundesergebnis. In Sachsen-Anhalt tut es die CDU ihr gleich.
Der Wahlkampf hat begonnen
Ministerpräsident Reiner Haseloff hat deshalb jetzt schon mit dem Wahlkampf begonnen. Der Landesvater des Armenhauses der Republik warnt beinahe täglich vor einer Deindustrialisierung, insbesondere in energieintensiven Branchen wie Stahl, Chemie und Automobilzulieferung, vor hohen Energiepreise und zu strengen Klimavorgaben.
Das alles belastet jetzt plötzlich nicht mehr nur die Menschen und die Unternehmen. Es liegt auch wie ein Schatten auf der geplanten Erbfolge: Sven Schulze, der Name ist Programm, wird nicht mehr glatt ins Amt gleiten können, wie es immer verabredet war. Er wird kämpfen müssen wie vor elf Jahren um den Platz 1 auf der Landesliste zur EU-Wahl, der den sicheren Einzug ins Straßburger Parlament versprach.
Haseloff traut dem 25 Jahre Jüngeren nicht zu, dass er das alleine schafft. Der dienstälteste Ministerpräsident wirft sich deshalb schon ein Jahr vor dem bedrohlichen Urnengang wie ein Berserker in den Wahlkampf. Keine Stunde vergeht, ohne dass er die Deindustrialisierung ganzer Industrielandschaften fürchtet und für eine als "Anpassung" bezeichnete Aufgabe des Klimaneutralitätsplans bis 2045 fordert. Alles soll auf den Tisch und darunter allerlei Dinge, die SPD, CDU, Grüne und FDP so lange so fleißig darunter gekehrt hatten.
Rebellischer Gefolgsmann
Haseloff, bis eben noch ein treuer Gefolgsmann der Parteizentrale, will "einen flexiblen Energiemix, einschließlich Gaskraftwerken" und, möglicherweise, "einen verzögerten Kohleausstieg", um "bezahlbare Energie zu gewährleisten". Der 71-Jährige scheint bereit, die heiligen Kühe der Transformation zu schlachten und den deutschen Kampf ums Zwei-Grad-Ziel aufzugeben, wenn es hilft, die Verhältnisse zu stabilisieren.
"Ich glaube, dass dieses Ziel unter den jetzigen Bedingungen mit Ukraine-Krieg, Weltwirtschaftskrise, letztendlich auch der Wirtschaftspolitik von Amerika nicht zu erreichen ist – es sei denn unter Verlust von ganzen Industriezweigen oder wesentlichen Teilen davon", hat er geketzert. Er wolle "vor allen Dingen die energieintensive Industrie befreien von den Auflagen, die wir eingebaut haben wie Zertifikatehandel und Ähnlichem." Geschehe das nicht, verlören deutsche Unternehmen ihre Märkte, denn sie seien nicht wettbewerbsfähig. Dies führe "sukzessive zu einer Deindustrialisierung".
Jetzt geheeehts looos!
Friedrich Merz weiß, dass es nur so gehen würde. Doch er will noch warten. Eben ist dem Kanzler gemeinsam mit seinem Fraktionsvorsitzender mit der Lösung der Verfassungsrichterfrage ein Coup gelungen, der Jens Spahn jubeln ließ: "Wir haben Tritt gefasst". Jetzt geheeehts looos! Das bisschen Wirtschaftskrise wird auch noch geschafft. Schon zeigen sich die ersten Angstblüten im Kaffeesatz der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute, nach drei Jahren Rezession ist das R-Wort nach kurzer Konjunktur wieder aus den Schlagzeilen verschwunden.
Es wird in Kürze eine Reihe Gipfel geben, die starke Zeichen setzen für den Erhalt von Chemie, Stahl und Autoindustrie. Dann ist Weihnachten und bald darauf legen die Kommissionen zur Rentenreform - die Bundesworthülsenfabrik hatte den Namen "Kommission Verlässlicher Generationenvertrag" vorgeschlagen - und "Bürgernaher Sozialstaat" ihre Ergebnisse vor, die dann ab Anfang 2026 in den Ressorts "konzeptionell weiterentwickelt" werden. Wenn der Frühling Einzug hält und die Stimmung sich aufhellt, weil Leute froh sind, dass die so fürchterlich teure Heizerei endlich aufhört, wird Friedrich Merz in die Bütt treten und Klartext sprechen. Es wird eine Minute nach zwölf sein, höchste Eisenbahn, aber die beste Zeit für eine Kurskorrektur mit einem mutigen Neustart.
Zukunftsfähig stagnieren
Vom letzten Platz der Wachstumsnationen wird Deutschland im internationalen Wettbewerb nach vorn hinken. Die hohen Energiepreise werden wie von Zauberhand verschwinden, die Bürokratie wird nur noch eine schreckliche Erinnerung an Behördenmarathons und sein und die schrumpfende Industrie wird zukunftsfähig stagnieren. Vereinfachte Genehmigungsverfahren werden es dann erlauben, aus dem Nichts eine mächtige KI-Gigafabrikenlandschaft aufzubauen, im Handumdrehen wird die Lücke in der Mikrochipproduktion geschlossen und neue Handelsabkommen mit durch und durch demokratischen Schwellenländern werden die schmerzlichen Einbrüche beim Export ausgleichen.
Experten schätzen, dass Deutschland zwei bis drei Jahre hat, bevor die irreversible Deindustrialisierung einsetzt. Diese zwei, drei Jahre wird sich Friedrich Merz gönnen. Der CDU-Chef weiß, bis 2028 müssen sichtbare Erfolge erzielt werden, denn sonst droht ein Debakel bei der nächsten Bundestagswahl, gegen die das traurige Abschneiden bei der letzten wie ein Triumphzug wirken wird. Wie seine vier Vorgänger würde Friedrich Merz dann aus der Geschichte verschwinden, als hätte ihn jemand wie eine Fussel vom Tisch geblasen.
2 Kommentare:
100 Kilo Gold nach Liechtenstein? Dann kann ja kein grüner oder soz-dem Richter einfach eine Beschlagnahme anordnen. Das kotzt sicher einige an.
Zum Bild: Landleben fängt spätestens fünf Uhr morgens mit dem Schweinefüttern an. Was diese Leute für Landleben halten sind Pendlersanatorien in ehemaligen Dörfern.
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