Mittwoch, 3. September 2025

Tethered Tüten: Verdrängte Folienverbrechen

Verbundstofftüten mit Klarsichtfenster sorgen für Transparenz, sie umgibt allerdings aufgrund mangelnder EU-Richtlinien ein großes Entsorgungsgeheimnis.

Sie sind überall, in jeder deutschen Bäckerei, in jedem Supermarkt, nicht nur in der hippen Großstadt-Hood, sondern auch in den letzten betulichen Dorfkonditoreien. Eine Errungenschaft, sagen die einen. Eine Plage nennen sie die anderen. Ihr Ursprung liegt im Dunkeln, ihr Nutzen ist begrenzt, ihr Siegeszug aber unübersehbar: Brötchen- und Brottüten mit Sichtfenster sind ein selbstverständlicher Teil des Alltages einer Gesellschaft geworden, in der die Angst vor Mikroplastik sich ein enges Rennen mit der Angst vor plastinisierten Ozeanen liefert. Was ist noch bedrohlicher? Woran wird die Menschheit zuerst untergehen?

Bedrohliche Brötchentüten 

Die Brötchentüte kommt in der Diskussion eher weniger oft vor. Sie, in den alten Zeiten der allgegenwärtigen kleinen Bäckereien eine einfache Papiertüte gewesen waren, sind heute Hightech-Produkte aus Verbundmaterial. Als die alten Meister der Familienbackstuben beschlossen, ihr Recht auf einen ausgedehnten Habeck-Urlaub zu nehmen, bis die Zeiten wieder besser werden ist, nahmen sie Anlauf zur Eroberung der Brot- und Brötchenwelt. 

Ein scheinbar harmloses Stück Papier mit einem Hauch Plastik, das engagierte und um Klimaschutz bemühte Verbrauchende heute Tag für Tag in ein existenzielles moralisches Dilemma stürzt. Wohin damit? Papiermüll? Gelber Sack? Restmüll? Oder gar die Biotonne, weil es drinnen noch nach Brot riecht? 

Eine Gewissensfrage, um die bis in die höchsten europäischen Regelkreise gestritten wird. Dort, wo Experten, Beamte, die Wissenschaft, die EU-Kommissare und die Volksvertreter in Straßburg gemeinsam mit den Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten nach einer langen Schwangerschaft die Einwegkunststoffrichtlinie der Europäischen Union zur Welt brachten, ist das Problem bisher unbeachtet geblieben. Auch deutsche Regierungen, die die Vorgaben aus Brüssel mit der  Einwegkunststoffkennzeichnungsverordnung (EWKKennzV) in geltendes Recht übersetzt haben, drückten sich um eine klare Aussage zur Brötchentüte.

Die Wissenschaft streitet 

Ist die Auslegung richtig, dass Brötchentüten eine Einwegverpackung sind, bei der die transparente Plastikfläche dem Deckel einer Einwegflasche entspricht? Oder mangelt es an einer dafür notwendigen Verschlussfunktion, um das Sichtfenster als "Cap" im Sinne der "Tethered Caps"-Regeln definieren zu können? Die Wissenschaft ist uneins, zwischen Ökoengagierten und Plastikschützern entbrennen im Internet leidenschaftliche Diskussionen. Die Verunsicherung sitzt auf allen Seiten tief und die Politik schweigt, wenn Bürgerinnen und Bürger verzweifelt Bilder ihrer Tüten posten, verbunden mit der Frage: "Papier? Plastik? Restmüll? Hilfe!"

Niemand will schuld sein am Untergang der Erde, niemand möchte sich nur aus Unkenntnis der aktuell geltenden Gepflogenheiten falsch verhalten. Aber die Bauart einer Brötchentüte lässt viele Entsorgungsarten als möglich und richtig erscheinen. Da ist das Papier, der dominierende Werkstoff. Und da ist der Plastikteil, der anklagend in der Papiermülltonne glänzt als wolle er sagen: Hier gehöre ich sicher nicht hin. 

Einfach zur Schere greifen 

Gehört also alles in den Restmüll? Obwohl es sich sowohl beim Brötchentütenpapier als auch beim Brötchentütenplastik um recyclebare Werkstoffe handelt? Oder muss der Bürger, der nicht gegen Gesetze verstoßen will, zur Schere greifen und Plastik und Papier säuberlich trennen, um sie getrennt entsorgen zu können?

In Deutschland ist alles geregelt, bis hin zur Vorschrift, dass Altglas in den Altglascontainer gehört, aber nur, wenn es sich um Verpackungsglas handelt, nicht, wenn es alte Bier- oder Schnapsgläser sind. Die Entsorgungsfrage bei Brötchentüten aber hat der Gesetzgeber nicht beantwortet. Verbände und Vereine haben sich im Nachhinein an einer Deutung versucht - "Brötchentüten – egal ob mit oder ohne Folie – gehören ins Altpapier", hat etwa die Verbraucherzentrale dekretiert. 

Forscher der Freien Universität in Berlin aber wecken Zweifel: "Vorbildlich wäre es natürlich, das Sichtfenster der Bäckertüte abzutrennen und gesondert in der Gelben Tonne zu entsorgen". Und wenn die Tüte fettig ist? Gehört sie vielleicht in den Restmüll? 

Tüten zur Reinhaltung der Meere 

Die Brötchentüte ist ein weitgehend aus der öffentlichen Diskussion verdrängtes Folienverbrechen. Mit den umfassenden neuen EU-Vorschriften zur Reinhaltung der Meere kollidieren zudem zwei Schutzrechte. Einerseits wäre es vorbildlich, Sichtfenster und Papiertütenteil zu trennen. Andererseits bestimmt die Tethered-Caps-Regel aus Direktive 2019/904, dass nur noch Einwegverpackungen mit angebundenen Verschlüssen genutzt werden dürfen - unter diese strenge Vorgabe fällt auch die Brötchentüte. 

Sie ist nach den EU-Richtlinien ein "Papiermantel", wie ihn die EU-Vorschriften nennen, der ins Altpapier gehört, tethered mit einem Folienteil, der einerseits konstruktiv fest verbunden ist, andererseits im Sinne der Gesunderhaltung des Planeten aber besser abzutrennen wäre.

Der technische Fortschritt hat die Bürokratie überholt. Trotz aller Bemühungen in Brüssel, mit der Regulierung der Zukunft schneller zu sein als diese Gegenwart wird, hinkt die gesetzgeberische Praxis bei Brötchentüten der Realität dramatisch hinterher. Der Nabu, ein Umweltschutzverband, der durch zahlreiche Klagen gegen Verkehrs- und Wirtschaftsprojekte bekanntgeworden ist, spricht von "Tüten mit Sichtfenstern aus PLA, das biologisch abbaubar ist". 

Papiertonne oder Gelber Sack 

Solche Tüten gehörten weder in Papiertonne noch in den Gelben Sack, sondern in die Biotonne. Andere Tüten aus Verbundmaterialien setzen auf eine Kombination aus recyclebarem Plastik und kunststoffbeschichtetem Papier - beides sei dann ein Fall für die Plastiktonne. Jedoch nicht, warnt der Nabu, wenn "die Folie fest mit dem Papier verklebt  oder die Tüte verschmutzt ist". Es gelte die SPAI-Regel: Sauberes Papier ins Altpapier!

Wer nach einem Sichttest unsicher ist, ob sie aus unterschiedlichen Materialien bestehen, sollte das Material langsam einreißen. Dann zeigt sich, ob noch eine Kunststoffschicht auf dem Papier ist. Mit Kunststoff ist die gelbe Tonne die richtige Auffangstation, ansonsten sollte die papierene Umhüllung in die Papiertonne. Mit einem Materialtest, entsprechende Testkits werden im Internet angeboten, lässt sich der Kunststoffanteil an einer Brötchentüte ermitteln. Liegt er bei über 51 Prozent, wandert sie in den Gelben Sack, allerdings nur, so der Nabu, "sofern es eine Verkaufsverpackung ist". 

Gezielt geschürte Verwirrung 

Die gezielt geschürte Verwirrung hat einen durchaus beabsichtigten psychologischen Effekt. Verbraucher, die sich ohnehin schon von der Mülltrennung überfordert fühlen, bemühen sich, richtig zu handeln, tragen aber dennoch beständig an der Last eines Schuldgefühls, alles falsch zu machen. Die Frage "Ist das jetzt recycelbar und wie?", treibt Millionen um, nächtelang debattieren Freunde und Familien über die besten Methoden, Cellophan zu erkennen und von PVC zu unterscheiden. 

Bei den  Brötchentüten-Herstellern, die als die eigentlichen Verursacher der Probleme in der Verantwortung wären, eine Lösung zu finden, herrscht Schweigen. Allenfalls versehen einige Produzenten ihre Tüten mit kryptischen Symbole, die eher an ägyptische Hieroglyphen erinnern als an klare Recyclinghinweise. Andere haben reagiert und sie bieten wieder Tüten ohne Sichtfenster an – doch die sind bei den Transparenz gewohnten Kunden unbeliebt. "Ich will doch sehen, ob ich Kaiserbrötchen oder Mohnbrötchen gekauft habe!", klagen die einen, "wenn jeder aufmacht, um reinzugucken, wird es eklig", beschweren sich andere. 

Keine einheitliche europäische Regelung 

Es ist hohe Zeit, dass Brüssel handelt, zumal bis zu einer einheitlichen europäischen Regelung der Brötchentütenfrage aller Erfahrung nach ein gutes Jahrzehnt vergehen wird. Bis dahin bleibt Verbrauchern im Recycling-Lotteriespiel nur Eigenengagement: Der NABU empfiehlt, Tüten ganz zu meiden und einen traditionellen Stoffbeutel in die Bäckerei mitzubringen. Deren Ökobilanz ist einer Analyse des Umweltbundesamtes zufolge zwar erschütternd. "Der Stoffbeutel braucht bei der Produktion am meisten Ressourcen und hat die höchsten Umweltbelastungen",  konnten die Experten dort ermitteln. 

Doch das gute Gefühl, das Richtige getan zu haben, ist auch ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit sein, wie viel Aufwand aufgrund fehlender Tiefenregulierung hier auch privat betrieben werden muss. Am Ende ist es der verantwortlich handelnde aufgeklärte Verbraucher vor seiner Mülltonne, Verbundstofftüte in der Hand, der eigenständig entscheidet, nachdem er sich selbst befragt hat: "Was würde meine EU jetzt von mir wollen?"


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wenn die Wraith (S.G. 1) jeden von der Erde wegbeamen und verspeisen würden, der sich beruflich mit sowas befasst, würde keiner einen Unterschied bemerken.

Hier gab's mal eine Kette, wo man die Folie durch Transparentpapier oder so ersetzte, das ja nicht sehr transparent ist. Resultat war, dass die Kassenfrau bei unklarer Warenkombo in die Tüte plinste. Hat man wieder sein lassen.

Anonym hat gesagt…

Ganz OT
< Karl Junk on September 2, 2025 at 4:00 pm Antworten

Etwas, das man als (vom Flugzeug aus gesehen) „ausgehendes GPS-Signal“ bezeichnen könnte, gibt es nicht. GPS-Signale gehen von GPS-Satelliten aus und werden vom Flugzeug nur empfangen. >

Doch. Das GPS sendet auch - nur halt im unteren Nanosekundenbereich, und relativ zur Nanosekunde gößeren Abständen. Wenn ich es nicht an den Zigarrenanzünder (Bei Epper: "...neben dem Raketenstarter.") anschließe, ist nach einer Dreiviertelstunde Sense.

Anonym hat gesagt…

re Ganz OT

Das Flugzeug sendet seine Position über den Transponder. Laien könnten die ausgehende GPS-Position als 'ausgehendes GPS-Signal' verstehen.

>Das GPS sendet auch - nur halt im unteren Nanosekundenbereich

Ohne zu googeln: Wat?