Sie stand wie eine Eins und sie würde, so war es ringsum beschlossen und verkündet, "in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt werden. " Die Brandmauer, legitimer Nachfolger des antifaschistischen Schutzwalls, der DDR-Bürger 40 Jahre lang vor Ausplünderung, Drogen und den Nazi-Machenschaften der Bonner Ultras und anderer Imperialisten geschützt hatte, hatte sich im zurückliegenden Jahrzehnt zur tragenden Wand unserer Demokratie entwickelt. Lange war sie es, die die Bedingungen schuf, das Land prosperieren zu lassen, Wohlstand zu erhalten und zu erneuern und die Wirtschaft zu einer wahren Wohlstandsmaschine zu machen.
Besser denn je
Längst geht es den in Deutschland lebenden Menschen besser denn je, selbst objektiv gesehen hat es nie eine bessere Zeit zu leben gegeben. Verstanden worden ist das allerdings noch nicht überall. Viel zu sehr liebt es der Deutsche, über alles zu meckern - vom Wetter über die EU bis zu Bürokratie, Regierung, Inflation und Israel.
In normalen Zeiten wäre das kein Grund für eine Regierungspartei, von ihrem erfolgreichen Kurs abzuweichen. Wie Kanzleramtsminister Thorsten Frei gerade erläutert hat, fallen auch in Berlin zwar Späne, wo gehobelt werde. Aber der Neustart habe begonnen. "109 Gesetze wurden seit Regierungsbeginn auf den Weg gebracht", rechnete Frei vor. Darunter sei "die Unternehmenssteuer, die wir schrittweise senken - das sind gewaltige Sprünge."
Ein Schritt als Sprung
Ein Sprung im Schritt, dessen enorme Reichweite draußen bei den Menschen noch gar nicht richtig angekommen ist. Umfragen zeigen, dass nicht mehr nur der Osten droht, zurück ins Mittelalter zu rutschen, sondern auch seit vielen Jahrzehnten demokratisierte Regionen im Westen vor umwälzenden Veränderungen stehen. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern steht die AfD knapp vor der absoluten Mehrheit bei den Landtagswahlen im kommenden Herbst. Und in Baden-Württemberg, wo schon in fünf Monaten gewählt wird, hat die AfD die Grünen in der Beliebtheit überholt.
Die Unruhe in der Union wächst. Konservative und rechte Kreise in der CDU versuchen gezielt, die Brandmauer zu unterminieren. Unterstützt werden sie dabei von relevanten Teilen der Leitmedien, die bisher als Sturmgeschütze ganz oben auf der Brandmauer dafür gesorgt hatten, dass keinerlei Diskussion über den antifaschistischen Schutzwall 2.0 aufkam.
Plötzlich aber bekommen im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Brandmauer-Gegner Gelegenheit, ihr Gift in die ohnehin angespannte Stimmung zu tröpfeln. Der antifaschistische Schutzwall "löse keine Probleme", heißt es da, denn "die AfD und ihre Wähler von gesellschaftlichen Debatten auszuschließen", sei "undemokratisch und schwäche das Gemeinwesen".
Langfristige Strategie
Kein Zufall, sondern Teil einer langfristigen Strategie. Im gesamten Jahr 2025 verzichtete der "Spiegel" komplett darauf, eine Titelgeschichte zu veröffentlichen, die der AfD einen weiteren extremen Rechtsrutsch nachweist. Gemessen an den Vorjahren, als die Anfang des Jahres kurzzeitig als "gesichert rechtsextrem" eingestufte Partei es auf drei bis fünf Titelbilder jährlich brachte, ist das ein deutliches Zeichen. Zumindest relevante Teile des "medial-politischen Komplexes" (FAZ) wollen auf die Rechtsextremen zugehen. Nach dem Scheitern der über zehn Jahre hinweg verfolgten Taktik des Ausschließens, Verteufelns und Verbannens sind die verlässlichsten Wahlhelfer der Weidel, Chrupalla und Höcke dabei, einen Tabubruch vorzubereiten.
Die lauten Bekenntnisse zur Brandmauer können kaum darüber hinwegtäuschen, dass sich tektonische Verschiebungen ankündigen. Zwar hatte Friedrich Merz schon nach den ersten Forderungen von den Rändern seiner Partei klargestellt, dass er sein eigenes politisches Schicksal an die Brandmauer geknüpft habe. Auch CDU-Vize Karl-Josef Laumann nannte die AfD noch einmal deutlich eine "Nazi-Partei" und CSU-Generalsekretär Martin Huber schloss rituell weiter "jede Kooperation" aus.
Heftiger Widerstand
Doch der simulierte "heftige Widerstand" (DPA) vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die Brandmauer ihre besten Tage hinter sich hat. Kippt eins oder kippen gar zwei Flächenländer im Osten, im schlimmsten Fall künftig geführt von AfD-Alleinregierungen, hülfe das von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und anderen Spitzenpolitikern der Union beschworene Durchhalten einer harten Ablehnung der AfD nicht mehr. Im Bundesrat hätten die Blauen dann Sitz und Stimme, also genau das, was ihnen von den demokratischen Parteien etwa im Bundestagspräsidium seit einem Jahrzehnt trickreich, aber erfolgreich vorenthalten wird.
Ein Marsch durch die Institutionen, der deutlich länger gedauert hat als der der Grünen. Auch die hatten sich nach ihrer Gründung im Umfeld der "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD), der "Grünen Aktion Zukunft" (GAZ) und der "Grünen Liste Umweltschutz" (GLU) lange mit der Ablehnung der alteingesessenen Parteien leben müssen. Erst die Vereidigung des Grünen Joschka Fischer zum hessischen Minister für Umwelt und Energie am 12. Dezember 1985 schlug eine erste Bresche in die Brandmauer nach links, auf der auch die SPD Wache hielt.
Die Grünen als Konkurrenz
Die altbackene, nach dem Verlust des Kanzleramtes deprimierte Partei fürchtete die frischen und frechen Grünen als Konkurrenz, ehe sie ihren Kandidaten Holger Börner mangels Alternative mit Hilfe der Grünen zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Als Belohnung bekamen Joschka Fischers Genossen später einen Koalitionsvertrag, in dem das Shanghaier Kugelfischabkommen vom 3. 11.1974 ausdrücklich Erwähnung fand.
Jetzt wiederholt sich Geschichte, wenn auch langsamer. Die Grünen saßen nach fünf Jahren in ihrer ersten Landesregierung, die Blauen werden mindestens elf, dafür aber vermutlich keinen Koalitionspartner brauchen. Zu stabil ist der Aufwärtstrend der Partei in den Umfragen. Zu deutlich erkennbar der Zusammenhang: Die AfD profitiert davon, ausgegrenzt, beschimpft und von allen demokratischen Parteien bekämpft zu werden.
Nach zehn Jahren beständiger Hitlervergleiche, Drittes-Reich-Relativierungen und obskurer Untergangsprophezeiungen lassen sich immer mehr Wähler nicht mehr erschrecken. Monströse Warnungen vor Remigrationsplänen, drohenden Wohlstandsverlusten und der von Weidel und Co. geplanten Errichtung einer digitalen Sowjetdiktatur unter der Fuchtel von Tech-Milliardär Elon Musk verpuffen.
Enttäuschung und Empörung
Enttäuschung und Empörung über die Parteien der Mitte führen den Menschen die Feder beim Kreuz in der Wahlkabine. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Wende, sagen sich viele, wenn sie einen altgedienten Dauerfunktionär wie Lars Klingbeil über den bejammernswerten Zustand der Infrastruktur im Lande klagen hören, als habe seine Partei nicht 21 der letzten 25 Jahre regiert und er selbst nicht 20 der letzten 25 Jahre im Bundestag gesessen.
Doch auf die kaum verhohlenen Angebote aus der Union, vorsichtig vorgebracht von Parlamentären wie dem früheren CDU-Generalsekretär Peter Tauber, Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und Sachsen-Anhalts Ex-Innenminister Holger Stahlknecht (CSU), folgte von jenseits der Brandmauer nicht einmal eine Nachfrage nach den genauen Kooperationskonditionen. Stattdessen ließ die AfD-Spitze die Brandmauer-Debatte in der Union brodeln.
Jedes "Nazi-Partei" bringt Stimmen
Weidel und Chrupalla wissen: Jede Wortmeldung hilft ihnen. Jeder Christdemokrat, der die AfD als "Nazi-Partei" bezeichnet, kostet die Union Stimmen, und und wer ihre Partei als "geprägt von Kreml-Knechten" beschreibt, macht ebenso Wahlkampf für sie wie der, der ihr vorwirft, sie wolle "raus aus der Nato, raus aus der EU, raus aus dem Euro". Fiele das Nein der Union zu einer Zusammenarbeit mit der AfD, könnte die AfD keinen größeren strategischen Fehler machen als das Angebot von CDU und CSU anzunehmen.
Derzeit gelten die derzeitigen Umfragen zufolge rund 13 bis 15 Millionen AfD-Wählerinnen und Wähler als für die Parteien der Mitte verlorene Menschen, die durch ihr Verhalten die moralischen Werte mit Füßen getreten und sich selbst aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt haben. Zu ihnen führt einer erschütternden Analyse des CDU-Präsidiums zufolge keine Brücke. "Sie kommen nicht mehr zurück, denn sie leben in einer eigenen Welt", so steht es in einem Befund, den die CDU-Bundesgeschäftsstelle von Marktforschern hatte erstellen lassen.
Gefühlte Grenzschließungen
Dort drüben aber geht es ihnen gut. Viele haben angesichts des zuweilen hysterischen Gezeters über die Untaten der AfD erstmals seit vielen Jahren wieder das Gefühl, gehört zu werden und eteas zu bewirken. Die Grenzschließung etwa, auf die Friedrich Merz und Alexander Dobrindt so stolz sind, mag kaum wirksam sein, sagen sie sich in Thrüringen und Sachsen.
Doch selbst sie wäre nicht vollzogen worden, hätten die Unions- und SPD-Spitzen nicht Angst vor weiter steigenden Umfragezahlen der AfD. Ebenso steht es mit dem Bürgergeld, das vorerst zwar nur umbenannt wurde, aber keine drei verlorenen Landtagswahlen der CDU mehr überstehen werde, wie viele AfD-Wähler glauben.
Aus deren Sicht ist die AfD weniger eine Gefahr für Deutschland als eine für die politischen Parteien, die in allerlei bunten Koalitionen seit Jahrzehnten regieren, mit dem derzeit vielerorts dominierenden Stadtbild aber nichts zu tun haben wollen. Die Entwicklungen in anderen Staaten bestärken die Betroffenen in ihrem Eindruck, grundlegende Veränderungen seien möglich.
Unzufrieden mit Umbenennung
Von Dänemark, wo die Sozialdemokraten die Grenzen für eine unkontrollierte Zuwanderung schon vor Jahren geschlossen haben, über Frankreich, wo der Druck der Opposition die ungeliebte Rentenreform stoppte, bis in die USA, in der Präsident Donald Trump den woken Zensurstaat abwickelt, sehen sie sich bestätigt darin, dass eine schrittweise Senkung der Unternehmenssteuer und ein unbenanntes Bürgergeld nicht das letzte Wort bei den "gewaltigen Sprüngen" (Frei) sein müssen.
Dass Friedrich Merz an der AfD als "Hauptgegner" seiner Partei festhalten will, spielt den Blauen in die Karten. Über zehn Jahre hinweg verdankt die AfD dieser Strategie der Parteien der demokratischen Mitte ihren beständig wachsenden Erfolg. Kommt nichts Bedeutsames dazwischen, wird ein konsequentes Kurshalten der früheren Konservativen die Partei in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit deutlichem Abstand auf Platz eins tragen.
1 Kommentar:
'Der politisch-mediale Komplex heißt deswegen so, weil er extrem komplex ist.'
Timo Frasch
Politischer Korrespondent in München.
Das hat er sicher nicht ganz im Ernst geschrieben. G'tt sei dank hinter Bezahlschranke, so dass normale Hirne nicht damit kontaminiert werden.
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