Wo Geld liegt, sind die Lumpen nicht fern.
Hausgemachte Katastrophen, Kit Pedler / Gerry Davis, 1990
Es sind nur Peanuts, gemessen an dem, was Menschen im Alltagsleben ausgeben. Es sind Anteile am Gesamthaushalt, die für eine gewaltige Institution wie die Europäische Union kaum zu erfassen sind. Ja, es sind Milliarden, um die es geht. Aber nur wenige von ihnen, die in kleinen Tranchen aus den Taschen rieseln. Ein Phänomen, gegen das nicht einmal die auf Strenge und Kontrolle geeichte aktuelle EU-Chefin Ursula von der Leyen etwas unternehmen kann.
Vernichtender Kontrollbericht
Ein bisschen stolz waren sie in Brüssel trotzdem, als der Europäische Rechnungshof (EuRH) jetzt in einer feierlichen Zeremonie im Festsaal des prächtig geschmückten Rechnungshofspalastes seinen neuen Kontrollbericht vorlegte. Auf den ersten Blick auch diesmal wieder ein Papier, das zeigt, wie verantwortlich die Führungsebenen von EU und Mitgliedsstaaten mit den ihnen von den Steuerbürgern überantworteten Billionen umgehen. Nur wenige der vielen EU-Fördergelder, versteckt in Finanzkonstruktionen mit Namen wie Cohesion Policy, Recovery and Resilience Facility und E-Recovery-Fonds, gingen verloren.
Wohin genau das Geld verschwand, konnten die Prüfer nicht ermitteln, das ist aber auch nicht ihre Aufgabe. Die unabhängige externe Prüfinstanz der EU überwacht mit ihren rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen EU-Mitgliedstaaten die Verwendung von EU-Mitteln. Zudem hat sie die Aufgabe, jeweils nach Prüfung eines Ausgabenjahres sogenannte Fehlausgaben aufzusummieren und vor Schlampereien, Betrügereien und Tricksereien beim Einsatz von EU-Geldern zu warnen.
Das Fazit fällt offiziell stabil aus. Auch im zurückliegenden Haushaltsjahr wurde weiter in großem Ausmaß geschlampt oder getrickst, sogenannte "Fehler", wie es die deutsche Danachrichtenagentur DPA nennt, würden zu "ineffizienten oder unrechtmäßigen Ausgaben führen" und ungehindert können Gelder in Milliardenhöhe rechtswidrig abfließen. Lob der Prüfer gab es auch: "Die Einnahmen waren fehlerfrei", attestieren sie der Europäischen Kommission voller Hochachtung.
Schlampen und Tricksen
Im vergangenen Haushaltsjahr verschwanden so sechs Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt. Die Error Rate, so nennt die EU den Anteil ihrer Ausgaben, von dem sie nicht sagen kann, wer wem warum eimerweise Geld zuschiebt, stieg auf 5,6 Prozent - das ist der höchste Wert seit der Finanzkrise 2008. Der Trend der zurückliegenden Jahre bleibt damit stabil: Je mehr Geld die EU von den Mitgliedsstaaten übereignet bekommt, um die Mehraufgaben zu erledigen, für die sie sich immer wieder zusätzlich zuständig erklärt, je steiler wächst die Fehlerquote bei Versuch, Milliarden und Abermilliarden im Einklang mit dem komplizierten Regelwerk der sogenannten Förderunion unterzubringen.
Ein stabiler Trend zur Verschwendung
Vor sechs Jahren gingen nur noch 2,6 Prozent aller Investitionshilfeversuche der EU schief. Seitdem aber zeigt sich ein stabiler Trend. 2020 wurden 2,9 Prozent aller EU-Ausgaben in den Sand gesetzt. 2021 stieg die Error Rate auf 3,1 Prozent. 2023 kletterte sie dann auf 5,6 Prozent. Mit den 2024 erreichten 3,6 Prozent an Milliarden, die fehlerhaft, betrügerisch, vorschriftswidrig oder falsch verwendet wurden, gelang es der Europäischen Kommission wiederum, sechs Milliarden Euro auszugeben, ohne dass es dafür einen Rechtsgrund, eine Rechtfertigung oder eine Entschuldigung gab.
Für die 440 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die die Summe erarbeitet haben, ist das kein großes Problem. Das Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer. Deutsche Medien wie die deutsche Politik haben den jüngsten Bericht des Rechnungshofes deshalb nicht einmal achselzuckend zur Kenntnis genommen. Es geht um Milliarden und Abermilliarden. Und erstaunlicherweise moderieren selbst kritische Adressen das Thema ab: "Rechnungshof bezeichnet die Rechtmäßigkeit der Ausgaben im EU-Haushalt als ungenügend", heißt es bei Table Media im Stil von "ein bisschen schwanger".
Unregelmäßigkeiten und Pech
Die "Unregelmäßigkeiten in Milliardenhöhe", wie das Handelsblatt das verschwundene Geld achtsam umschreibt, sind nirgendwo sonst ein großes Thema. ARD, ZDF, das frühere Nachrichtenmagazin der "Spiegel", die SZ, die Taz und der Rest der angeschlossenen Abspielanstalten - sie alle hatte Rechnungshofpräsident Tony Murphy eingeladen, seinen Bericht über die Verwendung von 247 Milliarden Euro anzuhören und auszuwerten.
Doch alle großen Adressen entschieden sich, die Hinweise auf "hartnäckige Fehler, fehlerhafte Zahlungen und Systemmängel" (EuRH) lieber zu ignorieren. Der Ruf der EU, diese Überlegung mag im Hintergrund entscheidend gewesen sein, ist ohnehin ruiniert genug. Den Menschen jetzt noch zu erzählen, dass die größte multinationale Regierung der Welt pro 40 Euro, die sie ausgibt, einen Euro verliert, würde die Situation doch auch nicht verbessern.
Sechs Milliarden, das ist nach modernen europäischen Maßstäben ja auch keine Summe mehr. Dass die europäischen Rechnungsprüfer der Kommission erneut - wie in den vergangenen fünf Jahren - aufgrund der "wesentlichen Fehlerquote" und "weitverbreiteter Fehler" kein Prüfurteil gaben, werden zumindest die deutschen Einzahler in die Kassen der Gemeinschaft so nicht erfahren. Ebenso bleibt ihnen die Information erspart, dass sich insbesondere die als "EU-Strukturfonds" bezeichneten Nebenkassen zur Unterstützung wirtschaftlich schwacher Regionen als "besonders problematisch" für den Abfluss von Geldern durch "fehlerhafte Zahlungen" (EuRH) erwiesen.
Nur noch halb so viel verpulvert
Weil die Fehlerquote ein Jahr zuvor noch bei 5,7 Prozent gelegen hatte, also Schäden von rund 13 Milliarden Euro verursacht worden waren, gilt die erreichte Halbierung als großer Fortschritt. Die EU-Verschwendung kostet jeden einzelnen EU-Bürger damit nur noch etwas mehr als 13 Euro im Jahr. Das entspricht nicht ganz der Summe, die der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 2018 als Gesamtkosten der Gemeinschaft veranschlagt hatte, als er zum Ausdruck brachte, "Europa ist mehr wert als eine Tasse Kaffee pro Tag". Doch nach Flughafenpreisen gerechnet sind es eben jetzt zwei Tassen, zudem nicht für alles, was die EU vollbringt, sondern nur für das, was ihr misslingt.
Ob das insgesamt stimmt, steht aber nicht fest. Die EuRH-Experten konnten nicht beziffern, wie viele Milliarden im Bereich der sogenannten "Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF)" genau verloren gingen, während das "Herzstück" des von Ursula von der Leyen zum Wiederaufbau Europas nach der Corona-Pandemie begründeten "NextGenerationEU"-Programm umgesetzt wurde. Ziel war es, die Wirtschaft nach der großen Krise mit Geld anzufüttern, um die Depression zu vertreiben. Jedes Mittel schien da recht. In jeder Höhe.
Ein großer Selbstbedienungsladen
Konzipiert hatte Ursula von der Leyen den ARF-Fonds deshalb von Anfang an als reinen Selbstbedienungsladen: Die EU-Länder erhalten Gelder, wenn sie vorab festgelegte "Etappenziele" oder "Zielwerte" erreichen. "Im Gegensatz zu traditionellen Haushaltsausgaben sind derartige Zahlungen im Rahmen der ARF nicht davon abhängig, dass die Vorschriften der EU und der Mitgliedsländer eingehalten werden", beschreibt der EuRH den Funktionsmechanismus.
Der seinen Zweck offenbar trefflich erfüllt, möglichst viel Geld möglichst umstandslos dorthin zu befördern, wo es Gutes tun kann. Von 28 ARF-Zahlungen in Höhe von insgesamt 59,9 Milliarden Euro, die im Jahr 2024 an Mitgliedsländer flossen, entsprach fast ein Fünftel nicht den geltenden Regeln. Sechs der 28 Auszahlungen erfolgten, obwohl die als Zahlungsgrund eigentlich vorgesehene zufriedenstellende Erreichung von Etappenziele fraglich war. Außerdem stießen die Prüfer auf Fälle, in denen die Etappenziele und Zielwerte von Anfang an so geschickt konzipiert waren, dass eine Überprüfung nicht möglich war, weil die Finanzierung nicht mit messbaren Ergebnissen verknüpft wurde.
Anhaltende wesentliche Verstöße
Gäbe es die EU nicht, man müsste sie erfinden. Nach den Regeln der Gemeinschaft gelten vorschriftswidrige Ausgaben bereits ab einer Schwelle von zwei Prozent als "wesentlich". Verstöße bei der Mittelvergabe müssten dann tiefengeprüft und Strukturen so geändert werden, dass nicht mehr wesentliche Teile des von der Kommission treuhänderisch verwalteten Kapitals an Empfänger fließen, die damit Schindluder treiben.
Die EU wäre allerdings nicht die EU, wenn sie nicht seit acht Jahren souverän mit einer Quote von über zwei Prozent zurechtkäme: Zwischen 30 und 40 Milliarden Euro hat die Kommission seit 2017 verpulvert, ohne dass sie noch sagen könnte, wo das Geld geblieben ist. Anstrengungen, die "hohen vorschriftswidrigen Ausgaben" abzustellen, wie sie Rechnungshofpräsident Tony Murphy seit Jahren fordert, muss die EU nicht unternehmen.
Ihr fällt es immer leichter, die Gemeinschaft zu melken und ihren Gesamthaushalt weiter aufzublähen.



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