![]() |
| Reinhard Meys Trotzgesang von 1986 beschädigt heute den Umbau zur Kriegstüchtigkeit. |
Es war der kalte Krieg, es wurde nicht geschossen, jedenfalls nicht in direkter Nachbarschaft. Es war angesagt, Pazifist zu sein, gegen Atomwaffen, gegen Uniformen und Kriegstüchtigkeit. Männer trugen lange Haare. Künstler und Studenten verweigerten den Wehrdienst. Musiker sangen "Plant uns bloß nicht bei Euch ein" oder "Ein bisschen Frieden". Als sich Zehntausende mutig dem Nato-Doppelbeschluss entgegenstellten und auf den Bonner Rheinwiesen protestierten, klang der Ton der Berichterstatter von ARD und ZDF wie Jahre später, als sie in bewegenden Worten von der letzten Schlacht der Klimabewegung um das Dörfchen Lützerath berichteten.
Der schlechte Ruf des Pazifismus
Doch die Zeit ist im Wandel. Der Pazifismus hat seinen guten Ruf eingebüßt. Die Friedensbewegung, in den 80er Jahren eine Art Freikirche des Glaubens an die andere Backe, gilt heute als das, was sie vor 40 Jahren war: Eine korrupte Fünfte Kolonne, von Deutschland Feinden im Osten finanziert, um den Wehrwillen im Lande zu untergraben.
Wie der Russe das anstellt, ist auch drei Jahre nach Kriegsbeginn noch weitgehend unerforscht. Lange hatte er den US-Präsidenten Donald Trump in der Tasche, es gelang im sogar, den Republikaner dazu zubringen, die Europäer zu zwingen, ihre Rüstungsausgaben fast zu verdreifachen. Parallel aber gab es immer den Verdacht, dass russische Trollfabriken auch nach dem Untergang von Jewgenij Prigoschins digitalem Imperium weiter einen hybriden Meinungskrieg gegen Deutschland führen. Mit Fake News und dem gezielten Schüren von Zweifeln der jeweils gerade aktuellen Regierungspolitik gegenüber versuchen sie, Verunsicherung zu schüren und die europäischen Verbündeten zu spalten.
Perfide Methoden
Die Methoden sind perfide. Sie reichen von der Übernahme einer "rechtsextremen Kaderpartei, die von Moskau vorgeschickt wird" bis zum Missbrauch von Parlamentsrechten, um für den Kreml zu spionieren, wie ihn Thüringens SPD-Innenminister Georg Maier gerade erst beherzt aufdeckte. Bei der "gezielten Informationsbeschaffung im Auftrag Russlands" (MDR) endet die Unterwanderung aber längst nicht. In der nordrhein-westfälischen Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde etwa hissten Unbekannte über den gesamten Ort verteilt rund 40 Deutschlandflaggen, um zu provozieren und zu verunsichern. Weder gab es ein Bekennerschreiben noch einen anderen Hinweis auf die Motivation der Täter als Aufkleber mit der Parole "Nationalstolz ist kein Verbrechen".
Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt, um diese Frage zu beantworten, denn denn ein politisches Motiv steht im Raum. Dass die Hintermänner im Sold des Kreml stehen könnten, wäre keine Überraschung, denn neben den bekannten Drohnen- und Cyberangriffen nutzt Moskau auch alle anderen Möglichkeiten, um Verunsicherung zu verbreiten und den Wehrwillen Deutschlands zu untergraben. Dazu werden regelmäßig Pazifisten und Wehrdienstverweigerer in Talkshows platziert, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden. Verdienstvolle Dokumentationen wie "Ein Pazifist denkt um", mit denen die Kriegstüchtigkeit gestärkt werden könnte, finden sich dagegen nur versteckt im Nachtprogramm, wo auch Informationen über die Nichtexistenz von Pazifismus als solchem versteckt werden.
Überall ist Front
Der Fronten sind viele und nicht überall können Behörden und Medien zugleich sein, um den Abwehrkampf gegen Russlands Einflussagenten zu führen. Doch wo sich Auffälligkeiten zeigen - sei es kürzlich bei den konzertierten Drohnenattacken oder einige Zeit zuvor bei den Angriffen der Schattenflotte auf Unterseekabel, die so geschickt inszeniert waren, dass ein finnisches Gericht die einzigen angeklagten tatverdächtigen schließlich freisprach - wird schnell und entscheiden reagiert. Keinen Fußbreit den Faschisten, nicht den kleinen Finger denjenigen, die Europa spalten und seine Verwandlung zum "stählernen Stachelschwein" (Ursula von der Leyen) abbremsen wollen.
Dass ein Lied wie Reinhard Meys Ur-Oldie "Nein, meine Söhne geb’ ich nicht" in solchen Zeiten der Anspannung nicht mehr gespielt werden kann, liegt nahe. 2025 ist nicht 1986. Die Friedenssehnsucht heute ist keine ehrenwerte, sondern eine schädliche Emotion. Damals in den 80ern hatte Mey gedichtet, er werde seine Söhne "den Ungehorsam lehren, den Widerstand und die Unbeugsamkeit, gegen jeden Befehl aufzubegehren und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit". Zudem beabsichtige er, sie dazu anzuhalten "den eig'nen Weg zu gehen, vor keinem Popanz, keinem Weltgericht, vor keinem als sich selber g′radzustehen".
Schädlicher Trotz
Im Licht der seinerzeit regierenden rechten und rechtsextremen Kreise aus CDU/CSU und FDP war das eine lobenswerte Ankündigung. Eher sollte der Sowjet Deutschland überrollen, als dass die Söhne von Kulturschaffenden "in Reih‘ und Glied marschieren" und "auf einem gottverlass’nen Feld erfrieren", wie Mey sich festlegte. In der heutigen Zeit einer Wehrgemeinschaft Deutschlands mit progressiven Staaten wie der Türkei aber sieht das anders aus: Der Trotz, mit dem Mey Kritik an den deutschen Abschreckungsbemühungen gegenüber dem hochgerüsteten Warschauer Pakt übte, wirkt heute wie ein schädliches Gift.
Als sich der Südwestdeutsche Rundfunk jetzt entschied, das defätistische Lied von der Vorschlagsliste der SWR-1-Hitparade zu streichen, diente das einem höheren Zweck: Offenbar von Russlands Agenten missgeleitet und verführt, hatten SWR-Hörer das 40 Jahre alte und unter ganz anderen Umständen geschriebene Lied hartnäckig hochgevotet. So konnte der Eindruck entstehen, Deutschland sei immer noch nicht bereit, sich vom Schlafwandler, der auf seiner Friedensdividende ruht, zu einer Kriegergemeinschaft zu wandeln, die es kaum noch erwarten kann, dass die Jüngeren "Pistorius' Neuen Wehrdienst" (Bundesministerium der Verteidigung) antreten.
Kritik der Falschen
Wie richtig die Entscheidung war, zeigt die postwendende Kritik der Falschen. Statt sich zu freuen, dass die Manipulationsversuche des Kreml frühzeitig vereitelt werden konnten, wird der völlig normale Vorgang genutzt, um das demokratische System als "menschenverachtend, krank und kaputt" zu bezeichnen. Offenkundig eine Wortwahl, die direkt aus Moskau diktiert wird, wo die Enttäuschung über den geplatzten Plan, mit dem Mey-Lied unauffällig eine defätistische Stimmung verbreiten zu können, groß sein muss.
Reflexhaft versucht Russland in diesen Stunden, seine Einflussagenten Gerüchte über Zensur, Manipulation und Cancel Culture streuen zu lassen. Wer den Frieden wirklich will, darf sich davon nicht beeindrucken lassen. Die Reaktion des Kreml zeigt, dass die Entscheidung des SWR gegen den verharmlosenden Versöhnungsgesang richtig war.


2 Kommentare:
Es scheitert doch nicht nur an diesem Lied. Es fehlt auch die ARD-Doku "Wie ich vom Pazifisten zum Elitesoldaten wurde" in der Primetime. Ohne solche patriotistischen Mutmacher wird das nix mit dem Ostfeldzug.
Das ist zum Brüllen. Jetzt sind wir offensichtlich die Sowjetunion, die den Klassenfeind in Russland bezwingt.
how_the_turn_tables.jpg
Bereit für den Ernstfall - Ein Pazifist denkt um | SWR Doku
So einen dampfenden Haufen Propagandascheiße für Pazifisten gab's nicht mal in der Zone.
Kommentar veröffentlichen