Montag, 26. Oktober 2020

Die Schonungslosen: Die kranken Vorbilder aus der Politik

Dass der gerade 66-jährige Thomas Oppermann am Sonntagabend plötzlich und unerwartet starb, versetzte selbst das abgebrühte politische Berlin in einen Schockzustand. Der Thomas. Der Bundestagsvize. Ein Politiker mit menschlichem Antlitz, der in jede sozialdemokratische Partei gepasst hätte, heiße sie nun CDU, SPD oder Linke. Tot. Wo er doch gerade verkündet hatte, seine 30 Jahre währende Laufbahn als Bundestagsabgeordneter zu beenden. Und "noch mal etwas Neues anzufangen".  

Was man mit 66 so plant: Aufsichtsrat, Beraterstab, ein fetziges start up-Unternehmen? Oder doch  noch mal als Anwalt arbeiten? Thomas Oppermann hatte noch nicht öffentlich gemacht, wo er seine Zukunft sah, da war sie schon vorbei. Klar aber war auch für den Sozialdemokraten, der zum politischen Mobiliar zahlloser Talkshow der Nach-Schröder-Zeit gehörte, dass es weitergehen muss, immer weiter und weiter, weil die Droge der öffentlichen Aufmerksamkeit die, die einmal von ihr abhängig geworden sind, nicht mehr aus den Krallen lässt.

Der Dienst ruft immer

Politiker leiden unter dieser Sucht ebenso heftig wie etwa Künstler oder Instagram-Models. Es gibt keine Schonung, es gibt nur den Dienst, der in jeder Minute ruft und keine Entschuldigung kennt. Nicht einmal eine Erkrankung an Covid-19, einer allen amtlichen Angaben zufolge schweren Infektionskrankheit, die häufig zum Tode führt, gilt in diesen Kreisen als Grund, mal zwei Wochen im Bett zu bleiben, sich auszuschlafen und wieder gesund zu werden wie das aktuelle Beispiel des Bundesgesundheitsministers zeigt.

Dessen Covid-Erkrankung war kaum publik geworden, da ließ der Regierungssprecher schon wissen, dass man hoffe, der Corona-Fachminister werde trotz seiner Erkältungssymptome "einsatzfähig" bleiben. Umgehend versuchte Spahn selbst, sich im Stil eines Donald Trump als harter Gegner seiner Krankheit zu inszenieren: Es geht ihm trotz der Corona-Diagnose so weit gut. "Die Erkältungssymptome sind bisher jedenfalls, toi toi toi, nicht stärker geworden.“

Warum also nicht weiterarbeiten? Als Amtsträger und Behördenchef kann Jens Spahn auf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verzichten, darüberhinaus steht ihm wie jedem Arbeitnehmer das allgemeine Recht zu, trotz Krankschreibung und auch gegen den Rat seines behandelnden Arztes zu arbeiten, wenn er das denn will. Die Bundeskanzlerin als Dienstherrin ihrer Minister zumindest insofern, dass sie sie berufen, entlassen und zur Einhaltung von von ihr erlassenen Richtlinien veranlassen kann,  hätte hier womöglich eine Fürsorgepflicht, hat sich bisher aber nicht zu Spahns Dienstbereitschaftserklärung trotz Covid-19 geäußert.

Covid-kranke Vorbilder

Wie überhaupt ringsum für selbstverständlich gehalten zu werden scheint, dass ein Politiker selbst dann noch arbeitet, wenn er krank ist, und selbst dann noch hervorragende Entscheidungen mit Auswirkungen auf Millionen Menschen trifft, wenn er "Erkältungssymptome" spürt. Weiterarbeiten trotz Corona - was bei Donald Trump noch als unverantwortlicher Schindluder mit der eigenen Gesundheit und dem Schicksal der Nation galt, verwandelt sich hastunichtgesehen in einen heroischen Akt im Kampf gegen das Virus.

„Bitte helfen Sie weiter mit und hören Sie nicht auf diejenigen, die verharmlosen und beschwichtigen. Es ist ernst", hat Jens Spahn vom Krankenbett heimischen Wohnzimmer aus videogebotschaftet. "Den Umständen entsprechend" gehe es im gut, also weiter so. 

Wie Wolfgang Schäuble, der vor Jahren trotz schwere Erkrankung und eines Nachrufes im "Spiegel" weiterarbeitete, wie Helmut Kohl, der den Aufstand seiner parteiinternen Gegner um die Führung der CDU im Jahr 1989 mit einer akuten Blasenentzündung aussaß, und wie das gesamte Bundeskabinett, das nach Bekanntwerden von Spahns Infektion nicht etwa geschlossen in Quarantäne flüchtete wie eine Mecklenburger Grundschulklasse, führt Spahn das Land trotz Krankheit durch die Krise.

Draußen im Lande kommt das beim einfachen Arbeiter, beim einfachen Angestellten und bei vielen Sozialdemokraten vermutlich hervorragend an.gerade in Zeiten des home office, in denen Solo-Selbständige ohne Sozialkontakte die Gesellschaft am Laufen halten müssen, sind Beispiele für schonungslose Selbstausbeutung selbst um den Preis der vielbeschworenen "Spätschäden auch bei leichtem Verlauf" (NDR gefragt. Und wenn ein Minister all die Verantwortung für all die Schicksale schultern kann, obwohl ihn ein Corona-Husten quält, warum sollte dann ein Arbeitnehmer nicht trotz Krankschreibung weiterarbeiten, so lange es irgend geht? Zu jeder Zeit, an jedem Tag, zu jeder Stunde?

Thomas Oppermann, der kurz davor stand, seine politische Karriere zu beenden, fand es doch auch angemessen und wichtig, noch an einem Sonntagabend für das ZDF bereitzustehen, um sich in eine der üblichen Politsendungen schalten zu lassen. Da muss ab dieser Woche ein Kollege ran. Und sie werden sich drängeln, in diesen slot zu kommen.



5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Den Querstrich am Anfang und die drei am Ende weglassen ...

ppq hat gesagt…

eine grenzwertige anspielung zweifellos, die wegen geschmacklosigkeit eigentlich gelöscht gehört

ppq hat gesagt…

verzeihung. nicht eigentlich

Anonym hat gesagt…

Es ist nicht zu streiten um Geschmack und Schmecken? Aber alles Leben ist Streiten um Geschmack und Schmecken!
Nietzsche
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Was (((Oppermanns))) Stammesbrüder so vorhaben, das haben sie recht unverblümt seit gut zweihundert Jahren angekündigt, in den letzten zwanzig Jahren in gehäufter Frequenz und recht eindeutig, und gelegentlich früher, bisher regional begrenzt, auch schon praktiziert.
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Bei Charles Darwin gelesen: Ein Negerknäblein reichte ihm einst in Brasilien ein Glas Wasser, das am Rand etwas schmuddelig war. Sein weißer Besitzer gab ihm deswegen ein paar saftige mit der Reitpeitsche über die Omme - während dessen Vater, ein Kleiderschrank von Neger, daneben stand, ofenkundig vor Grimm zitterte, aber nicht die leiseste Mißbilligung auch nur zu äußern wagte, warum wohl.

Anonym hat gesagt…

Meine schon fast übergebührliche Hochachtung für Michael Klonovsky hat mit seinen Äußerungen zu (((Oppermann))) eine erhebliche Beeinträchtigung erlitten.


"Es gibt eben keine Größe ohne Flecken" - aus: "Operation Sodom" von (((Jerzy Jurandot))) (1959). --- Eine köstliche Satire und Anspielung auf Ostblockverhältnisse, gleichzeitig ein Lobgesang auf die Schattenwirtschaft, welche (((jene))) aus naheliegenden Gründen wertschätzen.