Mittwoch, 29. Mai 2024

Das große WIR: Ihr sollt wollen müssen

Das Wort "Wir" bestimmt den Ton im CDU-Programm. Es kommt 686 Mal vor - achtmal auf jeder Seite.

Für die Kommunisten war es das Kollektiv. Kapitalisten, der sich wünschen, dass ihre Angestellten mehr arbeiten, als ihnen bezahlt wird, nennen es Team. Die neue Linke dagegen hat das aktuell als "Gemeinschaft" im Wahlprogramm: Ein Mittel für und gegen alles, Gemeinschaft ist Liebe, Glück und Fröhlichkeit, Wärme, Toleranz und Frieden, einer für alle, alle für die ehemalige SED, die ihren letzten Auftritt auf der großen Bühne mit der Leidenschaft eines Ackergauls in der letzten Schicht vor dem Abdecker angeht.

Das Wir des großen Ganzen

Doch auch die CDU hat sich auf ihrem Programmparteitag beim großen Ganzen bedient. Das Wort "Wir" ist die neue Dominante der Basis des Fundaments der Merz-Partei, die Merkel entschlossen hinter sich gelassen hat und nun dort weitermacht, wo Komiker sie schon vor 15 Jahren sahen. Damals hätte die Ankündigung eines Bundeshohnverbotes noch wie ein Witz geklungen, heute steht es unmittelbar ins Haus. "Wir müssen", hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser gemeinsam mit Innengeheimdienstchef Thomas Haldenwang die Notwendigkeit begründet, auch die zu entdecken und zu schnappen, genau wissen, was sie gerade noch sagen dürfen, ohne sich strafbar zu machen.

Das große "Wir" will das nicht und deshalb kommt es 686 Mal vor im neuen Grundsatzprogramm der Union galt, das den schönen Namen "Grundsätzlich CDU" trägt und seit seiner Verabschiedung keine Rolle mehr spielt. Dabei ist das Papier ein äußerst bemerkenswertes Dokument, das von Zeiten erzählt, in denen die sich konservativ kostümierende Partei der demokratischen Mitte die Inhalte verwendet,die zehn Jahre zuvor die andere linke Dauerregierungspartei  plakatiert hatte. Unter dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück war das Wir damals für "bezahlbare Mieten", "mehr Kitaplätze" und ein "Alter ohne Armut". Unter Friedrich Merz bedient sich die CDU nun am abgelegten Ideenvorrat der deutschen Sozialdemokratie. Macht doch nichts. Merkt doch keiner.

Wir aus fünf Buchstaben

Das "Wir" ist so wichtig, dass abgesehen von "und" und "die" kein anderes Wort so oft vorkommt. "Der", "ein" und "für" liegen dahinter. Dann folgt schon "unser", quasi das Wir aus fünf Buchstaben. Es ist ein Wir, das alle meint, ausgenommen die, die es hier im Munde führen. Wenn die CDU sagt "Wir", dann meint sie eigentlich ihr, denn unmittelbar danach folgt immer ein Müssen, Wollen oder Sollen, das selbst die zum Kampf entschlossene Partei des Münsterländers nicht allein hinbekommt. "Wir" heißt also ihr müsst, ihr Bürger, da draußen. Wir hier drinnen, wir haben ja schon herausbekommen, was wir müssen. Also, was ihr tun sollt. 

Intellektuell ein Spektakel, das den Bürgerinnen und Bürgern eine klare Alternative bietet. Die andere ehemalige Volkspartei SPD hatte vor der Bundestagswahl 2021 eine Wortwolke produziert, die viel von dem vorwegnahm, was dann folgen sollte. "Deutschland muss wollen Zeit Arbeit Gesellschaft", das waren die zentralen Botschaften, hinter denen das Wir zurückstehen musste. Jetzt demonstrierten die Konservativen, dass sie keine Angst haben, einer Gesellschaft, die des ewigen Individualismus überdrüssig ist, einen Spiegel vorzuhalten und ihm zu sagen: "Wir verbinden die Freiheit des Einzelnen mit seiner Verantwortung für die Gemeinschaft."

Gegen das laue Miteinander

Das geht weit über das laue "Miteinander" hinaus, mit dem SPD-Chefideologe Kevin Kühnert Sätze wie "konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt" und alles, "was unser Leben bestimmt, sollte in der Hand der Gesellschaft sein" gesagt hatte. Bei der CDU gibt 126-mal "uns", 124-mal den und die "Menschen", 91-mal "Deutschland", 74-mal "Land" und 70-mal "Leben". Ein Grundsatzprogramm des Grundsätzlichen, das "Freiheit" (61), "Staat" (58), "Gesellschaft" und "Sicherheit" (je 54) auf Augenhöhe denkt. Wie viel Schweiß hat die Programmkommission in monatelangen Diskussionen, in Nachtsitzungen mit viel Pizza und Kaffee und beim Brüten über Vorentwürfen vergossen über diesen schicksalhaften 82 Seiten?

Und wie viele "Menschen" (124-mal) haben es gelesen? Wie viele aber nicht? "Wir wählen die Freiheit!", ruft es gleich am Anfang.  "Für ein freies und sicheres Land!", unmittelbar danach. "Wir wollen die Sicherheit in Europa und den Binnenmarkt stärken." Und: "Wir wollen eine Gesellschaft, die zusammenhält." Wir-tschaftpolitik der anderen Art, in der "Wir" auch "für nachhaltiges wirtschaftliches
Wachstum" stehen. Das neue Grundsatzprogramm heißt "Zukunft gemeinsam gewinnen". "Gewinnen" aber kommt insgesamt nur dreimal vor.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hadmut liegt gewaltig schief, von wegen, die Fassade würde jetzt endgültig zerbröseln usw. - die kleinen Fernsehkieker glauben weithin das, was sie glauben sollen.
Was gilt's? Hiob 1.11.

Anonym hat gesagt…

Ich gebe zu, ich habe Marx nicht gelesen, ich habe vieles andere auch nicht gelesen. Trotzdem keine Überraschung bei der Googelsuche.
Marx:
Wir müssen uns selbst emanzipieren, ehe wir andere emanzipieren können.

Na klar. Los, mach. Wird's bald, Prolet.

Im Text ein paar gute Gründe, Marx nicht zu lesen:
Sobald Jude und Christ ihre gegenseitigen Religionen nur mehr als verschiedene Entwicklungsstufen des menschlichen Geistes, als verschiedene von der Geschichte abgelegte Schlangenhäute |349| und den Menschen als die Schlange erkennen, die sich in ihnen gehäutet, ...

Grotesker Bullshit.
http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_347.htm

Anonym hat gesagt…

Grotesker Bullshit.

Nun ja, nicht so ganz, nicht so ganz. Man kann den Leuten ALLES aufpacken. Denken wir doch nur an das Märchen von den sechs Melonen.