Freitag, 7. November 2025

EU-Planwirtschaft: Immer schöner Scheitern

Niemand weltweit plant besser und langfristiger als die EU. Seit dem Ende der DDR ist die Gemeinschaft allerdings auch führend beim Verpassen ihrer Planziele.

Es ist die Tragik aller großen Planer, aller Visionäre und Erfinder, die vor ihrer Zeit kommen - oder viele Jahre zu spät.  Mutig hatte die damals noch ihre erste Amtszeit abdienende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor drei Jahren das große Ziel ausgerufen, Europa bei der Herstellung moderner Mikrochips zu einer Weltmacht zu machen. 

Bis zum Jahr 2030 würde der Kontinent einen stolzen Weltmarktanteil von 20 Prozent erreichen, bestimmte die Frau, die immer dort am lautesten ist, wo die aktuellen Nachrichtensendungen akuten Rettungsbedarf anmahnen. 2022 war das gerade im Halbleiterbereich der Fall. Lieferketten waren gerissen. Fabriken mussten aus Mangel an Vorprodukten Kurzarbeit einlegen.   

Fortgesetztes Scheitern 

Nie wieder, rief von der Leyen aus Brüssel, als sie ihren Chips Act vorstellte. Statt auf China, die USA und Taiwan angewiesen zu sein, würde die Gemeinschaft sich ihre Chips künftig selbst backen. Erreicht würde das werden, auf diese Art hat die EU schon zahllose andere Probleme gelöst, mit Milliarden und Abermilliarden.  Was man selbst nicht hat, muss man kaufen - und die Mitgliedsstaaten sollten nun Investoren einkaufen. 

Heute unvorstellbar, denn kürzlich erst hat Bundeskanzler Friedrich Merz bekanntgegeben, dass sich die  Anfragen potenter Ansiedelungswilliger in seinem Kanzleramt stapeln. Damals aber, die SPD regierte gemeinsam mit Grünen und SPD und das wirkliche Projekt war gerade erst gestartet (Karl Lauterbach), hielt sich das internationale Großkapital zurück.

Überredungskunst mit Milliarden 

Erst Klimawirtschaftsminister Robert Habeck gelang es schließlich, den US-Riesen Intel mit zehn Milliarden dazu zu überreden, selbst auch zehn  Milliarden in den Bördesand bei Magdeburg zu setzen. Ein Strohfeuerchen, denn nach der aufwendigen und liebevollen Umsiedlung einiger Dutzend Feldhamster waren Geduld und Finanzkraft der finanziell angeschlagenen Amerikaner erschöpft.

Ein Pfeiler der europäischen Chip-Strategie brach zusammen. Und in seinem Gefolge  auch der Traum von der Halbleiterresilienz. Drei Jahre nach dem European Chips Act ist wieder Kurzarbeit wegen Mikroelektronikmangel. Wieder werden Resilienzpläne ausgerufen. Und wieder fällt der Blick eher scheel auf das bislang schon Erreichte: Auf halbem Weg nach 2030 steht jetzt fest, dass die EU ihr Ziel zum Ausbau der Chipproduktion deutlich verfehlen wird. 

Drei der acht Jahre des Planungszeitraums sind vergangen. Gelungen ist der Baustart für zwei neue Chipfabriken des deutschen Herstellers Infineon und des taiwanischen Konzerns TSMC in Dresden, drei andere first-of-a-kind semiconductor facilities (EU) bauen STM Microsystems, Silicon Box und Osram in Italien und Österreich. Das wars.

Sie ahnten nichts 

Damals, im Januar 2022, konnte noch niemand etwas von ChatGPT, Gemini und Grok ahnen. Die erste große KI wurde von OpenAI erst im November vorgestellt. Eine Sensation, von der in der EU niemand etwas geahnt hatte, als die hochrangigen Experten der 27 Mitgliedsstaaten am Chips Act schmiedeten. Der kam so von Anfang an ohne die Planung von Fabriken für Hochleistungschips aus. Nvidia, Blackwell, KI - in Europas wichtigster Zukunftsplanung kommen die Worte nicht vor.

Die Kommissionsvision war die einer Resilienz bei Feld-, Wald- und Wiesenchips, den Bauteilen, die in Küchenmaschinen und Autoteilen verbaut werden. Hier sollte der frühere High-Tech-Kontinent seinen Weltmarktanteil von unter zehn auf 20 Prozent erhöhen. Nach einem Drittel des Planzeitraumes wären heute zwölf Prozent abzurechnen. Aber auch das ist dann wieder schiefgegangen. Zwölf Prozent sind jetzt, etwas leiser verkündet, das Ziel für 2030, wenn auch nicht ganz. 

11,7 statt 20 Prozent 

Auf nur noch 11,7 Prozent hat die EU-Kommission in einer Antwort auf eine Anfrage des FDP-Europaabgeordneten Moritz Körner den realistisch erreichbaren Marktanteil der EU bei der Halbleiterproduktion im Jahr 2030 taxiert. Wenn alles gut geht.

Von 20 Prozent ist nicht mehr die Rede. Und schon gar nicht davon, angesichts der neuen Welle an Hightech-Chips für KI-Anwendungen eigentlich ganz neue und noch viel ehrgeizigere Ziele ausrufen zu müssen. Nach der Absage von Intel und dem Scheitern von Wolfspeed hat der deutsche Bundeskanzler zwar die Lautsprecher aufgedreht. Er liest jetzt die alten von-der-Leyen-Reden vor, in denen von "Mega-" und "Gigafabriken" und von digitaler Souveränität die Rede ist und wie wichtig und bedeutsam sie doch wäre. 

Derweil bleibt Europa so weit im Staub der KI-gestützt abhebenden Volkswirtschaften in den USA und in China zurück, dass die halbamtliche deutsche "Tagesschau" stolz vom Vorhaben der teilstaatlichen Deutschen Telekom berichtet, ein "riesiges KI-Rechenzentrum" bei München errichten zu wollen. 

Ein zwergenhafter Riese 

Die gefeierte Riesigkeit drückt sich in nackten Zahlen so aus: Die Serverfarm, der nachgesagt wird, die deutschen KI-Kapazitäten glatt zu verdoppeln, wird etwa eine Milliarde Euro kosten und mit "bis zu 10.000 Spezialprozessoren von Nvidia ausgestattet". Vorgelesen in der "Tagesschau", klingt das wie ein wegweisender Triumph. 

Doch bei Lichte betrachtet ist es das Eingeständnis der eigenen Verzwergung: Das "riesige KI-Rechnzentrum" liegt damit etwa 67 Milliarden Euro unter den KI-Investitionen, die allein der Facebook-Konzerne Meta tätigt. Und im Ergebnis wird das "Großprojekt" (Table Media) gegen wirkliche Großprojekte, die mit 100.000 oder noch mehr Blackwell-Prozessoren arbeiten, wirken wie ein Tachenrechner.

Von Berlin bis Brüssel ist jedermann klar, dass auch der große Chip-Plan wieder in die Hose gegangen ist. Das hat in der Planungsgemeinschaft von Lissabon bis Athen, hoch nach Vilnius und quer rüber nach Irland eine lange und ehrwürdige Tradition. Noch niemals in ihrer Geschichte seit der Unterzeichnung der Maastricht-Verträge am 7. Februar 1992 ist es der Wertegemeinschaft gelungen, irgendeines ihrer langfristig und ehrgeizig geplanten Ziele zu erreichen. Die Geschichte der EU ist vielmehr die eine fortgesetzen, systematischen und immer wieder stoisch hingenommenen Scheiterns an jedem einzelnen großen Vorhaben, das sich die Mitgliedsstaaten gemeinsam vorgenommen haben.

Maastricht als Muster 

Der Maastricht-Vertrag selbst liefert das Muster, nach dem alles abläuft. Knallhart schrieb der Vorgabe  fest, die jeder Staat zu erreichen versprach. Keine Schulden über Höhe X, keine Staatsausgaben über Höhe Y.  Hätten die Väter und Mütter der EU nicht wohlweislich von Anfang an mit Absicht vergessen, Regeln zum automatischen Ausschluss vertragsbrüchiger Staaten in die Verträge zu schreiben, wären von den bislang 28 Mitgliedsländern heute nicht mehr 27, sondern allenfalls noch ein Dutzend übrig.

Das Beeindruckende an der dysfunktionalen Planwirtschaft der EU aber ist, mit welcher Grandezza ihre Kommissionspräsidenten, Kommissare, EU-Ratsmitglieder und EU-Parlamentsvertreter immer weiter machen. Nachdem die Lissabon-Strategie, die die EU in den wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt verwandeln sollte, schmählich gescheitert war, wurde nicht an der Art und Weise der Führung durch planwirtschaftliche Vorgaben gezweifelt und auch die  Leitungstechnik nicht geändert. Lissabon verschwand still und leise und die nächste große Strategie namens "Europa 2020" sprang wie das Kaninchen aus dem Zylinder. 

Absehbare Misserfolge 

Mit absehbarem Misserfolg, aber erwartbaren Folgen. Niemand rührte am seligen Schlaf der gescheiterten Träume. Jeder wusste, dass eine öffentliche Endabrechnung der erzielten Erfolge kein gutes Licht auf die vielbeschworenen europäischen Institutionen werfen würde. Die Schlüsse liegen seit Jahren auf der Hand: Der Dampfer EU ist zu groß, zu behäbig. Die Signalleitungen innerhalb der hochentwickelten Verwaltungsbürokratie sind zu lang. Entscheidungsprozesse dauern ewig und drei Tage. Und da die europäischen Planvorgaben über die Staaten bis auf die Vollzugsebene wandern müssen, endet jeder Versuch, mit Fördermitteln einerseits und Strafen andererseits Gefolgschaft zu erzwingen im systematischen Missbrauch.

Ursula von der Leyen tat nach ihrem Amtsantritt trotzdem, was Europa immer tut: Mit dem "Europäischen Grünen Deal" übermalte sie die Pleiten der Vorgängerstrategien. Jetzt ging es um "Ziele für nachhaltige Entwicklung" und Blabla und den Wiederaufbau als "strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt" wie es schon damals im Jahr 2000 im legendären Lissabon-Papier geheißen hatte.

Die europäische Beharrlichkeit 

Die Menschen in Brüssel wechseln. Die Beharrlichkeit, mit der stur und ungerührt von allen Rückschlägen in die einmal gewählte Richtung weitermarschieren, ist aber bei jedem Nachfolger eines gescheiterten Vorgängers dieselbe. Wie ein gewaltiger Dinosaurier, der seine Umgebung mit Verzögerung wahrnimmt, stampft die EU durch eine Gegenwart, in der flinke, dynamische Organisationen gewinnen und träge Kolosse aus unendlich vielen Gremien, Kommissariaten, Ministerien und parlamentarischen Entscheidungsebenen verlieren.

Doch die EU kann nicht anders. Sich einzugestehen, dass die Gemeinschaft, die vor 30 Jahren zusammen stark werden wollte, heute durch ihre langwierigen und auf faule Kompromisse ausgelegten Entscheidungsprozesse von Tag zu Tag schwächer wird, wäre das Todesurteil für die EU.

Brutale Niederlagen 

Den großen Ankündigungen folgen also niemals große Erfolge, sondern immer wieder brutale Niederlagen. Doch im Bus nach Hause herrscht trotzdem nie üble Stimmung. Nach dem gescheiterten Fünf- oder Zehn-Jahrplan ist immer vor dem nächsten, denn nach dem Pandemie-Programm kommt der Chips Act und nach dem Chips Act der AI Act und alles klappt nie wie vorgesehen und Kommissionsvizepräsidentin Henna Virkkunen oder irgendwer anders sagt dann: Das 20-Prozent-Ziel bei der Eigenversorgung mit Chips stelle "nach wie vor eine Herausforderung dar".

Das geht alles so durch. Das wird rundherum von hunderten Millionen EU-Bürgern akzeptiert. Niemand fühlt sie jemals betrogen durch eine Kommission, die die schönsten Pläne seit der DDR-Planungskommission macht, aber ebenso unfähig wie die kommunistischen Genossen ist, irgendeines ihrer Planziele zu erreichen. Brüssel plant trotzig weiter und immer weiter, immer ehrgeiziger und hochfliegender werden die Vorhaben. Draußen im Lande hingegen nehmen die paar Menschen, die überhaupt Notiz nehmen von den sehr, sehr leise gemeldeten Fehlschlägen, das endlose Kette an Pleiten stoisch hin. Etwas anders als das erwartet niemand mehr.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Laut Genossen J. Stalin ist dieser Computerkram (damals Kybernetik) ohnehin bourgeoise Pseudowissenschaft (буржуазная лженаука).