Mittwoch, 22. Oktober 2025

Sprachliche Entsicherung Systemfeinde und Hurensöhne

Das Stadtbild, das sich Millionen zurückwünschen, provoziert Millionen, die es rundheraus ablehnen. 

 Kanzler schweigt zu Hass,
Worte giftig wie der Wind, Stille trennt die Welt.

Es knallt auf rechts, es knall auf links, es knallt aus allen Richtungen. Markus Söder, ein deutscher Parteivorsitzender und der Ministerpräsident des nach dem BIP pro Kopf wohlhabendsten Bundeslandes, giftet ein "Systemfeind" in die Runde. Philipp Ruch, der Chef des "Zentrums für Politische Schönheit" keift ein "NPD-Hurensohn" in Richtung des gewählten Bundeskanzlers. 

Ringsum stehen Rassisten, Verräter, Menschenfeinde und Nazis aus der trüben Suppe einer gärigen Truppe, die im politischen Berlin. Keiner, der nicht wenigstens Faschist ist. Niemand, der nicht wenigstens von langer Hand das Ende von Wohlstand, Freiheit und Menschheit plant.

Systemsohn und Hurenfeind 

Söders "Systemfeind" und Ruchs "Hurensohn" bilden den Tiefpunkt einer Entwicklung, in der die, die vor Enthemmung und Verrohung warnen, die zwangsläufig regieren würden, würden sie nicht mehr regieren, in die völlige Entsicherung gleiten. Deutschland erster "Systemfeind" hieß Wilhelm Puff, er war Lehrer und Dichter und die Nazis sperrten ihn 1936 für ein Jahr lang ein, weil er als "Systemfeind" angesehen wurde.

Markus Söder ließ sich allerdings nicht vom Schicksal des späteren Georg-Foster-Biografen inspirieren, sondern vom österreichischen Rapper Kilez More. Der Name klingt so, ist aber kein sprechender: More, bürgerlich Kevin Mohr, wurde bekannt  durch Auftritte bei Veranstaltungen der linkspopulistischen Occupy-Bewegung. Umstritten wurde er nach Gastspielen bei Mahnwachen für den Frieden. 

Schon viel früher aber hatte er den Song geschaffen, den Söder zitiert. "Systemfeind" ist der typische Hassgesang auf eine Welt, die einen nicht verstehen will. "Ich bin ein Systemfeind, denn ich bin genauso wie du, wir sehen was um uns passiert, aber schauen nicht zu, in uns staut sich die Wut, weil man jemanden wie uns bekämpft, der redet und seinen Mund nicht hält, beim Elend hier in unserer Welt", schwurbelte More schon 2015 auf der Suche nach "der heranreifenden Jugend, die Profit nicht als Maximum sehen und Zweifel als Tugend".

Ein grobes Gedicht 

Immerhin reimt sich das. Ein Vorwurf, den dem Aktionskünstler Philipp Ruch niemand machen kann. Sein grobes Gedicht "Der Bundeskanzler entpuppt sich als Rassist und NPD-Hurensohn und der SPD-Vizekanzler schweigt dazu" deutet einen Reim zwar an, bliebt aber im Lautmalerischen stecken. Auch ein traditioneller japanischer Haiku ist das kurze Gedicht es nicht. Statt der vorgeschriebenem 17 Silben, die zu 5-7-5 aufgeteilt werden, arbeitet Huch mit 30, die zudem auch den Geist eines Haikus konterkarieren. 

Es gibt keinen Hinweis auf eine Jahreszeit, kein kontemplatives Flirten mit der Natur oder dem Augenblick. Stattdessen präsentiert der offenbar wutentbrannte Art-Aktivist einen holpernden Satz mit beleidigenden Begriffen und einem Wort ("schweigt") in plakativen Versalien.

Beschimpfend und herabwürdigend 

Das passt in eine Zeit, in der der Ton gar nicht mehr anders als aggressiv und anklagend, wüst beschimpfend und herabwürdigend sein kann. Es ist Gift in der Luft, Gift im politischen Alltag, Gift im gesellschaftlichen Gespräch. In der Not, dass die unten die oben nicht mehr hören und schon gar nicht mehr auf sie hören wollen, greifen nicht mehr nur die Regierten, sondern auch die Regierenden und ihre Hofpoeten zum größten Kaliber. Die Worthülsen werden härter, die Schützengräben tiefer, die Demokratie steht unter schwerem Beschuss. 

Wie grundsätzlich die Veränderungen sind, zeigt der Versuch einer Zeitreise in die seligen ersten Jahre der Kanzlerschaft Angela Merkels. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen 2010 im Plenarsaal, Angela Merkel regiert mit ruhiger Hand. Erst viel, viel später wird man merken, was sie anrichtet. Die Finanzkrise ist bewältigt, man regiert mal miteinander, mal gegeneinander, immer aber so, dass nirgendwo Erde verbrannt wird. 

"Hurensohn" oder "Arschloch" 

Jeder weiß, er wird den anderen gleich nach der nächsten Wahl wieder brauchen. "Nazi"? "Faschist"? "Systemfeind"? "Hurensohn", "Ziegenficker" oder "Arschloch"? Kaum denkbar. Selbst Joschka Fischer, damals noch in seiner Rolle als ungebürsteter junger Mann, beschimpfte den Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen mit gebührendem Respekt: "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!"

Verbalinjurien waren rar. Ein Wort wie Nazi oder Faschist zu verwenden, wäre als Verharmlosung verstanden und - je nach Urheber - mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft worden. Politische Gegner "Hetzer" zu nennen, wagten nur Kommunisten wie Heinz Renner, der Konrad Adenauer so beschimpfte. Als Herbert Wehner einen CDU-Kollegen eine "Übelkrähe" nannte, drehte die Medienrepublik frei. 

Man sah die Sitten verfallen, den Anstand schwinden und unsere Demokratie untergehen. Der Versuch, jemandem den Titel "Systemfeind" anzuhängen, den die SED-Führer der DDR für Personen und Gruppen aus der Nazi-Zeit herübergerettet hatte, die sie als Bedrohung für ihre Macht ansahen, wäre für den Anhänger nicht gut ausgegangen. 

Das ganze Gegenteil 

Es gab im Westen im übrigen ja gar kein "System", sondern allenfalls ein "demokratisches System", das das ganze Gegenteil von dem war, was im Osten herrschte. Es gibt deshalb auch heute kein System, das die, die als bedrohlich angesehen werden, überwacht, verfolgt oder auszuschalten versucht. Die kalte DDR-Note von Söders Begriff "Systemfeind" schmeckt heute umso schärfer. Dennoch hat der bayrische Ministerpräsident sie zusätzlich gewürzt mit dem Hinweis, jener Systemfeind, den er meine, sei auch noch "rechtsextreme Kaderpartei", "moskautreu" und darauf bedacht, "autoritäre Strukturen in unserem Land zu etablieren".

Ein nervöser Satz, ein Satz, der wie Ruchs auf den Kanzler gespuckte Gossengalle zu demütigen und zu erniedrigen versucht. Die beiden Kulturkämpfer aus der demokratischen Mitte ähneln in ihrer zornigen Hilflosigkeit den frühen Pegida-Protestlern oder den vor Ohnmacht brüllenden Corona-Demonstranten. Sie, die über die Machtmittel verfügen - der eine als Regierungschef, der andere als Öffentlichkeitsarbeiter, dem die Medien jeden Krümel aus der Hand fressen - verhalten sich wie Schulhofkinder, die immer schriller schreien, weil ihnen nichts anderes einfällt.

In der Arena des Zorns 

Gesellschaftlich ist das weitgehend akzeptiert.  Als Sigmar Gabriel seine Wähler seinerzeit als "Pack" und als "Hunde" bezeichnete, plädierte der "Spiegel" noch für "verbale Abrüstung": Erklären statt übernehmen, ruhig bleiben, nicht auf das Niveau derer absinken, die mit Vokabeln aus dem untersten Regal argumentieren mussten. Vor "Monsterworten" warnte der "Spiegel" in seiner Titelgeschichte "Wie die Sprache langsam verroht"

Sprache mache den Menschen zum Menschen, argumentierte Georg Diez, ein Wanderprediger des Verzichts, der eine "planetare Politik" forderte und als deren Voraussetzung festlegte: "Wir müssen unsere Weltsicht fundamental ändern". Diez' "Wir" ist das der Kollektivisten und "Miteinander"-Propagandisten, auf dem das moderne politische Berlin gegründet ist. Dass ein Wir nur von innen beschrieben werden kann, nicht aber von außen, fuchst die Beschwörer von "planetarer Politik", "unserer Demokratie" und "Zukunft gemeinsam gewinnen" (CDU-Grundsatzprogramm) auf eine Weise, die sie zwingt, laut und bösartig zu werden.

Männer mit Keulen

Politiker, die einst um Nuancen rangen, greifen zu Keulen. In der Arena des Zorns kämpft nicht mehr nur das "Kopftuchmädchen" von Alice Weidel um Aufmerksamkeit, nicht mehr nur die "Messermänner" und "Brandmauer-Faschisten"wollen gesehen werden und die "Natohuren" gehört werden. Die andere Seite kann auch Neologismen, spätestens seit Corona: "Pandemieleugner", "Putinversteher", "Heizungsstasi", "Bastarde" und "Klimaterroristen" und "russische Spione". Die politische Debatte wirkt wie das Schreiduell zwischen zwei verfeindeten Fankurven.

Die Demonstranten auf der einen Seite behaupten, "Wir sind mehr". Die auf der anderen beharren darauf, selbst mehr zu sein, nur eben nicht aus 551 staatlichen Töpfen bezahlt und deshalb überwiegend stumm und still daheim im Widerstand. Irgendwo zwischen den beiden wie festfroren in der Landschaft liegenden Blöcken stehen die Grenzen der Meinungsfreiheit, über die nur wirklich stillose Verbalaggressionen zu hören sind. "Altparteien", "Systemparteien", Nazis, Kommunisten. Niedertracht. Fritze Merz. Grüne Spinner. Verfassungsfeinde. Menschenfeind. Massenmörder. Kriegsverbrecher. Darunter geht es nicht.

Ein wahres Wort herausgerutscht 

Leidenschaftliche Beschimpfungen, das bestätigt eine Studie des An-Institutes für Angewandte Entropie in Frankfurt an der Oder zur "Politischen Kommunikation im Wandel", gelten als eine der letzten Vertrauensbastionen von Politikern. Wenn jemand wie Friedrich Merz eine beleidigende Vokabel wie "Stadtbild" in den und nimmt, dann billigen ihm 67,3 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zu, dass ihm im Eifer ein wahres Wort herausgerutscht ist. 

Obwohl Merz als Regierungschef von der  Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin mit Reizworten ausgestattet wird, kommt das gut an: Ein an sich harmloses Wort verwandelt sich durch den Protest gegen seine Verwendung in eine Waffe im Kulturkampf. Auf den groben Klotz ein gröberer Keil, das ist der Bauplan, nach dem die verrohten Debatten im Wochenrhythmus stattfinden. Eben ist es noch der "schlimmste Kriegsverbrecher", da wartet schon der "Genozid". Kaum ist das Interesse an ihm erloschen, steht der "Systemfeind" bereit, die Grenzen noch weiter zu verschieben. 


2 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

>> Die politische Debatte wirkt wie das Schreiduell zwischen zwei verfeindeten Fankurven.

zwei verfeindete Gruppen in der gleichen Fankurve

Anonym hat gesagt…

Der Kasper haut das Krokodil, und beide stecken auf den Händen des gleichen Spielers.