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| Der britische "Economist" war das erste international bekannte Blatt, das dem Hades-Plan eine Titelseite widmete. |
Es sah zuletzt nicht mehr danach aus, als würde der große Plan noch umgesetzt werden können. Anfangs wuchsen die Hoffnungen in den Himmel, dass die Vision Wirklichkeit wird, Deutschland zur "Hegemonialmacht" (Handelsblatt) auf dem alten Kontinent zu machen. So hatte es eine verschwiegene Politikerrunde an einem verregneten Septembertag des Jahres 1991 verabredet: Der Hades-Plan wurde für mehr als 20 Jahre zur Grundlage deutsche Außen- und Innenpolitik.
Geheimes Strategiepapier
Öffentlich nie erwähnt, kam das Strategiepapier erst ans Licht, als ein Ex-Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR die geheimen Protokolle des Vorgangs "Euro-Falle" aus den streng abgeschirmten Räumen der Stasi-Unterlagenbehörde in Dresden schmuggelt, wo sie völlig vergessen in einem Aktenschrank verstaubt waren.
Der Leak machte Furore. Deutschlands Geschichte musste völlig neu geschrieben werden. Historiker betrachteten das Handeln von Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und ihren Helfern Theo Waigel, Wolfgang Schäuble, Rudolf Seiters und Friedrich Bohl aus einem völlig neuen Blickwinkel. Die Aufgabe der D-Mark, das Aufgehen der mächtigsten Wirtschaftsmacht Europas in einem verwirrend kompliziert regierten Vielvölkerstaat - all das ergab plötzlich Sinn.
Die alte Ordnung
Was ein erfahrener Stratege wie Wolfgang Schäuble gemeint hatte, als er das "Regelungsmonopol des Nationalstaates" als die "alte Ordnung" bezeichnete, "die dem Völkerrecht noch zugrunde liegt, mit dem Begriff der Souveränität, die in Europa längst ad absurdum geführt worden ist", lag offen vor aller Augen. Der "Hades-Plan", so lehrten es zeitweise alle Universitäten, war das beste Beispiel für deutsche Machtpolitik durch die Hintertür. Ein Leiten durch Leiden, das zuerst zum Vertrag von Maastricht führte, dann zur Einführung des Euro, schließlich zur großen Schuldenkrise. Und über diese nur scheinbar zufällige Kette von Ereignissen ans Ziel: Der Eroberung Europas durch Deutschland, diesmal aber ohne Marschstiefelstampfen und gebellte Befehle.
Die Briten rochen den Braten zuerst. Das Empire, das sich ein geeinigtes Europa immer nur unter britischem Mandat hatte vorstellen können, schäumte. War es nicht Churchill gewesen, der mit seinem Satz 'We are with Europe, not of it' einen Kurs vorgab, der eine Unterordnung unter die Ziele des Hades-Planes schlicht ausschloss? Bei allem, was später an Begründungen vorgebracht wurde: Hier lag der Grund für den Brexit, mit dem sich der Kontinent von seiner größten Insel isolierte. Man sei nicht "bereit, die deutschen Stiefel zu lecken", hieß es im Abschiedsbrief von Colin Liddell, veröffentlicht in kleinen, aber feinen Takis Magazine, einem fröhlichen Kompendium konservativen Humors.
Italien hielt zur Achse
Auch Italien war beunruhigt, hielt aber zur Stange Achse. In halbgaren Protesten hieß es im "Il Giornale", einem Qualitätsblatt aus dem Statt von Silbio Berlusconi, Italien liege "nicht mehr in Europa, sondern im Vierten Reich". Doch Konsequenzen blieben aus, weil die Amerikaner applaudierten. "Jetzt habt ihr die Hauptstadt Europas nach Berlin verlegt" jubelte George Friedman, der Gründer und Vordenker des US-Think-Tanks Stratfor über die Deutschen als die "kontrollierende Kraft der Europäischen Union".
Klare Machtverhältnisse. Die EU als die DDR Angela Merkels, wie es der "Spiegel" zufrieden ausdrückte. Von "Europas Kanzlerin" schrieb die Süddeutsche Zeitung". Wer, wenn nicht Deutschland? fragte das Blatt und der ehemalige Nachrichtensender n-tv antwortete beherzt: "Deutschland als Vorbild – warum nicht!" Eine "German Übermacht" entdeckte der "Spiegel" in dem Land, das seine ausgestellte Verletzlichkeit und eine hypochondrisch erscheinende Sensibilität für Verletzung seiner hochentwickelten Moral geschickt nutzte, sich die anderen Staat gefügig zu machen.
Der Sieg des "Quattro Reich"
Das "Quattro Reich", das Italien mit "Heil Merkel" verhöhnte, blieb unbeirrt von Lob wie von Tadel. Lieber das ganze Europa ganz als das halbe Deutschland halb, hatte Helmut Kohl die geheime Runde im Kanzlerbungalow damals eingenordet. Und auch wenn es zeitweise so schien, als komme die Umsetzung des Plans nicht recht vom Fleck, übernahm Deutschland doch immer mehr Bürgschaften für die übrigen EU-Mitgliedsstaaten. Es verlangte dafür nicht. Blieb selbst in vermeintlich bedrohlichen Situationen höflich und unterwürfig. Schlug nie mit der Faust auf den Tisch, sondern verließ sich auf seine absolute Macht als einzige Instanz in der Gemeinschaft, die den anderen Schuldern noch Zugang zu frischem Geld verschaffen kann.
Ein gemütlicher Herrscher. Ein Chef, der sich müht, den Eindruck zu erwecken, dass er sich kaum allein die Schuhe zubinden kann. Geschult am Vorbild des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hat Deutschland seine Position zu einer ausgebaut, die es ihm erlaubt, nicht nur wieder die Musik zu bezahlen, sondern auch anzusagen, welches Lied gespielt wird. Frankreichs Präsident mag öffentlichkeitswirksamer auftreten. Polen mehr Ultimaten stellen und Georgia Meloni besser aussehen. Doch es sind die Merkels, Scholz' und Merz, die das Sagen haben, wie das stets hellwache "Handelsblatt" die Situation analysiert.
Die große Dominante
"Deutschland wird zur dominanten Macht Europas", beschreibt das Wirtschaftsmagazin das Ergebnis eines Meisterstücks internationaler Finanzdiplomatie, mit dem der Retter Not schuf, indem er Verführbarkeiten ausnutzte, um am Ende mit der Geldwaffe Kreditknechtschaft zu erzwingen. Autor Moritz Koch knüpft an eine lange Tradition in einer Publikation an, die Deutschland bereits 2016 als "widerwilligen Hegemon" porträtiert hatte. "Dominant" kommt vom Lateinischen
"dominans" und meint herrschen oder beherrschen. Die EU ist so gesehen Deutschland "Dominion", sein Herrschaftsbereich.
Fast ein Jahrzehnt später gilt es, einen Irrtum aufzuklären: "Alle reden von Deutschlands Schwäche, dabei erlebt das Land einen gewaltigen Machtzuwachs", schreibt Koch. Friedrich Merz etwa, der so oft so ungelenk wirkt und heute schon mehr Versprechen gebrochen hat als die meisten seiner längerdienenden Vorgänger, sei bereits zu erkennen als ein "Kanzler einer Führungsmacht im Aufbau".
Führungsmacht im Aufbau
Wer will, kann es sehen. Noch trauert Deutschland zwar vergangenen Erfolgen nach, es "fühlt sich schwach wie lange nicht". Doch auch wenn der Titel des Exportweltmeisters weg ist und der Ruf als Europas Wachstumsmotor ruiniert, hat doch der Stimmungsumschwung im Sommer und der von Bauturbo und verkürzten Abschreibungsfristen ausgelöste Boom nicht nur Zukunftsängste ausgelöst, sondern auch eine Klebekraft in der schwarz-roten Koalition entfaltet, die Politikphysiker mit "Alles oder Nichts" beschreiben.
Selbst wenn beide Partner sich nicht einig sind, einigen sie sich wie bei der Abstimmung über das Rentenpaket. Selbst wenn beide keine Idee haben, hilft der Hades-Plan, daraus keine existenzgefährdende Regierungskrise werden zu lassen. "Ausgerechnet in dieser Phase der Schwäche, der Selbstzweifel und Schuldzuweisungen erlebt das Land einen historischen Machtzuwachs", erläutert Moritz Koch.
So funktioniert ein System, das angeblich hatte zeigen wollen, wie die Deutschen gute Europäer werden und den Europäern stattdessen jetzt die Chance gibt, gute Deutsche zu sein. "Was die nächsten zehn Jahre politisch prägen wird, ist nicht der Niedergang Deutschlands", ist der Autor sicher, "sondern das genaue Gegenteil: der Aufstieg der Bundesrepublik zur dominanten Macht Europas."
Trump ist schuld
Wie immer ist Trump schuld. Er hat Europa die Amerikaner entfremdet. Die Chinesen hatte Brüssel vorher selbst schon weggebissen, Indien zeigte noch nie großes Interesse am alten Kontinent und der hat keins an Argentinien und Brasilien. So bleibt Europa nur noch eine Führungsmacht, zufällig die, bei der die meisten Euro- und EU-Staaten ohnehin in der Kreide stehen. Briten und Franzosen seien chronisch klamm, schreibt Koch. "Deutschland ist das einzige Land, das die finanziellen Mittel für eine signifikante Nachrüstung hat." Das aber ist nicht Trumps Wille. Sondern der der Väter des Hades-Planes.
So hat die Zeitenwende das Kräfteverhältnis auf dem Kontinent verschoben. Nur Deutschland, das jüngere Erfahrungen mit einem Kräftemessen mit den Russen hat als etwa Frankreich oder Polen, könne Europa künftig schützen. Nachdem Trumps illiberales Amerika dem europäischen Projekt den Kampf angesagt habe, muss der kranke Mann, als der sich Deutschland gern ausgibt, seine Krücken wegwerfen, seine Orthesen polieren und den Hades-Plan offen auf den Tisch legen: So geht's lang.>



1 Kommentar:
God may punish England!
Admiral Tirpitz
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