Montag, 15. September 2025

Euer Glaubwürden: Wie Friedrich Merz die Winterwende einleitet

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Ein Mann, ein Wort: Friedrich Merz


Bis zum Sommer hat es nicht ganz geklappt mit dem Stimmungsumschwung, auf dem Friedrich Merz mit seiner Union zurück zu alter Beliebtheit fliegen wollte. Wieder Volkspartei! Wieder vertrauenswürdig. Wieder eine politische Kraft, die treibt und nicht mehr getrieben wird. Doch aus dem Feuerwerk der Versprechen, mit dem sich die selbsternannte letzte Patrone der demokratischen Mitte ins Kanzleramt gebrochen hatte, wurde eine Kette aus Fehlzündungen. Schneller als Friedrich Merz hat  noch nie ein Kanzler auch noch das letzte bisschen Vertrauen verloren, das er besaß.  

Rücknahme vor Vereidigung 

Zentrale Wahlzusagen nahm Merz bereits vor seiner Vereidigung zurück. Die Antworten auf 551 Fragen blieb er schuldig. Die Grundzüge seiner Politik waren mehr stabiles Weiterso als Zeitenwende. Selbst die Grünen, anfangs skeptisch, weil sie Merz verdächtigten, tatsächlich eine zweite geistig-moralische Wende einleiten zu wollen, waren des Lobes voll. 

Die kleinste große Koalition, die jemals in Deutschland regiert hat, setze die klugen Pläne der Ampel-Regierung um, freuten sie sich. Die Energiestrategie stamme von Robert Habeck, die Ideen zu Stahlgipfel, Festhalten am Heizungsgesetz und neuer Staatsförderung für Reiche, die sich E-Autos anschaffen wollen - alles Tricks und Kniffe aus der rot-grün-gelben Transformationsagenda.

Im Stimmungstal 

Im Stimmungstal bringt das bisher keinen Aufwind. Immer näher rückt die Brandmauer in die hart arbeitende Mitte des politischen Berlin, einer Festungsstadt, umgeben von Wirklichkeit, gegen die die unbeliebteste Regierung der bundesdeutschen Geschichte mit der Behauptung kämpft, sie habe doch aber schon so viel geschafft. Merz, auch nach dem Muster einer Vorlage aus seinen ersten Tagen im Amt inzwischen auch von regierungsnahen Medien als "Außenkanzler" verhöhnt, spürt selbst, wie sich die Schlinge zuzieht

Die Wirtschaft kommt nicht in Gang. Die Insolvenzwelle schwillt weiter an. Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Hoffnungen auf baldige Besserung sinkt. Es scheint immer mehr Bürgerinnen und Bürger beinahe schon grundsätzlich egal, mit welchen akuten Enthüllungen der einzigen vom Bundesamt für Verfassungsschutz jemals zumindest vorübergehend als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuften Partei nachgewiesen wird, wie fürchterlich das Leben unter ihr erst werden würde. Nach dem Strohfeuer an Begeisterung, das Sahra Wagenknechts BSW entzündet hatte, und einem kurzen dead cat bounce der Linken ist es sie allein, die vom ratlosen Herumregieren der früheren Volksparteien profitiert.

Der größte Kanzler 

Der zumindest in Zentimetern gemessen größte Kanzler, den die Bundesrepublik je hatte, geht proaktiv  mit der Misere um.  Wenn es nicht der Sommer war, der eine Stimmungswende brachte, dann muss es nun es eben der Winter sein. Schon vor dem Anpfiff der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gab der CDU-Chef das "Lehren ziehen aus den Ergebnissen" als neue Parole aus. 

Was sonst jeweils nach der Wahl rituell betrieben wird - Dank an die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer, Dank an die Wählerinnen und Wähler, das zerknirschte Bekenntnis dazu, die Botschaft der Wählenden verstanden zu haben und in Kürze tief in die Analyse der eigenen Fehler einsteigen zu wollen - erfolgte diesmal schon vor der Öffnung der Wahllokale. 

Vorbild Köln 

Merz, mit dem schlechtesten Ergebnis aller Kanzler im zweiten Anlauf ins Amt gewürgt, will andere Saiten aufziehen. In Bälde werde er, hat Merz angekündigt, mit der AfD "um die richtigen Themen" streiten. Womöglich nach dem erfolgreichen Vorbild Köln. Dort hatten sich die demokratischen Parteien der Mitte vor den Kommunalwahlen darauf verständigt, im Wahlkampf Ausländer "nicht für negative gesellschaftliche Entwicklungen" verantwortlich zu machen. Stattdessen wollte man sich auf den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren und die Instrumentalisierung des Themas Migration allein der vor Monaten bereits kurzzeitig als in Gänze "gesichert rechtsextrem" eingestuften AfD zu überlassen.

Das Ergebnis der Strategie kann sich sehen lassen. Der AfD gelang es, ihr Ergebnis in der Domstadt, einer traditionell grün und rot dominierten Metropole der Vielfalt, zu vervielfachen. Aus knapp über vier Prozent wurden zweistellige Zahlen. Die Grünen hingegen verloren die Hälfte ihrer Wähler. Ein Einbruch, den nur der Sieg ihrer OB-Kandidatin Berivan Aymaz in der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl nicht zum Debakel werden ließ.

Das Kraftzentrum 

Bei der CDU feiern sie den Ausgang der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen als Sieg. "Mit 34 Prozent sind wir erneut die stärkste politische Kraft – und das mit großem Abstand", jubelte die Landes-CDU. Dieses Ergebnis bestätige: "Nordrhein-Westfalen ist das Kraftzentrum der CDU." Es ist allerdings eine CDU, die selbst dort nicht mehr zulegen kann, wo der bisher für den allgemeinen Rechtsruck bei den Wählern verantwortlich gemachte Osten in sicherer Entfernung liegt. Der Zugewinn von elf Prozent, den die AfD feiert, speist sich aus erstaunlichen Quellen: Es sind SPD, Grüne und FDP, deren Anhänger mit fliegenden Fahnen zu den Blauen wechseln.  

Wo der Wohlstand schon ähnlich bröckelt wie drüben, sieht es für das Kraftzentrum CDU sogar schon richtig übel aus. In Gelsenkirchen landet die letzte Volkspartei mit 18 Prozent der Stimmen unter "ferner liefen". Stärkste Partei wird die AfD.  NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verkauft das als Erfolg, indem er einen passenden Vergleichmaßstab heranzieht. Seine Landespartei liege acht Prozent über dem Bundesschnitt. "Insofern ist das ein tolles, ein großartiges Ergebnis." Das müsse trotzdem "zu denken geben", schon Wüst später nach: "Das kann uns auch nicht ruhig schlafen lassen. Selbst meine Partei nicht, die diese Wahl so klar gewonnen hat".

Von Grün zu Blau 

Noch bei der 2015 Kommunalwahl hatten CDU (38,6 Prozent) und SPD (31 Prozent) zusammen beinahe 70 Prozent aller Wählerstimmen auf sich vereint, heute sind es noch 57. Für einen Landesverband, den Konrad Adenauer für "das Kernstück der gesamten CDU" hielt, sind das beunruhigende Zeichen. Für die SPD, die Anfang der 90er vor der CDU lang und bis vor zehn Jahren nie weniger als 30 Prozent der Stimmen holte, ist es die Fortsetzung eines Niedergangs, von dem anfangs die Grünen profitierten. Und nun die Blauen.

Die seien "einer der Gewinner", ordnet die "Tagesschau" den Zugewinn von  zwei Dritteln ein. Die einzige andere Partei, die nicht verloren hat, ist Die Linke mit plus 1,6 Prozent. Der Bundeskanzler nennt es "Verschiebungen in der Parteienlandschaft", dies ich "hinter der CDU ergeben". Er werde sich das "in aller Ruhe anschauen und dann daraus Konsequenzen ziehen im Hinblick auf die Art, wie wir Wahlkämpfe führen; im Hinblick darauf, wie wir Themen behandeln; im Hinblick darauf, wie wir die Auseinandersetzung mit Wettbewerbern aufnehmen", kündigte Merz im Stil seines Vorgängers Olaf Scholz an. 

Das Gesicht der neuen SPD 

Dessen Methode, nichts zu überstürzen, sondern alles darauf zu setzen, dass eines Tages alles von selbst wieder ins oft kommt und die Wirtschaft anspringt, hat Merz schon nach einem halben Jahr zu seiner eigenen gemacht. Nach der ausgefallenen Stimmungswende im Sommer setzt der CDU-Chef jetzt auf eine Winterwende, die sein Berliner Koalitionspartner schon  eingeleitet sieht. Bloß kein heißer Herbst, sagt sich der Kanzler. Und er moderiert die Ohrfeige aus NRW vorbeugend ab.

Bärbel Bas, die personifizierte Verkörperung der neuen SPD, sieht den unaufhaltsam scheinenden Aufstieg der AfD nicht als Aufstieg, sondern als Beweis dafür, dass ihre Partei die Aufgabe habe, "jetzt wieder die Politik zu machen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bewegt". Bas ist sicher: "Das ist die Aufgabe, die wir jetzt auch haben und da wird uns auch die AfD nicht den Rang ablaufen." 

Bärbel Bas gefällt das 

Ihre Partei habe bei der Kommunalwahl immerhin "kein Desaster", rückt sie die eigenen Erwartungen in die Mitte des Ereignishorizontes. Gäbe es in NRW nicht viel true und sture Stammwähler, hätte das schlechteste Ergebnis aller Zeiten durchaus noch viel schlechter ausfallen können. So geht es als recht gut durch und zeigt, was aus der einst stolzen Arbeiterpartei geworden ist: Ein Funktionärsbeschäftigungsbetrieb, der sich schon wunderbar gefällt, wenn er "gekämpft" hat. Wie der zufrieden Wüst, der nicht mehr "ruhig schlafen" kann, und Merz, der bald mit der AfD "um die richtigen Themen" streiten wird, weiß auch Bas weiter. Sie kündigte "auch Konsequenzen" aus dem Wahlergebnis für die Bundespolitik der schwarz-roten Regierung an. Das Wahlergebnis sei ein Weckruf. "Um die angekündigten Projekte anzugehen."

Es sind Nachrichten aus einer Parallelwelt, zu der die Wirklichkeit keinen Einlass bekommt. Zwei Drittel der Kommunen in NRW können im nächsten Jahr keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen, in Sachsen-Anhalt steht die langjährige Regierungspartei im kommenden Jahr vor der verzweifelten Anstrengung, es wenigstens wieder ins Parlament zu schaffen. Von den 21,5 Prozent bei den Landtagswahlen vor 20 Jahren sind der früheren Arbeiterpartei noch ganze acht geblieben. Das optimistische Szenario einer einfachen Trendfolgerechnung lässt die SPD bei 7,9 Prozent laden. In den Landtag würde das reichen, ohne kollektive Hilfe von Linkspartei und BSW aber nicht zu einer Regierungsmehrheit.

Nur ein gemeinsames Interesse 

Dass Friedrich Merz und Lars Klingbeil etwas einfallen wird, um den Trend zu drehen, steht kaum zu befürchten. Das einzige gemeinsame Interesse de beiden Regierungsparteien bestand von Anfang an darin, zu regieren. Wie genau und wohin, darüber besteht weiterhin keine Einigkeit. Auch Wähler, die seit nunmehr zehn Jahren versuchen, den beiden Hausparteien von "unsere Demokratie" mit immer deutlicheren Signalen Hinweise darauf zu geben, was sie dich bitte, bitte, bitte tun sollen, vermögen daran weiterhin nichts zu ändern.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Friedrichs großes Lebensziel dürfte sein, länger zu regieren als Olaf Scholz. Wird knapp.

OT Hallervorden, Wagenknecht und ein bekannter Rapper auf einer Bühne? Nein, das sind keine Antisemiten, denn die hatten zumindest ihre Theorien auf Lager. Das sind nur Hohlkörper.

Anonym hat gesagt…

Und nun die Blauen.
Minimal nur! Vor allem aber die Dunkelroten!

Anonym hat gesagt…

Übrigens hat ein "blauer" Bimbestagsabgeordneter allda unlängst von "unserer historischen Verantwortung" geblödelt ...