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| Die kollektive Abwertung der Ostdeutschen durch Westdeutsche war bisher straffrei. Eine neue Rassismusdefintion der Bundesregierung soll das jetzt ändern. |
Sie sind eine Gruppe mit Millionen Mitgliedern, daheim in ihren Siedlungsgebieten dominant und kulturprägend. Sie sprechen verschiedene Sprachen, die meisten aber mit deutliche hörbarem Dialekt. Sie haben ihrer eigenen politischen Vorlieben, sie folgen ihren eigenen vermeintlichen Erfahrungen und sträuben sich bis heute trotzig, bestimmte Lehren anzunehmen, die ihnen das Leben leichter machen würde.
Sonderschüler der Einheit
Ostdeutsche - abfällig auch "Ossis" genannt - gelten als die Sonderschüler der deutschen Einheit, weniger klug als andere, weniger gebildet, ärmer und betreuungsbedürftiger, zugleich aber wegen einer erblich bedingt mangelnden Einsichtsfähigkeit auch schwieriger zu leiten und zu führen. Störrisch, zu Unrecht stolz und zu Recht benachteiligt – so werden Ostdeutsche laut einer Erhebung oft in Medien beschrieben. Aus den bereits länger demokratisierten Gebieten heraus betrachtet wirken sie wie Wilde, die letzten indigenen Stämme Germaniens, ungepflegt, unmodisch gekleidet, schlecht frisiert und Fremden gegenüber grundlos argwöhnisch.
Selbst der Bundespräsident sah sich schon vor Jahren gezwungen, die Situation in einem Interview anzusprechen. Anlässlich des "Tages der Deutschen Einheit" vertraute Walter Steinmeier den ARD-"Tagesthemen" seine Sorgen an. Viele Ostdeutsche hätten "das Gefühl, dass sie nicht gehört und nicht gesehen werden, dass ihre Geschichten nicht Teil einer gemeinsamen deutschen Geschichte geworden sind", sagte der Sozialdemokrat. Er habe zudem den Eindruck, dass die Ostdeutschen mutmaßten, "dass es im Westen auch nicht wirklich Interesse an ihren Biografien gegeben hat".
Die Reden des Kolonialbeamten
Sätze, die jeder Kolonialbeamter des British Raj Ende des 19. Jahrhundert unterschrieben hätte. Tja, der Inder und seine Gefühle. Glaubt, dass sie im Vereinigten Königreich eigentlich niemanden scheren. Dabei spricht heutzutage sogar der erste Mann im Staate jeweils einmal im Jahr zum 3. Oktober voller Empathie darüber, dass die hiesigen Indigenen, verwurzelt in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, immer noch und weiterhin jede Chance haben sollen, sich vollkommen in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Sie müssen eben nur ihre Eigenheiten aufgeben und ihre Art zu leben ändern.
Ein Angebot, dass nach der aktuell geltenden Rassismusdefinition des "Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus" (NAR) legitim und fair ist. Doch länger schon gilt der NAR als verbesserungsbedürftig, weil er das Erkennen weiter Teile von gruppenbezogener Diskriminierung verhindert. Zwar steigen die Zahlen aufgedeckter Hassverbrechen seit Jahren zuverlässig. Das Dunkelfeld aber, davon sind Experten überzeugt, ist sehr viel größer, weil zahlreiche marginalisierte, strukturell benachteiligte und kollektiv abgewertete Gruppen von der zur Klage über die eigene Verfolgung berechtigenden Definition nicht erfasst werden.
Was genau ist Rassismus?
Über Jahre hinweg und mehrere Regierungskoalitionen tüftelten Expertenrunden deshalb schon an einer neuen Antwort auf eine zentrale Frage der demokratischen Mitte: Was genau ist Rassismus? Wie unterscheidet sich die - nach wie vor gestattete - subjektive Abneigung Einzelner von der gruppenbezogenen Aversion einiger gegen mehrere? Welche Gruppe darf auf Anerkennung als diskriminierte Gemeinschaft hoffen? Und welche muss damit leben, dass ihr diese Anerkennung versagt bleibt?
Als Grundlage für einen neuen Aktionsplan gegen Rassismus, Hass und Diskriminierung, der bereits in zwei Jahren vorliegen soll, ist es unumgänglich, dass genau definiert wird, was künftig genau unter Rassismus verstanden werden soll. Das Grundgesetz legt in Artikel 3 zwar fest, dass niemand "wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen" benachteiligt oder bevorzugt werden darf und es ebenso verboten ist, Menschen wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen.
Die Rasse wird geschützt
Doch die Statistiken über rassistische Straftaten und mutmaßliche Hassverbrechen zeigen, dass die Politik im Definitionsbereich dringend nachschärfen muss. Artikel 3 GG versagt bei der umfassenden Beschreibung von Verfolgungsgründen, indem er nur ganze zehn Tatbestände nennt. Mit "Rasse" ist zudem ein Schutztatbestand darunter, dessen Verwendung in der Praxis mangels nachweisbarer menschlicher "Rassen" ins Leere läuft. Der Gesetzgeber weiß das seit Jahren. Doch im Bundestag findet sich ebenso lange keine Mehrheit, die die rassistische Grundlage des Kampfes gegen den Rassismus beherzt streicht.
Eine Vielzahl anderer, sehr viel realerer Benachteiligungsgründe aber werden nicht erwähnt. Weder die Verfolgung von Menschen wegen bestimmter Hobbys, wegen der Berufstätigkeit in bestimmten Branchen, wegen einer Vorliebe für Fern- und Flugreisen, wegen höherer oder hoher Einkommen finden in den staatlichen Schutzvorschriften Erwähnung. Und schlimmer noch: Auch und vor allem die erblich und durch Erziehung geprägte Zugehörigkeit zu einer Kultur, die an den anachronistischen Werten einer längst vergangenen Zeit festhält, wurde bisher störrisch ignoriert.
Eine uralte Vorschrift
Nun stammt das aktuelle Konzept zur Bestimmung von Rassismus noch aus dem Jahr 2017, weit vor dem Aufkommen von Querdenkerbewegung, der Popularisierung von Zweifeln durch Schwurblern und einem Aufgreifen der pauschalen Kritik an ganzen Bevölkerungsgruppen durch seriöse Medien. Seinerzeit lag Deutschlands größtes Sicherheitsproblem im Auftauchen der sogenannten Horror-Clowns, die wichtigsten Umfragen zeigten ein großes Desinteresse Jugendlicher an Pornofilmen und die Gemeinsinnsender ARD und ZDF wehrten sich gegen den unbegründeten Vorwurf, in der "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" kümmerten sich von der Politik handverlesene ARD- und ZDF-Lobbyisten um die Interessen eines faktischen Staatsfunks.
Seitdem hat sich die Lage verschärft und der gefühlte Rassismus ist bis in die Mitte der Gesellschaft geschwappt. Links gehören das sogenannte Pro-Palästinensertum und Antisemitismus zu guten Ton. Rechts sind Islamophobie und die Abneigung gegen Wettannahmestellen, Nagelstudios, Dönerbuden und Spätis notorisch. Einigen können sich alle Seiten nur noch auf eine Mitte: Ex oriente obscuritas! Der Osten ist unser Unglück.
Die westliche Dominanz
Die westliche Dominanz über diesen rätselhaften, wilden Raum hätte längst hergestellt sein müssen, doch weil das versäumt worden sei, habe sich dort eine Gesellschaft verkrustet, die kaum mehr zu erretten sei. Verdient habe sie es deshalb, als größte soziale Gruppe im Land ihrer Machtchancen beraubt zu werden, indem ihr pauschal eine Vielzahl unangenehmer Eigenschaften zugeschrieben werde. Dumpfheit, Stumpfheit, Uneinsichtigkeit, Selbstverliebtheit, Armut und Neid - die Charakterzüge des Ostens, die der Westen als wesentlich erkannt hat, begründen moralisch und rational, warum die indigenen Neubürger beaufsichtigt, bemuttert und belehrt werden müssen. Allein wären sie nicht lebensfähig. Ihr großes Glück war es, dass der demokratische Teil der Gesellschaft sie dennoch aufgenommen hat und sie seitdem durchfüttert.
Die innere Einheit aber, das ist für Kenner der ostdeutschen Stimmungslagen schon länger klar, ist so nicht zu erreichen. Kein Mensch im Osten hört sich Steinmeiers salbadernde Predigten noch an. Kein Mensch im Westen ist nicht entsetzt darüber, wie die eben erst befreiten Gebiete freiwillig zurückfallen in Despotie, Diktatur und Faschismus. Die einen halten die anderen für verlogen. Die anderen die einen für dumm.
Wissenschaftsbasierte Rassismus-Definition
Eine beunruhigende Tendenz, der CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag Rechnung getragen haben. Schriftlich haben die drei Parteien verabredet, dass sie den Kampf gegen Rassismus auf eine neue Grundlage stellen wollen. "Wir werden den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus aufbauend auf einer wissenschaftsbasierten Rassismus-Definition neu auflegen, um Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu bekämpfen", heißt es im Grundlagenpapier der Koalition.
Es geht um Möglichkeiten, weitere und größere Gruppen zu schützen, umfassendere Minderheiten vor Verfolgung zu bewahren und dem Staat besseres Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen, am besten gegen den sich ausbreitenden Rassismus vorzugehen. Den Auftakt zum Überarbeitungsprozess der Rassismusdefinition hat jetzt mit einer Auftaktsitzung von Vertretern der verschiedenen Ministerien begonnen, wie das Büro der Integrations-Staatsministerin und Beauftragten für Antirassismus, Natalie Pawlik, mitteilte.
Der Ossi wird mitgebündelt
Ziel sei es, laufende Maßnahmen gegen Rassismus zu "bündeln und gezielt weiterentwickeln." Grundlage der gemeinsamen Überlegungen, die bis 2027 in eine neue Rassismusdefinition gegossen werden sollen, ist eine sogenannte Arbeitsdefinition aus der Zeit der Ampel-Koalition. Damals hatte die Sozialdemokratin Reem Alabali-Radovan noch aus ihrem Amt als Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus heraus für alle öffentlichen Verwaltungen eine Arbeitsdefinition von Rassismus herausgegeben, die sich erstmals an einen gesetzlichen Schutz von Ostdeutschen heranwagt. Auch sie, bisher pauschal als "Weiße" eingeordnet, gegen die es naturgemäß keinen Rassismus geben kann, haben nach der neuen Rassismusdefinition erstmals das Recht, sich rassistisch verfolgt, beleidigt und diskriminiert zu fühlen.
Denn die von Expertinnen und Experten in einem mehr als eineinhalb Jahre dauernden Prozess formulierte Definition geht weit über die Vorgaben des Grundgesetzes hinaus. Obwohl die Festlegung noch nicht verbindlich ist, sondern lediglich "ein Angebot, das Beamtinnen und Beamten im Alltag mehr Klarheit verschaffen" (Alabali-Radovan) soll, ist es für den Osten und seine Millionen Einwohner ein Hoffnungsschimmer. Statt nur bei Geschlecht, Abstammung, der fragwürdigen "Rasse", der Sprache, Heimat, Herkunft, dem Glauben und den Anschauungen zu verharren, deren Abwertung bisher als Rassismus gelten konnte, geht die Arbeitsthese weit darüber hinaus.
Die größte Opfergruppe
"Rassismus wird hier erstmals als Erscheinung beschrieben, die "auf einer historisch gewachsenen Einteilung und Kategorisierung von Menschen anhand bestimmter äußerlicher Merkmale oder aufgrund einer tatsächlichen oder vermeintlichen Kultur, Abstammung, ethnischen oder nationalen Herkunft oder Religion" beruhe. Den danach bestimmten Gruppen würde "bestimmte Merkmale zugeschrieben, die sie und die ihnen zugeordneten Personen als höher- oder minderwertig charakterisierten". Die als minderwertig kategorisierten Gruppen würden sodann "herabgewürdigt und auf der Grundlage von negativen Stereotypen und Vorurteilen abgewertet".
Einerseits muss nun niemand mehr wirklich Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben oder Anschauungen haben, um durch Eingeteilund und Kategorisierungvon außen unzulässig abgewertet zu werden. Andererseits erlaubt es die Nennung der "tatsächlichen oder vermeintlichen Kultur, Abstammung, ethnischen oder nationalen Herkunft" gerade den Ostdeutschen, sich ab sofort wirksam gegen jede Herabwürdigung zu wehren.
Millionen profitieren
Mit der neuen Rassismusdefinition werden Ostdeutsche faktisch als Rasse anerkannt, der von außen "bestimmte Merkmale zugeschrieben" werden, um sie "auf der Grundlage von negativen Stereotypen und Vorurteilen" marginalisieren und entrechten zu können. Für die größte Gruppe rassistischer Verfolgung im Land, bisher zu stiller Duldung gezwungen, ist das ein Quantensprung. Millionen Minderwertigen müssen nun nicht mehr hinnehmen, dass ihnen der Verstand abgesprochen wird und ihre Wahlentscheidungen als selbstmörderisch kritisiert werden. Sie können sich wehren, gegen Medien, gegen übelmeinende Politiker, durch Hinweise an Hassaufsichtsbehörden, durch Strafanzeigen und eigene selbstbewusste Lobbyarbeit.


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